Bereits im Vorfeld des WEF setzten politisches Establishment, Staat und Medien auf massive Einschüchterung und Repression. Die Grenzen zu Deutschland und Italien wurden wieder kontrolliert, Salzburg war von etwa 5000 Polizisten besetzt, Videoaufzeichnungen und Ausweiskontrollen an jeder Ecke. Lediglich eine Standkundgebung am Bahnhofsplatz war genehmigt worden. In diesem Klima kamen zur Kundgebung am 1. Juli etwa 1800 Menschen, vor allem die Wiener Linke. Nur wenig Leute aus der Region waren da und auch relativ wenige aus dem Ausland – wohl nicht nur wegen der Grenzkontrollen, sondern auch weil viele Strömungen der europäischen Linken in erster Linie für Genua mobilisieren.
Schließlich verließ eine Demonstration von knapp 1500 Leuten den Platz, wurde aber immer wieder durch martialische Polizeisperren mit Tretgittern, Stacheldrahtrollen und schwerbewaffnete Reihen der "Sicherheitskräfte" aufgehalten. Knapp zwei Stunden lang hat die Polizei die Demonstration außerhalb der großen Sperrzone um das Konferenzzentrum toleriert (obwohl sie mit ihren überlegenen Kräften bereits an mehreren Stellen problemlos zu einer Einkesselung in der Lage gewesen wäre). Zu diesem Zeitpunkt wäre es sicher sinnvoll gewesen, die noch etwa 1200 Leute, die immerhin das Demonstrationsverbot substantiell aufgebrochen hatten, geordnet zum Hauptbahnhof zurückzuführen.
Stattdessen lenkten Linkswende (österreichische Schwesterorganisation von Linksruck), Autonome und Andere die Demo – im lächerlichen Versuch, irgendwo "durchzukommen" – immer wieder in ein Aufeinanderprallen mit der Polizeisperren, wo die Spezialeinheiten der Polizei den Konflikt aggressiv provozierten. Auch wenn nur einige Flaschen in Richtung der vollgepanzerten Polizisten geflogen sind und in Wirklichkeit zu diesem Zeitpunkt kaum real etwas passiert ist, war rasch klar, dass die Bullen der WEGA (Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung) das für eine Eskalation nützen würden. Ob es sich bei denjenigen, die die ersten Gegenstände warfen, tatsächlich, wie einige beobachtet haben wollen, um Polizeiprovokateure gehandelt hat, können wir nicht verifizieren. Faktum ist freilich, dass immer wieder kleine Gassen in Richtung der Sperrzone offen waren, die die Polizei locker hätte sperren können. Faktum ist auch, dass angesichts des Kräfteverhältnisses in Salzburg nur eine Seite an einem gewalttätigen Konflikt Interesse haben konnte.
Auch wenn jetzt natürlich die Solidarität und das Zusammenhalten gegen die staatliche Repression im Vordergrund stehen muss, geht es doch nun – auch in Hinblick auf zukünftige Demonstrationen – auch darum, eine politische Bilanz zu ziehen. Und dabei muss die Vorgangsweise von Autonomen und Linkswende als politisch verantwortungslos bezeichnet werden – verantwortungslos gegenüber der Demo, gegenüber den vielen Jugendlichen und vor allem auch gegenüber den Immigrant/inn/en, die an der Demonstration teilgenommen haben. Dahinter steht bei diesen Gruppen und auch bei anderen (etwa dem Arbeiter/innen/standpunkt, der österreichischen Schwesterorganisation der GAM) die Unfähigkeit ein reales Kräfteverhältnis zur Kenntnis zu nehmen bzw. der abgehobene Versuch, das volunataristisch zu überwinden. Das zeigt sich auch daran, dass etwa Linkswende und Arbeiter/innen/standpunkt die anti-WEF-Proteste in Salzburg nun sogar als Erfolg hinstellen.
Schließlich kam es zu dem absehbaren Kessel. 919 Demonstrant/inn/en (Polizeiangabe) wurden nach einem weiteren, von der WEGA begonnenen, kleinen Scharmützel von einer riesigen Übermacht der Polizei (ausgerüstet mit Tränengas, Pfefferspray, Hundestaffeln etc.) fast sechs Stunden lang auf engstem Raum festgehalten und von den uniformierten Schlägern immer wieder mit Schlagstöcken und Schildern attackiert. Etliche wurden verletzt oder verhaftet. Schließlich wurde in dieser ausweglosen Situation ein Abzug in Zehnergruppen vereinbart, der sich als demütigender Weg durch ein Spalier von Spezialpolizisten entpuppte, die umgehend – gegen die Vereinbarung – einzelne Leute aus den Gruppen rausgerissen haben, schikaniert, getreten und registriert. Davon waren besonders Ausländer/innen betroffen, wobei die österreichischen Polizist/inn/en natürlich nicht nach dem Passport vorgingen, sondern sich an ex-Landeshauptmann Ratzenböck orientierten und sich die schnappten, "denen man ihre Abstammung eben ansieht". Dutzende Demonstrant/inn/en haben nun mit Anklagen wegen Landfriedensbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung zu rechnen, einige Immigrant/inn/en womöglich mit Schlimmerem.
Zu erwähnen ist auch, dass die Polizei den knapp 150 Leuten der SJ (Jugendorganisation der SPÖ) bereits einige Stunden vor der Auflösung des Kessels einen freien Abzug, d.h. ohne Aufnahme von Personalien etc., ermöglicht hat. Vorausgegangen war dem ein Separatabkommen zwischen Polizei und SJ-Führung, das auch von den Leuten der "trotzkistischen" (besser: durch ein solches Verhalten den Trotzkismus diskreditierenden) SJ-Fraktion Der Funke mitgetragen wurde. Beim Abzug des SJ-Blocks weigerten sich die SJ-Entscheidungsträger, Leute, die sie nun als "Sicherheitsrisiko" (!) bezeichnen, in ihren Block aufzunehmen und halfen so den Bullen, den Kessel nach dem SJ-Block wieder dicht zu machen. Manche Gruppen – so die Aussendung des Funke – hätten durch ihr Verhalten versucht, die Demo in Geiselhaft zu nehmen, und mit ihnen könne es keine Solidarität geben. Die Funke-Führung ist also auch nachträglich (und das ist wohl das bedenklichste) nicht zu einer Korrektur bereit. Ihre Argumentation ist völlig inakzeptabel: Bei aller politischen Kritik am Vorgehen von Autonomen, Linkswende und anderen kann eine Solidarität gegenüber der Repression des bürgerlichen Staates keinen Moment zur Debatte stehen! Der SJ-Block, dem offensichtlich nichts ernsthaftes passiert wäre, ist dann auch nicht möglichst nahe den knapp 800 weiterhin Eingekesselten geblieben, um dort solidarisch die Freilassung aller Demonstrant/inn/en zu fordern, sondern hat sich zum Bahnhof zurückgezogen. Anders als Kleinstgruppen von Leuten außerhalb der Polizeiketten, die dort schlicht nichts ausrichten konnten und dann auch teilweise eingekesselt wurden, hätte die fortgesetzte Präsenz der SJ als Teil der staatstragenden Sozialdemokratie doch für die Verhandlungen zwischen Polizei, Demonstrant/inn/en, Innenministerium und Salzburger SPÖ-Bürgermeister um die Freilassung der Eingekesselten eine relevantere Bedeutung haben können. Dass die SJ-Führer/innen Verantwortung für 14- und 15-Jährige in ihrem Block gehabt hätten, kann nicht wirklich als Rechtfertigung gesehen werden, denn es wäre auch möglich gewesen, diese Gruppe zum Bahnhof zurückzuschicken (oder zu bringen) und mit dem größeren Rest vor Ort zu bleiben.
Als Gesamtbilanz kann schließlich gesagt werden, dass
1) die Mobilisierung von nur 1800 Leuten nach Salzburg eine politische Niederlage darstellt, dass
2) das Abhalten einer zweistündigen Demonstration unter den gegebenen Bedingungen als Erfolg zu sehen ist, der aber
3) durch die nicht rechtzeitig zurückgeführte Demo und das daraus resultierende Desaster der Einkesselung verspielt wurde.
Es muss hier noch einmal unterstrichen werden, was wir in unserem Flugblatt "Göteborg und danach" (das wir u.a. in Salzburg verteilt haben) ausgeführt haben: Entscheidend ist, dass es sich in der Konfrontation mit dem Staat "nicht um isolierte Aktionen von kleinen Gruppen handelt, dass größere Teile der Bevölkerung für den Kampf gegen das Kapital und seine politischen Institutionen gewonnen werden können. Davon und von konkreten Kräfteverhältnissen hängt die Taktik auf Demonstrationen ab. Der bürgerliche Staat hat, anders als die revolutionäre Linke und die Antikapitalist/inn/en, ein Interesse daran, die Auseinandersetzung auf eine `militärische´ Ebene zu bringen – und damit weg von der politischen." Im Vordergrund stehen muss jetzt freilich wie gesagt die Solidarität der ganzen Linken mit den nach Salzburg von staatlicher Repression Betroffenen.
Sofortige Zurückziehung sämtlicher Anklagen!
PS: Angemerkt werden soll hier noch, dass dieser Bericht von einem Genossen verfasst wurde, der an der Demonstration in Salzburg beteiligt war und im letzten Moment dem Kessel entkommen konnte. Auch Leute der AGM waren in Salzburg von der Einkesselung betroffen und haben mit Anklagen wegen Landfriedensbruch etc. zu rechnen. Die AGM war in Salzburg mit einem kleine Kontingent von knapp zehn Genoss/inn/en vertreten (was auch Ausdruck davon ist, dass wir bewusst die Post-Seattle-Bewegung nicht als zentralen Schwerpunkt unserer politischen Intervention ansehen) und angesichts dessen nicht in der Lage, auf den Demoverlauf relevanten Einfluss zu nehmen. Da wir nicht zu jedem Zeitpunkt die Geschehnisse bei allen Teilen der Demo überblicken konnten, kann es durchaus sein, dass das eine oder andere Detail ergänzungs- und korrekturbedürftig ist. Das ändert freilich nichts an unserer politischen Grundlinie zu dieser Frage (siehe auch unsere Stellungnahme zu Göteborg).