Die französische Armee hat in Algerien systematisch Folter und Mord gegen ihre Gegner angewandt. Darüber wird seit wenigen Monaten in Frankreich offen diskutiert. Zwei ehemalige hochrangige Generäle haben vergangenen November in der Tageszeitung Le Monde zugegeben, im Algerienkrieg von 1954-62 Angehörige der FLN (Front Libération National), der damaligen algerischen Befreiungsbewegung, gefoltert, misshandelt und liquidiert zu haben.
Der 92-jährige ehemalige General Jacques Massu, 1957 Chef der berüchtigten “Paras” (10. Fallschirmspringerdivision), und sein damaliger Stellvertreter, der heute 82-jährige General Paul Aussaresses, damals Leiter des französischen Geheimdiensts in Algier, bestätigten, dass über 3.000 Gefangene, die damals als „verschwunden“ galten, in Wirklichkeit exekutiert worden waren. Aussaresses erklärte, Folter und Mord hätten 1957 zum festen Bestandteil der französischen Kriegspolitik gehört. Er brüstete sich, Mittel angewandt zu haben, die auch durch das Kriegsrecht nicht gedeckt waren, seinen Untergebenen den Befehl zu töten gegeben und 24 FLN-Angehörige eigenhändig liquidiert zu haben. Und er sagte: “Ich bereue es nicht.”
Der Algerienkrieg 1954-62
1954 weitete sich der schwelende Unab-hängigkeitskampf Algeriens zum regelrechten Krieg aus. Unmittelbar zuvor hatte sich die französische Armee nach ihrer historischen Niederlage bei Dien Bien Phu aus Vietnam zurückziehen müssen, und nun verlagerte Frankreich den größten Teil der Fremdenlegion nach Algerien, seiner größten und ältesten Kolonie. Während sich die Anschläge der algerischen Unab-hängigkeitsbewegung FLN im Jahr 1954 häuften, beschloß die französische Regierung, Algerien – französische Kolonie seit 1830 – auf keinen Fall preiszugeben. Zum erstenmal wurden auch Wehrpflichtige in einer Kolonie eingesetzt, und schon Mitte 1956 standen 500.000 französische Soldaten auf algerischem Boden.
Bis 1962 kämpften 1,7 Millionen Franzosen im Algerienkrieg. Von diesen wurden über 25.000 getötet und 60.000 verwundet, während auf algerischer Seite über eine halbe Million Menschen den Tod fanden. Diesen enormen Zahlen zum Trotz durfte lange Zeit das Wort “Krieg” offiziell nicht benutzen werden; es wurde nur von den “Ereignissen in Algerien” oder von der Aufrechterhaltung der Ordnung in den drei algerischen Provinzen gesprochen. Erst im Oktober 1999 beschloß die französische Nationalversammlung, den Begriff “Algerienkrieg” offiziell zuzulassen. Es war eine sozialdemokratische Regierung, die Regierung von Guy Mollet, die der Besatzungsmacht in Algerien freie Hand zum Foltern verschaffte: Im Juni 1956, kurz vor der berüchtigten Schlacht um Algier, nahm die Assemblée Nationale Guy Mollets Vorschläge an, die individuellen Freiheitsrechte in Algerien außer Kraft zu setzen und den in Algerien stationierten Gendarmen, Polizisten und Soldaten zu erlauben, “verlängerte Verhöre”, “Zwangsmaßnahmen” oder “Sonderbehandlungen” durchzuführen.
Auch der damalige französische Präfekt in Algerien, Robert Lacoste, gehörte der sozialdemokratischen Partei SFIO an. Der Sozialdemokrat François Mitterrand, der spätere Staatspräsident, sagte am 5. November 1954 als Innenminister im Parlament: “Die algerische Rebellion kann nur zu einem einzigen Schluss führen, nämlich zum Krieg." Als er zwei Jahre später Justizminister war, lehnte er am 10. Februar 1957 das Gnadengesuch des algerischen Kommunisten Fernand Iveton ab und besiegelte so dessen Tod. Die französische Kolonialpolitik erfuhr sogar die Unterstützung der StalinistInnen, als die kommunistische Partei unter Führung von Jacques Duclos 1954 für den Haushalt stimmte und 1956 den Sondervollmachten der Regierung zustimmte, zu einem Zeitpunkt, als bereits in den Straßen von Paris gegen den Algerienkrieg demonstriert wurde. Die Augenzeugenberichte und jüngst veröffentlichten Dokumente lassen keinen Zweifel an der Brutalität, dem Ausmaß und der systematischen Anwendung der Folter. Zur täglichen Praxis gehörten Massenverge-waltigungen, Untertauchen in kaltem Wasser oder Exkrementen, und immer wieder Elektroschocks.
Straffrei davongekommen
Das Kommando über Algerien hatte eine Gruppe von Spitzengenerälen inne, die sich wenige Jahre davor, im zweiten Weltkrieg, unter Charles de Gaulle am Kampf gegen Nazideutschland beteiligt hatten. Als de Gaulle, der 1958 nach einem Putsch französischer Siedler und Militärs in Algerien zum französischen Präsidenten aufgestiegen war, 1959 vorsichtig eine Selbstbestimmung Algeriens ansteuerte, organisierten diese Generäle im April 1961 unter dem Schlachtruf “Algerien bleibt französisch!” einen zweiten Putschversuch. Nach seinem Misslingen gründeten sie die Terrororganisation OAS (Organisation armée secrète – geheime Armeeorganisation), die zahlreiche Attentate gegen die Zivilbevölkerung in Algerien und auch in Frankreich durchführte. Dank der allgemeinen Amnestie, die bei der Unabhängigkeitserklärung von Evian vom Juli 1962 verkündet wurde, sowie einer weiteren Amnestie Ende der sechziger Jahre, wurden diese Generäle später weder für den Putschversuch, noch für die systematische Anwendung der Folter strafrechtlich verfolgt.
(übernommen aus www.wsws.org)