Was in Göteborg am 15. Juni passiert ist, war nicht die Überreaktion einiger überforderter schwedischer Polizisten, die sich gegen wildgewordene "Polit-Hooligans" nicht mehr anders zu helfen wussten. In Göteborg wurde von Staat, Politikern und Medien eine verschärfte Repressionspolitik des europäischen Kapitals exekutiert.
2) Bereits im Vorfeld des EU-Gipfels wurde die vielgerühmte Reisefreiheit innerhalb der Union außer Kraft gesetzt. Busse mit Demonstrant/inn/en aus Deutschland und Dänemark wurden teilweise bis zu zehn Stunden grundlos in Militärkasernen festgehalten, etliche Personen umgehend abgeschoben – mit so vielsagenden Begründungen wie etwa, dass sie in Deutschland bei antifaschistischen Demonstrationen teilgenommen hätten. In Göteborg selbst umstellte die Polizei dann am Morgen des 14. Juni das Hvitfeldska-Gymnasium und hinderte die etwa 300 Personen, die dort untergebracht waren, mit massiver Gewalt am Verlassen des Gebäudes. Bei Befreiungsversuchen kam es schließlich zu den ersten Auseinandersetzungen. Am 15. Juni wurde schließlich der Demonstrationszug Richtung Konferenzzentrum – obwohl bis dahin noch kein Stein gegen die Polizei geworfen worden war – rasch gestoppt und mit Schlagstöcken, berittener Polizei und scharfen Hunden (Dutzende Demonstrant/inn/en wurden gebissen) ins Stadtzentrum zurückgetrieben. Dort errichteten Demonstrant/inn/en dann aus dem Mobiliar der Straßencafés brennende Barrikaden als Schutz gegen die Polizeiangriffe und einige versuchten die uniformierten Schlägerbanden mit Steinen zurückzutreiben. Nachdem sich die Situation wieder beruhigt hatte, attackierten Polizei und einige Faschisten schließlich eine Straßenparty, stießen dabei aber auf erbitterten Widerstand, mussten sich immer wieder zurückziehen, sogar einige ihrer Autos aufgeben und verloren die Kontrolle über Teile der Innenstadt. In der Folge mussten einige Staatsgäste in andere Nobelhotels umziehen und wurden einige Banken und Luxuslimousinen demoliert. In den Auseinandersetzungen am frühen Abend des 15. Juni wurden schließlich drei Demonstranten von der Polizei angeschossen – wie Filmmaterial und verschiedenste Zeugenaussagen belegen, keineswegs um "in Notwehr einen tödlich bedrohten Kollegen zu retten", sondern in der Auseinandersetzung mit Steine werfenden Jugendlichen. Der 19-jährige Schwede, dessen Überleben unsicher ist, wurde im Davonlaufen von hinten angeschossen. Insgesamt wurden über 1000 Demonstrant/inn/en festgenommen, registriert und fotografiert. Viele wurde in sogenannten Schnellverfahren wegen Landfriedensbruch verurteilt – oft ohne die Möglichkeit einer Unterstützung durch einen Rechtsanwalt.
3) Die Geschehnisse in Göteborg sind eine Möglichkeit, Jugendliche und Arbeiter/innen, die noch Illusionen in den bürgerlichen "Rechtsstaat" haben, über seine Funktion aufzuklären. Verwunderte Empörung über das Vorgehen des schwedischen Staates ist freilich nicht angebracht, denn es ist Sinn und Zweck von Polizei und Justiz (und überhaupt des bürgerlichen Staates) Repression dann auszuüben, wenn die Herren und Damen in den Konzernzentralen und Regierungen das wünschen. Diese freilich sind langsam genervt, dass sie nicht mehr in Ruhe konferieren können, dass sie von Seattle bis Nizza ständig mit diesen lästigen Protesten zu tun haben. Auch wenn diese Demos die Macht der Bosse und ihrer politischen Handlanger nicht wirklich gefährden, so geht es der herrschenden Klasse doch darum, eine Ausweitung der Bewegung frühzeitig zu verhindern und möglichst viele Leute durch Repression und Einschüchterung von der Teilnahme an solchen Demonstrationen abzuhalten, keine kämpferischen Massenkundgebungen, sondern nur noch einige kleine und klar begrenzte symbolische Aktionen weitab der Tagungsorte zuzulassen, Reisefreiheit und Demonstrationsrecht deutlich einzuschränken.
4) Göteborg hat sich für die Umsetzung dieser Pläne weit besser geeignet als etwa Genua oder Salzburg. Eine derart verschärfte Polizeirepression durch die italienische oder österreichische Rechtsregierung (mit rechtsextremer Beteiligung) hätte auch bei Sozialdemokrat/inn/en, Grünen und der liberalen bürgerlichen Öffentlichkeit mit mehr Widerspruch und Kritik rechnen müssen als im sozialdemokratisch-liberalen Schweden. Hier konnte glaubhafter gelogen werden, dass man doch mit einer Dialogstrategie alles versucht habe, um Ausschreitungen zu verhindern, und dass man von der "Gewaltbereitschaft" der "kriminellen Randalierer" bitter überrascht worden sei. Was für eine "Tragödie"!
5) Dass nun, angesichts der Krawalle durch diese "Desperados" und "Verbrecherbanden", mit aller Härte durchgegriffen werden muss, darüber waren sich das politische Establishment der EU und seine Medien rasch einig: Ein- und Ausreiseverbote, stärkere EU-weite Polizeikooperation, stärkere Überwachung der radikalen Linken, bürgerkriegsmäßige Aufrüstung der Polizei, Demonstrationsverbote oder –einschränkungen. Die Umsetzung ist bereits für Salzburg und Genua geplant. Die "Krawallmacher" – damit ist, da sollte sich niemand täuschen, die ganze radikale Linke gemeint – sollen von den braven Demonstrant/inn/en, den sogenannten "friedlichen", die die staatlichen Vorgaben im allgemeinen und das polizeiliche Gewaltmonopol im besonderen akzeptieren, isoliert werden. Dass die bürgerlichen Medien, auch die liberalen, diese Kriminalisierungsstrategie, wie sie nun beispielsweise nach Göteborg massiv durchgezogen wird, voll unterstützen, sollte ebenfalls niemanden verwundern. Das ist ihr Job!
6) Wir halten es für absolut notwendig, das Demonstrations- und Reiserecht gegen die staatliche Repression zu verteidigen, auch das Recht, direkt bei Konferenzzentren zu demonstrieren. Wir lehnen auch Blockaden und Offensivaktionen nicht prinzipiell ab. Entscheidend ist aber, dass es sich nicht um isolierte Aktionen von kleinen Gruppen handelt, dass größere Teile der Bevölkerung für den Kampf gegen das Kapital und seine politischen Institutionen (IWF, Weltbank, WTO, G7, EU etc.) gewonnen werden können. Davon und von konkreten Kräfteverhältnissen hängt die Taktik auf Demonstrationen ab. Der bürgerliche Staat hat, anders als die revolutionäre Linke und die Antikapitalist/inn/en, ein Interesse daran, die Auseinandersetzung auf eine "militärische" Ebene zu bringen – und damit weg von der politischen. Wir glauben nicht, dass Zerstörungen den Kampf entscheidend weiter bringen (auch wenn wir an sich natürlich nichts gegen zerstörte Banken und Luxusautos haben) und lehnen das als sinnloses Risiko und als kontraproduktiv für die Einbeziehung größerer Teile der Arbeiter/innen/klasse ab. Im Vordergrund steht für uns aber die Solidarität mit denen, die sich in Göteborg gegen die Polizeirepression gewehrt haben, die das Demonstrationsrecht verteidigt haben und dort Auseinandersetzungen mit den Repressionsorganen ausgetragen haben. Die jämmerliche Kapitulation der schwedischen Linkspartei (der dortigen KP) und von verschiedensten zivilgesellschaftlich orientierten Globalisierungskritiker/innen vor der Hetze der bürgerlichen Öffentlichkeit, spielt nur dem Kapitalist/inn/en und ihrer Polizei in die Hände. Ein "Antikapitalismus", der ohne Konflikt mit dem Staatsanwalt auskommen will, ist wohl bestenfalls lachhaft.
7) In Göteborg zeigten sich auch erneut mit aller Deutlichkeit die Grenzen des "kreativen", "humorvollen" und "friedlichen" Protestes. Wenn der Staat Lust dazu hat, macht er diesem Spiel rasch ein Ende und jagt die "gewaltfreiste" und kreativste Straßenparty mit berittener Polizei auseinander. Dagegen hilft perspektivisch auch keine besser Ausrüstung oder militante Vorbereitung von Aktivist/inn/en, denn der staatliche Repressionsapparat wird einigen hundert oder einigen tausend Demonstrant/inn/en letztlich immer überlegen sein. Es besteht die reale Gefahr, dass die Kapitalist/inn/enklasse damit erfolgreich ist, den radikaleren Teil der Bewegung zu kriminalisieren und zu unterdrücken und den braven Teil mit ergebnislosen "Dialogen" und genehmigten "kreativen" Volksfesten zu domestizieren. Dass das nicht gelingt, kann nur mit einer Ausbreitung der (bis dato vor allem aus Jugendlichen der Mittelschicht bestehenden) Bewegung, mit einer Verankerung der radikalen Linken in der Klasse der Lohnabhängigen verhindert werden. Denn allein Klassenkämpfe haben das Potenzial, die Herrschaft der Konzerne wirklich in Frage zu stellen. Mit einer starken revolutionären Organisation und als Ausdruck von Massenbewegungen der Arbeiter/innen/klasse stehen dann auch die Chancen in der Auseinandersetzung mit dem bürgerlichen Staat wesentlich besser. Wie die Schritte hin zu dieser Verankerung aussehen, hängt von einer Reihe von Faktoren in den verschiedenen Ländern ab (Klassenkampftradition, Stärke der revolutionären Organisationen etc.), ändert aber nichts an dieser grundlegende Perspektive.