Über den politischen Charakter der Kosovo-Befreiungsarmee und die Positionierung ihr gegenüber sind in den letzten Monaten auch in der Linken erhebliche Unsicherheiten aufgetreten. Ist die UCK ein Produkt des deutschen oder US-amerikanischen Imperialismus mit einer reaktionären Tradition bis zurück zur kosovarischen SS-Division Skanderbeg? Oder handelt es sich bei ihr im Gegenteil um eine linke nationale Befreiungsbewegung, die einen progressiven Kampf gegen die nationalistische Unterdrückung der albanischen Bevölkerung durch das serbische Regime führt? Wir halten beide Sichtweisen für einseitig und wollen uns hier um ein differenziertes Bild bemühen.
Die Wurzeln der UCK liegen eindeutig im mao-stalinistischen Spektrum, das in den 60er und 70er Jahren im Gefolge der internationalen Studentenbewegung im Kosovo entstanden war. Die Marxistisch-leninistische Organisation Kosovas des späteren UCK-Führers Adem Demaci, die Kommunistische marxistisch-leninistische Partei der Albaner in Jugoslawien, die Rote Volksfront und andere wehrten sich gegen die Diskriminierung der albanischen Bevölkerung, orientierten sich am Albanien von Enver Hoxha (von wo sie auch Unterstützung erhielten) und schlossen sich schließlich im Februar 1982 zur Volksbewegung für eine Republik Kosova (LPRK) zusammen. In den 80er Jahren sollen an die 80 linke Exilanten aus dem Kosovo in Deutschland und der Schweiz vom jugoslawischen Geheimdienst ermordet worden sein – angeblich mit Unterstützung des deutschen Staates, dem die ausländischen Linksextremisten auch ein Dorn im Auge waren.
Die LPRK wurde schließlich 1991 in die Volksbewegung Kosovas (LPK) umgewandelt, die dann 1994/1996 bei der Entstehung der UCK die entscheidende Rolle spielte und auch noch 1998 fünf der sechs offiziellen UCK-Vertreter (unter ihnen auch den heutigen UCK-Führer Hashim Thaqi) und sämtliche ihrer Auslandssprecher stellte. Während der großen Offensive der UCK im Frühjahr 1998 schlossen sich dann auch die Guerillagruppen der Albanischen Revolutionären Partei (PRSH) und der Nationalen Bewegung für die Befreiung Kosovas (LKCK), die ebenfalls aus dem mao-stalinistischen Spektrum kommen und sich 1986 beziehungsweise 1993 von LPRK/LPK abgespalten hatten, der UCK an – ohne allerdings ihre eigenen Parteistrukturen aufzugeben. Angesichts dieser Ursprünge der UCK ist es nicht verwunderlich, dass die imperialistischen Regierungen gegenüber der UCK erhebliche Skepsis hatten und haben. So stellte etwa der Verfassungsschutzbericht Bayern 1997 besorgt fest, dass es sich bei der LPK um eine "extremistische Ausländerorganisation" handle, die als "marxistisch-sozialrevolutionär" einzuschätzen sei und deren Gelder der "terroristischen Untergrundorganisation UCK" zufließen. Und der US-Sondergesandte für den Balkan, Robert Gelbard, sagte noch im Februar 1998, dass es sich bei der UCK "zweifellos um eine terroristische Gruppe" handle.
Allerdings war auch im Kosovo der Stalinismus durchaus mit äußerst nationalistischen und völkischen Positionen kompatibel. So wie die Stalinisierung der Sowjetunion mit einem Wiederaufleben des grossrussischen Chauvinismus einherging, die KPÖ die Parolen Rot-weiß-rot bis in den Tod! und Immer für Österreich! auf ihre Fahnen schrieb und die heutige Kommunistische Partei Rußlands mit üblen antisemitischen Rülpsern auf sich aufmerksam macht, war der albanische "Sozialismus" des Enver Hoxha und die Ideologie seiner kosovarischen Anhänger von Anfang an stark nationalistisch eingefärbt. Getreu der üblichen stalinistischen Volksfront-Konzeption verzichteten LPK, LKCK und PRSH weitgehend auf eine klassenkämpferische Politik und orientierten sich stattdessen auf die Befreiung der gesamten albanischen Erde und ein ethnisches Albanien (der Begriff Großalbanien wird – aufgrund der Diskreditierung des Begriffs in der Zeit der faschistischen Besatzung – als ideologisch belastet abgelehnt). Nach dem Ableben des großen Führers Enver Hoxha 1985 und dem Niedergang seines "Sozialismus'" 1990/1992 mussten die nationalistischen Elemente im Spektrum des kosovarischen Stalinismus – in Ermangelung einer "linken" Perspektive – weiter an Boden gewinnen. Verstärkt wurde diese Entwicklung auch durch zwei andere Faktoren:
Erstens kamen durch den Aufstieg der UCK seit 1996 nun auch zunehmend Kräfte hinzu, die mit den "linken" Ursprüngen von LPK & Co. nichts am Hut hatten, darunter auch mafiose Vereinigungen und traditionelle Clan-Strukturen, wie beispielsweise der einflussreiche Jashari-Clan aus der Drenica-Region, der bereits im 2. Weltkrieg mit den faschistischen Besatzern kollaboriert hatte (der größere Teil der Kosovo-Albaner hatte damals – entgegen den Mythen, die ausgerechnet von Cetnik-Anhängern verbreitet werden – freilich die Partisanen von Tito und Hoxha unterstützt und dabei etwa 20.000 Kämpfer gestellt). Dazu kamen Exilgruppen in den USA, die – anders als die in Deutschland und der Schweiz – rechtsgerichtet waren und die nun erste Kontakte zu US-Geheimdiensten und -Medien herstellten. Diese reaktionären Kräfte gingen nun mit den stalinistischen UCK-Gründern auf einer nationalistischen Grundlage ein Bündnis ein. Die Basis der UCK, die 1998 von 300 auf 30.000 Kämpfer anwuchs, konnte nun immer schwerer eindeutig von LPK & Co. dominiert werden.
Zweitens versuchten imperialistische Geheimdienste wohl seit Anfang oder Mitte der 90er Jahre vorsichtig auszuloten, ob und wieweit es möglich ist, die UCK, wie etliche andere ursprünglich linksgerichtete nationale Befreiungsbewegungen seit 1989/90 (beispielsweise die von Laurent Kabila in Kongo-Zaire), auf eine stabile prokapitalistische und proimperialistische Ausrichtung zu wenden. Allerdings fuhren die Imperialisten dabei zweigleisig, denn gleichzeitig wurde auch versucht, unter der Führung der Demokratischen Liga des Kosovo (LDK) von Ibrahim Rugova und Bujar Bukoshi und finanziert durch Saudi-Arabien und die Türkei in Konkurrenz zur UCK eine ganz vom Imperialismus kontrollierte Truppe, die Bewaffneten Kräfte der Republik Kosova (FARK), aufzubauen. Nachdem aber die UCK in Tirana den designierten Führer der FARK, Ahmet Krasniqi, erschoss und im Spätsommer ein Großteil der FARK-Offiziere zur UCK überlief, war diese Option gestorben. Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND), der seit Anfang der 90er Jahre systematisch die Zerstückelung Jugoslawiens betrieb, und die britischen und US-Geheimdienste mussten nun ganz auf die Umkrempelung der UCK setzen. Sowas läuft dann über die Zusage von (begrenzter) finanzieller und militärischer Unterstützung, deren Realisierung dann von bestimmten Bedingungen abhängig gemacht wird, durch die die willigeren Kräfte gegen die widerspenstigeren gefördert werden.
Gestärkt wurde der imperialistische Einfluss auch über das weitgehend vom Westen abhängige Albanien, wobei die UCK Mitte der 90er Jahre eher in Kontakt mit der Demokratischen Partei von Sali Berisha gestanden sein dürfte. Seit dem albanischen Volksaufstand 1997 und dem Sturz Berishas sieht die Sache heute jedoch anders aus. Die Sozialistische Partei von Fatos Nano und Pandeli Majko unterstützt offen die UCK, während Berisha mit der LDK von Rugova und Bukoshi kooperiert. Bis Rambouillet waren für die militärische Aufrüstung der UCK sicherlich die Waffenbestände aus der albanischen Armee, die man sich nach dem albanischen Volksaufstand aneignen konnte, bedeutender als die Zugänge über imperialistische Geheimdienste.
Die "Verhandlungen" von Rambouillet und der Beginn der NATO-Aggression gegen Jugoslawien bedeuteten aber schließlich eine entscheidende Wende in der Entwicklung der UCK. Es setzten sich die Kräfte durch, die zu einer bedingungslosen Zusammenarbeit mit dem Imperialismus bereit waren. Hashim Thaqi, unterstützt von einem Teil der LPK und den offen reaktionären Strömungen, entwickelte sich zur zentralen Figur dieses Flügels. Sechs führende UCK-Mitglieder sind bei diesem internen Putsch Ende März 1999 "hingerichtet" worden (angeblich auf Anordnung von Thaqi). Adem Demaci, bis dahin der offizielle Sprecher der UCK, wurde zum Rücktritt gezwungen und ist seitdem von der Bildfläche verschwunden. Er hatte zuvor die Kapitulation vor der NATO und deren militärisches Eingreifen abgelehnt, war dafür eingetreten, dass "beide Völker", Albaner und Serben, "gemeinsam gegen den Imperialismus vorgehen" und hatte in einem Aufruf an die anti-nationalistischen Serben an seinem Ziel einer neuen, gleichberechtigten Föderation von Serbien, Montenegro und Kosovo festgehalten. Demaci war außerdem für das Selbstbestimmungsrecht der Krajina eingetreten, während rechte Kräfte in der UCK mit dem kroatischen Regime kooperierten. In dieser Phase wurde die UCK – wohl unter tatkräftiger Mithilfe von US-Militärs und -Geheimdienstlern – zu einer Organisation getrimmt, die eindeutig von pro-imperialistischen Kräften dominiert ist. Zum neuen Generalstabschef der UCK wurde – statt dem Demaci-Anhänger Suleiman Selini – Agim Ceku, der von der Pentagon-nahen Söldnerfirma MPRI ausgebildet worden war und als Brigadegeneral der kroatischen Armee im Bosnienkrieg an Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung führend beteiligt gewesen sein soll. Die Zeitung der LPK ("Stimme des Kosovo") schließlich, die bis Rambouillet den Untertitel Lang lebe der Marxismus-Leninismus! führte und Bücher von Enver Hoxha zum Verkauf anpries, erschien Ende April 1999 plötzlich reichlich verändert: Statt den stalinistischen Relikten fand sich nun die Headline NATO, Thank You!. Und von den bisherigen Herausgebern war kein einziger mehr im Impressum angegeben.
Die gewendete UCK konnte nun auch mit relevanterer, aber freilich weiterhin inoffizieller militärischer Unterstützung durch die NATO rechnen, in Form von modernen Waffen, gegenseitigen Absprachen und logistischer Kooperation. Diese Unterstützung wurde und wird allerdings gezielt in einem Ausmaß gehalten, dass die UCK, auf sich allein gestellt, gegen die serbische Armee nicht bestehen könnte. Darin zeigt sich nicht nur, dass die NATO in die UCK weiterhin weniger Vertrauen hat als etwa in das kroatische Regime, sondern auch, dass für den Kosovo im Rahmen der imperialistischen Befriedung des Balkan ein Status vorgesehen ist, der mit dem UCK-Ziel einer von ihr bestimmten Unabhängigkeit in Widerspruch steht. Die NATO will die UCK zu einer polizeilichen Hilfstruppe in ihrem Protektorat machen. Bei der angestrebten Demilitarisierung und Restrukturierung der UCK geht es darum, ihr die schweren Waffen abzunehmen und die gewachsenen Kommandostrukturen, die nicht unter Kontrolle der NATO stehen, durch neue zu ersetzen.
Bisher hat sich die UCK weitgehend in dieses Diktat gefügt. Die pro-imperialistischen Kräfte, die heute die UCK beherrschen, sind sicherlich zu einem Arrangement bereit. Wenn sich die Situation der kosovarischen Bevölkerung allerdings nicht so sehr ins Rosige verbessert, wie der Westen das verspricht, und sich die NATO-Truppen immer mehr als Besatzer erweisen, die an einer Selbstbestimmung der dortigen Bevölkerung keineswegs interessiert sind, könnten Strömungen wie die um Jakup Krasniqi, die vor Rambouillet gegen die NATO-Intervention war und sich auch jetzt gegen die weitgehende Unterwerfung unter die NATO ausspricht, Aufwind bekommen. Allerdings haben auch diese Strömungen keine politische Perspektive, die eine Alternative zur kapitalistischen Durchdringung des Balkans darstellen könnte, weshalb sie auch nur in eine Sackgasse führen könnten. Deshalb würde eine Differenzierung der UCK vermutlich nicht mehr bedeuten als die Herausbildung von unterschiedlichen Varianten des albanischen Nationalismus. Zur Zeit sind in der kosovarischen Bevölkerung aber ohnehin die pro-imperialistischen Stimmungen dominant, wofür auch der serbische Nationalismus eine wesentliche Mitverantwortung trägt.