Die Zeit des Wahlkampfes hat im Vatikan begonnen. Die angeschlagene Gesundheit Johannes Pauls II lässt darauf schließen, dass der heilige Vater bald zu seinem himmlischen Arbeitgeber abberufen werden wird. Und so rüstet man im Gottesstaat zur bevorstehenden Wahl des Staatsoberhauptes. Ein Amt auf Lebenszeit, Macht über einen finanzkräftigen und weltweit einflussreichen Apparat sowie Unfehlbarkeit winken dem Sieger.
Johannes Paul II, alias Karol Wojtyla, nunmehr seit 1978 im Amt, ist schwer krank und wird so gezwungen, sich mehr auf das "orare", denn auf das "laborare"* zu beschränken. Es gibt in der Kirche keine Regelung, einen im Koma liegenden, oder geistig verwirrten Papst abzusetzen, doch kann dieser aus freien Stücken zurücktreten (solange er noch zurechnungsfähig ist). Momentan ist dieser Schritt jedoch nicht sehr wahrscheinlich, obwohl er wohl angenehme Folgen haben könnte. Da in der katholischen Kirche alle Macht auf den Papst konzentriert ist, könnten Gläubige, die mit Entscheidungen des neuen Papstes nicht einverstanden wären, sich auf den alten berufen. Damit wäre eine Kirchenspaltung vorprogrammiert.
Top of the pope
123 von 185 Kardinälen sind momentan, aufgrund der Altersobergrenze von 80 Jahren, berechtigt, sich zur Papstwahl zu stellen. Bis jetzt musste so oft gewählt werden, bis eine Zwei-Drittel-Mehrheit für einen Kandidaten erzielt wurde. Nach der neuen Wahlordnung reicht nach dem 30. Wahlgang nun eine einfache Mehrheit für das begehrte Amt. Demnach steigt für Fraktionen die Möglichkeit, Kompromisskandidaten durchzubringen, dies gilt aber aufgrund der Mehrheit der Konservativen im Kollegium als nicht sehr wahrscheinlich.
Zwei Lager werden Vatikanexperten favorisiert: Die Einen tippen auf einen Italiener, da Italien die meisten Kardinäle stellt, und sich die Italiener nach 25 Jahren polnischer Herrschaft nach "Normalität" sehnen (Johannes Paul war der erste nicht-italienische Papst), die Anderen favorisieren einen Kandidaten aus Lateinamerika, da dort die Hälfte aller KatholikInnen weltweit lebt.
Ebenfalls Thema ist die Wahl eines Schwarzen zum Papst, da die Hauptrekrutierungsbecken der katholischen Kirche in Afrika, Südamerika und Südostasien liegen und die Schäfchen sich mit einem schwarzen Papst besser identifizieren könnten. Diese Option ist jedoch nicht sehr wahrscheinlich, da der einzige Schwarze unter den Favoriten zu den Gemäßigten gezählt wird.
Doch vorerst hält der Papst noch alle Fäden, die er in seiner fast 25-jährigen Regentschaft gesponnen hat, in seiner zittrigen Hand. Er hat die Zeit genutzt, um ein konservatives Machtgeflecht aufzubauen. In den vatikanischen Ministerien sitzen fast ausschließlich Prälaten, die von Johannes Paul ernannt wurden, in Südamerika hat er Befreiungstheologen durch streng rechtgläubiges Personal, vor allem aus dem rechtskonservativen Opus Dei*², ersetzt. Nun spekulieren die Mächtigen der Kirche darauf, einen alten Papst einzusetzen, da eine lange Amtszeit den Einfluss der jetzigen Machthaber schwächen würde.
"Santa Mafia"
Nicht nur innerkirchlich ist der Papst mächtig, auch in der Weltwirtschaft mischt der Gottesstaat mit. Als Mitglied bzw. Beobachter in den Vereinten Nationen, der OSZE, der WTO etc. betreibt der Vatikan knallharte Politik. 1994 ließen die Oberhirten beinahe die Weltbevölkerungskonferenz aufgrund der Abtreibungsfrage platzen, in Europa sehen sie "antichristliche Strömungen bei Sozialisten und Liberalen".
Der Versuch, sich die seit dem Mittelalter verlorengegangene Macht wiederzuholen, verdeutlicht, laut PolitologInnen, den Machtkampf hinter den Kulissen im Vatikan. Die Hintermänner versuchen Reformen, die ein Nachfolger Johannes Pauls möglicherweise durchzuführen hofft, schon im Vorhinein einen Riegel vorzuschieben.
Auf einen "fortschrittlichen" Papst darf also nicht gehofft werden. Doch in Anbetracht der Tatsache, dass die Kirche immer mehr und mehr AnhängerInnen verliert und immer weniger Priesternachwuchs bekommt, wollen wir dieser Tatsache nicht übermäßig trübsinnig entgegenblicken.