Vietnam 1945/1975: Arbeiterrevolution und 30 Jahre nationaler Befreiungskrieg

Antiimperialismus: Die vietnamesische Revolution mit ihrem heroischen Krieg gegen die US-Truppen hatte nicht nur eine ganze Generation von Linken auch in den imperialistischen Kernländern geprägt und war ein klassisches Beispiel für eine aus dem Niedergang einer kolonialen Macht entstandene nationalrevolutionäre Bewegung unter stalinistischer Führung. Vietnam war auch ein wichtiges Symbol für den Niedergang des US-Imperialismus – ein kleines Volk, das über kaum eine eigenständige Industrie verfügte, trotzte nicht nur über Jahrzehnte der stärksten imperialistischen Macht, sondern war trotz aller Bombardements und dem Einsatz der modernsten damals verfügbaren Waffentechnik in der Lage gewesen, ebendieser Supermacht eine empfindliche, schmachvolle Niederlage zu bereiten.

Klassenstrukturen der vietnamesischen Gesellschaft

Vietnam – heute ca. 75 Millionen Einwohner und mit 331.000 Quadratkilometer etwas größer als Italien und etwas kleiner als Deutschland – hat eine alte staatliche Tradition, die mit der von europäischen Feudalreichen durchaus keinen Vergleich zu scheuen hat. Das erste historisch gesicherte staatliche Gebilde auf vietnamesischen Boden war das 257 vor unserer Zeit gegründete Au-lac in der Gegend um Hanoi. In der Folge wurde der Kampf der sich herausbildenden Feudalmacht mit dem übermächtigen chinesischen Reich ein entscheidendes Merkmal, das die geschichtliche Entwicklung Vietnams bis ins 15. Jahrhundert bestimmen sollte.

Das 16. und 17. Jahrhundert waren erfüllt von dynastischen Machtkämpfen, aber seit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts kam als neuer Faktor das Eindringen niederländischer, portugiesischer und französischer Kaufleute und von – wie könnte es anders sein – europäischen Missionaren (hier wären vor allem die französischen Jesuiten des 17. Jahrhunderts zu nennen) hinzu. Die territoriale Zersplitterung und die innervietnamesischen Gegensätze wurden durch Waffenlieferungen der europäischen Mächte noch weiter angeheizt, die Ausbeutung der bäuerlichen Bevölkerung steigerte sich weiter.

1771 kam es zu einem großen Aufstand, der bereits unter der Führung einer nicht aus der Herrschaftskaste stehenden Gruppe stand. Die sich aus dörflichen Schichten rekrutierenden aufständischen Armeen besiegten nicht nur die einheimischen Herrscherdynastien, sondern stellten sich auch siegreich 1788 im Süden einem französischen Geschwader und einer thailändischen Invasionsarmee und 1789 bei Hanoi den zu Hilfe gerufenen chinesischen Truppen entgegen. Doch auch diesem Bauernaufstand erging es nicht anders wie anderen bäuerlich geführten Revolten dieser Epoche: Die neuen Herren riefen erneut eine Monarchie aus, entfernten sich von ihren bäuerlichen Ursprüngen und verloren schließlich die Massenbasis, die von der neuen Dynastie vergeblich ein Ende der „feudalen“ Verhältnisse verlangten und der sie ihren Aufstieg verdankten[1]. Ein knappes Vierteljahrhundert später konnte – diesmal aber bereits mit massiver französischer Unterstützung – die Familie Nguyen die Macht wieder an sich reißen und 1802 Nguyen-Anh zum Kaiser Gia-Long ausrufen lassen.

Ein halbes Jahrhundert später, 1858, kam es, nachdem Frankreich seinen Einfluss sukzessive verstärkt hatte, zur offenen Intervention, offiziell um den Schutz katholischer Missionare zu garantieren. In diesem Jahr drangen französische Truppen in Mittel- und Südvietnam vor und nahmen 1862/1867 Nam-bo als „Chochinchina“ in Besitz. 1873 wurde von einer Militärexpedition Hanoi besetzt. Vietnam wurden ähnliche ungleiche Verträge wie z.B. China aufgezwungen – etwa die Öffnung der Häfen. 1882/1884 wurde Tongking erobert, der vietnamesische König gezwungen, einem französischen Protektorat zuzustimmen. Im Unterschied zur bäuerlichen Bevölkerung fand sich die herrschende Oberschicht aber relativ rasch mit der Tatsache einer französischen Kolonialherrschaft ab. China wurde 1885 gezwungen, seine Position als Schutzmacht (bis dahin war Vietnam formell chinesischer „Lehensstaat“ gewesen) aufzugeben und sich jeder Einmischung zu enthalten.

1887 wurde von Frankreich, das nun keinerlei ausländische Intervention mehr zu fürchten hatte und sich des Willens zur Kollaboration seitens der einheimischen Oberschicht sicher war, ein Kolonialprotektorat, die Indochinesische Union, geschaffen, die Vietnam, Laos und Kambodscha zu einem einheitlichen französischen Kolonialgebiet vereinigte. Im Unterschied zu den herrschenden Schichten waren die breiten Massen der Bevölkerung nicht bereit, die verstärkte koloniale Ausbeutung kampflos hinzunehmen – die nächsten Jahrzehnte waren von langwierigen Aufständen gegen das Kolonialregime gekennzeichnet. Sie waren eine direkte Folge der sehr hohen kolonialen Besteuerung (sie sollte dazu dienen, die Kosten für die koloniale Verwaltung sich selbst tragen zu lassen) und der Inbesitznahme umfangreicher Landgebiete für den Plantagenanbau vor allem im Süden.

Um die Jahrhundertwende wurde weiter kräftig am Rad der kolonialen Ausbeutung gedreht: Das Alkohol-, Salz- und Opiummonopol wurde von der französischen Kolonialmacht eingeführt, die letzten einheimischen Verwaltungseinrichtungen durch Kolonialbehörden ersetzt (der machtlose „Kaiser“ formell aber erst 1916 abgesetzt und nach Reunion verbannt) und mit der Einführung moderner kapitalistischer Produktionsmethoden begonnen, was aus Indochina eine für Frankreich sehr profitable Kolonie machte. Zunehmend wurden auch in Indochina Güter für den Weltmarkt produziert. Ein traditionelles Agrarerzeugnis Vietnams, der Reis, wurde nun auch für den Export angebaut – 1860 kamen 60.000 Tonnen auf die Märkte, 1937 wurden bereits 1,5 Millionen Tonnen exportiert – vorwiegend von Großbetrieben und von Arbeitskräften, die mit Methoden brutalen Zwanges rekrutiert wurden und ein ständiges Unruhepotential darstellten.

Mit dem Kapitalimport aus Frankreich veränderte sich also die soziale Struktur Vietnams nachhaltig: Denn der starke Zustrom französischen Kapitals blockierte die Entstehung einer stärkeren nationalen Bourgeoisie – alle wichtigen Wirtschaftsbereiche wurden von französischen Kapitalgruppen beherrscht. Le Duan, der Generalsekretär der Arbeiterpartei Vietnams (die sich 1976 unter seiner Ägide in Kommunistische Partei Vietnams umbenannte) und ein führender Vertreter des vietnamesischen Stalinismus, fasste diese Situation sehr klar zusammen:

„Bei seiner Ausbeutung Indochinas nahm der französische Kapitalismus das Oberkommando auf allen Gebieten ein – er hatte das Bankmonopol, bestimmte die Währung, den Außenhandel, den Inlandsverkehr und das Verkehrswesen. Die Hauptproduktionszweige, die sich auf Indochinas natürlichen Reichtümern – Gummi, Kohle und Reis – gründeten, waren in einer Hand, ebenso wie die Wirtschaftszweige, die die Baumaterialien lieferten (Zement, Ziegel, Dachziegel, Kalk und Holz). Mittlerweile waren die anderen Möglichkeiten für den Lebensunterhalt der Bevölkerung, wie zum Beispiel das Weben und Korbflechten, fast völlig durch die Konkurrenz des französischen Industriekapitals ruiniert worden. Die zumeist aus den verschiedenen Großgrundbesitzerschichten zusammengesetzte lokale Bourgeoisie betätigte sich nur in untergeordneten Wirtschaftszweigen und den Randgebieten des Handels. Es gab keine vietnamesischen Unternehmen oder Handelsfirmen, die mit dem französischen Kapital konkurrieren konnten.“[2]

In der Konsequenz bedeutete dies die Entwicklung eines starken Proletariats, aber eines schwachen einheimischen Bürgertums. Die vietnamesische Arbeiterklasse war viel eher das Produkt des französischen kolonialen Kapitals als das des Klassengegensatzes zu einer vietnamesischen Bourgeoisie und entwickelte sich historisch vor dieser. Die einheimische Bourgeoisie blieb hingegen unterentwickelt und schwach – eine direkte Folge dessen, dass die französische koloniale Bourgeoisie faktisch alle wichtigen Wirtschaftsbereiche durchdrungen hatte. Der Zusammenbruch des städtischen Kleinhandwerks und der ländlichen Produktionszweige unter den Schlägen des kolonialen Kapitals trieb die verarmten, der französischen Konkurrenz unterlegenen Kleinproduzenten in die kolonialen Kautschuk-, Kaffee- und Reisplantagen, was ständig die Reihen des Proletariats verstärkte. So entstand in Vietnam eine ähnlich explosive Situation wie in Russland vor 1917, in der dem Proletariat – trotz seiner gegenüber der Bauernschaft kleinen Zahl – im Vergleich zur schwächlichen Bourgeoisie ein großes gesellschaftliches und politisches Gewicht zufiel.

Vergleicht man das Vietnam des beginnenden 20. Jahrhunderts etwa mit China oder Indien, so fällt genau dieser gravierende Unterschied sofort ins Auge: In China vermochte zwar der Imperialismus sich um die Jahrhundertwende an den Küsten Enklaven zu schaffen, aber es gelang weder dem japanischen noch den diversen europäischen Imperialismen, die Gesamtökonomie völlig zu beherrschen. Und in Indien wurde von den britischen Kolonialherren bis zu einem gewissen Grad das Wachstum einer (kollaborationsbereiten) einheimischen Bourgeoisie selbst befördert und begünstigt, um den Druck auf die Kolonialmacht in inner-indische Kanäle abzuleiten. In Indochina blieb die einheimische Bourgeoisie in einem noch wesentlich größeren Ausmaß als in diesen beiden Ländern gegenüber dem Wachstum der Arbeiterklasse zurück, was dieser ab den 20er und 30er Jahren dieses Jahrhunderts auf der politischen Bühne Vietnams eine dominierende Rolle zusicherte. Das musste auch von der stalinisierten KP, die ja wie die Komintern ab Mitte der 30er Jahre Volksfrontkonzepten nachhing, anerkannt werden. Dazu nochmals Le Duan in Bezug auf gewisse anti-französische Gefühle der schwachen einheimischen Bourgeoisie:

„Die gegen den französischen Imperialismus eingenommene Haltung eines kleinen Teils der vietnamesischen Bourgeoisie bedeutete nichts weiter als die Bereitschaft, das französische Joch loszuwerden, um sich einem anderen Imperialismus unterzuordnen. Bei dieser ökonomischen Situation und folglich einem Klassencharakter der vietnamesischen Bourgeoisie (…) war keine von der Bourgeoisie geführte nationale Revolution der Befreiung möglich.“[3]

Dass die nationale Bourgeoisie in der antikolonialen Bewegung keine führende Rolle spielen konnte, hing aber nicht nur mit ihrer Schwäche zusammen. Stärker als der Hass auf die Kolonialmacht war vielerorts die Angst vor der Bauernschaft. Denn die Verflechtung von vietnamesischer Bourgeoisie, ländlichem Großgrundbesitz und Wucherkapital war in Indochina besonders stark. Und vor allem der Wucher wirkte als profitable Einkommensquelle für die Besitzenden und als übergroße Last für die Kleinbauern – Zinsraten von durchschnittlich 30 bis 50% waren die Regel, jährliche Zinsraten von mehr als 100%, ja bis zu 300%, aber ebenfalls keine Seltenheit. Geld an die Bauernschaft auszuleihen, war unter diesen Bedingungen noch allemal profitabler als auf industriellem Gebiet in Konkurrenz zu französischem Kapital zu treten.

Die vietnamesische Bourgeoisie agierte daher häufig nach folgendem Schema: Erwirtschaftete Profite werden meist in den Erwerb von Ländereien gesteckt, wo mit brutaler Ausbeutung der kolonialen Konkurrenz Paroli geboten werden sollte. Es ist klar, dass nicht nur die typische stalinistische Unterscheidung zwischen guter „nationaler“ Bourgeoisie und mit dem Kolonialismus verbündeter „Kompradoren“-Bourgeoisie unter diesen Bedingungen kaum durchzuhalten war, sondern auch dieses Verschwimmen der Grenzen von Bourgeoisie und Landbesitz die Klasseninteressen der einheimischen bürgerlichen Klasse nachhaltig mitbestimmte. Genau hier, in dieser spezifischen Schwäche der nationalen Bourgeoisie, liegt auch der Grund für das auf den ersten Blick und oberflächlich manchmal linkere Erscheinungsbild des vietnamesischen Stalinismus. Im Unterschied zur KP Chinas spielte das Konzept des „Blocks der vier Klassen“, mit dem auch die nationale Bourgeoisie für einen gemeinsamen Kampf gegen den Imperialismus und für nationale Befreiung gewonnen werden sollte, eine viel geringere Rolle. Und wie in China wurde zwar auch in Vietnam von der stalinisierten KP programmatisch eine „Revolution in Etappen“ vertreten, aber wegen der Schwäche des bürgerlichen Partners mischten sich auch hin und wieder linkere Töne in die Musik der Volksfrontperiode. Denn länger als in anderen Ländern wirkte aufgrund der spezifischen Klassensituation die Dritte Periode der Komintern mit ihrer ultralinken Politik noch nach, ja finden sich durchaus auch noch in den 30er Jahren richtige Einschätzungen der Klassensituation in Vietnam.[4] Dass dies aber nichts Grundsätzliches an der Feindschaft des Stalinismus gegenüber selbständigen Klassenaktivitäten des Proletariats änderte, sollte sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts noch mehrfach auf tragische Weise bestätigen.

Bürgerliche Parteien und Arbeiterbewegung in Vietnam

Bevor wir auf die Volksfrontperiode näher eingehen, in der sich die politischen Konzepte klarer als vorher voneinander abzuheben begannen, wollen wir noch kurz auf die bürgerlichen Parteien und Strömungen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eingehen. Wie entwickelte sich die bürgerliche-demokratische Bewegung in dieser Phase? Was waren ihre Organisationen? Nach den großen Aufständen in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts bestimmten um die Jahrhundertwende zunächst bürgerliche und kleinbürgerliche Kräfte den Widerstandskampf gegen die französische Kolonialmacht, ohne dass sie eine vergleichbare Massenbasis wie die Aufstände in den Jahren zuvor erlangt hätten. Zwei Länder waren für die beginnende bürgerlich-demokratische Bewegung von besonderer Beispielkraft: China mit seiner bürgerlich-demokratischen Revolution von 1911, und Japan, das als aufstrebende imperialistische Macht, die dem europäischen und amerikanischen Imperialismus sich entgegenstellen konnte, ein Anziehungspunkt für modernistisch gesinnte Intellektuelle anderer asiatischer Länder war. Die von der Oberschicht 1906 gegründete Liga für die Modernisierung Vietnams widerspiegelte diesen Einfluss, ein wichtiger Exponent dieser Bewegung war 1904 nach Japan gegangen, um zu studieren, wie asiatische Länder die Probleme der Moderne bewältigen könnten. Diese Japan-orientierte Modernisierungsbewegung zerbrach aber an ihren eigenen Widersprüchen: Denn sehr bald mussten die Vorkämpfer dieser Ideen nicht nur zur Kenntnis nehmen, dass die Frage imperialistischer Unterdrückung alles andere als eine Frage der Kontinente war, sondern der japanische Imperialismus war, wie sein deutsches Pendant, gezwungen, als historische Spätgeburt zu besonders brutalen Methoden der Ausbeutung und Unterdrückung zu greifen, um auf dem internationalen Parkett als – wie wir heute sagen würden – „global player“ dabeisein zu können.

Wichtiger wurde die 1926 gegründete Vietnamesische Nationalistische Partei (Viet Nam Quoc Dan Dang – VNQDD – in anderen Quellen auch als „Nationalpartei“ bezeichnet), die nach dem Vorbild der chinesischen Guomindang strukturiert war und die einzige bedeutendere kleinbürgerlich-nationalistische Kraft in der Geschichte Vietnams werden sollte. Ihr Ziel, die Errichtung eines unabhängigen demokratischen Vietnam, sollte notfalls auch mit Gewalt erreicht werden. Die von ihr praktizierte Verbindung von moderner Militarisierung und dem Schutz traditioneller Interessen unter einem nationalistischen Banner setzte allerdings ihrem Einfluss Grenzen, vor allem die städtischen Massen und die ländlichen Unterschichten konnten damit kaum mobilisiert werden, allenfalls gelang es ihr, einige Anziehungskraft in (klein-) bürgerlich-intellektuellen Schichten und vor allem in den kolonialen Streitkräften zu erlangen.[5]

Nachdem es bereits 1916 zu einem erfolglosen Aufstandsversuch am Hofe des „Kaisers“ gekommen war, löste im Februar 1930 die kleinbürgerliche Nationalpartei, die VNQDD, einen bewaffneten Aufstand vietnamesischer Soldaten aus. Er blieb jedoch auf einzelne Gebiete beschränkt und konnte von französischen Kolonialtruppen rasch niedergeschlagen werden. Die Nationalpartei wurde zerschlagen, ihre Führer hingerichtet. Damit aber war der schwachen bürgerlichen und kleinbürgerlichen nationalistischen Bewegung endgültig das Rückgrat gebrochen und die proletarische Hegemonie für die kommenden Jahre gesichert. Wir können nach diesem kurzen Exkurs also wieder zur Entwicklung der Hauptkräfte des Widerstandes, deren Führung aus der Komintern hervorging, zurückkehren.

Wir hatten weiter oben bereits über das spezifische Gewicht der gesellschaftlichen Klassen Vietnams gesprochen und die These aufgestellt, dass im Vergleich zur nationalen Bourgeoisie das Proletariat über einen entscheidenden Einfluss verfügte. Wenn dies stimmt, dann hätten für die indochinesische und insbesondere die vietnamesische Arbeiterbewegung auch gute Bedingungen für die Herausbildung revolutionärer proletarischer Klassenorganisationen vorliegen müssen. Und in der Tat: Die vietnamesische Arbeiterbewegung gehörte in der Zwischenkriegszeit zu den stärksten und sicher auch zu den bewusstesten in einem kolonialer Ausbeutung und Unterdrückung unterworfenen Land.

Schon vor 1930 hatte Than Nien, die Revolutionäre Jugendbewegung, ein direkter Vorläufer der KP Vietnams, in den Gewerkschaften und in der städtischen Jugend eine starke Basis. Und exakt zur selben Zeit, als im Februar 1930 die kleinbürgerliche Nationalpartei ihren gescheiterten Aufstandsversuch unternahm, der zu ihrem eigenen Untergang führen sollte, gelang es in Hongkong, die verschiedenen kommunistischen Zirkel zu einer einheitlichen Partei, der Kommunistischen Partei Vietnams (ab Oktober 1930 Indochinesische KP genannt) zu verschmelzen. Zu ihren Mitgliedern zählten sowohl erfahrene Führer des kleinen, aber militanten Proletariats, die in Indochina tätig waren, wie auch Kader, die im Ausland, vorwiegend in Frankreich, dem kolonialen Mutterland, sozialisiert worden waren. Der bekannteste von ihnen war Nguyen-van-Tanh, berühmt geworden unter seinem Pseudonym Ho Chi Minh, der – nach einem kurzen Aufenthalt vor dem Ersten Weltkrieg in Großbritannien – ab 1914 in Frankreich als Journalist tätig war und später Mitbegründer der französischen KP wurde. 1924 kam er über die UdSSR nach Südchina, wo er 1925 die Liga der revolutionären Jugend Vietnams gründete.

Doch bereits wenige Monate nach der Gründung der KP wurde sie in die tiefe Illegalität gedrängt: Im Gefolge der Weltwirtschaftskrise kam es zu Problemen in den exportorientierten Teilen der vietnamesischen Industrie und des Großgrundbesitzes. September 1930 weitete sich die Unzufriedenheit zu einer großen Streikbewegung aus, die erst nach Monaten unter Einsatz brutaler Repression niedergeschlagen werden konnte. Unter dem ideologischen Eindruck der (ultralinken) „Dritten Periode“ der Komintern wurde in zwei Provinzen auch mit dem abenteuerlichen Aufbau von in der Bevölkerung zu wenig verankerten Räten unter Leitung der KP begonnen (Xoviet Nghe-Tinh), die mit den Parolen der Enteignung der Großgrundbesitzer Ernst machen wollten. Nur unter Tarnorganisationen war ein legales Auftreten möglich, die KP selbst blieb die nächsten Jahre verboten. In Moskau wurde eine neue Führung auf den Kampf in der Illegalität und die Rekonstruktion der KP in der Klandestinität vorbereitet, doch auch dieser neue Kern der KP fiel 1935 der politischen Repression zum Opfer. Erst unter der Volksfrontregierung von Leon Blum in Frankreich wurde ab 1936 die Repression, die die Arbeiterbewegung in die Illegalität gezwungen hatte, wieder gelockert, was auch prompt zu einem neuen Aufschwung der Massenbewegung und einer Welle von Arbeiterkämpfen führte.

Wir sehen also in Vietnam ein für imperialisierte, koloniale Länder eher untypisches Phänomen: Während etwa in China nach 1927 die revolutionäre Initiative eindeutig in den ländlichen Gebieten geortet werden kann, wechselte diese in Vietnam mehrmals zwischen Stadt und Land, zwischen ländlicher Guerilla und städtischen Arbeiterkämpfen, oder sozial zwischen Bauernschaft und Proletariat, hin und her: Vor 1930 waren eher die Städte Territorien revolutionären Kampfes gewesen, in der Periode ab 1930 mit ihrer brutalen Repression traten an deren Stelle die ländlichen Gebiete (augenfällig in den ländlichen Nghe-Tinh-Sowjets), während wiederum die Städte und proletarischen Zentren in der Volksfront-Periode 1936/1938 die Zügel an sich reißen konnten. 1939 bis 1945 wurden die Kommunisten auf das Land zurückgedrängt, 1945 wechselte dann nochmals die Avantgarderolle, als die städtischen revolutionären Massenbewegungen den Aufstand vom August 1945 dominierten. Mit den Bombardements von Hanoi und Haiphong durch die Franzosen trat ein der ländliche revolutionäre Guerillakrieg endgültig an die Stelle städtischer Arbeiteraktivitäten.

Dies ist insofern von Bedeutung, als in Vietnam die Rolle des Proletariats, aber auch die der Bauernschaft wahrscheinlich klarer als in anderen Klassenkampfsituationen erkennbar waren – und vor der Führungsrolle des Proletariats auch die Stalinisten nicht so leicht ihre Augen verschließen konnten und Zugeständnisse, wenn schon nicht an die Theorie der permanenten Revolution, aber an deren unerbittliche Logik machen mussten. So etwa ging Ho Chi Minh 1960 im Rückblick davon aus, dass in Vietnam die Revolution dort aufgrund der spezifischen Situation die Form des „unmittelbaren Übergangs zum Sozialismus unter Umgehung der kapitalistischen Entwicklungsetappe“ annehmen musste.[6] Wie immer klarer in seinen politischen Positionen als Ho Chi Minh der schon zweimal zitierte Le Duan, dessen 1970 geschriebene Analyse frappant an Trotzkis Position erinnert:

„In den Ländern, in denen die Arbeiter und Bauern die entscheidende Rolle spielen und die Avantgarde der Arbeiterklasse die Führungsrolle der Revolution innehat, ist der Sieg der nationalen und demokratischen Revolution nicht nur ein Sieg des Volkes über den Imperialismus und Feudalismus, sondern auch ein Sieg des Proletariats über die Bourgeoisie des Landes, der Sieg der Macht eines neuen Staates. Die national-demokratische Revolution erfolgreich beenden heißt auch, die sozialistische Revolution einzuleiten.“[7]

Nichts allerdings wäre falscher, als in den vietnamesischen Stalinisten „unbewusste Trotzkisten“ oder irgendwie eine zumindest weniger konterrevolutionäre Spielart des Stalinismus zu sehen. Dessen Praxis strafte alle Lügen, die in diese Richtung tendierten. So wurde während der Volksfrontperiode (1936/1939) getreu der internationalen Strategie, die Bündnisse mit der nationalen Bourgeoisie vorschrieb, nicht nur die Perspektive einer sozialistischen Umwandlung aufgegeben, sondern auch die antikolonialen, ja sogar agrardemokratischen Forderungen wurden zurückgenommen. Um die Einigkeit gegenüber dem Faschismus nicht zu gefährden, wurde zeitweilig sogar die Forderung nach nationaler Unabhängigkeit nicht mehr erhoben! Allerdings waren die Stalinisten – und auf das wird nun näher einzugehen sein – mit einer starken trotzkistischen Strömung im Lande selbst konfrontiert, die über eine nicht gering zu schätzende Verankerung in proletarischen Schichten aufzuweisen hatte.

Die trotzkistische Bewegung Vietnams

Die Anfänge dieser trotzkistischen Bewegung in Indochina reichen bis in das Jahr 1930 zurück. Die Frühjahr 1930 gegründete Ligue Communiste, die französische Sektion der Internationalen Linken Opposition, bzw. deren Zeitschrift La Verité hatten in Frankreich eine Gruppe vietnamesischer Arbeiter gewinnen können – eine Gruppe um Ta Thu Thau, dem später bekanntesten Führer der vietnamesischen Trotzkisten, schloss sich ihnen an. Gegen Todesurteile in Vietnam im Gefolge der Yen-bay-Rebellion – an der chinesischen Grenze stationierte Soldaten hatten ihre Offiziere umgebracht – kam es im Mai 1930 zu einer von dieser Gruppe organisierten Demonstration vor dem Elysée-Palast, dem Sitz des französischen Präsidenten. Die spektakuläre Demonstration musste teuer bezahlt werden: Am 30. Mai 1930 wurden 19 Mitglieder der Gruppe nach Indochina deportiert. Während sich die Pariser Gruppe nicht mehr von diesem Schlag erholen sollte, wurden diese Kader zum Keim einer trotzkistischen Bewegung in Indochina selber, die ab ca. 1932 Gestalt anzunehmen begann.[8]

Zwei trotzkistische Gruppierungen begannen sich herauszubilden, die von Ta Thu Thau geführte Gruppe Vó-san (Proletarier), und die Gruppe Thang-muoi (Oktober).[9] Von der Permanenten Revolution Leo Trotzkis inspiriert und insbesondere von dessen Analyse der chinesischen Niederlage überzeugt, befürworteten die beiden Gruppen eine Perspektive der Diktatur des Proletariats, in Allianz und gestützt auf die Bauernschaft. Die Aufteilung des Landes unter der Bauernschaft als Herzstück einer Agrarreform wurde in den Kontext der nationalen Befreiung durch anti-imperialistische Kämpfe gestellt. Der Einfluss beider Gruppen – eine dritte, die sich um die Publikationen der Linken Opposition (Ta dói láp tùng tho) scharte, kam noch hinzu – war im wesentlichen auf die städtischen Arbeiterschichten beschränkt, eine Ausweitung auf ländliche Bereiche konnten die Stalinisten verhindern, indem sie wie schon in den 20er Jahren in der UdSSR die Trotzkisten systematisch als Feinde der Bauernschaft denunzierten.

Von der Oktober-Gruppe wurde Ta Thu Thau eine zu große Weichheit gegenüber dem Stalinismus unterstellt (zum spezifischen Verhältnis der Trotzkisten und der vietnamesischen Stalinisten weiter unten). Sehr bald jedoch fielen die jungen, unerfahrenen trotzkistischen Gruppen der polizeilichen Repression zum Opfer: Im August 1932 wurden 41 Mitglieder und Sympathisanten gefangengenommen. Und in einem 1. Trotzkistenprozess in Hanoi wurden am 1. Mai 1933 16 der 21 Angeklagten zu teils mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Die Gruppen konnten zwar geschwächt, aber nicht zerschlagen werden.

1933 kam es im Verhältnis der Trotzkisten und Stalinisten in Vietnam zu einer überraschenden und für viele paradoxen Wendung: In diesem Jahr fanden in Saigon Gemeinderatswahlen statt, in der beide Tendenzen die Möglichkeit eines legalen Auftretens erkannten und mit einer gemeinsamen Wahlliste, der „Arbeiterliste“ (lao-dóng), antraten. Um sich überhaupt bei den Wahlen auf einer Liste aufstellen lassen zu können, musste man aber entweder Geschäftseigentümer sein oder Einkommensteuer bezahlen. Der Lehrer Ta Thu Thau wurde Teppichhändler, sein stalinistisches Pendant, der Journalist Nguyen Van Tao, Limonadenverkäufer. Mit großem Erfolg wurden Wahlmeetings abgehalten, in denen der Acht-Stunden-Tag, Gewerkschaftsrechte und das Streikrecht eingefordert wurden. Die alarmierte Polizei, die immer wieder Wahlversammlungen schloss, konnte aber deren Umwandlung in Straßendemonstrationen nicht verhindern. Die bürgerliche Liste der Konstitutionellen Partei wurde geschlagen, und die Arbeiterliste erreichte eine Mehrheit jener Sitze im Stadtparlament, die für die Vietnamesen reserviert waren. Gleichzeitig wurde gemeinsam von Trotzkisten und Stalinisten eine legale Zeitung herausgegeben, die allerdings aufgrund der herrschenden Gesetze, die ohne die Zustimmung der indochinesischen Kolonialverwaltung jedwede Publikation in den Landessprachen verboten, in französischer Sprache erscheinen musste. La Lutte (Der Kampf) konnte sich als Einheitsfront-Organ daher nur an eine dünne städtische Bevölkerungsschicht, die auch die Sprache der Kolonialherren verstand, wenden.

Dieser lokalen Einheitsfront in Saigon folgte von Februar bis Mai 1935 eine zweite Kampagne: Am 3. und 17. März 1935 fanden überregionale Kolonialwahlen statt – La Lutte stellte 3 trotzkistische und 3 stalinistische Kandidaten in den östlichen und zentralen Provinzen auf (von denen auch einer, der Rechtsanwalt der La Lutte-Gruppe, als Abgeordneter gewählt wurde). Und schließlich fanden am 6. und 12. Mai 1935 in Saigon Munizipalwahlen statt, bei denen es ebenfalls zu einer gemeinsamen Kampagne der La Lutte-Gruppe kam.

Doch die Einheitsfront von Stalinisten und Trotzkisten in Vietnam war auf Dauer nicht zu halten. Die Kommunistische Partei Indochinas tendierte wie das gesamte stalinistische Lager auf Weltebene Mitte der 30er Jahre scharf nach rechts. Der Französisch-Sowjetische Pakt (besser bekannt als Stalin-Laval-Pakt) von 1935 brachte Frankreich und die Sowjetunion näher zueinander. Die Französische Kommunistische Partei verteidigte nun die „Französische Demokratie“ gegen den „Faschismus“ und wetteiferte mit den bürgerlichen Parteien darum, wer wohl die besseren Patrioten seien. Dass das natürlich auch auf Vietnam nicht ohne Einfluss bleiben konnte, ist klar: Die vietnamesischen Stalinisten warfen die Parole der nationalen Unabhängigkeit über Bord, wurden still, wenn es um den französischen Imperialismus ging und gaben den Kampflosungen, um die die La Lutte-Gruppe bisher bekämpft hatte, eine immer klarer reformistische Stoßrichtung. Trotz der tiefen Differenzen, die nun in der Folge in La Lutte auftraten, beendeten Ta Thu Thau und seine Anhänger aber die formale Einheit mit den Stalinisten nicht.

Die französische Volksfront-Regierung unter Leon Blum, im Amt seit 1936, war das Ergebnis eines Aufschwungs der Klassenkämpfe in Frankreich ab 1934, die auch in Indochina zu einem Aufschwung der Klassenkämpfe bis hin zu militanten Fabriksbesetzungen führte. Diese Volksfront der bürgerlichen Radikalen, der sozialistischen SFIO und der KP begann mit einer Politik der vorsichtigen Öffnung in den Kolonien. Andererseits hatte aber auch Blum den Kolonien nichts anzubieten als – die Installierung einer Kommission, die die Situation überprüfen sollte. Parallel zur französischen Volksfront begannen aber nun auch die vietnamesischen Stalinisten, die Vorzüge einer Klassenkollaboration mit der Bourgeoisie zu entdecken: Die Indochinesische Kongress-Bewegung wurde auf Initiative der La Lutte-Gruppe (in der immer noch Trotzkisten vertreten waren) gemeinsam mit der bürgerlichen Konstitutionellen Partei ins Leben gerufen. Getreu ihrem Volksfront-Vorbild verlangten auch die vietnamesischen Stalinisten z.B. von der Bauernbewegung, die mit einer militanten Agitation für eine Reduktion der Grundrente und gegen die horrende Steuerlast begonnen hatte, Respekt vor dem Gesetz.

Als explizite Gegner der Volksfront-Politik wurde Ende 1935 in der Illegalität eine neue trotzkistische Gruppe gegründet, die Internationalistische Kommunistische Liga (in der Tradition der Oktober-Gruppe stehend) mit ihrer natürlich ebenfalls illegalen Zeitung Le Militant, deren Anhänger – unmittelbar nachdem sie ein Flugblatt in vietnamesischer Sprache mit einem Aufruf zur Bildung von Aktionskomitees an Arbeiter und Bauern verteilt hatten, eingekerkert wurden. Der Erste Prozess der Vierten Internationale, in Saigon am 31. August 1936 eröffnet, der mit einer Verurteilung von acht Mitgliedern und Sympathisanten endete, war die Folge. In der La Lutte-Gruppe brach Ta Thu Thau trotz der Politik der Klassenkollaboration nicht mit seinen stalinistischen Bundesgenossen. Er änderte seine opportunistische Politik auch nicht, als er wie viele seiner Mitstreiter von gerade jener imperialistischen Regierung Blum wegen Organisierung bzw. Unterstützung der Streiks in den vietnamesischen Fabriken ins Gefängnis geworfen wurde, auf die die Stalinisten so große Hoffnungen setzten. Schließlich blieb es diesen vorbehalten, einen Schlussstrich unter die „wahrlich paradoxe“ Situation[10] zu ziehen, dass zur selben Zeit, als in Moskau die großen Schauprozesse stattfanden, in Indochina Stalins und Trotzkis Weggefährten in einer Einheitsfront zusammenarbeiteten. Die französische KP sandte ihr Parlamentsmitglied Honel 1937 nach Vietnam, um der dortigen KP die Order des sofortigen Bruchs mit den Trotzkisten zu überbringen – La Lutte wurde den Trotzkisten überlassen, und sofort wurde mit einer Politik begonnen, die voll auf der Linie der Moskauer Prozesse lag. Hatte am 6. Juni 1937 Doung Bach Mai, einer der wichtigsten Führer der Indochinesischen KP, in La Lutte noch geschrieben, dass die Trotzkisten, „trotz ihrer sterilen revolutionären Haltung“ anerkannt werden müssten als „antiimperialistische Elemente, die unsere Unterstützung verdienen“ [11], wurde wenig später im neuen stalinistischen Organ Le Peuple (Das Volk) aufgedeckt, dass die einstigen Bundesgenossen faschistische Provokateure und Spione des japanischen Mikado seien…

Von der Volksfront zur Arbeiterrevolution 1945

Der Zusammenbruch der französischen Volksfront im Juni 1937 führte in Vietnam zu einer neuen Welle der Repression. Diese betraf natürlich – wie alle anderen kritischen Organisationen auch – die neugegründeten Gewerkschaften, zu deren Entstehen die Trotzkisten, sowohl von La Lutte als auch von seiten der Oktober-Gruppe, in den letzten Monaten Entscheidendes beigetragen hatten. Und mit dem Aufschwung der Klassenkämpfe und der Zunahme des proletarischen Klassenbewusstseins in weiten Teilen des Proletariats wurden auch Trotzkis Gedanken populär. Diese Elemente im proletarischen Bewusstsein sollten von stalinistischer Seite 1945 nur mehr mit Mitteln der physischen Repression ausgerottet werden können.

Nach der Niederlage der Volksfront in Frankreich wurde auch die Indochinesische Kongress-Bewegung zu Grabe getragen. Offensichtlich konnte nun der französische Imperialismus wieder freier und leichter atmen, denn die Stalinisten gaben ihre bedingte Unterstützung für die Integrität des französischen Imperiums nicht auf – dem gemeinsamen Kampf mit dem Klassengegner von einst gegen den Hauptfeind, den Faschismus, musste alles, auch die Interessen der kolonialen Völker, untergeordnet werden. Die Ruhe wurde allerdings mit dem Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 und der folgenden Kriegserklärung vom 3.9.1939 gebrochen: Per Erlass wurden alle Organisationen, die „in Beziehung zur Dritten Internationale“ standen, aufgelöst.[12] Das war aber erst das Vorspiel zu den Massenverhaftungen der Mitglieder und Sympathisanten verschiedenster Tendenzen – von den Trotzkisten über die Stalinisten und Nationalisten bis zu den Anhängern traditioneller magisch-religiöser Sekten – im Oktober 1939. Von der Kolonialadministration wurden Lager in Regionen mit ungesundem Klima errichtet, die zahllose Opfer forderten, andere in Umerziehungslager gesteckt oder in Gefängnisse geworfen. In Übereinstimmung mit Stalins Politik machte im November 1939 auch die KP Indochinas eine Kehrtwendung: Der imperialistische Charakter des Krieges zwischen Frankreich und Deutschland wurde entdeckt, die Losung des Defaitismus aus den verstaubten Archiven der Komintern geholt. Die neue Linie wurde durch eine von der KP überhastet und schlecht vorbereitete Bauernerhebung in Cochin China, einem zentralen Teil Vietnams, unterstrichen, die im Blut Tausender ertränkt wurde. Die Gefängnisse waren, wie der Trotzkist Ngo Van Xuyet, berichtet, so voll, dass die Gefangenen in Hausbooten untergebracht werden mussten, wo sie wie die Fliegen starben.[13]

1940 kam es zur japanischen Besetzung Indochinas. Die französische Kolonialverwaltung hatte sich nach der Niederlage Frankreichs auf die Seite des Vichy-Regimes gestellt, und der ganze Repressionsapparat wurde nun – in Abstimmung mit Vichy – den japanischen Besatzungstruppen zur Verfügung gestellt. Die Politik Japans in Indochina zielte auf eine Vernichtung des stalinistischen Einflusses und auf einen Kompromiss mit den nationalistischen Tendenzen und den religiösen Sekten. Als Japan am 9. März 1945 die französische Kolonialherrschaft offiziell beendete und die Besetzung Indochinas in eine (allerdings nur kurzfristige) Inbesitznahme umwandelte, versuchte es sich auf diese Kräfte zu stützen, um die bevorstehende Landung amerikanischer Truppen mit Hilfe einheimischer bewaffneter Kräfte doch noch verhindern zu können.

Inzwischen waren die stalinistischen Kräfte, so sie nicht aufs Land ausgewichen waren, nach China emigriert und versuchten dort, die Kräfte des Widerstands zu sammeln. Im Frühjahr 1941 wurde von Moskau im Gefolge der Abkühlung des Verhältnisses zwischen Stalin und Hitler auch der strikt defaitistische Kurs aufgegeben, der Weg, der bei einer Neuauflage der Volksfrontpolitik enden sollte, wurde nun auch für Vietnam wieder frei. Im Mai 1941, also knapp vor dem Überfall Hitler-Deutschlands auf die UdSSR, wurde auf Initiative der KP unter Ho Chi Minh (der in dieser Zeit im chinesischen Exil in Kwangsi lebte) eine Konferenz einberufen, die ein weites Spektrum des Widerstands von konservativen und bürgerlichen Strömungen bis zu den Stalinisten vereinte. Unter der Führung Ho Chi Minhs bzw. der KP wurde die Liga für die Unabhängigkeit Vietnams gegründet (Viet-nam dóc-láp dóng minh, besser bekannt als Viet-minh). Das Viet-minh-Programm sah den Kampf gegen die japanischen Invasoren und die Erringung nationaler Unabhängigkeit vor, die Schaffung einer republikanischen Ordnung, eine Amnestie und allgemeine Wahlen, aber auch soziale Forderungen, die allerdings nicht den Rahmen einer kapitalistischer Ordnung sprengten: Achtstundentag und eine Agrarreform. Die Liga für die Unabhängigkeit Vietnams war eine klassische Volksfront unter Einschluss kleinbürgerlicher und bürgerlicher Nationalisten und stand treu zu den imperialistischen Verbündeten der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg, dem britischen Empire und den USA. Die Amerikaner und Briten wurden mit Informationen über die japanischen Truppen in Indochina versorgt, im Gegenzug erhielt Viet-minh Hilfe von Chiang Kaishek und dem amerikanischen Office for Strategic Services (OSS).

Probleme ergaben sich allerdings mit der chinesischen Guomindang: Im Oktober 1942 wurde eine Gegenkonferenz vietnamesischer Flüchtlinge in China einberufen, die das Ziel verfolgte, den stalinistischen Zugriff auf die vietnamesische Widerstandsbewegung zu brechen und den chinesischen Einfluss auf diese zu sichern bzw. (wieder-) herzustellen. Gegründet wurde die Vereinigung für nationale Befreiung, die von der Guomindang nun gegen den Viet-minh instrumentalisiert wurde. Ho Chi Minh wurde für 18 Monate sogar gefangengesetzt, aber schließlich wurde für die Konferenz im März 1944 – offensichtlich unter dem Druck der Alliierten – eine Vereinbarung zwischen den beiden konkurrierenden Tendenzen gefunden: Der Viet-minh wurde offiziell eingebunden, bekam Sitz und Stimme in der Konferenz, und gemeinsam wurde ein Programm für eine provisorische republikanische Regierung Vietnams angenommen: Die Dominanz Frankreichs und Japans sollte gebrochen und die Unabhängigkeit Vietnams mit Unterstützung der Guomindang erreicht werden. Während aber die der Guomindang nahestehenden Tendenzen auf den Einmarsch der chinesischen Truppen warteten, um ihnen zur Macht zu verhelfen, kam die Gruppe um Ho Chi Minh unter der Fahne des Viet-minh nach Vietnam zurück und begann dort mit dem Aufbau der Vietnamesischen Volksbefreiungsarmee. Im Dezember 1944 konnten deren erste (reguläre) Einheiten in von der Guerilla befreiten Gebieten aufgestellt werden.

Bereits nach einigen Monaten hatten die Einheiten des Viet-minh de facto bereits die Herrschaft über große Teile des vietnamesischen Hochlandes (vorwiegend im Norden des Landes) errungen. Am 9. März 1945 wurden die französischen Kolonialtruppen in Indochina auf einen Schlag von den japanischen Einheiten entwaffnet. Die Kolonie sollte eine Unabhängigkeit von Japans Gnaden im Rahmen der von Japan in den letzten Kriegsmonaten noch geplanten asiatischen Union unter japanischer Führung erhalten. Der Marionettenkaiser Bao-Dai konnte von Japan zur Kollaboration gewonnen werden, doch gleichzeitig begann die Volksarmee der Viet-minh eine Offensive. Ho Chi Minh und die Volksarmee orientierten sich peinlich genau an den gemeinsamen Kriegsanstrengungen der Anti-Hitler-Koalition und der Verbündeten USA, Großbritannien, Sowjetunion und Nationalchina. Nach der japanischen Kapitulation am 15. August 1945 war der Viet-minh eine reale politische, militärisch bewaffnete Kraft, auch wenn sie immer noch zahlenmäßig relativ schwach war und auch die Bewaffnung mehr der einer Guerilla-Gruppierung als der einer regulären Armee entsprach.[14]

Die Pläne der Anti-Hitler-Koalition für Vietnam waren klar. In der Potsdamer Konferenz (Juli/August 1945) war von Stalin, Churchill und Roosevelt für Vietnam eine Teilung vorgesehen worden: Der 17. Breitengrad wurde als Grenzlinie fixiert zwischen dem Süden, in dem die britischen Truppen die neue imperialistische Weltordnung durchsetzen sollten, und dem Norden, der dem nationalchinesischen Einflussbereich zugerechnet wurde. Die neue Teilung der Welt sollte also den neuen Kräfteverhältnissen Rechnung tragen, dem französischen Imperialismus, dessen Herrschaft mittelfristig in Indochina wieder hergestellt werden sollte, wurde in kurzer Frist aber nicht die Kraft zugetraut, das politische und militärische Vakuum, das in Indochina mit der japanischen Niederlage erwartet wurde, zu füllen. Auch die USA, die in Indochina offiziell nicht aufschienen, gingen nicht leer aus und erwarteten sich, indirekt über Chiang Kai Shek und sein Guomindang-China, den Fuß in die Tür in Indochina zu bekommen und seinen Einflussbereich auf Vietnam erweitern zu können.

Doppelmacht in Saigon

Die Situation im Sommer 1945 war für die nationale Unabhängigkeitsbewegung – auch wenn der Imperialismus klare Pläne hatte – historisch günstig: Die französischen Truppen waren im März 1945 von den japanischen Kräften entwaffnet und als politisch/militärischer Faktor ausgeschaltet worden. Die japanischen Truppen waren nach der Niederlage, deren sinnfälligster und sichtbarster Ausdruck die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki waren, in kompletter Auflösung. Ein Machtvakuum war entstanden, das in kurzer Zeit gefüllt werden musste – sowohl politisch als auch militärisch. Im Angesicht der militärischen Lage, die entstanden war durch die japanische Kapitulation in Indochina[15] und durch die chinesischen Truppen, die im Norden vormarschierten und mit denen die pro-chinesischen Nationalisten der Vereinigung für nationale Befreiung ins Land kamen, wurde Ho Chi Minh zu raschem Handeln gezwungen: Er sammelte seine Unterstützer in einem Dorf namens Tántrao; gegründet wurde ein Komitee für die nationale Befreiung Vietnams, in dessen Führung die Kommunistische Partei die Mehrheit stellte. Ho Chi Minh brach also mit der Regierung in spe, die im chinesischen Exil gegründet und für die Machtübernahme vorbereitet worden war, und damit natürlich auch mit der Guomindang, die hinter der Vereinigung für nationale Befreiung stand. Nach einigen spektakulären Aktionen, die von den Sympathisanten des Viet-minh durchgeführt wurden[16], marschierte Ho Chi Minh an der Spitze der Volksarmee in Hanoi, der späteren Hauptstadt (Nord-) Vietnams ein. Die lokale Verwaltung der japanischen Marionettenregierung des Kaisers Bao Dai trat ohne viel Aufhebens und unter Bruch der Abmachungen mit der Anti-Hitler-Koalition zurück. Ursprünglich hatten die japanischen Truppen ja seitens der Alliierten Order erhalten, die Ordnung bis zum Eintreffen der chinesischen Truppen aufrechtzuerhalten. Die Japaner, die nach ihrer Niederlage keinen Anlass sahen, den Alliierten die Kastanien aus dem Feuer zu holen, verhielten sich jedoch unparteiisch, und für 400 politische Gefangene, denen nun sogar das Tragen von Waffen erlaubt wurde, öffneten sich die Gefängnistore.

Zur selben Zeit wurde von Volkskomitees in den Dörfern des Landes die Verwaltung übernommen – die Herrschaft der Mandarine, zuerst von Frankreichs, dann von Japans Gnaden, wurde fast überall unspektakulär und ohne deren offene Gegenwehr beendet. Das hing vor allem auch damit zusammen, dass nach Jahren des Krieges das Land ausgelaugt war – eine Hungersnot hatte über eine Million Menschen hinweggerafft und machte die Bauernschaft für die Slogans der Viet-minh, der die Öffnung der Getreidespeicher und die Verteilung der Vorräte unter den Hungernden verlangte, empfänglich.

Eine provisorische Viet-minh-Regierung unter Vorsitz von Ho Chi Minh wurde am 25. August in Hanoi errichtet. Der Marionettenkaiser Bao Dai, der in Hue residierte, trat ebenfalls zurück und wurde von Ho Chi Minh zum „Obersten Berater“ der neuen Regierung ernannt. Der Kaiser als Oberster Berater einerseits, auf der anderen Seite die Arbeiter des Hoa Gay-Bergbaugebiets, die Arbeiterräte gebildet und selbständig die Macht übernommen hatten und nun von den Stalinisten mit Zwang und Manövern gezwungen wurden, die eben erst errungene Macht wieder abzugeben – schöner kann der Charakter der von den Stalinisten dominierten Volksfrontregierung des Viet-minh im Norden wohl nicht umschrieben werden!

Schwieriger gestaltete sich für die Stalinisten aber die Situation im Süden des Landes, und hier vor allem im zweiten Zentrum neben Hanoi (der größten Stadt des Nordens) – in Saigon. Hier waren die Machtverhältnisse überhaupt weniger klar und überaus unübersichtlich: Der Stalinismus, der sich rasch und ohne relevante Gegenwehr als Ordnungsmacht im Norden etablieren konnte, war im Süden Vietnams seit den 30er Jahren auf einen schwächlichen Rest reduziert worden. Sein größter Gegner waren hier – vor allem im städtisch-proletarische Bereich – nicht so sehr bürgerlich-nationalistische Gruppierungen, sondern der Trotzkismus, der sich seinen Einfluss seit den 30er Jahren bewahren bzw. im Sommer 1945 wieder an seiner ehemaligen proletarischen Verankerung anknüpfen konnte.[17]

Wie im Norden verhielten sich auch im Süden die japanischen Truppen untätig, nur erwarteten sie hier nicht die Ankunft der chinesischen, sondern die der britischen Truppen. Die entwaffneten französischen Kontingente warteten auf ihre „Befreiung“, und die französischen Repräsentanten hofften, irgendwie wieder an die Macht zu kommen, setzten vorderhand aber wenig konkrete Taten. Ngo Van Xuyet beschreibt die Situation in Saigon Mitte August 1945 folgendermaßen:

„Die Unterstützer Ho Chi Minhs (einige Emissäre, die aus Tonking gekommen und der stalinistischen Gruppe von Cochin China beigetreten waren) fuhren in Autos, die mit Lautsprechern versehen waren, herum und riefen ‘Verteidigt den Viet-minh!’ (‘ung-ho Viét minh’), wobei ‘Viet-minh’ etwas war – ein Name, der bis dahin in Saigon noch nicht gehört worden war und daher all jene Attraktionen, die einem Mysterium anhaften, besaß. Und dann verteilten sie Flugblätter, in denen sie von sich behaupteten, ‘auf der Seite der russischen, chinesischen, britischen und US-amerikanischen Alliierten für die Unabhängigkeit’ zu sein.“[18]

Das politische Zentrum im Süden war aber in diesen ersten Tagen die Vereinigte Nationale Front, die in wenigen Tagen neben dem Viet-minh die Partei für die Unabhängigkeit Vietnams, die Jugendvorhut, die größte kämpferische nationalistische Organisation im Süden, die Gruppe der Intellektuellen, die Föderation der Zivilangestellten und weitere Gruppierungen bis hin zu religiösen Sekten einerseits und einem Teil der trotzkistischen Bewegung andererseits um sich geschart hatte. Am 21. August 1945 wurde die Bevölkerung Saigons das erste Mal in der Geschichte des Landes aufgerufen, für die Unabhängigkeit zu demonstrieren. Die Demonstrationszüge, die Zehntausende und Zehntausende – einige von ihnen auch bewaffnet – in das Zentrum Saigons führten, riefen „Nieder mit dem französischen Imperialismus!“ und „Lang lebe die Unabhängigkeit Vietnams!“. Die beiden trotzkistischen Gruppierungen, La Lutte und die Internationalistische Kommunistische Liga, [19] traten offen unter dem Banner der Vierten Internationale in Erscheinung und stellten Losungen, die die soziale Frage thematisierten („Land und Reisfelder an die Bauern, Betriebe und Unternehmen an die Arbeiter!“), neben denen nach Unabhängigkeit in den Vordergrund.

Die vietnamesische Polizei wusste in dieser Situation nicht, von wem sie Order entgegennehmen sollte, und blieb passiv. Andererseits aber wussten auch die Massen nicht so recht, wie sie sich nun verhalten sollten – die verschiedenen Gruppierungen hatten völlig unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft. Einigkeit bestand lediglich darin, dass ein Ende des Kolonialregimes herbeigesehnt wurde und eine Rückkehr der Franzosen verhindert werden müsse. Auch in den nächsten Tagen folgten Demonstrationen, so Großdemonstrationen am 24. und 25. August, in der der Viet-minh, gestärkt durch die Erfolge im Norden und durch den Übertritt wichtiger Führer der Jugendvorhut, die dem Viet-minh die Kontrolle über diese Bewegung verschafften, bereits stark die politische Stoßrichtung vorgab. Doch der Viet-minh war im Süden im allgemeinen und in Saigon im speziellen weit davon entfernt, so einfach wie im Norden das Machtmonopol an sich reißen zu können.

Fast literarisch mutet die Schilderung der explosiven Atmosphäre durch Ngo Van Xuyet an – eine eindeutig revolutionäre Situation war entstanden, oder um es frei nach Lenin zu sagen: Die Beherrschten wollten nicht mehr so weiterleben wie bisher, und die Herrschenden konnten nicht mehr so regieren wie bisher:

„Dieses erste Erwachen dieser Massen, die bis dahin ‘gefesselt und geknebelt’ ihr Leben gefristet hatten, hatte eine elektrisierende Wirkung inmitten dieser unwirklichen Ruhe, der Ruhe vor dem Sturm. Alle Zwänge wurden gebrochen, und für alle sah es aus, als erlebe man einen Moment totaler Freiheit, wo die Absenz des Staates und der Bankrott der Polizei jedermann erlaubte, sich auf seine eigene Weise vorzubereiten auf die Möglichkeit eines furchtbaren Konflikts. Welche Finsternis vor dem Horizont eines fundamentalen Wechsels! Roosevelt, Churchill und Stalin hatten unsere Geschicke in Yalta und Potsdam entschieden. Unsere Körper und Seelen wurden in eine Zukunft ohne ein Morgen geworfen. Im Angesicht der unmittelbar bevorstehenden Ankunft der britischen Truppen und der drohenden Rückkehr des alten Kolonialregimes (Colonel Cédile, der spezielle Gesandte des ‘Neuen Frankreich’, war bereits im Generalgouverneurspalast in Saigon eingetroffen) entschied sich jeder dafür, Waffen zu suchen und in Besitz zu nehmen, jedermann lebte in derselben explosiven Atmosphäre.“[20]

Das politische und militärische Vakuum dieser Tage konnte nicht von den nationalistischen Gruppen oder den religiös-politischen Sekten beendet werden. Sie hatten zwar von den Japanern Waffen erhalten, waren aber unfähig, die Initiative zu ergreifen – ihre Zeit war mit dem Fall Japans abgelaufen. Der Viet-minh hatte sich wiederum darauf festgelegt, die Massen darauf zu verpflichten, gemeinsam mit den Alliierten für nationale Unabhängigkeit zu kämpfen, ein Widerspruch in sich, der sich noch bitter rächen sollte.

Die Taktik der Stalinisten in Saigon war es gewesen, die Vereinigte Nationale Front, die ein breites politisches Spektrum umfasste, möglichst in den Hintergrund zu drängen, durch ein unter ihrer Kontrolle stehendes Komitee zu ersetzen und dieses den einmarschierenden Briten unter General Gracey als einzig mögliche Macht in Vietnam zu präsentieren. Am 24. August übernahmen sie einige Verwaltungsgebäude in Saigon, ohne allerdings eine direkte Konfrontation mit den japanischen oder französischen Truppen zu riskieren. Ein vom Viet-minh kontrolliertes Provisorisches Exekutiv-Komitee Südvietnams wurde gegründet, das die Bevölkerung aufforderte, gemeinsam mit den Weltkriegsalliierten (de facto also den Briten) die Unabhängigkeit Vietnams zu erreichen. Peinlich genau waren im Geiste der Volksfrontpolitik die Stalinisten bemüht, den Rahmen der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse nicht zu überschreiten und auch andere Kräfte, die den Kommunisten nicht nahestanden, in die Regierung einzubeziehen – einige nicht-stalinistische Intellektuelle, Vertreter des Bürgertums und ein Großgrundbesitzer sollten den klassenübergreifenden Charakter im Süden ebenso sichern wie die Mitarbeit des Kaisers, die Ho Chi Minh durchgesetzt hatte. Und was die Eigentumsverhältnisse betrifft, so zerstreute der designierte Innenminister des Provisorischen Exekutiv-Komitees etwaige Befürchtungen: „Unsere Regierung (…) ich wiederhole, ist eine demokratische Regierung der Mittelklasse, auch wenn die Kommunisten nun an der Macht sind.“[21]

Das Komitee begann recht rasch, über Saigon in die Provinzen auszustrahlen, wo nach Saigoner Vorbild Provisorische Komitees gegründet wurden, die die örtlichen Strukturen der Jugendvorhut integrierten und versuchten, die Kontrolle über die spontan entstandenen Volkskomitees zu übernehmen.

Aber das Provisorische Exekutiv-Komitee war nicht das alleinige Machtzentrum im Süden und im speziellen nicht in Saigon. Nach der Niederlage der Japaner waren – oft mit maßgeblicher Unterstützung der Trotzkisten – um die 150 Volkskomitees entstanden, die Tausende von Arbeitern organisierten. Und diese Volkskomitees standen als potentielle Regierungsalternative dem vom Viet-Minh geführten Provisorischen Komitee gegenüber. In den Volkskomitees erkannten viele der dort Organisierten instinktiv, dass die bevorstehende britische Invasion wohl nicht – wie es die Stalinisten suggerierten – unternommen würde, um die Unabhängigkeit Vietnams zu garantieren, sondern im Gegenteil, um das Land wieder an eine fremde Macht zu ketten und die Ordnung der Ausbeutung, die nach dem Ende des Weltkriegs in Frage gestellt wurde, erneut zu stabilisieren. Dieses Milieu unabhängiger, nicht unter Kontrolle der Stalinisten stehender Arbeiter, diese potentielle Arbeitermacht verunsicherte die Stalinisten zutiefst. Wenn sie schon nicht zu integrieren seien, so müssten diese Keimzellen unabhängiger proletarischer Klassenaktion zerschlagen werden, so deren Kalkül.

Am Tag, bevor Ho Chi Minh die Demokratische Republik Vietnam proklamierte, rief der Viet-minh am 1. September 1945[22] in Saigon zu einer Massendemonstration für den kommenden Tag auf, um die Bevölkerung auf den bevorstehenden Einmarsch der Truppen des britischen Expeditionskorps vorzubereiten und diese herzlich willkommen zu heißen. 400.000 folgten dem Aufruf, was die Polarisierung der Kräfte und die stark gestiegene Attraktionskraft des Viet-minh in einem Teil der Bevölkerung auch des Südens unterstrich. An der Spitze marschierte die vom Exekutivkomitee neugegründete Miliz in Uniformen. Unzählige Transparente, die die britischen Truppen auf Englisch, Russisch, Chinesisch und Vietnamesisch willkommen hießen, schmückten die Stadt. Gegen Abend eskalierte die Situation: Schüsse fielen am Platz der Kathedrale – niemand wusste, wer die Auseinandersetzung provoziert hatte.-, die Demonstranten flohen in die Häuser der Franzosen, etwa 40 Tote und 150 Verwundete blieben am Platz der Kathedrale zurück. Bewaffnete Militante von La Lutte versuchten Ordnung in das entstandene Chaos zu bringen, nahmen einige derer, die gefeuert hatten, fest und übergaben diese der Viet-minh-Miliz, die die Schuldigen allerdings umgehend wieder freiließ.

Bis die Gurkhas der 20. Indischen Division unter dem britischen General Gracey am 13. September in Saigon einmarschierten, polarisierte sich die Situation noch weiter. Die beiden trotzkistischen Gruppen waren in dieser Phase voll in die Auseinandersetzungen involviert. Sie hatten schon am 2. September mit ihrem starken Kontingent (die Blocks sollen 18.000 umfasst haben) versucht, die Großdemonstration der 400.000 in eine bewaffnete Kundgebung der Bereitschaft, die Unabhängigkeit und die sozialen Interessen zu verteidigen, umzufunktionieren, während der Viet-minh jeden Schritt in Richtung Volksbewaffnung ablehnte, für sich das Waffenmonopol beanspruchte und die Stadt in völliger Ruhe an die britischen Truppen zu übergeben beabsichtigte.

Bis zur Ankunft der Briten existierte im Süden eine Form der Doppelmacht: einerseits der Viet-minh, und andererseits die Volkskomitees und jene Strukturen, die sich dem drängender werdenden Zugriff des Provisorischen Exekutiv-Komitees entzogen und sich inzwischen weiter radikalisiert hatten. Ein großer Teil der Volkskomitees stand inzwischen auf antikapitalistischen Positionen und traten für die Errichtung einer Arbeiter- und Bauernregierung, die sich auf die bewaffneten Kräfte des Volkes stützen sollte, ein.

Doch das Konzept des Viet-minh erwies sich als trügerisch: Statt als Ordnungsfaktor von den Briten anerkannt zu werden, wurden sie von General Gracey umgehend kaltgestellt.[23] Sofort bei seiner Ankunft hatte Gracey Flugblätter von japanischen Kampfflugzeugen über der Stadt abwerfen und in der Folge großflächige Plakate in der ganzen Stadt affichieren lassen, in denen er den Bewohnern Saigons mitteilte, dass er die Japaner mit der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung bis zur Übernahme der vollständigen Kontrolle durch die Briten beauftragt habe. Der Bevölkerung wurde bei Androhung strenger Bestrafung das Tragen von Waffen verboten, was sich ausdrücklich nicht nur auf Komitees oder die bewaffneten nationalistischen Gruppierungen und religiösen Sekten bezog, die sich aus japanischen Beständen reichlich mit Waffen eingedeckt hatten, sondern auch auf die Milizen des Viet-minh.

Um die Situation, die sich entwickelt hatte, zu verstehen, muss ein kurzer Blick aus dem Süden Vietnams in den Norden geworfen werden. Am 2. September hatte Ho Chi Minh die Demokratische Republik Vietnam (DRV) ausgerufen. Die Konstitution wurde in Anlehnung an die Unabhängigkeitserklärung der USA gestaltet, aus der der erste Satz direkt übernommen worden war (damit war Ho Chi Minh ein direkter Vorläufer Fidel Castros, der ähnliches ein gutes Jahrzehnt später ebenfalls machen sollte). Zur Abrundung der Macht wurde am 7. September in einem Dekret alle bewaffneten Kräfte außer den eigenen Viet-minh-Milizen verboten, was sich nicht nur gegen religiöse Gruppen, die mit den Japanern konspiriert hatten, sondern natürlich auch gegen die bewaffneten Arbeiter richtete.

La Lutte, die immer schon relativ konziliant gegenüber dem Stalinismus gewesen war, unterstützte in dieser Phase den Viet-minh und sein Projekt einer Demokratischen Republik, hielt aber fest, auf ihr Recht der Kritik nicht verzichten zu wollen. Die Internationalistische Kommunistische Liga erklärte, dies würde die Massen auf einen falschen Weg bringen; es sei eine Illusion, die nationale Unabhängigkeit wie der Viet-minh durch eine Übereinkunft mit dem Imperialismus erreichen zu wollen. Statt dessen müsse mit aller Kraft die Volksbewaffnung vorangetrieben und mit einem bewaffneten Aufstand der Kolonialismus besiegt werden. Es war mit dem Aufbau von Revolutionären Volkskomitees begonnen worden , in dem die Trotzkisten dominierten (z.B. in Tandinh, einer proletarischen Vorstadt Saigons, und in Bienhoa, einer Kleinstadt, etwa 30 Kilometer von Saigon entfernt). Neben den Trotzkisten und den von ihnen kontrollierten Komitees sperrten sich auch einige der nationalistischen Gruppen und religiösen Sekten gegen die kampflose Kapitulation des Viet-minh und dessen Auslieferung des Südens an die Briten.

In der ersten Phase nach dem Einmarsch der Briten existierten also – wenn wir von den sich der Kontrolle noch entziehenden Volkskomitees einmal absehen wollen – drei Machtzentren im Süden: einerseits das britische Hauptquartier mit General Gracey, andererseits der Vertreter Frankreichs, Cédile, der mit allen Mitteln eine Übereinkunft mit Gracey suchte, um die französische Kolonialherrschaft wieder zu installieren. Und zum dritten das Provisorische Exekutivkomitee, also im wesentlichen der Viet-minh, der von den Briten einige politische Zuständigkeiten erhielt, ohne aber von ihnen formal anerkannt worden zu sein. Das nährte im Viet-minh immer noch die Hoffnung auf eine Übereinkunft mit den Briten gegen die Franzosen – eine trügerische Hoffnung, war es doch von Anfang an das Ziel der Briten gewesen, den Boden für eine Rückkehr der Franzosen zu ebnen. Das Provisorische Exekutivkomitee rief nun in einem Flugblatt am 17.9.1945 zum Generalstreik gegen die Franzosen und deren Kolonialambitionen auf, gleichzeitig wurde die Bevölkerung aber zur Ruhe aufgefordert.

Proletarischer Aufstand

Dass sich das Provisorische Exekutivkomitee den Briten als seriöse und zur Zusammenarbeit bereite Staatsmacht andienen wollte, darauf deuteten – um nur zwei Beispiele zu nennen – auch die Vorgänge rund um die von den Trotzkisten initiierten Revolutionären Volkskomitees hin. Um eine Ausbreitung solcher Initiativen zu verhindern, musste mit diesen reinen Tisch gemacht werden: Vor die Wahl gestellt, entweder ihre Waffen an die Miliz zu übergeben oder auf die Miliz zu feuern und in der Folge als Provokateure behandelt zu werden, wählten das Komitee in Bienhoà ersteres, die Mitarbeiter des zweiten Komitees in Tandinh wurden vom Viet-minh verhaftet und eingekerkert. Ebenso erging es Mitgliedern bewaffneter Gruppen auf nationalistischer Seite, den verschiedenen Arbeiter- und Volkskomitees und verschiedenen Selbstverteidigungsgruppen, die seit Mitte August entstanden waren. Überall, wo der Viet-minh die Macht und die Kraft dazu besaß, mussten die Waffen an die vom Viet-minh kontrollierten Polizeikräfte übergeben werden; die Republikanische Garde, also dessen Miliz, und die Polizei reservierten sich das gesetzliche Monopol, Waffen zu tragen.

Die Selbstverteidigungsgruppen standen auf teils sehr radikalen politischen Positionen, hatten ihre Basis in den Fabriken und Plantagen und waren embryonale Formen einer proletarischen Gegenmacht. Die Arbeiter des Tramway-Depots im Stadtteil Go Vap organisierten eine Arbeitermiliz, die einen Aufruf an die Arbeiter Saigons und deren Schwesterstadt Colon erließ, sich zu bewaffnen und sich auf eine unmittelbar bevorstehende Auseinandersetzung mit den britischen und französischen Truppen vorzubereiten.

Aber die Repression des Viet-minh hatte bereits eingesetzt. Doch all das nützte auch ihm nicht viel: Am 20. September wurde von den Briten die vietnamesische Presse verboten, und die Proklamationen des Provisorische Exekutivkomitee wurden von den Wänden heruntergerissen und verschwanden. Zwei Tage später übernahmen die Briten die Kontrolle über das Gefängnis in Saigon, das Kriegsrecht wurde verhängt, und 1500 französische Soldaten, die entwaffnet in den Baracken des 2. Indochinesischen Regiments gefangen gehalten wurden, wurden befreit und wieder bewaffnet. Und schließlich, in der Nacht von 22. auf den 23. September, übernahmen die Franzosen, unterstützt von den britischen Truppen, wieder die Polizeistationen, das Postgebäude und alle anderen wichtigen öffentlichen Institutionen. Das Provisorische Exekutivkomitee verließ das Rathaus und übersiedelte in die Nachbarschaft, nach Cholon, nachdem sie vorher noch alles in ihrer Macht Stehende getan hatte, um die Bewegung, die sie nicht voll zu kontrollieren in der Lage war, zurückzuhalten. Die Bevölkerung wurde vom Viet-minh aufgefordert, sich „aufs Land zurückzuziehen“, um jede „Konfrontation zu vermeiden“, und „Ruhe zu bewahren, da das Komitee hofft, Verhandlungen aufnehmen zu können.“[24] Es war dieselbe Nacht, in der in Saigon der Aufstand losbrach.[25]

Der Viet-minh hatte den Aufstand natürlich nicht provoziert, aber er war auch nicht in der Lage gewesen, dessen Ausbruch zu verhindern und seine Parolen von Recht und Ordnung ohne Gegenwehr durchzusetzen. Die Demobiliiserungspolitik griff nicht voll, sodass es zu einer spontanen Erhebung, getragen im wesentlichen von den Organen der Selbstorganisation der Massen, kam. Einmal losgebrochen, versuchte der Viet-minh nun alles, um die Unzufriedenheit durch eine Konzentration auf Frankreich als Gegner zu kanalisieren, von den Briten abzulenken und den Aufstand seines sozialrevolutionären Potentials zu berauben. Ohne homogene Führung war der Aufstand in verschiedenen Teilen der Stadt losgebrochen. Barrikaden wurden errichtet, und während die Vorstädte, vornehmlich die ärmeren, rasch in die Hand der Aufständischen übergingen, konnten sich die französischen, britischen und japanischen Truppen im Stadtzentrum festsetzen. Dort, wo die Aufständischen die Kontrolle ausübten, wurde Volksjustiz geübt: Verhasste Polizisten, viele von ihnen in Massaker und Misshandlungen verwickelt, wurden umgebracht und in die Kanäle geworfen. 80 Jahre rassistischer Unterdrückung durch die französischen Kolonialherren machte sich in Momenten wie diesen Luft, auch ein Massaker an etwa 100 französischen Zivilisten legte davon Zeugnis ab. Trotz der Kontrolle der Innenstadt durch die Besatzungstruppen gingen eine ganze Reihe von Gebäuden in Flammen auf. In der darauffolgenden Nacht gingen die Aufständischen wieder zum Angriff über, der Hafen wurde attackiert, wieder brannten wichtige Gebäude.

Am folgenden Tag paradierten Gruppen von Aufständischen offen in den zentralen Boulevards des Zentrums, allerdings gelang es ihnen auch in dieser Phase nicht, eine einheitliche Führung zu installieren. Während in Saigon die Versorgung zusammengebrochen und Wasser und Strom ausgefallen war, versuchten die Franzosen, Tag für Tag das von ihnen kontrollierte Gebiet zu erweitern. Ein Teil der bewaffneten Gruppen begann sich aus dem Zentrum in die Peripherie zurückzuziehen. Das vom Viet-minh geführte Provisorische Exekutivkomitee versuchte unterdessen nach wie vor, mit den Briten zu einer Übereinkunft gegen die Franzosen zu kommen. In einem Flugblatt wurde vorgeschlagen, Saigon auszuhungern – offiziell gegen die Franzosen gerichtet, sollte diese Maßnahme (die natürlich verpuffen musste, da die Briten den Hafen und damit die Lebenszufuhr kontrollierten) natürlich auch diejenigen Aufständischen, die nicht unter der Viet-minh-Kontrolle standen, treffen: Die Franzosen – so das Flugblatt – „scheinen Freude daran zu finden, unsere Volk zu ermorden. Darauf gibt es eine einzige Antwort: eine Lebensmittelblockade.“[26]

Die Briten nahmen auch wirklich Verhandlungen mit den Viet-minh auf, und ein Waffenstillstand wurde am 1. Oktober angekündigt – wohl nicht mehr als eine Geste des Viet-minh an die Aufständischen. Das einzige Resultat der weiteren Verhandlungen mit den Briten war aber, dass der Viet-minh den britischen und japanischen Truppen die freie und ungehinderte Passage durch die von Aufständischen kontrollierten Zonen, die sich dem Provisorischen Exekutivkomitee unterstellt hatten, garantierte… Doch trotz aller Zugeständnisse konnte die Landung weiterer französischer Truppen und deren glanzvoller Einmarsch in Saigon nicht verhindert werden: General Leclerc, an der Spitze des französischen Expeditionskorps, kam am 5.10. mit dem Auftrag, „die Ordnung wiederherzustellen“ und „ein starkes Indochina innerhalb der Französischen Union“ aufzubauen.[27] Im Gefolge dieser schrittweisen Verschlechterung der Bedingungen gingen die Kämpfe weiter – jeder Schritt musste von den Besatzungstruppen blutig erkämpft werden, denn noch immer war das Zentrum von den Aufständischen eingeschlossen. Erst ab dem 12. Oktober konnten die Franzosen mit einer Attacke auf den Nordosten Saigons die Umklammerung durch die Vorstädte schrittweise aufbrechen. Aber den Besatzern gelang es in den nächsten Monaten nicht, Saigon vollständig zu befrieden, obwohl Tausende und Abertausende umgebracht oder in Kerker geworfen wurden.

Die Komplizenschaft des Viet-minh mit den Briten und die Feindschaft des Provisorischen Exekutivkomitees gegenüber den Aufständischen führten zu Zersetzungserscheinungen innerhalb des Viet-minh. Eine Reihe von Befehlshabern aus den Reihen des Viet-minh erklärte sich im unerklärten Bürgerkrieg des Viet-minh gegen andere Tendenzen des vietnamesischen Widerstandes für neutral und unabhängig, so der Führer der Guerilla in Bay Vien oder die „Dritte Division“, die sich vom Viet-minh lossagte. Trotzdem neigte sich das Kräfteverhältnis zugunsten des Viet-minh, dafür verantwortlich war neben der Tatsache, dass die Rebellion in Saigon unkoordiniert war und eine in breiten Schichten verankerte revolutionäre Partei fehlte, die den Aktionen eine politisch abgesicherte Stoßrichtung geben hätte können, dass das Provisorische Exekutivkomitee als regionale Struktur der Demokratische Republik Vietnam im Süden gesehen wurde und die relative Stabilisierung der DRV im Norden als Attraktionspol erscheinen musste.

Der Viet-minh machte aber auch im Süden klar, dass er nicht bereit war, irgendetwas zu akzeptieren, was auch nur die leiseste Kritik an ihm üben würde. Solche Tendenzen wurden ausgelöscht, getreu Ho Chi Minh, der die Maxime ausgegeben hatte, dass „alle, die meiner Linie nicht folgen, gebrochen würden“.[28] Die erste Kraft, die das zu spüren bekam, waren die Trotzkisten der Internationalistischen Kommunistischen Liga und von La Lutte – letztere trotz deren Aufrufen für eine kritische Unterstützung der Vietminh-Regierung. Während einer Versammlung, in der sich die Gruppe für den bewaffneten Kampf gegen die Franzosen vorbereitet hatte, wurden die Mitglieder der Gruppe von Viet-minh-Kräften umzingelt, gefangengenommen und in einem Lager interniert. Sie alle wurden später beim Vorrücken der französischen Truppen von ihren stalinistischen Bewachern, gemeinsam mit anderen Gefangenen, liquidiert.

Ta Thu Thau hatte ein anderes Schicksal: Er war bereits 1940 in einem speziellen Straflager, in Poulo Condore, gefangengesetzt worden und wurde Mitte 1945 freigelassen. Er ging daraufhin in den Norden des Landes und nahm an geheimen Arbeiter- und Bauernversammlungen in den Bergbauregionen teil. Nach der japanischen Niederlage hoffte er, in den Süden zurückkehren zu können, wurde aber vom Viet-minh gefangengenommen und im September 1945 umgebracht.

Nicht zufällig waren die Trotzkisten die ersten Opfer. Als Avantgarde der proletarischen Bewegung waren sie für die Stalinisten eine besondere Gefahr. Aber nach deren Liquidierung ging es anderen Tendenzen, die sich dem Viet-minh nicht kritiklos unterordnen wollten, nicht besser: Alle Kräfte, die eine potentielle Gefahr für diesen hätten werden können, wurden in einer Atmosphäre des Terrors liquidiert. Alle, die sich nicht sofort unter der Fahne des Viet-minh sammelten, wurden als Verräter denunziert, Arbeiter, die sich nicht mit der patriotischen Sache identifizieren wollten, als Saboteure und Reaktionäre behandelt. Der bereits weiter oben erwähnten Arbeitermiliz der Straßenbahner von Go Vap (60 der 400 Arbeiter der Tramway-Gesellschaft waren in ihr organisiert) erging es nicht anders: Sie hielten daran fest, eine proletarische Miliz zu sein und weigerten sich, die rote Fahne der Revolution gegen die des Viet-minh (ein gelber Stern vor rotem Hintergrund) einzutauschen. Ein Großteil dieser Arbeitermiliz wurde in Kämpfen gegen den imperialistischen Aggressor in den folgenden Monaten aufgerieben oder, wie drei der Führer der Tramway-Arbeiter, vom Viet-minh umgebracht. Der Rest wurde in dieser Atmosphäre eines aussichtslosen Kampfes gegen den Imperialismus und den Viet-minh zur Aufgabe und in die Resignation getrieben.

Für den Viet-minh war klar, wie er sich zu entscheiden hatte: Seine linken Kritiker mussten auch dann liquidiert werden, wenn dies eine difinitive Schwächung des Kampfes gegen den Imperialismus bedeuten würde. Dem Viet-minh war es aber gelungen, im Laufe der Jahre 1945 und 1946 mit den Trotzkisten eine in großen Teilen des städtischen Proletariats verankerte proletarische Strömung zu vernichten und einen großen Teil der Militanten auch physisch zu liquidieren. Der Terror des Viet-minh untergrub das Selbstbewusstsein der städtischen Massen und deren Kampfkraft und verlagerte auf Jahre den Kampf gegen den imperialistischen Aggressor hinaus in die Dörfer.

Mit der Vernichtung der unabhängigen Arbeiterbewegung und deren Avantgarde, der Trotzkisten, war die einzige Kraft beseitigt, die dem Stalinismus gefährlich hätte werden und die dessen Machtmonopol hätte brechen können.[29] Der Preis, den die Stalinisten zu zahlen bereit waren, war die Revolution von Saigon 1945. Eine weitere Folge war aber die Teilung des Landes und ein verlustreicher Krieg, der erst 1975 mit der Befreiung Saigons am 30. April und der Wiedervereinigung beendet werden konnte.

Von der Teilung des Landes bis Dien-bien-phu

Das Ergebnis der Politik Ho Chi Minhs und seiner Parteigänger im Süden und im Norden des Landes war die Teilung Vietnams und die Übergabe des Südens an die Franzosen. Während sich die stalinistische Macht im Norden konsolidieren kann, wird im Süden das Kolonialregime wiederhergestellt. Im Norden werden am 6. Jänner 1946 Wahlen abgehalten (der Viet-minh siegt mit über 90% der abgegebenen Stimmen), ein weiterer Schritt in der Festigung des Regimes. Ho Chi Minh versuchte inzwischen, auch mit den Franzosen zu einer formellen Übereinkunft zu gelangen. Am 6. März 1946 kam es dazu: Ho Chi Minh wurde in Frankreich offiziell empfangen, und Frankreich anerkannte formal die Republik Vietnam als unabhängigen Staat mit eigener Regierung, eigenem Parlament, eigener Finanzverwaltung und eigener Armee. Im Gegenzug stimmte Ho Chi Minh zu, dass Vietnam als „gleichberechtigter Staat“ in der „Französischen Union“ verbleiben würde. Für die KP-Geschichtsschreibung, die besonders davon angetan war, dass Ho Chi Minh in Frankreich „offiziell mit allen Ehren, die einem Staatsoberhaupt gebühren“[30], empfangen worden war, war dieses Abkommen ein Sieg Vietnams, es habe „den englischen und den Tschiang-Kai-Schek-Truppen, die das Land nach der Niederlage Japans besetzt hatten, jeden Vorwand zu weiterem Verbleiben (genommen) und machte die volle Unabhängigkeit von Viet-Nam wieder zu einem Problem, das nur zwischen diesem und Frankreich zu lösen war.“[31] Abgesehen davon, dass gerade in Vietnam die Weltpolitik immer entscheidendes Gewicht hatte und das Schicksal des Landes nie eines war, das bloß Frankreich und Vietnam betroffen hätte, wurde verschwiegen, dass Frankreich damit auch das Recht bekam, im Norden um Hanoi 25.000 Soldaten zu stationieren. Im Mai versucht Ho Chi Minh mit Frankreich über ein Unabhängigkeitsreferendum im Süden handelseins zu werden. Die Verhandlungen ziehen sich in den Herbst hinein, ohne dass konkrete Ergebnisse erzielt würden.

Natürlich hatte Frankreich nie wirklich auf den Norden verzichtet und sich mit der Teilung abfinden wollen. Unter General Giap wurde der weitere Aufbau der Volksarmee im Norden vorangetrieben, was die Franzosen dazu veranlasste, Vietnam eine „strenge Lektion“[32] zu erteilen: Im November 1946 begann Frankreich, in dem Leon Blum als Chef eines sozialistischen Kabinetts regierte, die nächste Runde der Kriegshandlungen mit einem Bombardement von Haiphong, dem Hafen von Hanoi, bei dem ca. 20.000 Einwohner getötet wurden. Ein knappes Monat später versuchte Ho Chi Minh mit einem neuen Angebot an Blum wieder ins Gespräch zu kommen – die französische Generalität in Indochina leitete dieses aber nicht nach Paris weiter. So blieb der Regierung unter Ho Chi Minh nichts anderes übrig, als den Kampf aufzunehmen – der Imperialismus hatte die Stalinisten zum Befreiungskrieg, den Ho Chi Minh mit Verhandlungen zuerst mit den Briten, dann mit den Franzosen zu verhindern trachtete, förmlich gezwungen.

Für diese Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Imperialismus gab es im wesentlichen zwei Gründe: Einerseits hatte die Sowjetunion ja im Potsdamer Abkommen zugestimmt, dass Vietnam in den Einflussbereich des Imperialismus fallen solle. Wie die griechischen Kommunisten nach dem Zweiten Weltkrieg standen nach Meinung des Kreml die vietnamesischen Partner eben auch auf der anderen Seite. Von daher war von der Sowjetunion kaum Hilfe gegen den Imperialismus zu erwarten. Die Kommunistische Partei wurde sogar im November 1945 dazu gedrängt, sich offiziell selbst aufzulösen, um „ihre ganze Kraft der nationalen Freiheitsbewegung der Viet-Minh“ widmen zu können, wie Weg und Ziel, das theoretische Organ der KPÖ, noch 1954 schrieb.[33] Natürlich war diese Geste nur für den diplomatischen Gebrauch bestimmt gewesen, da die KP weiter unter dem Deckmantel einer Indochinesischen Vereinigung für marxistische Studien existierte, aber sie war doch eine ernstzunehmende Geste, sozusagen eine vertrauensbildende Maßnahme gegenüber den Weltkriegsalliierten, ähnlich der der Selbstauflösung der Komintern während des Zweiten Weltkriegs. Erst 1951 wurde die KP als Laon Dong, als Arbeiterpartei Vietnams, wiedergegründet.[34] Dass dies allerdings mehr als eine bloß formale Sache war, zeigt u.a. die Tatsache, dass die Sowjetunion erst 1950, nach dem Bruch mit den Westalliierten und dem Beginn des Kalten Kriegs, bereit war, die Demokratische Republik Vietnam auch formell anzuerkennen.

Der zweite Grund aber lag in der inneren Situation Vietnams begründet. Ho Chi Minh war so etwas wie ein Faustpfand, ein Bauer, der nach Meinung Stalins gegebenenfalls gegen eine andere Figur am Schachbrett der Weltpolitik eingetauscht werden könnte. Aber anders als etwa die jugoslawische KP konnte es sich die vietnamesische aufgrund der inneren Situation nicht leisten, Stalins Interessen so einfach zu negieren. Wie wir im Kapitel über die Revolution in Saigon zeigen konnten, waren die vietnamesischen Stalinisten mit einer relativ fortgeschrittenen und bewussten Arbeiterbewegung konfrontiert. Trotz der Tatsache, dass in Vietnam die Bevölkerung zu mehr als 90% auf dem Land lebte und das moderne Proletariat im Vergleich zur bäuerlichen Bevölkerung noch kleiner als etwa in China war, hatte aber das Proletariat ein großes Gewicht im revolutionären Prozess bekommen. Erst über die Niederlage der Arbeiterbewegung war der Weg frei geworden für die Stalinisten, aber – und auch das konnten wir oben zeigen – diese Niederlage der Arbeiter- und Volksbewegung der Städte, insbesondere Saigons, war nur möglich im blutigen Zusammenspiel von Imperialismus und Stalinismus.

Diese Niederlage aber hatte noch eine weitere Folge: Die revolutionäre Initiative, auch wenn sie bürokratisch gegängelt und eingeschränkt worden war, ging nun wieder von den Städten aufs Land über. Der Krieg, den zu führen die Stalinisten aus bloßem Selbsterhaltungstrieb vom französischen Imperialismus gezwungen worden waren, wurde zu einem bäuerlichen Guerillakrieg nach dem Muster Chinas unter Mao Zedong. Der Viet-minh zog sukzessive seine Kräfte von den Städten zurück und begann mit einem ländlichen Guerilla-Krieg. Die Städte wurden zwar verbissen verteidigt, aber gingen sie einmal verloren, wurde das Proletariat der Gnade Frankreichs überlassen und sogar – wie im Falle Saigons – aufgefordert, den Städten den Rücken zu kehren.

Auch in dieser Phase hielt Ho Chi Minh daran fest, dass das Ziel des Kampfes nichts weiter als die Unabhängigkeit Vietnams sein dürfe, sein Programm war das eines strikt auf die nationale Frage begrenzten „national-demokratischen Kampfes“. Einheit und Unabhängigkeit auf kapitalistischer Basis war das klar eingestandene Ziel der Viet-minh-geführten Koalitionsregierung bis Mitte der 50er Jahre. Selbst eine Landreform wurde bis 1953 hinausgezögert, die landlosen Bauern wurden mit einigen Fleckchen Gemeindeland abgespeist. Noch 1954 liest sich die Politik Ho Chi Minhs als Lobeshymne der Kommunistischen Partei Österreichs folgendermaßen:

„Das Rückgrat des Widerstands war die nationale Einheit, die buchstäblich das ganze Volk umfaßte: Arbeiter, Bauern, Kleinbürger, Kapitalisten, ja selbst viele feudale Grundbesitzer, da ja alle durch die französische Kolonialherrschaft bedroht waren. Die Bodenpacht wurde um 25% gesenkt und nur jener Großgrundbesitz enteignet, der Ausländern oder Volksverrätern gehörte.“[35]

Während des Krieges finanzierte sich die Regierung der Demokratischen Republik Vietnam und deren Armee in den befreiten Gebieten in erster Linie aus den Abgaben, die auf die landwirtschaftlichen Produkte erhoben wurden.[36] Der Viet-minh erhob zweimal pro Jahr diese Steuern. Die Steuerlast war progressiv gestaffelt und reichte von 5% bis 45%, abhängig vom Einkommen. Dazu kam eine Handelstaxe mit einem Maximum von 28% Abgaben auf den Nettoprofit. Verantwortlich für die Sammlung war die örtliche Leitung des Viet-minh und später der Partei. Ein Teil der eingehobenen Steuern konnte für lokale Aufgaben aufgewendet werden und verblieb auf der örtlichen Ebene. 1956 stellte sich im Zuge der Kampagne zur „Berichtigung von Fehlern“ heraus, dass nicht wenige Parteikader Bauern dazu überredet hatten, mehr zu zahlen, als es ihrem Einkommen entsprochen hätte. Dieses Steuersystem trug wesentlich zur Herausbildung einer stabilen bürokratischen Kaste, die an die Existenz des Staates gebunden war, bei.

Die Spitze des System, verkörpert in Ho Chi Minh und General Giap, war aber immer noch willens zu einem Kompromiss mit dem Imperialismus. Aber Frankreich, geschwächt aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen und nur durch die Hilfe des britischen Imperialismus und die Zusage der Sowjetunion, nicht zu intervenieren, in Indochina wieder an die Macht gekommen, hatte seine Kräfte überschätzt, indem zu einem Kompromiss, zu dem die Stalinisten drängten, nicht bereit war. Nach anfänglichen Erfolgen wendete sich Ende der 40er Jahre das Blatt. In mehreren Kampagnen konnten die Franzosen im Norden immer weiter zurückgedrängt und größere Gebiete befreit werden. Ein wesentlicher Faktor in dieser Änderung des Kräfteverhältnisses war der Sieg Mao Zedongs in China und die Abdrängung der Guomindang auf die Insel Formosa. Die Volksrepublik China anerkannte am 16. Jänner 1950 Vietnam (noch vor der UdSSR, die dies erst am 31.1.1950 tat!) und unterstützte den Viet-minh mit Waffen. Im Unterschied dazu kam auch in der nächsten Zeit aus Moskau keine signifikante Waffenhilfe.

Die Erfolge Vietnams und das Freundschaftsbündnis Vietnam-China-UdSSR, das im Jänner 1950 abgeschlossen wurde, riefen aber die USA auf den Plan. Besorgt, dass nach Korea nun auch in Vietnam ein weiterer Domino-Stein fallen und der Imperialismus die Kontrolle über Südostasien sukzessive verlieren könnte, kam im Juli 1950 die erste amerikanische Militärmission nach Vietnam. Der Krieg sollte internationalisiert und damit dem französischen Imperialismus unter die Arme gegriffen werden. Trotz der US-Hilfe aber war der französische Imperialismus nicht mehr in der Lage, den Krieg erfolgreich abzuschließen. 1952 begann eine weitere große Offensive des Viet-minh, deren Höhepunkt, der große militärische Sieg der Volksarmee im Mai 1954 in Dien-bien-phu, den Beginn einer weiteren Phase des Kampfes in Vietnam markierte. Die vollständige Niederlage Frankreichs gab Ho Chi Minh die absolute Kontrolle über den Norden Vietnams und führte zu beträchtlicher Unterstützung und großem Prestige auch im Süden. Es schien ein zweites Mal nach dem Jahr 1945 so, als ob die nationale Befreiung von ganz Vietnam möglich wäre.

Vietnam im Kampf mit dem US-Imperialismus

Unmittelbar vor dem Fall von Dien-bien-phu hatten in Genf Verhandlungen zwischen den USA, Frankreich und der UdSSR über eine Zukunft Indochinas begonnen. Die USA machten klar, dass sie nicht an Friedensverhandlungen mit Ho Chi Minh interessiert seien. Und nach dem Fall von Dien-bien-phu erklärte der spätere Präsident und damalige Vizepräsident Nixon, dass, sollte Frankreich die Niederlage zum Anlass eines Truppenabzugs nehmen, die USA deren Stelle einnehmen würden. Als am 21. Juli 1954 das Genfer Indochinaabkommen unterzeichnet wurde, verweigerten die USA die Unterschrift. Mit dem Abkommen wurde Vietnam wieder am 17. Breitengrad geteilt, die Demokratische Republik Vietnam im Norden der Demarkationslinie wurde international anerkannt, und für ganz Vietnam wurden allgemeine, geheime Wahlen für das Jahr 1956 in Aussicht gestellt, wonach beide Landesteile wieder vereint werden sollten.

Die USA hatten inzwischen im Juni 1954 im Süden Vietnams eine Marionette an die Spitze gestellt – Ngo Dinh Diem, sie hatten die militärische Hilfe bedeutend ausgeweitet und versucht, ihren ökonomischen Zugriff auf Südvietnam zu stärken. Das Manöver war durchsichtig, schon allein dass Verhandlungen unmittelbar vor der bitteren Niederlage Frankreichs gegen Ho Chi Minh begonnen worden waren, war ein Indiz dafür, dass mit Genf in erster Linie ein weiterer Vormarsch der siegreichen Volksarmee verhindert und die missliche Lage des Imperialismus auf den Schlachtfeldern durch verschleppte Verhandlungen verbessert werden sollte. Aber trotzdem ging Ho Chi Minh auf dieses Spiel ein, verhandelte, unterzeichnete schließlich das Indochina-Abkommen – und verzichtete auf einen weiteren Vormarsch in den Süden. Auch diesmal hätte wie schon 1945 eine reale Chance bestanden, den Imperialismus aus dem gesamten Territorium Vietnams, ja aus Indochina überhaupt hinauszujagen – und abermals verzichtete Ho Chi Minh auf ein Ausnutzen dieser Möglichkeit. Der Preis war auch diesmal ein hoher: Ein jahrelanger Krieg, nun von den USA mit höchstem Materialeinsatz geführt, sollte das Land um Jahrzehnte zurückwerfen… Aber selbst in dieser Situation, in der die Konfrontation mit dem Imperialismus bereits Tatsache geworden war, zögerte Ho Chi Minh noch, die Schlagkraft seiner Bürokratie gegen die Kapitalisten im Norden einzusetzen. Erst die Unversöhnlichkeit der USA und ihrer Marionette im Süden Vietnams, Diem, drängte Ho Chi Minh zur bürokratischen Überwindung kapitalistischer Eigentumsverhältnisse und zu einer bürokratisch geknebelten sozialen Revolution.

Die USA zwangen Frankreich, das sich an Beziehungen auch zur DRV interessiert zeigte, diese Ambitionen fallen zu lassen, und verhängten eine Blockade gegenüber dem Norden Vietnams. Damit war der Erfolg, den Ho Chi Minh sich durch den Abzug der letzten französischen Truppenkontingente aus dem Norden (am 19.5.1955) erwartete, wieder zunichtegemacht. Das alles war aber nur ein Indiz dafür, dass die Initiative in Indochina Mitte der 50er Jahre endgültig aus den Händen Frankreichs in die der USA übergegangen war. Diem, ein Zöglings der USA (Frankreich war ihm gegenüber skeptisch-abwartend geblieben), erhielt nun direkte militärische Hilfe, die Militärmission der USA übernahm im Frühjahr 1955 von Frankreich das militärische Training der südvietnamesischen Armee. Mitte 1955 erklärte Diem mit Unterstützung der USA, dass er das Genfer Indochinaabkommen nicht mitunterzeichnet habe und es demgemäß auch nicht akzeptieren könne. Als im Oktober 1955 in Saigon Diem Südvietnam zur Republik erklärte und die in Genf vereinbarten Wahlen absagte, war die Spaltung des Landes definitiv vollzogen. Die Republik Vietnam, eigentlich eine von den USA abgesegnete Diktatur des Diem-Clans, wurde in die SEATO-Schutzzone (dem US-inspirierten Gegenstück zur NATO in Südostasien) integriert, die Bauern wurden zu großen Teilen in Strategische Dörfer umgesiedelt, die – offiziell als Schutz vor der Guerilla deklariert – deren Kontrolle und Unterdrückung dienten.

Unter diesen Umständen war Ho Chi Minh gezwungen, den Kurs zu ändern. Alle Hoffnungen auf eine Zusammenarbeit mit dem Imperialismus hatten sich zerschlagen – ja schlimmer noch: Der Gegner war nun nicht mehr das auf dem absteigenden Ast imperialistischen Einflusses befindliche Frankreich, sondern die stärkste imperialistische Macht, die USA. Bei dieser Entscheidung, Kurs auf eine Sozialisierung der Wirtschaft zu nehmen, standen die nordvietnamesischen Stalinisten in keiner Weise unter dem Druck einer selbstbewussten Arbeiterklasse, die klare Schritte in Richtung Sozialismus verlangt hätte. Die Welle der Massenunterstützung für das Regime nach der schmählichen Niederlage der Franzosen in Dien-bien-phu war verpufft, eine unabhängige Bewegung der Arbeiter in den Städten und der Landarbeiter und Kleinbauern in den Dörfern um 1945 integriert und – wo dies nicht möglich war oder diese zu unsicher erschien – liquidiert worden.

Der Grund für die Umorientierung in der Wirtschaftspolitik war also die Aussichtslosigkeit eines Arrangements mit dem Imperialismus (konkret die Sabotage des US-Imperialismus, dessen Blockade der DRV und die Unversöhnlichkeit seines Statthalters Diem) und die Notwendigkeit, die Wirtschaft mit Hilfe anderer Partner zu modernisieren und zu effektivieren. Die Wirtschaftskraft der DRV war in dieser Zeit äußerst bescheiden: Die französischen Grundeigentümer und Fabriksbesitzer hatten wenig Zutrauen in die stalinistische Bürokratie und seit dem zweiten Weltkrieg kaum mehr investiert. 1954 gab es im gesamten Bereich der DRV nur sieben große Anlagen, die allesamt in französischer Hand waren.[37] In dieser Situation kamen der DRV Peking und Moskau mit einem Beistandsabkommen zu Hilfe, das am 7. Juli 1955 abgeschlossen wurde.

Dieses Abkommen war beides, sowohl die Voraussetzung als auch die Basis der nun in Angriff genommenen Enteignungen und Nationalisierungen. Die 1. Dezember 1953 per Gesetz angenommene Landreform wurde ab Ende 1955 entscheidend vertieft; bis ca. 1957 war die Enteignung der großen Landbesitzer abgeschlossen und die Bodenneuverteilung beendet. Mit der Agrarreform hatte in den befreiten Gebieten schon im Jahr 1954 ein Prozess begonnen, in dem das Land der Großgrundbesitzer (und nicht nur das derjenigen, die sich staatsfeindlicher Aktivitäten schuldig gemacht hatten) enteignet wurde. Das Land wurde denen, die es bebauten, übergeben, den Großgrundbesitzern sollte das verbleiben, was sie selbst bearbeiten konnten, der Rest wurde ihnen vom Staat abgekauft. Aber diese Maßnahmen gingen noch nicht über den Rahmen einer Neuverteilung im Agrarbereich hinaus. Ende 1955 wurden aber nun auch im industriellen Bereich die französischen Betriebe des Nordens nationalisiert. Mit der Einrichtung einer Planbehörde, die die Grundlagen für eine geplante Ökonomie zu Beginn des Jahres 1957 schuf, als ein Ein-Jahres-Plan verabschiedet wurde, wechselte die Wirtschaft der DRV ihren Charakter. Mit dem 14. Plenum der Partei der Werktätigen Vietnams, das Ende 1958 die Direktive über den Dreijahresplan zur Schaffung der Grundlagen einer sozialistischen Volkswirtschaft ausgab, wurde diese Perspektive politisch abgerundet. Aus einem rückständigen kapitalistischen Land wurde ein degenerierter Arbeiterstaat, in dem das staatliche Eigentum an den Produktionsmitteln der Ökonomie und der Gesellschaft seinen Stempel aufdrückte und deren Charakter bestimmte. Der Staatssektor dehnte sich schnell aus, wie die folgenden Zahlen[38] belegen:

Staatseigentum in %                          1955      1959

Industrie                                            41,7        91,7

Außenhandel                                      77,0        100

Binnenhandel:    

Großhandel                28,1        89,0

Einzelhandel               20,3        80,4

Warentransport                                  23,6        70,3

In den meisten anderen degenerierten Arbeiterstaaten war die Veränderung von einer von oben bürokratisch initiierten Mobilisierung begleitet worden (etwa in der Tschechoslowakei die Februarrevolution von 1948), die es der Bürokratie ermöglichte, mit Hinweis auf die revolutionären Ereignisse die Veränderungen als Werk des ganzen werktätigen Volkes darzustellen. Ähnliche Versuche fehlten in Vietnam fast durchgängig. Die soziale Revolution war vom selben Charakter wie in vergleichbaren Ländern, die den Schritt in eine geplante nachkapitalistische Ökonomie getan hatten, aber ungeschminkter als in diesen: nämlich eine durch und durch bürokratisch gefesselte, von oben durchgesetzte Entscheidung, der jedes Element einer lebendigen Klassenauseinandersetzung abging. Genau dies berechtigt uns, die Umwälzung auch in Vietnam als eine bürokratische soziale Revolution zu charakterisieren. Und wie es sich für gute degenerierte Arbeiterstaaten gehört, wurde 1960 der Drei-Jahres-Plan natürlich vorzeitig erfüllt…

Die bürokratische Einführung nachkapitalistischer Eigentumsverhältnisse in der DRV hatte in letzter Konsequenz sowohl für den Süden als auch für den Norden selbst konterrevolutionäre Konsequenzen:[39] Im Norden wurde die Expropriation der Arbeiterklasse von der politischen Macht in ein bürokratisches System gegossen; wie jede andere soziale Umwälzung von oben ohne direkte Beteiligung der Betroffenen vertiefte auch diese deren politische Passivität und beraubte die Massen jeder Chance auf eine von unten getragene genuin-revolutionäre Perspektive. Das politische Monopol hatte die Vaterländischen Front, die seit 1955 von der Partei der Werktätigen Vietnams geführt wurde und der auch sämtliche andere tolerierte Parteien und Massenorganisationen – im DDR-Jargon am besten als Blockflöten zu bezeichnen – angehörten; so die 1944 gegründete Demokratische Partei und die 1946 gegründete Sozialistische Partei.

Und für den Süden bedeutete dies die definitive und für jeden sichtbare Teilung des Landes – eine stalinistische Bürokratie im Norden, die schon in der Vergangenheit zu jedem Verrat und jedem bürokratischen Manöver bereit gewesen war, und der US-Imperialismus mit seinen blutigen Marionettenherrschaft im Süden brachte die Massen in eine wenig beneidenswerte Situation, die ihnen weitere zwei Jahrzehnte eines mörderischen Krieges bescherte.

Im Süden hatte der US-Imperialismus Frankreich nun völlig ersetzt. Die Republik Vietnam war von den USA existentiell abhängig geworden: Die gesamte Militärhilfe kam aus den USA, 80% aller Regierungsausgaben wurden von den USA getragen, ebenso kamen von dort 90% aller Importe. Diem war, und das stärkte seine Position ganz ungemein, ein wichtiger Eckpfeiler in der Strategie der USA zur Eindämmung des Kommunismus: ein wichtiger Dominostein, dessen Fall mit allen Mitteln verhindert werden müsse.

Die Widersprüche in Südvietnam wurden durch ein umstrittenes Projekt einer Landreform angeheizt, deren Nutznießer eine schmale Schicht von Großgrundbesitzern war, die – wie Diem und seine Clique – vornehmlich dem Katholizismus entstammten. Vor der Landreform Diems gab es in Südvietnam 600.000 Landlose, mehr als die Hälfte des Landes waren im Besitz von kaum 2,5% aller Landeigner, während die ärmsten 70% der Landeigentümer sich mit 12,5% begnügen mussten. Die Landreform gab nun den Landlosen keinen Boden, sondern führte eine Grundrente von bis zu 25% des Ernteertrags ein. Da in den Jahren von Krieg und Bürgerkrieg die Mehrheit der Bauern in aller Regel keine Rente gezahlt hatten, war dies eine neue garantierte Einkommensquelle für die (oftmals) katholischen Großgrundbesitzer.[40]

Die wahllose Repression und die ungelösten, durch Diem noch weiter angeheizten Widersprüche mit ihrer Verelendung breiter Schichten führten zu einer Massenopposition und dazu, dass der von der südvietnamesischen KP geführte Viet-minh wieder die Perspektive des bewaffneten Kampfes aufgriff. 1957 begann der organisierte Widerstand und damit der zweite Indochina-Krieg, der vom Viet-minh und später dann von der 1960 gegründeten Nationalen Front für die Befreiung Südvietnams (FNL) geführt wurde. Von 1957 an kämpfte die Widerstandsbewegung für mehr als drei Jahre ohne jede Hilfe vom Norden – obwohl Diem das Genfer Abkommen nie anerkannt hatte, fühlte sich Ho Chi Minh an dieses gebunden und war bereit, es loyal zu erfüllen: Für die DRV waren das innere Angelegenheiten, in die man sich nicht einmischen sollte. Erst 1960, nach drei Jahren eines brutalen Kampfes mit einem von den USA unterstützten Diem, rief Ho Chi Minh zur Aufnahme des bewaffneten Kampfes in Südvietnam auf![41] Aber auch danach blieb die Hilfe Hanois mehr als bescheiden: Das Pentagon enthüllte, das von all jenen Waffen, die zwischen 1962 und 1964 der FNL abgenommen wurden, nur 179, also weniger als ein Prozent, weder selbst hergestellt waren noch aus amerikanischer Produktion stammten, im besten Fall also aus Nordvietnam stammen konnten![42]

Im Gegensatz dazu pumpten die USA Hilfe nach Südvietnam. 1963 wurde ein buddhistischer Aufstand brutal niedergeschlagen, die Basis Diems schmolz dahin, sodass sich schließlich auch die USA zu einer Neugruppierung der Kräfte gezwungen sahen. Am 1. November 1963 wurde Diem in einem von den USA abgesegneten Coup abgesetzt und umgebracht, eine nicht weniger brutale Diktatur folgte, die nun allerdings die buddhistische Opposition miteinschloss, um die Basis des Regimes wieder zu verbreitern. Ein Generalstreik in Saigon brachte den Sturz der Regierung, zeigte aber auch die Kampfkraft des städtischen Proletariats. Bis Mitte 1965 wurden in Südvietnam neun Regierungen verbraucht, ohne dass eine Stabilisierung erfolgt wäre, sodass sich die USA zu einem drastischen Schritt entschlossen: Juni 1965 wurde eine offene Militärdiktatur im Süden errichtet. Und bereits am 7. Februar 1965 begannen die USA mit den Luftangriffen auf Nordvietnam – der Anlass dazu, eine militärische Provokation, wurde vom CIA selbst organisiert.

Parallel dazu hatten die USA die Militärpräsenz Schritt für Schritt erhöht: Beginnend mit Militärberatern ab 1954, wurden 1961/62 die ersten größeren Kampfverbände ins Land gebracht, ab 1964/65 griffen die USA aktiv in die Kämpfe ein. Die Anzahl der Truppen wurde rasch erhöht: 1964 waren 25.000 Mann stationiert, Mitte 1965 125.000, 1966 schon 400.000 und 1968 wurde mit etwa 525.000 Mann der Höchststand erreicht. Neben amerikanischen Truppen wurden ab 1965 auch Kontingente aus Südkorea, Australien, Neuseeland, Thailand und den Philippinen eingesetzt. Doch trotz dieser Eskalation gelang es nicht, die Befreiungsbewegung zu ersticken.

Von der Tet-Offensive zur Wiedervereinigung

Im Gegenteil: Die große Offensive von 1968, die „Tet-Offensive“, in deren Verlauf sogar die alte Kaiserstadt Hué erobert und für längere Zeit gehalten wurde, zeigte den Widerspruch zwischen dem großen Materialeinsatz der USA und deren letztendlichem Unvermögen, den Volkswiderstand zu besiegen. Die USA wurden an den Verhandlungstisch in Paris gezwungen, ohne dass die Kriegshandlungen eingestellt wurden – zunächst wurden Verhandlungen zwischen Nordvietnam und den USA aufgenommen, später wurde auch die südvietnamesische FNL und die Vertreter der Saigoner Regierung hinzugezogen.

Es war genau die Phase, in der sich die Weltöffentlichkeit gegen die USA zu wenden begann. Massaker wie die von My Lai, in dem die US-Truppen ein ganzes Dorf ausrotteten, die Flächenbombardements, die Entlaubungsaktionen mit starken Giften wie Agent Orange, aber auch der Widerstand innerhalb der US-Army gegen den Krieg, und das alles vor dem Hintergrund eines heroischen Widerstandskampfes – das machte den Vietnam-Krieg zu einem entscheidenden Mobilisierungsfaktor der 68er-Bewegung. Die Bewegung gegen den Vietnam-Krieg wurde ein integraler Bestandteil nicht nur der Friedensbewegung, sondern der Bewegung von 1968 im allgemeinen. Der Schock saß tief in den imperialistischen Zentren, als bei Demonstrationen etwa in der Bundesrepublik Deutschland, in der die Abwehr des Kommunismus ein Herzstück des staatlichen Selbstverständnisses darstellte, Bilder von Ho Chi Minh überall präsent waren und die Ho-Ho-Ho Chi Minh-Rufe durch die Straßen hallten.

Doch trotzdem kann der politische Charakter der FNL, im landläufigen Sinn Europas eher unter Viet-kong bekannt, genauso wenig ausgeblendet werden wie der stalinistische Charakter der Demokratischen Republik Vietnam. Die Tet-Offensive unterstrich die politische Strategie der FNL. Diese war wie ihr Vorläufer, der Viet-minh, von den Stalinisten dominiert und hatte die militärische Strategie des chinesischen Maoismus übernommen. Das Schwergewicht lag auf der Bauernbewegung, während dem städtischen Widerstandskampf eine nur untergeordnete Hilfsfunktion zugeordnet wurde. Die Städte sollten – ganz im Sinne der Mao-stalinistischen Doktrin – vom Land eingekreist und schließlich die Zentren von der Peripherie erobert werden. Damit aber wurden die städtischen Massen und vor allem das städtische Proletariat zu passiven Zuschauern des auf dem ländlichen Kriegsschauplatz ablaufenden Kampfes degradiert, die Strategie der FNL wurde von militärischen Erfordernissen und nicht von politischen Erwägungen bestimmt. Das verbindende Glied zwischen militärischer Strategie und politischer Basis dieses Kampfes hätten die proletarischen Kämpfe in den Städten sein können, die auch in dieser Phase niemals völlig zum Erliegen kamen, wofür schon die brutale Repression und die schlechten Lebensbedingungen großer Teile des Proletariats sorgten.

Dass die FNL nicht proletarische Kämpfe zum Herzstück des Widerstandskampfes machen wollte, war natürlich kein Zufall, denn das 10-Punkte-Programm der FNL unterschied sich im Charakter nicht von dem des Viet-minh. Pate stand dem ein Etappenkonzept, das die Revolution strikt auf eine nationaldemokratische Stufe begrenzte und nicht mit den Mitteln von Übergangslosungen die tagtäglichen Kämpfe aufgriff und zum Kampf gegen den Kapitalismus überleiten wollte – im Gegenteil: Die FNL war nicht bereit, die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse anzutasten. Während der FNL damit der Zugang zu den städtischen proletarischen und halbproletarischen Milieus erschwert wurde, konnte sie sich immer stärker auf die Bauernschaft stützen. Die sich daraus direkt ableitende ländliche Guerillastrategie war die Basis dafür, dass trotz der nur geringen militärischen Hilfe von Hanoi, von Moskau, Peking und deren Verbündeten der Krieg über lange Jahre durchgehalten werden konnte.

Während die USA die Verhandlungen, die in Paris stattfanden, hinauszuzögern trachteten, bereitete die FNL die Ausrufung einer selbständigen Republik Südvietnam im Juni 1969 vor, die von einer Provisorischen Revolutionären Regierung geführt wurde. Inzwischen wurde immer klarer, dass die USA den Krieg nicht mehr zu ihren Gunsten entscheiden konnten. Die USA versuchten dem Krieg aber noch eine neue Wendung zu geben: Einerseits sollten die Kampfhandlungen auf Laos und Kambodscha ausgedehnt werden, zweitens sollte der Krieg mit der Nixon-Doktrin wieder stärker in die Hände Vietnams gelegt werden, um die USA zu entlasten (die Moral der amerikanischen Truppen war niedrig wie noch nie zuvor – siehe dazu den entsprechenden Kasten in diesem Artikel), und drittens sollte – parallel dazu – durch einen langsamen, geordneten Truppenrückzug der Druck der Antikriegsbewegung, die auch in den USA selbst immer stärker wurde, verringert werden. Die Invasionen in Kambodscha (1970) und Laos (1971) wurden ein völliger Misserfolg und brachten keine Entlastung des eigentlichen Kriegsschauplatzes, nämlich Südvietnam.

Eine neue Eskalation begann im Frühjahr 1972, als die USA auf die zunehmenden Erfolge der FNL in Südvietnam mit einer verstärkten Aggression gegen Nordvietnam antworteten: Häfen und Flussmündungen wurden vermint, Flächenbombardements sollten die Moral der Bevölkerung brechen.[43] Das Ergebnis war eine Verschärfung der internationalen Kritik, ohne dass die USA unmittelbar verwertbare militärische Erfolge vorzuweisen gehabt hätten. Schließlich wurden die USA im Jänner 1973 zum Abschluss des Pariser Abkommens über die Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung des Friedens in Vietnam gezwungen. International garantiert durch die nachfolgende Vietnamkonferenz (26.2.-2.3.1973 in Paris), bedeutete dies den sofortigen Abzug der US-Truppen, die Einstellung aller Kampfhandlungen und die Zusage, dass das Vietnamproblem nicht mehr auf den Kriegsschauplätzen, sondern in internationalen Konferenzsälen gelöst werden sollte. Aber auch Nordvietnam war auf eine Atempause angewiesen, da die amerikanischen Bombardements zu furchtbaren Zerstörungen geführt hatten.

Das Problem dieses Abkommens war aber gleich ein mehrfaches: Einerseits wurde die Legitimität der südvietnamesischen Regierung anerkannt, die nun von General Thieu geleitet wurde, zum zweiten aber erlaubte dieses Abkommen den USA, ohne übergroßen Gesichtsverlust das direkte Vietnam-Engagement zu beenden (allerdings blieben US-Militärberater noch im Süden) – Nixon und Kissinger konnten sich nun plötzlich sogar als Friedensstifter präsentieren. Die FNL lancierte in der Folge Friedenspläne und Kompromissangebote, die allerdings von der Regierung in Saigon unbeachtet blieben.

General Thieu nahm nun sogar mit Unterstützung der im Lande verbliebenen US-Militärberater die Kampfhandlungen wieder auf, sodass im Juli 1974 der dritte Indochinakrieg begann. Doch die Basis für das südvietnamesische Regime war nicht mehr groß genug, um einem neuerlichen Krieg eine positive Wendung zu geben. Das von Thieu gehaltene Territorium schmolz in blutigen Kämpfen dahin, sodass eine schwere wirtschaftliche und politische Krise um die Jahreswende 1974/1975 in einen Volksaufstand gegen Thieu umzuschlagen begann. Von März bis April wurde im Zusammenwirken von FNL und Nordvietnam ganz Südvietnam befreit, Thieu musste am 21. April 1975 zurücktreten und setzte sich ins Ausland ab. Und wieder suchten die Stalinisten einen Kompromiss, der Nachfolger Thieus, General Minh, wurde eingeladen, in Saigon in einer Koalitionsregierung mit der FNL an der Macht zu bleiben! Die Strategie der FNL bedeutete nichts anderes als den Versuch einer Rückkehr zum Genfer Indochinaabkommen von 1954. Doch General Minh blieb unversöhnlich, sodass am 30. April von den Kräften der FNL/DRV Saigon überrannt wurde – die letzten US-Militärberater stürmten in Panik zu den Hubschraubern und verließen fluchtartig die Stadt. Bis 1973 (also ohne den dritten Indochinakrieg!) waren in Vietnam ca. 1,17 Millionen Soldaten gefallen, darunter 56.000 Gis. Unter der Zivilbevölkerung gab es mindestens 800.000 Todesopfer – insgesamt wurden 7,1 Millionen Tonnen Bomben abgeworfen – dreimal so viel, wie auf allen Kriegsschauplätzen des Zweiten Weltkriegs zusammen.

Die mit dem Norden 1955 unterbrochenen Verbindungen wurden nach Kriegsende offiziell wiederhergestellt, der Neuaufbau der Wirtschaft wurde begonnen und Saigon erhielt den neuen Namen Ho-Chi-Minh-Stadt. Die stalinistische Machtübernahme in Südvietnam verlief nun nach einem ähnlichen Schema wie in Osteuropa, China und Nordvietnam. Die Machtübernahme bedeutete trotz des Zusammenbruchs der gegnerischen Armee eben nicht das Ende kapitalistischer Ausbeutung. Eine der ersten Radio-Ankündigungen der neuen Machthaber nach dem Fall von Saigon war ein Aufruf an die Arbeiter Saigons, die mit einem Ausstand die Niederlage der Regierung und die Übergabe der Stadt beschleunigt hatten, sofort wieder an die Arbeit zurückzukehren. Die Entscheidung, den Kapitalismus nicht anzutasten, wurde mit der Notwendigkeit gerechtfertigt, die für den Wiederaufbau der Wirtschaft dringend benötigte 3,25-Milliarden-Dollar-Hilfe von Frankreich und den USA abzusichern. Als die Stalinisten aber zur Kenntnis nehmen mussten, dass die imperialistischen Mächte genügend Vorwände fanden, um die versprochene Hilfe zurückzuhalten, blieb ihnen aber dann auch in Südvietnam nichts anderes übrig, als in einer bürokratischen sozialen Revolution die ökonomische Basis des Südens an die des Nordens von Vietnam anzugleichen. Im November 1975 fand in Ho-Chi-Minh-Stadt die Konsultativkonferenz zur Wiedervereinigung Vietnams statt. Am 25. April 1976 wurde mit der Vereinigung der beiden Landesteile auf politischer Ebene ein Schlussstrich unter die Teilung des Landes gezogen, die ökonomische Assimilation des Südens an den Norden fand ihren Ausdruck in den Enteignungen der Kapitalisten und Großgrundbesitzer, der Einführung des sowohl für den Norden als auch für den Süden gültigen Fünfjahresplans im Sommer 1976 und schließlich in den Hilfsprogrammen von China und anderer degenerierter Arbeiterstaaten ab 1976.

Damit fanden drei Jahrzehnte von Revolution und stalinistischem Verrat in Vietnam ihr Ende, die mit dem Aufstand in Saigon und der Zerschlagung der proletarischen Vorhut begonnen und mit einer stalinistisch dominierten bürokratischen Umwälzung geendet hatte. Dazwischen lagen dreißig Jahre des blutigen Kampfes, dreißig Jahre der Zerstörung der Lebensgrundlagen der vietnamesischen Bevölkerung und dreißig Jahre Krieg, der mit allen Mitteln geführt wurde – bis hin zur bewusst herbeigeführten ökologischen Katastrophe, die die FNL der Basis berauben sollte und unter der das Land auch noch nach Jahrzehnten zu leiden haben wird.

Die konkrete Form des Endes der vietnamesischen Revolution im Jahr 1976, die von oben ohne eine genuine Arbeiterbewegung mit revolutionärem Klassenbewusstsein zu einem staatlich verordneten Abschluss geführt wurde, ist auch einer der Gründe dafür, dass heute, noch einmal ein knappes Vierteljahrhundert später, das vietnamesische Proletariat keine Resistenz gegenüber den Plänen der stalinistischen Bürokratie aufweist, im Land wieder die kapitalistische Produktionsweise zu restaurieren.

Diese dreißig Jahre einer vietnamesischen Revolution waren aber auch ein Beispiel dafür, dass ein Land trotz stalinistischen Verrats und einer auf Kompromiss ausgerichteten Politik zum Symbol des unbeugsamen Widerstandes gegen den Imperialismus und dessen Politik werden konnte. Vietnam war 1968 ein wesentlicher Mobilisierungsfaktor einer Bewegung, die das Zuendegehen des Nachkriegsbooms und dessen bleiernen politischen Background begleitete. Das werden wir, trotz aller Kritik an der Politik der bürokratischen Führung der Widerstandsbewegungen, niemals vergessen. Aber das Land hat sich diesen Ruhm schwer erkaufen müssen.

Der Text von Manfred Scharinger erschien 1998 in Marxismus Nr. 13 „Revolutionen nach 1945“.

Anhänge:

Die Position der Volkskomitees in der Revolution von Saigon

„Im Süden Vietnams (Nam Bó) wurden im Verlauf von drei Wochen unter dem Einfluss der Internationalistischen Kommunistischen Liga mehr als 150 Volkskomitees gegründet. Einhundert von ihnen in Saigon-Cholon waren vornehmlich proletarisch. Ein provisorisches Zentralkomitee, der höchste Repräsentant der Volkskomitees, das zuerst aus 9 Mitgliedern, später aus 15 bestand, wurde nach dem 21. August gebildet. Sein unabhängiges Hauptquartier wurde von bewaffneten Arbeitern bewacht. Dorthin kamen Volksdelegierte verschiedener Tendenzen, um zu diskutieren und die Probleme der Revolution zu studieren. Am 26. August kamen die Delegierten der Bevölkerung von Saigon-Cholon in einer Generalversammlung zusammen und beschlossen ihr gemeinsames Programm, das folgendermaßen zusammengefasst werden kann:

1.            Indem wir anerkennen, dass die Indochinesische Revolution eine antiimperialistische Revolution ist, bestehen wir darauf, dass die nationale Bourgeoisie vollständig unfähig sein wird, die Rolle der revolutionären Avantgarde zu spielen. Nur die Volksallianz von industriellen und ländlichen Arbeitern wird in der Lage sein, die Nation von der Herrschaft fremder Kapitalisten zu befreien.

2.            Die Volkskomitees sind der konkreteste Ausdruck der Allianz der revolutionären Klassen. Sie proklamieren daher die Notwendigkeit eines Zusammenschlusses von Proletariat und Bauernschaft unter der Führung der Volkskomitees.

3.            In Bezug auf die bürgerliche Regierung und alle politischen Parteien wollen die Volkskomitees komplette politische Unabhängigkeit bewahren.

4.            Die Volkskomitees anerkennen nur das Zentralkomitee, gewählt unter den Prinzipien des demokratischen Zentralismus, als ihr höchstes Organ.

5.            Die Volkskomitees gehen davon aus, dass nur sie allein die reale Basis der Macht des revolutionären Volkes sind. Ihre höchste Autorität wird die nationale Versammlung der Delegierten aller Volkskomitees, welche in Saigon in naher Zukunft stattfinden wird, sein.

6.            Die Volkskomitees bestehen auf der Notwendigkeit des Aufbaus einer einzigen revolutionären Front gegen den Imperialismus, weisen aber kategorisch alle Handlungen, von welcher Seite auch immer, zurück, die darauf abzielen, die Freiheit der Aktion der Arbeiterklasse und der Volksmassen zu sabotieren.“

(Lu Sanh Hanh: Some Stages of the Revolution in the South of Vietnam. – in: Revolutionary History 1990/vol.3/Nr.2, S. 42; unsere Übersetzung)

Die Zersetzung der US-Armee im Vietnamkrieg

Nach einer von US-Präsident Richard Nixon in Auftrag gegebenen Umfrage waren nur 40% der in Vietnam eingesetzten GIs für die militärische Führung zuverlässig: 30% standen dem Militär kritisch gegenüber, 20% leisteten passiven Widerstand, 10% waren aktive Vietnamkriegs- und Armeegegner. Ab 1969/1970 waren die US-Truppen für alles andere als die direkte Selbstverteidung unbrauchbar.

1969 desertierten nach Angaben des Pentagon 56.000 Mann, 1970 66.000, 10% der Armee entfernten sich unerlaubt von der Truppe, 12.000 bis 15.000 US-Soldaten wechselten die Seiten und brachten Vietkong und DRV detailliertes Wissen über die Handhabung erbeuteter Waffen und die bevorstehenden Einsätze. Die FNL war durchwegs 24 Stunden vor Bomberflügen über Umfang und genaue Ziele informiert und verfügte damit über Infos, die nicht einmal der südvietnamesischen Armee vom US-Oberkommando mitgeteilt wurden. Besonders beängstigend war für die Armee-Führung das fragging, die Tötung von Offizieren und Unteroffizieren durch die Mannschaft. Insgesamt dürften auf diese Weise 9.000 Mann Kaderpersonal von GIs getötet worden sein. Der Tod von Offizieren wurde in Feldlagern und Truppenkinos mit Jubel aufgenommen, es gab Prämien (meist zwischen 50 und 100 Dollar), die auf den Kopf von Vorgesetzten ausgesetzt wurden. Für den Tod von Colonel Weldon Honeycutt wurde in „GI says“ (einer von ca. 50 GI-Untergrundzeitungen) öffentlich 10.000 Dollar geboten.

Schwarze GIs bildeten häufig den harten Kern der subversiven Gruppen in der US-Armee, nicht zufällig, war doch die rassistische Unterdrückung in der US-Army deutlich spürbar. Mit zunehmender Dauer des Krieges trugen viele schwarze GIs Plaketten mit dem Black-Power-Zeichen, der geballten schwarzen Faust, oder, wie auch viele weiße GIs, ein rotes Halstuch – ein Zeichen für den Vietkong, dass man nur im äußersten Notfall gegen ihn kämpfen wolle. Auch in den USA wurde der Krieg unter den Soldaten immer unpopulärer: Bei einer Demonstration zehntausender Zivilisten vor Ford Dix mussten die Soldaten eingesperrt werden, um eine Solidarisierung zu verhindern.

All das sind nur einige wenige Beispiele für den moralischen Bankrott der US-Army, der stärksten imperialistischen Armee der Welt. Gerade dieser Zusammenbruch war neben der weltweiten Antikriegsbewegung und natürlich der heroischen Kampfbereitschaft Vietnams ein wesentliches Element für die letztendliche Niederlage des Imperialismus und seiner Marionetten in Indochina.

Angaben nach: Eric (Wegner): Die Zersetzung der US-Armee im Vietnamkrieg. – in: intakt, Nr 5, herbst 1993, S. 4f.


[1] Es soll hier bewusst nicht auf die Diskussion um die asiatische Produktionsweise eingegangen und statt dessen – durchaus vereinfachend und in Analogie zu europäischen Verhältnissen – mit dem Begriff feudale Verhältnisse operiert werden.

[2] Le Duan: On the Socialist Revolution in Vietnam, Vol 1. – Hanoi 1963, S. 64 – Übersetzt in: Michael Löwy: Revolution ohne Grenzen. Die Theorie der permanenten Revolution. – Frankfurt/Main 1987, S. 127

[3] Le Duan, a.a.O. S. 63, zitiert nach Löwy, S. 127 f.

[4] So hatte es etwa im Programm der Indochinesischen Kommunistischen Partei von 1932 noch geheißen, dass die Revolution ein ununterbrochener Prozess sei, in der die antiimperialistische Revolution nahtlos in die sozialistische Revolution übergehen würde: „Mit Hilfe der antiimperialistischen und der Agrarrevolution wird die Kommunistische Partei die revolutionären Massen beim Kampf für den Übergang zum Sozialismus anführen.

[5] Zur VNQDD, die hier nur kursorisch behandelt werden kann, siehe auch „Vietnam“ in: Dunn, John: Moderne Revolutionen. Analyse eines politischen Phänomens – Stuttgart 1974. John Dunn legt übrigens die Gründung der VNQDD auf 1927.

[6] Ho Chi Minh: Dreißig Jahre Partei der Werktätigen Vietnams. – Reden und Schriften. Leipzig 1980, S. 263

[7] Le Duan, a.a.O. S. 70, zitiert nach Löwy, S. 134

[8] siehe dazu auch unsere Publikation: Dannat, Anton: Trotzkismus in Frankreich 1924-1939; Marxismus Nr. 11, S. 92f.

[9] Einen guten Überblick über die trotzkistische Bewegung in Vietnam, aus dem auch ein großer Teil der diesbezüglichen Informationen dieses Artikels stammt, bietet Revolutionary History, Volume 3, Nr. 2, Autumn 1990

[10] Ngo Van: The Fight For The Fourth International in Indochina 1930-1945; zitiert nach: LRCI: Trotskyist International Nr. 17, S. 40

[11] zitiert nach Löwy, a.a.O., S. 130

[12] siehe dazu: Revolutionary History 3/2 (1990), S. 21

[13]Ngo Van Xuyet: On Vietnam. – in: Revolutionary History 3/2 (1990), S. 21

[14] Von der stalinistischen Geschichtsschreibung wird natürlich systematisch die Stärke und der reale Einfluss der KP-dominierten Befreiungsbewegungen übertrieben – siehe dazu als Beispiel etwa den Abschnitt zu Vietnam der in der DDR 1981 erschienenen 2-bändigen Kleine Enyklopädie Weltgeschichte – Leipzig 1981; Band 2, S. 458 ff. Ohne den Opfermut und den Heroismus der Kämpfer auch nur im geringsten schmälern zu wollen, müssen doch die Stärke der Verankerung unter den Massen, die Organisiertheit der Volksbefreiungsarmee und die Bedeutung der militärischen Aktionen zur Schwächung des japanischen Imperialismus gegenüber der stalinistischen Hofberichterstattung relativiert werden.

[15] Die Kapitulation der japanischen Truppen in Indochina erfolgte am 15. August, die Kapitulation des Japanischen Kaiserreiches erst am 2. September 1945.

[16] In der stalinistischen Geschichtsschreibung firmieren diese Aktionen als „Augustrevolution“ in Hanoi (19.8.1998). Nicht zufällig wird etwa von der Kleinen Enzyklopädie Geschichte, die in der DDR publiziert wurde, diese Revolution in Hanoi gewürdigt, während die revolutionären Ereignisse in Saigon, die ihrem Umfang nach und in ihrer Bedeutung ungleich wichtiger waren, aber nicht unter ungebrochener stalinistischer Kontrolle standen, in ihrer Bedeutung heruntergespielt werden! Vergl. dazu Kleine Enzyklopädie a.a.O. Bd. 2, S. 461 und 465

[17] Die Kräfteverhältnisse können durch einen Vergleich der Auflage von Tageszeitungen recht gut illustriert werden: Die größte bürgerlich-nationalistische Publikation hatte eine Auflage von 6.000 Exemplaren, während Tranh Dau, die täglich in annamitischer Sprache erscheinende Publikation der La Lutte-Gruppierung (nach dem Ausscheiden der Stalinisten 1937 von den Trotzkisten dominiert) auf ca. 15.000 täglich verkaufte Exemplare kam. Auch die andere trotzkistische Gruppierung, die Internationalistische Kommunistische Liga, hatte eine Tageszeitung, Der Funke. Zahlen nach: Trotskyist International, Nr. 17, S. 41

[18]Ngo Van Xuyet: On Vietnam. – in: Revolutionary History 3/2 (1990), S. 23

[19] die beiden Gruppen waren La Lutte mit ihrem Führer Ta Thu Thau und die Internationalistische Kommunistische Liga, Nachfolgerin der Gruppe Oktober, die eine Tageszeitung, Der Funke, produzierte und eine größere Rolle in den Volkskomitees spielte.

[20] Ngo Van Xuyet: On Vietnam. – in: Revolutionary History 3/2 (1990), S. 23

[21] Workers Power / Irsih Workers Group: The degenerated Revolution. The origins and nature of the Stalinist states. – London 1982, S. 60

[22] Wir folgen in der Datierung nicht Ngo Van Xuyet (Revolutionary History S. 24.), sondern Ngo Van: The Fight For The Fourth International in Indochina 1930-1945. London 1995

[23] Gracey sollte sich rückblickend rühmen, er sei „vom Vietminh bei seiner Ankunft willkommen geheißen worden. Ich habe sie umgehend hinausgeworfen.“ – zitiert nach: Trotskyist International, Nr. 17, S. 41

[24]Ngo Van Xuyet, On Vietnam – in: Revolutionary History 3/2 (1990), S. 24

[25] in der Schilderung des Aufstandes folgen wir weitgehend Ngo Van Xuyet, On Vietnam – in: Revolutionary History 3/2 (1990), S. 24ff.

[26] ebenda, S. 25

[27] ebenda, S. 25

[28] Trotskyist International, Nr. 17, S. 41

[29] In diesem Zusammenhang sei noch darauf verwiesen, dass auch in anderen Teilen Vietnams die Trotzkisten über zum Teil beträchtliche Verankerung verfügten. So agierte der Allgemeine Studentenbund in Hanoi unter trotzkistischer Führung, auf dessen Initiative übrigens die Abdankung des Kaisers Bao Dai zugunsten des Viet-minh zurückzuführen war. Dass die Stalinisten den Kaiser dann aber als Berater akzeptierten, ist eine andere Sache…

[30] Weg und Ziel (theoretisches Organ der KPÖ), 5/1954, S. 400

[31] ebenda, S. 400f.

[32] E. Hammer, The Struggle for Indo-China, Stanford 1954, S. 183

[33] Weg und Ziel, 5/1954, S. 400

[34] Löwy weist in seinem bereits mehrfach zitierten Werk darauf hin, dass die meisten offiziellen Werke über die Geschichte Vietnams es vorzogen, diese peinliche Episode der Selbstauflösung einfach zu ignorieren. – Löwy a.a.O. S. 129. Parallel zur Wiederbegründung der KP wurde auch der Viet-minh mit der Lien-Viet, einer zweiten, 1946 gegründeten nationalen Front, verschmolzen.

[35] Weg und Ziel, 5/1954, S. 400. Dass wir uns, was die Positionen der KPÖ zu Indochina betrifft, immer wieder auf den einen bewussten Artikel „Indochina – ein Überblick“ von Otto Langbein stützen, liegt nicht in einer selektiven Wahrnehmung unsererseits begründet, sondern schlicht und ergreifend darin, dass in Weg und Ziel bis Mitte der 50er Jahre nur wenige längere Arbeiten zu diesem Thema erschienen (der zweite Artikel findet sich in 1951/Heft 2: Indochina und die Krise des Kolonialsystems, S. 125 ff.)

[36] Wir folgen hier in den letzten Abschnitten dieser Arbeit im wesentlichen: Indo-China’s long revolution: a history of war, compromise and betrayal. in: WP/IWG: The degenerated revolution. – London 1982, S. 61

[37]  ebenda, S. 62

[38] Löwy, a.a.O., S. 131

[39] zur politischen Einschätzung siehe WP/IWG: The degenerated revolution. – London 1982, S. 62

[40] Zahlen und Angaben aus: WP/IWG: The degenerated revolution. – London 1982, S. 62

[41] Klarerweise verlegt die bereits mehrfach als Zeuge stalinistischer Geschichstschreibung dienende Kleine Enzyklopädie den „Beginn des organisierten Kampfes gegen Diem“ auf 1960 – a.a.O. S. 462

[42] WP/IWG: The degenerated revolution. – London 1982, S. 63

[43] Allein in dieser Phase wurden über Nordvietnam mehr Bomben abgeworfen als im gesamten Zweiten Weltkrieg. Zwischen Mai und Oktober 1972 verloren die USA durch Abschüsse mehr als 500 Bombenflugzeuge.