Genua 2001. Bomben im Vorfeld der G8-Demonstration, PolizeiprovokateurInnen und schließlich einige Tage nach der Demonstration eine Bombe in Venedig. Die Verantwortlichen für die Anschläge werden sogleich in der radikalen Linken vermutet und gesucht. Es zeigt sich ein ähnliches Muster, wie es schon in den 70er Jahren von den italienischen Geheimdiensten mit der sogenannten "Strategie der Spannung" angewendet wurde. Und dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi ist diese Taktik nicht fremd, hatte er doch schon in den 70er Jahren seine Erfahrungen in der Geheimloge P2 gemacht.
Italien in den 70er Jahren. Attentate und Bomben auf öffentlichen Plätzen, in Zügen und schließlich im Bahnhof von Bologna forderten insgesamt 245 Tote und 600 Verletzte. Diese Terrorzeit in Italien dokumentiert sehr gut, wie schnell die Regierenden bereit sind, ihren "demokratischen" Staat über Bord zu werfen, wenn er ihrer Machterhaltung nicht mehr dienlich ist.
Die Strategie der Spannung wurde vom zivilen Auslandsgeheimdienst der USA, dem CIA, konzipiert und erfüllt einige wichtige Aufgaben im Kampf gegen den "Kommunismus". Ihr Hauptaugenmerk liegt darauf den Aufschwung der Linken zu bremsen, indem Terroranschläge organisiert oder unterstützt werden und diese dann der radikalen Linken zugeschoben werden. Mit Bomben und anderen Terrormaßnahmen wird die Bevölkerung in permanente Angst versetzt und so bereit sein, einen Teil ihrer persönlichen Rechte für das Versprechen größerer Sicherheit aufzugeben, und schließlich die "starke Hand" des Staates akzeptieren.
Das erste Attentat
Der 12. Dezember 1969 ist der Beginn der "Strategie der Spannung" in Italien. Auf der Piazza Fontana in Mailand explodiert, am Höhepunkt der ArbeiterInnen – und Jugendbewegung, eine Bombe. Dieses Attentat ist der Auftakt zu einer Serie von Bombenanschlägen, denen hunderte Menschen zum Opfer fallen werden. Wie schon bald eindeutige Beweise zeigten, wurde der Terroranschlag von FaschistInnen der Terrororganisation Ordine Nuovo (Neue Ordnung) ausgeführt. Der Geheimdienst legte falsche Spuren und höchste Polizei- und Geheimdienstkreise lenkten die Ermittlungen nach links. Es wurde sofort gegen AnarchistInnen ermittelt, wenige Tage später, auch einige von ihnen verhaftet.
12 Personen, welche mit diesem Fall zu tun hatten, begehen Selbstmord oder erleiden tödliche Unfälle. Ein Anarchist "fällt" bei der Einvernahme aus dem Fenster im 3. Stock, der Polizeikommissar wird während den Ermittlungen ermordet. Auch der Rechtsanwalt und Geheimdienstagent Vittorio Ambrosini starb. Er hatte zwei Tage vor dem Attentat an einer Einsatzbesprechung der TerroristInnen teilgenommen. Er informierte den damaligen Innenminister Franco Restivi, dass der Anschlag von Ordine Nuovo ausgeführt wurde und nannte 15 FaschistInnen – er stürzte Tage später aus dem 7.Stock einer Klinik, in welcher er sich einer medizinischen Behandlung unterzog. Gianadelio Malett, ehemaliger Geheimdienstchef, belastet den CIA in Zusammenhang mit dem Massaker durch seine Aussage vor Gericht massiv (Kasten auf Seite 13).
Heute wird Delfo Zorzi, ehemaliges Mitglied von Ordine Nuovo des Anschlags verdächtigt – er soll im Auftrag von CIA und NATO gehandelt haben. Auch in den darauffolgenden Attentaten (Zeittafel auf dieser Seite) werden Linke verfolgt und verhaftet, faschistische Spuren hingegen vom Geheimdienst beseitigt.
Die Rolle des CIA und des italienischen Geheimdienstes bei der Entführung und Ermordung des italienischen Ministerpräsidenten Aldo Moros am 9.Mai 1978 ist unklar. Die Roten Brigaden sollen zu diesem Zeitpunkt bereits teilweise vom Geheimdienst unterwandert gewesen sein. Hinweise sprechen dafür, dass Moro von seiner Partei, der bürgerli chen Democrazia Christiana "geopfert" wurde, einerseits um einen Märtyrer zu haben, andererseits weil er der Verfechter des "historischen Kompromiß" (Compromesso storico) war, welcher die PCI (die italienischen KommunistInnen) in die Regierung gebracht hätte.
Der traurige Höhepunkt der Attentate ist eine Bombe am Bahnhof Bolognas am 2. August 1980. Der Anschlag fordert 85 Tote und 200 Verletzte. Zwei Mitglieder der faschistischen "Bewaffneten Revolutionären Kerne" (NAR) werden nach anfänglichen Ermittlungen gegen Linke zu lebenslanger Haft verurteilt. Die mutmaßlichen Auftraggeber, Licio Gelli (Mitglied der Geheimloge P2) und Francesco Pazienza (CIA-Agent) bekommen je 10 Jahre Haft. Im Zuge dieser Ermittlungen werden auch zwei SISMI-Offiziere (SISMI – militärischer Auslandsgeheimdienst Italiens) wegen "Legen falscher Spuren" zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.
Damit wurde der "P2" verstärkte Aufmerksamkeit zu Teil, bis sie schließlich 1981 enttarnt wurde. Die P2 (Propaganda due), eine Geheimloge mit rund 1000 hochrangigen Mitgliedern, hatte die Bombenanschlägen mitorganisiert und vor allem die Verbindung zu Militärs und CIA hergestellt. Auch Putschpläne wurden vorbereitet, welche bei einer Machtübernahme der Linken angewandt werden sollten. Die Geheimloge P2 vereinte hohe Vertreter der bürgerlichen Rechten, den CIA, hohe Militärs, FaschistInnen, UnternehmerInnen wie Silvio Berlusconi und auch Teile der Sozialdemokratie.
Eine gute Zusammenarbeit gab es auch mit der Mafia, welche durch ihre Drogengeschäfte enorme Gewinne erwirtschaftete und sich durch die Zusammenarbeit mit der politischen Rechten (zurecht) Schutz erhoffte. Ex-Ministerpräsident Andreotti soll sogar mit dem höchsten Paten Toto Riina den Bruderkuss ausgetauscht haben.
Gladio
In der "Strategie der Spannung" fällt der Organisation "Gladio" eine ganz besondere Rolle zu. Gladio wurde von SISMI und NATO organisiert, um im Fall eines sowjetischen Einmarsches einen Partisanenkrieg gegen die Sowjetunion zu führen. Gladio gab es nicht nur in Italien, es handelt sich um NATO-Strukturen, die unter anderem gute Kontakte mit allen relevanten faschistischen Parteien und Organisationen auszeichnete. Ihre Hauptaufgabe war es, dem Einfluß der Linken entgegenzuwirken und zu putschen, sollte es zu einer "kommunistischen Machtergreifung" kommen.
Entdeckt wurde die NATO-Untergrund-organisaion von Felice Casson im Zuge der Ermittlungen wegen der Bombenattentate in Mailand. Obwohl offiziell 1972 aufgelöst, bestätigt Ministerpräsident Andreotti 1990 die Aktivität von Gladio. Nur wenige Tage später, am 20. Oktober 1990, wird dies von der Regierung, zusammen mit dem Bekenntnis, dass Gladiostrukturen (sogenannte "Stay behind" – Truppen), in allen NATO-Staaten und auch in einigen "neutralen" Staaten existieren, bestätigt.
Dass in anderen Ländern, etwa der BRD, der Schweiz und Österreich, wo ebenfalls Gladio-Strukturen aufgedeckt wurden, die Aktivitäten nicht so intensiv waren, ist wohl darauf zurückzuführen, dass in diesen Staaten der Einfluß der Linken deutlich geringer war und eine Machtübernahme der Linken durch die NATO als wenig wahrscheinlich eingestuft wurde.
Heute oder morgen?
Je länger diese Ereignisse zurückliegen, desto mehr Informationen bekommt die Öffentlichkeit, allerdings wird jede Beteiligung die nachgewiesen werden kann, als Einzelfall dargestellt. Dass aber auch auf der G8-Demonstration Ende Juli in Genua diese "alte Strategie" angewandt wurde, bezweifeln nicht einmal seriöse, bürgerliche Tageszeitungen wie die "Corriere della Sera". Die Bewegung sollte gespalten werden, die Guten sollten sich von den Bösen und die Militanten von den Friedlichen distanzieren. Zu diesem Zweck werden auf der Demonstration ProvokateurInnen (welche hauptsächlich von der Polizei aber auch von faschistischen Organisationen stammen) eingesetzt. Kurz nach dem G8 Gipfel in Genua wurde dem Senat ein Geheimdokument vorgelegt, welches eine Liste von faschistischen Organisationen enthält, welche es sich zum Ziel gemacht haben, in Genua Gewalt zu schüren, was auch durch zahlreiche Bild- und Tondokumenten in italienischen Medien belegt wird.
Bereits vor der Demonstration sind in Genua einige Anschläge verübt worden, einige Bomben wurden gefunden. Einerseits sollte mit Bomben vor Treffpunkten der DemonstrantInnen, etwa dem Carlini-Stadion, die radikale Linke eingeschüchtert werden, andererseits wurde mit Anschlägen auf PolizistInnen die öffentliche Meinung gegen die DemonstrantInnen mobilisiert. Nach den Ereignissen in Genua, als ganz Italien über die Polizeigewalt auf der Demonstration sprach, dann die Draufgabe.
Eine Bombe explodierte kurz vor einem Besuch von Silvio Berlusconi in Venedig, gleich wurde von Medien und bürgerlichen PolitikerInnen ein Attentat von Linksradikalen vermutet. Doch auch der Vize-Bürgermeister von Venedig vermutet hinter dem Anschlag ein Zeichen der Geheimdienste an die Stadt Venedig, die Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Gruppen einzustellen
Zitate:
Die CIA wollte mit dem Aufleben eines Ultranationalismus und der Beteiligung der extremen Rechten, speziell des Ordine Nuovo, die politische Entwicklung nach Links stoppen. Dies war das Ziel der Strategie der Spannung.
(Gianadelio Maletti, italienischer Geheimdienstchef)
Der Sinn der Strategie der Spannung:
die Bevölkerung absichtlich in Unruhe und Angst vor einem Ausnahmezustand zu halten. Bis sie bereit war, einen Teil ihrer persönlichen Rechte im Austausch für größere Sicherheit aufzugeben.
(Vincenzo Vinciguerra, Mitglied von Gladio)
Es war nie meine Aufgabe Moro zu retten. Meine Mission bestand darin, Italien zu stabilisieren und zu verhindern, dass die Kommunisten an die Regierung kommen.
(ein US-Agent, der während der Entführung Aldo Moros 1978 in den italienischen Krisenstab entsand wurde.)
Die CIA benutzte Ordine Nuovo (…) Die Funktion der CIA war es, Verbindungen zwischen der extremen Rechten Italiens und Deut-schlands herzustellen. Sie gaben den Ton an, bestimmten die Regeln, lieferten auch das notwendige Material. (…) Wir bekamen den Hinweis, dass (..) Sprengstoffladungen für Ordine Nuovo eintreffen sollten. Wir meldeten dies (…) aber nichts geschah. Dafür stellten wir später fest, dass der beim Anschlag Piazza Fontana benutzte Sprengstoff aus einem dieser Transporte stammte.
(Gianadelio Maletti – italienischer Geheimdienstchef)
Zeittafel: | |
12.12.1969 | Bombe in Mailand; 12 Tote, 84 Verletzte. Ordine Nuovo im Auftrag von NATO und CIA |
31.05.1972 | Autobombe in Peteano; 3 Tote. Die Neuaufnahme des Verfahrens führt den Untersuchungsrichter Felice Casson 1990 zur Entdeckung Gladios. |
28.05.1974 | Bombe bei einer antifaschistischen Demonstration in Brescia; 9 Tote, 90 Verletzte |
04.08.1974 | Bombe im Zug Florenz-Bologna; 12 Tote, 48 Verletzte |
02.08.1980 | Bombe im Bahnhof Bologna; 85 Tote, 200 Verletzte. 2 Mitglieder der faschistischen NAR werden zu lebenslanger Haft verurteilt, 2 SISMI-Offiziere wegen Legens falscher Spuren zu Haftstrafen. Auftraggeber: Licio Gelli (P2) und Francesco Pazienza (CIA). |
23.12.1984 |
Eine Bombe detoniert in einem Eisenbahntunnel; 27 Tote, 180 Verletzte |