Der Trotzkismus stellt innerhalb der radikalen ArbeiterInnenbewegung in Europa eine der stärksten Strömungen dar. So konnten beispielsweise die französischen TrotzkistInnen der Lutte Ouvrière (LO) mit ihrer Vorsitzenden Arlette Laguiller bei den Präsidentschaftswahlen im April 5,73% der Stimmen für sich verbuchen. Die Kandidaten der beiden anderen trotzkistischen Organisationen kamen auf 4,26% (LCR) und 0,47% (PT). Insgesamt kamen die diese Kräfte somit auf 10,46%. Auch in Österreich stellt die trotzkistische Linke einen nicht unbedeutenden Anteil der radikalen Linken. Obwohl in Österreich auf Wahlebene neben der, zwischen Stalinismus und Reformfantasien schwankenden, KPÖ keine relevanten linken Kräfte existieren, wird doch der überwiegende Teil der öffentlich-medialen Präsenz der radikalen Linken (ausser der KPÖ) vom trotzkistischen Spektrum getragen. Vor allem durch den Niedergang der stalinistischen Gruppen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist eine Zunahme des Einflusses des Trotzkismus in Österreich zu beobachten.
Schimpfwort und Positionierung
Als Trotzkismus wird jene Strömung der ArbeiterInnen-bewegung aus marxistisch-bolschewistischer Tradition bezeichnet, die sich in Abgrenzung zum Stalinismus und dessen Theorien der “Volksfront” und des “Sozialismus in einem Land” auf die Kritik Trotzkis und der linken Opposition an der Degeneration der russischen Revolution in den frühen 20er-Jahren bezieht. Mit der Ablehnung der bürokratischen Auswüchse in den stalinistischen Staaten, und der damit einhergehenden Verunglimpfung und Degeneration sozialistischer Grundwerte, stellt der Trotzkismus die konsequente Fortentwicklung der von Karl Marx und Friedrich Engels entwickelten Theorien dar.
Der Begriff “Trotzkismus” wurde zu Beginn von StalinistInnen als Schimpfwort verwendet. Dadurch sollte die Behauptung der stalinistischen Büro-kratInnen untermauert werden, dass es sich beim Trotzkismus um eine differente Strömung handle, die mit den Theorien von Marx und Lenin nichts zu tun habe.
TrotzkistInnen selber verwendeten Begriffe wie Bolschewiki-Leninisten (BL) oder Revolutionäre Kommunisten (RK). Später begannen sie sich auch selbst als TrotzkistInnen zu bezeichnen, um sich für andere klar sichtbar zu positionieren.
Frey und die KPÖ(O)
Die bestimmende Figur des österreichischen Trotzkismus in der ersten Republik war zweifellos Josef Frey. Während der Streikbewegung 1918 war Frey Vorsitzender des Wiener ArbeiterInnen- und Soldatenrates. 1921 trat er mit der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft revolutionärer Arbeiterräte (SARA) in die KPÖ ein. Der Austritt der Gruppe um Frey war jedoch vermutlich schon zuvor beschlossen worden. Durch den längeren Verbleib in der Sozialdemokratie sollten lediglich weitere Mitglieder gewonnen werden.
Nach dem Übertritt der SARA zur KPÖ begann diese, unter dem starken Einfluss von Frey, bei Arbeitenden und in Großbetrieben Erfolge zu verbuchen. Nach Flügelkämpfen innerhalb der KPÖ setzten sich 1922 die “Ultralinken” durch und Frey wurde nach Deutschland “versetzt”. Zwischen 1925 und 1927 begann die bereits zuvor eingesetzte Bürokratisierung der KPÖ besonders aggressive Formen anzunehmen. Die KPÖ ging nun aktiv gegen Mitglieder der Opposition vor. Diskussionsverbote wurden erlassen und Schlägertrupps überfielen mehrmals Veranstaltungen. Auch Frey selbst wurde bei tätlichen Angriffen auf einer politischen Veranstaltung verletzt.
Nachdem sich 1923 die linke Opposition in der KPdSU gebildet hatte, entstanden auch in zahlreichen anderen Ländern Gruppen innerhalb der kommunistischen Parteien, die die fortschreitende Bürokratisierung kritisierten. In Österreich wurde die oppositionelle Frey-Gruppe 1927 wegen “menschewistischer Abweichungen” aus der KPÖ ausgeschlossen und gründete die KPÖ-Opposition als eigenständige Organisation. Etwa 400 aktive Mitglieder gehörten der neu gegründeten Gruppe an, die fortan die Zeitung “Arbeiterstimme” herausgab. Aufgrund wohl weitgehend persönlich bedingter Animositäten, schloss sich die KPÖ(O) allerdings nicht der internationalen linken Opposition an.
Der Kampfbund
Obwohl die “Arbeiterstimme” 1933 von der austrofaschistischen Regierung unter Dolfuss verboten wurde, erlebte die KPÖ(O) in den frühen 30er-Jahren einen stetigen Aufschwung. Nach der Niederlage im BürgerInnenkrieg und dem Versagen der Sozialdemokratie 1934 gewann der Kampfbund Mitglieder vor allem aus den Reihen des Schutzbundes und der sozialdemokratischen Vorfeldstrukturen. Außerdem wurde mit der Orientierung auf die KPÖ auch der Name KPÖ(O) aufgegeben. Die Frey-Gruppe wurde in Anlehnung an Lenins erste Organisation in “Kampfbund zur Befreiung der Arbeiterklasse” umbenannt. Die Zeitung erhielt den Namen “Arbeitermacht”.
Bei den großen TrotzkistInnenprozessen in Wien 1937 wurden Mitglieder der Gruppe “Revolutionäre Kommunisten” verurteilt. Die RK hatten sich vor 1934 als Fraktion innerhalb der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) gegründet, waren 1934 in den Kommunistischen Jugendverband (KJV) übergetreten, um schließlich eine eigenständige Struktur rund um Josef Hindels und Georg Scheuer aufzubauen. Die starke Repression führte bei Freys Kampfbund zu noch stärker konspirativer Arbeit und gipfelt teilweise in autoritären Erscheinungen. Trotzdem bewährte sich das Konzept: Der Kampfbund und die anderen trotzkistischen Gruppen verloren im Vergleich zur KPÖ wesentlich weniger ihrer Kader im Faschismus. Dennoch waren Franz Kascha und Josef Jakobovits von der Gestapo gefoltert und hingerichtet worden; sieben weitere hatten das KZ nicht überlebt.
In den darauffolgenden Jahren des Zweiten Weltkrieges kam es innerhalb des österreichischen Trotzkismus zu einem Umgruppierungsprozess. Die Gruppe “Proletarische Internationalisten” (PI) um Franz Modlik, die sich von Freys Kampfbund getrennt hatte, verzeichnete in dieser Zeit den größten Zulauf. Grund für die Abspaltung der PI vom Kampfbund war die “Kombinierte Kriegstaktik” (KKT).
Die von Frey entwickelte Theorie der KKT besagte, dass in imperialistischen, mit der Sowjetunion verbündeten Ländern, die ArbeiterInnen den Krieg unterstützen und bewaffnet gegen den Imperialismus kämpfen sollten. Diese Theorie Freys stand im Widerspruch zum revolutionären Defätismus Lenins, der eine Beteiligung der ArbeiterInnenklasse an einem imperialistischen Krieg ausschloss. Laut Lenin sollten die ArbeiterInnen vielmehr versuchen den Krieg in einen BürgerInnenkrieg umzuwandeln und so das herrschende System zu Sturz bringen.
Zusammenschluss und Repression
Im Jänner 1945, also noch während der letzten Kriegsmonate, wurde die PI in KLB (Karl-Liebknecht-Bund) umbenannt. Die neue Zeitung wurde “Der Spartakist” genannt. Zum Zeitpunkt der ersten konspirativen Konferenz des KLB bestand der Bund aus 93 Personen, von denen 50 als Vollmitglieder eingestuft wurden. Das Konzept der strengen Konspiration wurde, aus Angst vor Repression, auch nach dem Krieg aufrecht erhalten.
Die neue Bedrohung war die russische Besatzungsmacht, die zusammen mit der von Moskau gesteuerten KPÖ versuchte, trotzkistische Aktivitäten in Österreich zu unterbinden. So wurde 1947 der Linksoppositionelle Karl Fischer von sowjetischen Behörden entführt und in ein Arbeitslager in Sibirien verschleppt. Fischer, der erst 1945 aus dem KZ entlassen worden war, kam erst 1955 wieder frei und starb wenige Jahre später an den Folgen eines Selbstmordversuches während seiner Haft in Sibirien.
Nach dem Zusammenschluss des KLB mit dem Kampfbund 1946 zur Gruppe “Internationale Kommunisten Österreich” (IKÖ) war kurzfristig das gesamte trotzkistische Spektrum in Österreich in einer einzigen Organisation zusammengefasst. Die IKÖ, die in den ersten Jahren nach dem Krieg neben ihrer politischen Tätigkeit oft auch humanitäre Aufgaben (Verteilung von Nahrungsmittelspenden ausländischer GenossInnen an die Mitglieder) zu übernehmen hatte, organisierte rund 190 Personen. In späteren Jahren zerbrach der KLB jedoch wieder in Kampfbund und IKÖ. Die IKÖ und ihre späteren Nachfolgeorganisationen repräsentierten das Vereinigte Sekretariat der Vierten Internationale (VS) in Österreich, die bis heute größte Strömung des internationalen Trotzkismus.
Die Zeit der Besatzung
Als eine der wichtigsten Interventionen der trotzkistischen Bewegung während der Zeit der alliierten Besatzung muss zweifellos der SchuharbeiterInnenstreik von 1948 angesehen werden. Während der Kampfmaßnahmen, an denen sich etwa 3700 ArbeiterInnen, unter ihnen zwei Drittel Frauen, beteiligten, waren die TrotzkistInnen sogar mit einem Mitglied in der Streikleitung vertreten und stellten zwei Betriebsräte. Obwohl es der Sozialdemokratie und der stalinistischen KPÖ schlussendlich gelang, die Bewegung wieder unter ihre Kontrolle zu bringen, war es den TrotzkistInnen gelungen, die Bewegung politisch nachhaltig zu beeinflussen. Die TrotzkistInnen waren in ihrer Agitation durch ihr streng konspiratives Auftreten benachteiligt, das es ihnen nicht möglich machte, ihre Kader öffentlich als Mitglieder zu deklarieren.
Mitte der 50er-Jahre nahmen der Einfluss und die personelle Stärke der trotzkistischen Gruppen zunehmend ab. Das große Vertrauen, das die Bevölkerung in den konjunkturell bedingt sehr spendablen Kapitalismus gewonnen hatte, machte eine Systemalternative für viele subjektiv unnotwendig.
Der soziologische Wandel
Ende der 60er-Jahre setzte in Österreich eine signifikante Veränderung des trotzkistischen Spektrums ein. Die Gruppen, die vormals hauptsächlich aus ArbeiterInnen bestanden hatten, begannen, beeinflusst durch die internationale StudentInnenbewegung, ihre Verankerung in den Betrieben weitgehend zu verlieren und auf StudentInnen und SchülerIn-nen zu orientieren. Das brachte nicht nur eine Reihe neuer Gruppierungen hervor, sondern, ganz allgemein, eine starke Veränderungen der politischen Landschaft.
Nachdem die IKÖ 1963 zusammengebrochen war, begannen ehemalige Kader der Gruppe zusammen mit einigen neu gewonnenen GenossInnen ab 1967 die Zeitschrift “Die Revolte” zu publizieren. Mit der Revolte gelang es neue Schichten anzusprechen. Im Juni 1968 gründeten die HerausgeberInnen der Revolte, zusammen mit einigen neu gewonnenen Personen aus studentischem Umfeld, die “Trotzkistische Organisation Österreichs” (TOÖ), die 1970 in “Kommunistische Liga Österreichs” (KLÖ) umbenannt wurde. Aufgrund ihrer Größe und politischen Schwäche zerbrach die Gruppe 1971 an inneren Streitigkeiten.
1972 entstand schließlich die “Gruppe Revolutionärer Marxisten” aus dem Zusammenschluss mehrerer, bis dahin irrelevanter, Gruppen aus verschiedenen Zusammenhängen und den Resten der KLÖ. Die Gruppe, die zu Beginn aus etwa 40 Personen bestand, begann 1973 mit der Herausgabe der Zeitung “Rotfront” und wuchs durch intensive Arbeit im studentischen Bereich bis 1975 auf 80 Mitglieder an. Wegen ihrer starken Mobilisierungsfähigkeit – im Umfeld der GRM standen zeitweise bis zu 500 Personen – entschied man sich für die Kandidatur zur Nationalratswahl. Nachdem die GRM in Wien nur etwa 1000 Stimmen erhalten hatte, waren viele der jüngeren Mitglieder enttäuscht. Die GRM verlor in den Monaten nach der Wahl ein Drittel ihrer Mitglieder.
Nach missglückten Versuchen sich stärker auf ArbeiterInnen zu orientieren und einer verstärkten Annäherung an das grüne Ökologiespektrum schrumpfte die Gruppe bis Mitte der 80er stark. Einzelne Mitglieder machten zwar innerhalb der Grünen Karriere, wie Franz Floss, der bald zum Spitzenfunktionär der Bundespartei aufstieg, bekannten sich aber öffentlich nicht zur GRM. Andere, wie Peter Pilz, traten aus der GRM aus und etablierten sich eigenständig. Die GRM selbst erhielt 1986 ihren heutigen Namen “Sozialistische Alternative” (SOAL).
Die parallel zur GRM 1976 gegründete “Internationale Kommunistische Liga” (IKL) entstand aus einem Zusammen-schluss kleiner trotzkistischer Diskussionszirkel und ehemaliger Mitglieder des 1973 zusammengebrochenen Kampfbundes und gab die Zeitung “permanente Revolution” heraus. Die IKL stand der GRM äusserst kritisch gegenüber und warf ihr Opportunismus vor. Aus der IKL entwickelten sich durch Trennungen und Umgruppierung in weiterer Folge die heute noch existenten trotzkistischen Gruppen “ArbeiterInnenstandpunkt” (ASt), “Arbeitsgruppe Marxismus” (AGM), “Initiative für eine revolutionäre Organisation” (IRO) und die “Revolutionär Kommunistische Liga” (RKL), die sich jedoch Mitte der 90er-Jahre ideologisch vom Trotzkismus verabschiedete.
Durch die Intervention englischer TrotzkistInnen des internationalen Zusammenschlusses “Committee for a Workers’ International” (CWI) entstand 1981 aus marxistischen Kräften innerhalb der Sozialistischen Jugend (SJ) die Zeitung “Vorwärts”. Nach ihrem Ausschluss aus der SJ 1992 gründeten sie schließlich 1996 die “Sozialistische Offensive Vorwärts” (SOV), die 2001 in “Sozialistische Linkspartei” (SLP) umbenannt wurde. Aus der Tradition des Vorwärts entstammt weiters die Gruppe “Der Funke”, die weiter innerhalb der SJ arbeitet und ebenfalls dem trotzkistischen Spektrum zuzuordnen ist.
Aus einer Vorfeldstruktur der SOV entwickelte sich außerdem die Antifaschistische Linke (AL), die 2007 mit der Arbeitsgruppe Marxismus zur “Revolutionär Sozialistischen Organisation” (RSO) fusionierte.