"Globalisierung" ist in den letzten Jahren ein Modewort geworden. Es kommt auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen genauso vor wie in den Führungsstäben der großen Konzerne und auf den Finanzmärkten. Es wird in Firmenberichten genauso verwendet wie in den Reden verschiedenster Politiker/innen. Es ist an den Universitäten ebenso gebräuchlich wie in Betriebsratsversammlungen. Und überall wird es benutzt, um auszusagen, daß sich die kapitalistische Weltwirtschaft in einer neuen Epoche befinde, daß sich das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Staat grundlegend verändert habe und daß sowohl Regierung als auch Arbeiter/innen dieser Entwicklung machtlos gegenüberstünden.
Dieser Konsens wird besonders von den neoliberalen Proponent/inn/en des Freien Marktes formuliert. Sie betonen, daß die neue Weltordnung jeden Versuch ausschließe, das System durch keynesianistische oder staatskapitalistische Eingriffe zu regulieren – ganz zu schweigen von sozialistischen. Solche Versuche würden lediglich zu ökonomischer Rückständigkeit führen. Auf diese Weise werden nicht nur weitreichende Veränderungen ausgeschlossen, sondern auch die zartesten Reformen und letztlich auch jede Verteidigung von Lohnniveaus und Arbeitsbedingungen. Wenn die Arbeiter/innen nicht realistisch und flexibel seien oder gar Forderungen stellen, würden die Firmen einfach ihre Sachen zusammenpacken und in andere Länder oder Regionen gehen. Wenn Regierungen nicht ausreichend wirtschaftsfreundlich seien, würden neue Investitionen eben in andere Teile der Welt fließen. Das einzige, das getan werden kann, sei eine Politik, die die Beschäftigten eines Landes produktiver und kostengünstiger mache als überall sonst in der Welt, eine Politik, mit der eine Regierung die anderen mit Produktivitätsgarantien überbietet. Diese Weisheiten dienen den heute vorherrschenden neoklassischen Ökonom/inn/en auch zur Untermauerung ihrer Erklärung der wachsenden Kluft zwischen den Einkommen der Oberschicht und denen der Masse der Bevölkerung. Die Wohlhabenden – so wird behauptet – würden für Kenntnisse belohnt, nach denen Nachfrage bestünde, während die Arbeiter/innen dafür den Preis bezahlen, daß ihre Fähigkeiten am Weltarbeitsmarkt leicht ersetzt werden könnten.
Im Sog des neoliberalen Mainstreams befinden sich die Führungen der sozialdemokratischen Parteien – und auch Teile der Linken ergeben sich ratlos den angeblichen Sachzwängen des Weltmarktes. Der Konsens über die "Globalisierung" ist ideologisch so dominant geworden, daß diejenigen, die die Logik des Weltsystems in Frage stellen, nicht selten als rückwärtsgewandte Hinterwäldler dargestellt werden. Das ist für Revolutionäre insofern eine etwas abartige Situation, da wir schließlich bis vor gar nicht so langer Zeit von der vorherrschenden Ideologie wegen unserer Betonung der Macht des internationalen Kapitals attackiert worden sind.
Immerhin hat aber in den letzten Jahren – in Zusammenhang mit der Diskussion über die "Globalisierung" – auch eine kritische Debatte über die Entwicklung der kapitalistischen Weltwirtschaft begonnen. Das organisierte Hurrageschrei nach dem sogenannten Zusammenbruch des Kommunismus ist verhallt und sowohl einige Linke als auch ein paar Bürgerliche machen sich halbwegs ernsthafte Gedanken über die Zukunft. Die Literatur zum Thema ist mittlerweile so umfangreich, daß sie in der Gänze nicht mehr leicht zu bewältigen ist. Wir haben hier deshalb nach bestimmten Kriterien eine Auswahl an Büchern vorgenommen, die wir unseren Leser/inne/n vorstellen – inklusive der entsprechenden Kritik, versteht sich.
Den Anfang macht die Globalisierungsfalle von Hans-Peter Martin und Harald Schumann, deren journalistisch geschriebene, überblicksmäßige populäre Darstellung von Tendenzen in Wirtschaft und Politik zum Bestseller wurde: Übersetzung in zwanzig Sprachen, weltweit 250.000 Exemplare verkauft. Aufgrund der Breitenwirkung dieses Buches und aufgrund des weitgehenden Gleichklanges mit den Positionen von Teilen der Gewerkschaften ist eine Auseinandersetzung damit von marxistischer Seite sinnvoll. Wir drucken deshalb hier erneut einen Text von Julia Masetovic und Eric Wegner ab, in dem es vor allem um die Ursachen der Durchsetzung des Neoliberalismus und um das von Martin/Schumann vorgeschlagenen Alternativkonzept geht (und weniger um die theoretische Analyse der aktuellen ökonomischen Prozesse) und den wir bereits seit einigen Monaten sehr erfolgreich als AGM-Flugschrift Nr. 4 auf Demonstrationen und politischen Veranstaltungen vertreiben.
Der zweite Text, mit dem wir uns auseinandersetzen, ist der Essay Mythos Weltmarkt von Robert Misik. Diese Arbeit, die sich weniger mit ökonomischen als mit politisch-ideologischen Aspekten beschäftigt, hat zwar nicht die Verbreitung wie die von Martin und Schumann. Sie ist aber aufgrund von Misiks Vergangenheit in der österreichischen radikalen Linken in diesem Milieu auf Aufmerksamkeit gestoßen, was eine Auseinandersetzung damit rechtfertigt – zumal die von Misik kredenzte ideologische Mixtur aus in der kleinbürgerlich-akademischen Linken weitverbreiteten Vorstellungen besteht. Dementsprechend ist Eric Wegners Auseinandersetzung mit Misiks Arbeit auch überwiegend auf der Ebene der politisch-ideologischen Ebene angesiedelt.
Die Arbeit von Paul Hirst und Grahame Thompson, Globalization in Question, stellt auf ökonomischer und empirischer Ebene den Globalisierungskonsens in Frage und ist so – trotz der reformistischen Schlußfolgerungen der Autoren – in den englischsprachigen Ländern zu einem wichtigen Bezugspunkt für die radikale Linke geworden. In der von Julia Masetovic verfaßten Auseinandersetzung mit dieser Arbeit steht deshalb auch die theoretische Einschätzung der Entwicklungen im internationalen Kapitalismus im Vordergrund.
Ebenfalls um die theoretische Verarbeitung der vor sich gehenden ökonomischen Prozesse geht es bei der Arbeit von Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf, Grenzen der Globalisierung. Trotz seines reichlich akademischen Jargons dürfte das Buch aufgrund der Bekanntheit von Altvater in der theoretisch interessierten deutschsprachigen Linke einige Beachtung gefunden hat, weshalb eine Auseinandersetzung von marxistischer Seite her Sinn macht. Martin Jakob arbeit heraus, daß Altvater/Mahnkopf zwar einige Phänomene treffend beschreiben, daß sie aber die Entwicklung theoretisch nicht in den Griff bekommen und daß ihre Schlußfolgerungen völlig inadequat sind.
Den Abschluß macht schließlich Der nationale Wettbewerbsstaat von Joachim Hirsch. Der Autor, der von der sogenannten RegulationstheorieEric Wegner arbeitet heraus, daß zwischen den theoretischen Konzepten der Regulationsschule, Hirschs Analyse der aktuellen Entwicklung und seinen reformistischen Schlußfolgerungen ein logischer Zusammenhang besteht. ausgeht und der sich in Teilen der deutschen radikalen Linken einiger Beliebtheit erfreut, versucht – ohne eine eigene ökonomische Untersuchung vorzulegen – eine theoretische Einschätzung des "postfordistischen" Kapitalismus.
Der Schwerpunkt dieser Nummer von Marxismus – die Auseinandersetzung mit der Globalisierungsdebatte – wird durch eine Reihe zusätzlicher Beiträge ergänzt. Peter Haumer liefert einen kurzen historischen Überblick über die Entwicklung der Roten Gewerkschaftsinternationale (RGI), mit dem er – gerade angesichts der Perspektivlosigkeit des gegenwärtigen dominanten "Standortdenkens" – versucht, die Erfahrungen dieses internationalen Zusammenschlusses von Gewerkschaftern wieder etwas breiter bekannt zu machen. Dazu kommen Rezensionen, die sich überwiegend mit Publikationen zur Geschichte des deutschen Trotzkismus beschäftigen. Das wiederum steht auch in Zusammenhang mit dem dritten Teil unserer Auseinandersetzung mit der Geschichte des Trotzkismus in Österreich: Nach einem ersten Band der Analyse der Entwicklung von den 20er Jahren bis heute (Marxismus Nr. 9) und einem zweiten Band mit Interviews (Marxismus Nr. 10) veröffentlichen wir nun Ergänzungen und Diskussionsbeiträge.
Abschließend sei auch explizit darauf hingewiesen, daß wir uns darüber freuen würden, wenn sich unsere Leser/innen weiterhin an Diskussionen – besonders etwa zur Globalisierungsdebatte oder zur Geschichte des österreichischen Trotzkismus – beteiligen.
Julia Masetovic
Die Globalisierungsdebatte
Ein marxistischer Leitfaden durch eine widersprüchliche Diskussion
Inhalt
Editorial (Julia Masetovic) | |
Die Globalisierungsdebatte | |
Ein marxistischer Leitfaden durch eine widersprüchliche Diskussion | |
Hans-Peter Martin und Harald Schumann: Die Globalisierungsfalle (Julia Masetovic / Eric Wegner) Robert Misik: Mythos Weltmarkt (Eric Wegner) Paul Hirst und Grahame Thompson: Globalization in Question (Julia Masetovic) Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf: Grenzen der Globalisierung (Martin Jakob) Joachim Hirsch: Der nationale Wettbewerbsstaat (Eric Wegner) |
|
Die "Rote Gewerkschaftsinternationale" (Peter Haumer) | |
Rezensionen | |
LRKI: Plan contra Markt (Manfred Scharinger) Annegret Schüle: Trotzkismus in Deutschland bis 1933 (Markus Kadlec) Wolfgang Alles: Zur Politik und Geschichte der deutschen Trotzkisten ab 1930 (Markus Kadlec) Wolfgang Alles (Hrsg.): Gegen den Strom – Texte von Willy Boepple (Peter Haumer) |
|
Trotzkismus in Österreich, Teil 3: Ergänzungen und Diskussion | |
Kommentar zur Buchpräsentation von Marxismus Nr. 10 (Eric Wegner) Brief von A.L. (plus Anhang von Julia Masetovic) Brief von Christa Scheuer (plus Kommentar von Eric Wegner) Brief von J.K. (plus Antwort von Eric Wegner) Zur Geschichte der Trotzkistischen Gruppe Österreichs (von K.L.) |
|
Leserbriefe & Diverses | |
Brief von Karl Mitterstöger (plus Anhang) Brief von Karl Entzmann (plus Antwort von Julia Masetovic) |