Unterdrückung, Faschismus und Reaktion: Eine politische Geschichte Südtirols

Wieso die Umbenennung des Bozener "Siegesplatzes" in der italienischen Provinz Südtirol zum nationalistischen Machtkampf zweier Parteien wurde, und wieso sich die italienischsprachige Bevölkerung von Bozen geschlossen hinter die PostfaschistInnen stellte, kann wohl nur die Geschichte des Landes beantworten.

Im Oktober 1920 wurde Italien durch den Friedensvertrag von Saint-Germain als legitimer Souverän über die ehemals österreichischen Gebietsteile festgesetzt. Mit "Gebietsteile" war nicht nur die heute autonome italienische Provinz Südtirol gemeint, sondern auch das italienisch-sprachige Trentino. Letzteres galt nicht nur in Italien, sondern im gesamten von der Idee der nationalen Selbstbestimmung geprägten Europa als letztes "unerlöstes" italienisches Gebiet, nachdem die österreichische Monarchie durch die Kriege 1859 und 1866 ihre italienischsprachigen Gebiete (Venetien, Lombardei) verloren hatte.

Bereits vor dem ersten Weltkrieg galt für italienische NationalistInnen der Brenner als nördliche Grenze Italiens als ausgemacht. Nicht nur, um die zukünftige Provinz Trentino geographisch abzusichern, sondern auch wegen der vor allem wirtschaftlichen Bedeutung des Brenners. Nachdem Italien bereits 1887 aus dem Bündnis mit Österreich/Ungarn und dem Deutschen Reich ausgetreten war, wurde die Brennergrenze als italienisches Kriegsziel am 26. April 1915 im "Londoner Vertrag" mit den Alliierten beschlossen. "Ganz Südtirol [sollte] bis zum Brenner als einer natürlichen Grenze […]" Italien zugesprochen werden.

In Saint-Germain sollte sich dann herausstellen, wie biegsam die 17 Punkte Wilsons sein können: Diese Friedensbedingungen des amerikanischen Präsidenten, die unter anderem die Abschaffung der Monarchie in den besiegten Ländern verlangten, enthielten auch ein Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht und forderten unter Punkt 9 die Berichtigung der italienischen Grenze "nach den klar erkennbaren Linien der Nationalität". Es war nun an Italien, die Bevölkerung Südtirols bei der Konferenz als eine ursprünglich italienische darzustellen.

Der Erfolg dieser Bestrebung war vor allem Ettore Tolomei (1865-1952) zuzuschreiben: In einem enormen Arbeitsaufwand gelang ihm die Italienisierung beinahe aller deutschen Orts- und Flurnamen – die übrigens auch heute noch den vielen deutschnational gesinnten PolitikerInnen ein Dorn im Auge sind. In Saint-Germain ließen sich die Siegermächte von der italienischen Delegation beeindrucken bzw. übten sich im Wegschauen, da das Gebiet ja bereits vor dem Eintritt Italiens zur Kriegsbeute erklärt wurde. Die Annexion Südtirols in Form einer "occupatio bellica" (Kriegsbesetzung) konnten weder die italienischen SozialdemokratInnen, noch Österreich abwenden, das sich eindeutig in der Defensive befand. Noch während der Friedenskonferenz versprach die Delegation der SüdtirolerInnen, "für immerwährende Zeiten auf dem Selbstbestimmungsrechte zu bestehen." Was dies bedeutet, wissen wir heute nicht nur im Hinblick auf den "Südtirolterror" in den 60er und 80er Jahren. Auch die künstlich aufrechterhaltene Trennung zwischen den beiden Volksgruppen ist auf diese Forderung zurückzuführen.

Faschismus in Südtirol

Zunächst aber konnte von Selbstbestimmung im, von nun an "Alto Adige" genannten, Südtirol nicht die Rede sein. Das von Tolomei entwickelte Italienisierungsprogramm wurde ab dem Jahre 1922 zum Programm des italienischen Faschismus. Dieser war ähnlich wie in anderen Ländern Europas eine Reaktion auf eine starke Arbeiter-Innenbewegung. Mit Streiks, Massendemonstrationen, Fabrik- und Landbesetzungen manifestierten die ArbeitnehmerInnen Italiens zwischen 1919 und 1922 ihren Ärger über Inflation und wirtschaftliche Instabilität. Das Land stand am Rand einer kommunistischen Revolution.

Dem gegenüber sahen sich die Bürgerlichen in die Enge getrieben und begannen ihr Land bzw. ihr Kapital zu "verteidigen". Sie stützten sich auf bewaffnete, stark nationalistische Verbände, die sozialistische und kommunistische Organisationen in italienischen Städten sowie antinationalistische Bewegungen bzw. ethnische Minderheiten bekämpften. Die sogenannten "Fasci di Combattimento", aus denen sich schon bald eine Partei formierte, wurden von Mussolini gegründet, der aus einem kriegsbegeisterten und nationalistischen Teil des PSI (Partito Socialista Italiano) hervorgegangen war. Am 24. Oktober 1922 forderte der Führer der "Schwarzhemden" mit der Unterstützung der Konservativen die Regierungsverantwortung für seine Partei. Der "Marsch auf Rom" war daraufhin nur noch ein demonstrativer Akt, der dem Beginn der faschistischen Diktatur in Italien Nachdruck verleihen sollte.

In einer Rede vor der Kammer im Jahre 1926 bezeichnete Benito Mussolini die deutschsprachigen SüdtirolerInnen als "ethische Reliquie": "Es sind ihrer 180.000; von diesen behaupte ich, dass 80.000 verdeutschte Italiener seien, die wir wieder einen wollen, indem wir ihnen ihre alten italienischen Familiennamen wiedergeben." Dieser Umbenennung aller Vor- und Nachnamen waren in Südtirol bereits zwei Jahre Straßenterror durch die "Fasci di Combattimento" vorangegangen, gefolgt von drei Jahren systematischer "Umerziehung".

Auf der einen Seite wurden deutsche Tageszeitungen verboten, wurde das italienische Verwaltungssystem eingeführt und die italienische Sprache zur Amts- und Unterrichtssprache erklärt. (Parallelen hierzu können übrigens zu den Verwaltungsmaßnahmen des Trentino durch die österreich-ungarische Monarchie vor dem Ersten Weltkrieg gezogen werden.) Andererseits wurden Grundeigentumsrechte für Einheimische eingeschränkt und Arbeitsplätze für italienische ZuwandererInnen geschaffen. Bis 1939 stieg die Anzahl der italienischsprachigen Bevölkerung in Südtirol um 300% (80.800 bei ca. 235.000 Deutschsprachigen). Dies war die Folge eines speziellen Ar-beitsplatzbeschaffungsprogramms von 1934 zur Industrialisierung der Gemeinde Bozen, das unter anderem die Befreiung von der Einkommenssteuer für 10 Jahre und enorme Staatsbeiträge für italienische Unternehmensgründungen vorsah.

In diesen Jahren erfuhr die Landeshauptstadt auch in ihrem Äußeren nachhaltige Veränderungen: die Industriezone sowie ArbeiterInnenwohnsiedlungen wurden aus dem Boden gestampft, es entstanden die auch heute noch als solche bezeichneten "italienischen Viertel", die sich um das 1928 errichtete Siegesdenkmal gruppieren. Das Denkmal, das an den Sieg im Ersten Weltkrieg erinnern sollte, trägt die Aufschrift "Hier an des Vaterlandes Grenzen haben wir die Anderen an Sprache und Kultur veredelt". Seit seiner Errichtung hat es mehrere Anschläge heil überstanden und war bis zum heutigen Tag immer Zankapfel italienischer und deutschsprachiger NationalistInnen. Die Auseinandersetzungen gipfelten zuletzt im sogenannten "Friedensplatz-Referendum" Anfang Oktober dieses Jahres.

Heute hat Bozen an die 100.000 EinwohnerInnen, davon 73% italienischsprachige, die teilweise von jener Generation abstammen, welche in den 20ern und 30ern angesiedelt wurden. Vor allem die ältere Generation ist sich oft bis zum heutigen Tag bewusst, dass sie ihre gesicherte Existenz dem Regime Mussolini zu verdanken hat.

Für den anderen Faschismus

Von einer "Schutzmacht Österreich", deren Bedeutung auch heute noch gern und oft betont wird, konnte in diesen Jahren keine Rede sein. Führende österreichische PolitikerInnen vermieden sogar den Ausdruck "Südtirol" und benützten dafür die Bezeichnung "Oberetsch" (Alto Adige). Das resultierte einerseits aus der Defensivrolle, mit der Österreich aus dem Ersten Weltkrieg ausgestiegen war. Andererseits bemühte sich die Regierung in Wien ihrerseits um italienischen Schutz vor den bereits damals spürbar gewordenen deutschen Ambitionen zur Einverleibung Österreichs. Italien wiederum setzte außenpolitisch auf eine Zusammenarbeit mit dem österreichischen und ungarischen Faschismus. Vor allem die Christlich-Sozialen wurden als Partner betrachtet und die "Heimwehr" mit Waffenlieferungen im Kampf gegen die Sozialisten unterstützt. Diese Achse Italien-Österreich-Ungarn verlor erst ab 1936 an Bedeutung, als sich die Beziehung zwischen Mussolini und Hitler-Deutschland allmählich festigte.

Nach dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich im Jahre 1938 geschah etwas, das wohl auch für Ettore Tolomei – der bis dahin alle politischen Schritte zur Assimilierung Südtirols bereits 1915 in seiner Schrift "Annessione e adattamento" (Anschluss und Assimilation) niedergeschrieben hatte – unerwartet kam: Die "Option". Die SüdtirolerInnen wurden vor die Wahl gestellt, entweder ins Deutsche Reich auszuwandern, oder in der Heimat zu bleiben und die italienische Identität anzunehmen, was unter anderem das Verbot der Muttersprache bedeutete. Die Entscheidung zerriss die Bevölkerung. Der deutschnationale "Völkische Kampfring Südtirols" warb für das Auswandern, da man hoffte, Hitler würde sich doch noch zu einem Anschluss Südtirols entschließen, wenn sich alle für das "Reich" entscheiden würden.

Der Deutschnationalismus in der südtiroler Bevölkerung war durch die Knechtschaft unter dem italienischen Faschismus zwar nicht entfacht, dennoch aber geschürt und gesteigert worden. Viele waren schon lange zuvor in der illegalen Organisation der NationalsozialistInnen aktiv. Für diese war das "Ja" zur Option eine natürliche Konsequenz. Die relativ kleine Anzahl der sogenannten "Dableiber" war meist weitsichtiger. Sie hofften auf ein baldiges Ende des Krieges, auf ein Ende des Faschismus oder hatten einfach mehr Kapital zu verlieren. Neben den vielen jungen Männern, die in der deutschen Wehrmacht kämpfen wollten, befanden sich unter den ersten AuswandererInnen vor allem TagelöhnerInnen, landwirtschaftliche Bedienstete sowie ArbeiterInnen in kleinindustriellen Unternehmen.

Bis zum Ende der Eintragungsfrist am 31. Dezember 1939 entschieden sich 213.000 SüdtirolerInnen (von 247.000) für die Auswanderung. Tatsächlich ausgewandert sind bis 1942 allerdings "nur" 75.000. Der Krieg hatte der Entleerung Südtirols ungewollt einen Riegel vorgeschoben.

Wie flexibel die nationalsozialistische Ideologie im Bezug auf die "Einigung des deutschen Volkes" in Wahrheit war, kann am Beispiel der Umsiedlungsversuche der südtiroler Bevölkerung veranschaulicht werden: Im Unterschied zu den Sudetendeutschen, wo ein Territorium ausgeweitet wurde, sollten die SüdtirolerInnen "Heim ins Reich" geholt werden. Wenn auch die Südtirolpolitik Hitlers für viele unerwartet gekommen war, so hatte sich dieser doch bereits lange, bevor er Reichskanzler geworden war, für eine deutsche Bündnispolitik mit Italien ausgesprochen. Gleichzeitig sollten die Deutschen den Gedanken an Südtirol und an seine Wiedergewinnung auslöschen. Dies ist in Hitlers 1926 erschienenen Schrift "Die Südtiroler Frage und das Deutsche Bündnisproblem" belegt. Hitler opferte seine Volkstumsideen einem Bündnis mit Mussolini.

Nationalsozialistische "Befreiung"

Der sogenannte "Einmarsch" der deutschen Wehrmacht in Südtirol am 8. September 1943 – fünf Tage nach dem Waffenstillstand zwischen Italien und den Alliierten – gleicht auf Bildern eher einer Willkommensfeier mit Musik, Fahnen und winkenden Mädchen. Im Unterschied zu Österreich wird dieser Umstand in Südtirol heute zwar nicht betont, aber auch nicht geleugnet. Wird die Freude über den "Anschluss" doch mit der Befreiung vom verhassten italienischen Faschismus gerechtfertigt.

Am 25. Juli wurde Mussolini vom italienischen König Vittorio Emanuele unter militärische Aufsicht gestellt; daraufhin hatte die neue Regierung unter Pietro Badoglio sofort Verhandlungen mit den Alliierten über Frieden und einer militärischen Unterstützung gegen Deutschland geführt. Mussolini, der von deutschen Soldaten befreit worden war, errichtete in Norditalien mit der Unterstützung Hitlers die sogenannte "Republica di Salò". Zur gleichen Zeit konnten PartisanInnenverbände, die politisch unter der Leitung des PCI (Partito Communista Italiano) standen, in Oberitalien immer mehr Erfolge feiern und ganze Stadtteile vor dem Eintreffen der Alliierten befreien. Diese beobachteten die starken kommunistischen Tendenzen im Norden Italiens eher besorgt, da Italien in Verhandlungen zwischen Roosevelt, Churchill und Stalin dem Westen zugesprochen worden war. Dementsprechend schnell wurden die PartisanInnen entwaffnet, um eine sozialistische Revolution zu verhindern.

Bei der Bekämpfung der PartisanInnen wurden auch SüdtirolerInnen eingesetzt. Ein kurz vor dem deutschen Einmarsch in Bozen eingerichteter "Südtiroler Ordnungsdienst" (SOD) legte darüber hinaus nachweislich besonderen Eifer bei der Verfolgung von italienischen Soldaten und Deserteuren sowie bei der Verhaftung von Juden/Jüdinnen an den Tag. Nach Kriegsende hatte demnach das Land eine Menge Nazi-SympathisantInnen und eine ganze Reihe von FunktionärInnen zu verdauen.

Verdauungsstörungen

Auch Italien schluckte seine FaschistInnen. "Entfaschisierung" bedeutete in Italien die Freilassung aller FaschistInnen und Einstellung aller laufenden Prozesse. Bereits 1946 konnte in diesem Klima die neofaschistische Partei MSI (Movimento Sociale Italiano) gegründet werden, die Vorgängerpartei der postfaschistischen "Alleanza Nationale" (AN) von Gianfranco Fini, die seit 2001 Teil der italienischen Regierung ist. Die AN war es auch, die das Referendum zur Wiederumbenennung des "Siegesplatzes" in Bozen initiiert hat.

Die fehlende Distanzierung vom Faschismus in der Politik einiger italienischer Parteien – vor allem der DC (Christdemokraten) – wurde von den westlichen Mächten eher mit Genugtuung, als mit Argwohn beobachtet, galt es doch, die Anbindung Italiens an den Westen zu sichern und einen kommunistischen Umsturz zu verhindern. In diesem Sinne wurde 1946 auch die Friedenskonferenz von Paris abgehalten: Italien konnte seinen Anspruch auf Südtirol geltend machen (ein Referendum der betroffenen Bevölkerung wurde abgelehnt) und bekam 1954 sogar Triest von Jugoslawien zugesprochen. Südtirol wurde im nachhinein oft als "Kleingeld im Länderschacher" bezeichnet, das notwendig war, um eine "kommunistische Gefahr" abzuwenden.

Der Erfolg für die SüdtirolerInnen war eine – im Unterschied zur heutigen – mickrige Autonomie, die keinesfalls international abgesichert war und vor allem die Gleichberechtigung mit der italienischen Bevölkerung in Bereichen der Stellenvergabe und dem Wohnungsrecht sowie die Zweisprachigkeit betraf. Wurde bis Anfang der 50er die Umsetzung des Autonomiestatutes nur hinausgezögert, so wurden spätestens ab dem Wahljahr 1953 wieder Maßnahmen eingeführt, die an den Faschismus der 20er Jahre in Südtirol erinnerten. Als Beispiele wären zu nennen: Wiedereinführung der militärischen Genehmigungspflicht von Eigentumsübertragungen (1953); Verbot von fremdsprachigen (deutschen) Vornamen für Neugeborene; Verurteilung zweier Südtiroler, weil sie die Selbstbestimmung forderten (beides 1955). Im selben Jahr gingen von 2000 Neubauten nur 100 an deutschsprachige SüdtirolerInnen. Der Hass auf die italienischsprachige Bevölkerung stieg parallel zu den Repressionen. Am 16. August 1956 wurde ein italienischer Finanzwächter in einer Schlägerei getötet und die Verantwortlichen in einem sehr umstrittenen Prozess vor einem Gericht in Mailand wegen Mordes verurteilt.

Nachdem in den zwei darauffolgenden Jahren mehrere Sprengstoffanschläge auf Denkmäler, Gebäude und militärische Einrichtungen verübt worden waren, bildete sich um Joseph Kerschbaumer, Georg Klotz und Luis Amplatz eine radikalere Gruppe, die Verbindungen zu österreichischen PolitikerInnen bis ins Außenministerium (Gschnitzer und Kreisky) pflegte. Als "rechtsradikal" konnte man die Aktivisten spätestens ab 1959 bezeichnen, denn von da an bildeten sie zusammen mit österreichischen Faschisten wie Norbert Burger, Aktivist der Wiener Burschenschaft "Olympia" und Vorsitzender des Rings Freiheitlicher Studenten (RFS), den "Befreiungs-Ausschuss Südtirol" (BAS). Burger gründete später aus diesem Umfeld die rechtsextreme NDP (Nationaldemokratische Partei), eine faschistische Abspaltung der FPÖ. Von diesem Zeitpunkt an wurden die Attentate verstärkt und auch eine Bewaffnung der Gruppen durchgeführt.

Am 12. Juni 1961 wurden 34 Elektromasten gesprengt und drei Kraftwerke stillgelegt. Die Gewaltanwendung weitete sich in Folge dieser sogenannten "Feuernacht" auch auf Vertreter der Staatsgewalt aus (z.B. Feuerüberfall auf Polizeieinheiten am 21. August 1961). Im Gegenzug wandten die Carabinieri bei ihren Verhören Foltermethoden an und erpressten Geständnisse.

Insgesamt hat der blutige Konflikt auf beiden Seiten zahlreiche Tote und Verletzte gefordert. Bis heute gelten die Südtiroler Attentäter als tabu und über jede Art von Kritik erhaben. Die Bezeichnung "Terroristen" – erst vor kurzen von einem AN-Politiker gebraucht – wird äußerst ungern gehört, man bevorzugt nach wie vor den Begriff "Freiheitskämpfer". Nachdem im Jahre 2000 eine Biographie über Joseph Kerschbaumer herausgekommen war, erschien heuer, mitten in der Aufregung um das Referendum in Bozen, ein absolut unkritisches Buch über Georg Klotz, den Vater von Eva Klotz, Obfrau der rechtskonservati-ven Partei "Union für Südtirol". Wichtiger jedoch ist, dass breite Teile der Bevölkerung nicht über die Verbindungen der "Widerstandskämpfer" mit internationalen Neonazis Bescheid weiß. Weitgehend unbekannt sind auch die komplizierten Verstrickungen mit dem italienischen und dem amerikanischen Geheimdienst.

Verbindungen

Im März 1964 reisten zwei Söldner der französischen rechtsextremistischen Terrororganisation OAS (die in Algerien gegen die Unabhängigkeit kämpfte) nach Innsbruck. Sie hätten im Auftrag von Neonazi Alfred Borth die Gruppe um Georg Klotz, der gemeinsam mit Luis Amplatz und dem rechtsextremen Terroristen Peter Kienesberger bereits 1961 auf italienische Carabinieri geschossen hatte, auszubilden. Der Auftrag, der nicht ausgeführt wurde, hätte auch die Erschießung eines Polizisten in Bozen beinhaltet.

Borth spielte eine hervorragende Rolle in einem internationalen Netzwerk, das als "stay-behind-Struktur" des US-Auslandsgeheimdienstes CIA bezeichnet werden kann. Von den letzten Kriegsjahren an verfolgte der CIA in vielen Staaten Westeuropas eine sogenannte "Strategie der Spannung", deren Aufgabe es war, allen angeblich oder tatsächlich kommunistischen Tendenzen entgegen zu wirken. Dazu gehörte die Zusammenarbeit mit NeofaschistInnen ebenso wie Putschpläne und das Errichten von Waffendepots für PartisanInnen. Der dafür zuständige Geheimdienst wurde "Gladio" genannt und war in Italien, jenem Land in dem eine Revolution der Linken am meisten zu fürchten war, am wirkungsvollsten.

Auf das Konto dieser Zusammenarbeit zwischen dem CIA, dem italienischen Geheimdienst und faschistischen Gruppen wie "Ordine Nuovo" (Neue Ordnung) gehen unter anderem die Bombenattentate auf italienische Städte und Züge in den 70er und 80er Jahren (die den radikalen Linken zugeschoben werden sollten). In Italien unterstand "Gladio" dem "Büro R" des italienischen Geheimdienstes, für das auch Borth arbeitete. Zugleich war er aber auch Agent des österreichischen Geheimdienstes und österreichischer "Legionsführer" der neonazistischen internationalen Dachorganisation "Legion Europa", die ebenfalls Teil der "stay-behind-Struktur" war. Durch diese Rolle als rechtsextremer Doppelagent war es ihm möglich, einerseits den Südtirolterror zu unterstützen, andererseits den italienischen Geheimdienst mit Berichten über die österreichische Nazi- und SüdtirolunterstützerInnenszene zu versorgen. Eine detailliertere Darstellung des Phänomens "Gladio" kann in diesem Artikel leider nicht untergebracht werden, empfohlen werden hier die Broschüre "Es muss nicht immer Gladio sein" sowie der Morgenrot-Artikel "Strategie der Spannung".

Das Paket

Was parteipolitisch in der Provinz Südtirol Ende der 50er Jahre geschah, muss als Hintergrund für die Gewaltanwen-dung in den frühen 60ern betrachtet werden: Die Führung der 1945 gegründeten "Südtiroler Volkspartei" (SVP) hatte sich entschlossen, ihre Forderung nach Selbstbestimmung zugunsten einer wirklichen Autonomie aufzugeben und den Fall Südtirol vor die Vereinten Nationen zu bringen. Zu diesem Zeitpunkt sprachen sich allerdings noch 82% der SüdtirolerInnen für eine Rückkehr zu Österreich aus. 1960 schaffte es der österreichische Außenminister Kreisky, die Südtirolfrage vor die Generalversammlung der UN zu bringen, worauf Verhandlungen begannen, die allerdings ohne sichtbare Erfolge blieben. Die Folge war 1961 die "Feuernacht".

Unter dem Druck des Südtirolterrors und der Racheakte italienischer FaschistInnen, der bis 1967 andauerte, wurde bis 1969 auf inter- und innernationaler Ebene ein Autonomiestatut entwickelt, das unter dem Namen "Paket" in die Geschichte eingehen sollte. Die Verhandlungen und die endgültige Durchführung der Maßnahmen wurden allerdings erst im Jahre 1992 abgeschlossen. Der sogenannte "Operationskalender", der die Umsetzung des Statuts regeln sollte, basierte weitgehend auf lockeren Vereinbarungen zwischen der österreichischen und der italienischen Regierung. Auf Grund der Verzögerung seitens Italiens wurden um die Mitte der 80er Jahre wieder Rufe nach Selbstbestimmung laut und vereinzelte Sprengstoffattentate rückten Südtirol für kurze Zeit wieder ins Rampenlicht.

Das "Paket" ist heute die Grundlage für das Zusammenleben zwischen den verschiedenen Volksgruppen, wozu auch die ladinische sprich rätoromanische, Minderheit gehört. Es regelt das öffentliche Leben in Südtirol unter anderem in den Bereichen des amtlichen Sprachgebrauchs und im Arbeits- und Wohnsektor. Als Beispiel kann die Regelung der öffentlichen Stellenvergabe nach dem "ethnischen Proporz" hergenommen werden: Sie basiert auf den Ergebnissen der jeweils letzten Volkszählung und erfolgt im Verhältnis zur Stärke der einzelnen Volksgruppen. Dadurch profitiert auch die italienischsprachige Bevölkerung Südtirols, da sie gegenüber der restlichen Bevölkerung Italiens im Vorteil ist.

Nach dem Abschluß des Pakets und der damit zusammenhängenden politischen Entwicklungen wurden wirtschaftliche Fragen wieder vermehrt in den Vordergrund gerückt. Die stabilisierte Lage des Landes wirkte sich positiv auf den Fremdenverkehr sowie auf den Obsthandel aus, der nunmehr im großen Stil umgesetzt werden konnte. Als politische Vertreterin der Wirtschaft und der Bauern tat sich die SVP hervor.

Parallel zu dieser Entwicklung Südtirols hat sich in der deutschsprachigen Bevölkerung die egoistische und im Bezug auf die italienische Volksgruppe ausgrenzende Geisteshaltung fortgesetzt, die bis heute von deutschnationalen PolitikerInnen getragen, geschürt und kanalisiert wird. Auf der anderen Seite benutzen italienisch-nationalistische Parteien wie die postfaschistische AN die zunehmende Angst der italienischsprachigen SüdtirolerInnen vor der Allmacht der SVP für ihre Zwecke. Die jüngste Konfrontation ist nichts anderes als ein Symptom für das Wiederausbrechen zweier Nationalismen und Südtirol nur ein Beispiel für eine europäische Tendenz.

Quellen: Solderer: Das 20. Jhdt. in Südtirol
Frasnelli: Die Herrschaft der Fürsten
"Zoom"-Broschüre: Es muss nicht immer Gladio sein
Morgenrot 15: Strategie der Spannung