Georg Scheuer (1915-1996) war einigen von uns noch persönlich bekannt. Als überzeugten Revolutionär führte sein politischer Werdegang den Wiener Scheuer in der ersten Republik von der Sozialistischen Arbeiterjugend über den Kommunistischen Jugendverband in die trotzkistische RKÖ. Während des Krieges war Scheuer in Frankreich in der Resistance gegen den Faschismus aktiv, nach dem Krieg näherte sich Scheuer der Sozialdemokratie an. Bis zum Ende seines Lebens nahm Scheuer regen Anteil am politischen Geschehen und war des öfteren Gast auf linken und linksradikalen Veranstaltungen.
Georg Scheuer wurde 1915 in Wien als Sohn von Alice und Heinrich Scheuer geboren. 1930 trat er im Alter von 15 Jahren den Roten Falken bei und wurde bald Gruppenleiter des Bezirks Josefstadt. Zeitgleich war Georg Scheuer im "Verband Sozialistischer Mittelschüler" und in der "Sozialistischen Arbeiterjugend" (SAJ) tätig. Zu dieser Zeit begannen sich die Übergriffe der Hakenkreuzler auf Versammlungen der SAJ und anderer linker Organisationen zu häufen, was Scheuer weiter politisierte.
Scheuer geht nach links
Mehr als sechshundert VertreterInnen von 34 sozialistischen Parteien hatten sich 1931 in Wien versammelt, um über aufkommende Krisen- und Kriegswolken zu diskutieren. Auch etliche JugendvertreterInnen kamen zu diesem Treffen der sozialistischen Internationale. Während dieses Treffens kam Georg Scheuer mit AgitatorInnen der KommunistInnen zusammen. Diese informierten ihn, dass die sozialdemokratischen Parteien 1914 (Beginn 1. Weltkrieg) für den Krieg gestimmt hatten und überzeugten ihn davon, daß sie auch jetzt im Sinne des Kapitalismus handeln würden. Nach weiteren Diskussionen verließen Georg Scheuer und mit ihm dutzende andere GenossInnen die SAJ und traten dem Kommunistischen Jugendverband Österreichs (KJVÖ) bei.
Der 16jährige Mittelschüler Georg Scheuer organisierte 1931 mit dem KJV den "Revolutionären Mittelschülerverband" (RMV), der sich innerhalb kürzester Zeit an den meisten Wiener Mittelschulen etablierte. 1932 wurden alle kommunistischen Parteien und Gruppen vom Dollfuss-Regime verboten. Der Zeitpunkt, an dem der illegale Widerstand begann. Zeitungen und Flugzettel wurden in Wohnungen unter höchster Geheimhaltung gedruckt und danach verteilt.
Scheuer machte aber bald Erfahrungen mit dem stalinistischen KP-Apparat. Im Dezember 1934 wurde der Leningrader KP-Chef Kirow von Stalins Leuten durch Genickschuss liquidiert und diese Tat danach der linken Opposition in die Schuhe geschoben. Sehr langsam kamen diese stalinistischen Realitäten (siehe Artikel zu den Moskauer Schauprozessen in Morgenrot Nr. 14) durch das Gitter der Zensur nach Mitteleuropa und so auch nach Österreich. Weiters gab Stalin bekannt, dass er Frankreichs Aufrüstung befürwortete. Die Bourgeoisie wäre nicht mehr der eigentliche Feind, sondern das Dritte Reich, deshalb befürwortete Stalin auch ein Bündnis mit den kapitalistischen Westmächten.
Bruch mit der stalinistischen KPÖ
Für die internationale Solidarität aller ArbeiterInnen und gegen den Krieg einzutreten, waren die Motivationen Georg Scheuers, dem KJV beizutreten. Da dieses nicht mehr der Fall war, verlor sich für ihn und einigen andere GenossInnen der Sinn für eine weitere KP-Parteizugehörigkeit. Nach anfänglicher linker Fraktionsarbeit im KJV kamen er und seine GenossInnen zum Schluss, eine linksoppositionelle Gruppe zu gründen, die sich auf den russischen Revolutionär und Antistalinisten Leo Trotzki berufen sollte.
Dadurch wollte er sich aus den Fängen der KP befreien, die sich mittlerweile nicht mehr davor scheute, Linksoppositionelle und TrotzkistInnen an die Polizei zu verraten und die die internationale Solidarität immer mehr in den Hintergrund drängte. Als Konsequenz aus seinem Bruch mit der stalinistischen KPÖ gründete eine Gruppe rund um Georg Scheuer 1935 die Revolutionären Kommunisten Österreichs (RKÖ), um die Untergrundarbeit durch diese weiter zu führen. Von der KP ausgehende Verleumdungen und zunehmend intensivierte Spitzelarbeit des faschistischen Schuschnigg-Regimes machten die Arbeit immer schwieriger. Staatspolizisten verhafteten Scheuer im November 1936, im großen Wiener Trotzkistenprozess im August 1937 wurde er verurteilt und verbrachte insgesamt 18 Monate im Gefängnis. Im Februar 1938 bewirkte eine Generalamnestie die Entlassung von Scheuer. Zurück in Wien angekommen, hörte Scheuer, daß Österreich kurz vor der Machtübernahme durch Hitler-Deutschland stehe.
Einen Tag vor der Annektierung verließ er Österreich in Richtung Tschechei, um nach einem kurzen Aufenthalt nach Frankreich weiterzugehen, um dort aktiv im Widerstand tätig zu sein. Im September 1938 nahm Scheuer gemeinsam mit einem zweiten RKÖ-Mitglied, Karl Fischer, an der Gründungskonferenz der 4. Internationalen in Paris teil, die österreichischen Delegierten Scheuer und Fischer stimmten allerdings gegen die Proklamation der Internationale, Grund sind andere Einschätzungen der Weltlage. In Folge trennten sich die RK auch organisatorisch von der Vierten Internationalen und begannen, die Einschätzungen der Internationale und Trotzkis zu kritisieren.
Zurück in Frankreich arbeitete Scheuer im französischen Widerstand und befreite dabei 1943 in einer spektakulären Aktion eine Genossin aus der Gestapo-Zentrale in Marseille.
Zurück in die Sozialdemokratie
Nach dem Krieg betätigte sich Scheuer in Frankreich als Journalist und Korrespondent diverser Zeitungen. Gleichzeitig entwickelte er eine immer entschiedenere Kritik am Trotzkismus, die bald auch vor Lenin und der Oktoberrevolution nicht Halt machte. Höhepunkt dieser Arbeit war sein 1992 herausgegebenes Buch "Vorwärts und schnell vergessen", in dem er seine Abrechnung mit den Bolschewiki, der Oktoberrevolution und der Politik von Lenin und Trotzki präsentiert. Das Vorwort des Buches schrieb SP-Nationalratspräsident Heinz Fischer, was durchaus symbolisch für den Werdegang von Georg Scheuer stehen kann.
Als er 1996 starb, hat die österreichische ArbeiterInnenbewegung dennoch einen zeitlebens überzeugten Sozialisten verloren.