"Seit Wochen gehen Putschgerüchte durch das Land. Die Heimwehr kündigt an, endgültig aufzuräumen und hält seit Anfang Februar Innsbruck und Teile von Linz militärisch besetzt. Wie in den letzten Tagen und Wochen schon fast üblich, soll auch am 12. Februar 1934 eine Hausdurchsuchung in einem sozialdemokratischen Parteiheim stattfinden – diesmal im Linzer Hotel Schiff. Am Tag davor hat der Heimwehrführer Emil Fey angekündigt, am nächsten Tag "ganze Arbeit zu leisten". Doch diesmal ist alles anders als in den Tagen davor: Die Linzer Ortsgruppe des Republikanischen Schutzbunds unter der Leitung von Richard Bernaschek, dem Landesparteisekretär der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP, heute SPÖ) in Oberösterreich, widersetzt sich – entgegen den Befehlen der Parteileitung – und leistet bewaffneten Widerstand." Der österreichische BürgerInnenkrieg im Februar 1934 war ein Signal für ganz Europa. Erstmals wehrten sich ArbeiterInnen mit der Waffe in der Hand gegen den Faschismus. Nachdem in Deutschland 1933 die Nazis ohne Gegenwehr die Macht ergriffen hatten, zeigten Österreichs ArbeiterInnen, dass sich die ArbeiterInnenklasse nicht überall kampflos geschlagen geben würde.
Doch das Ergebnis war das Gleiche wie in Deutschland, der Faschismus gewann die Auseinandersetzung. Die "Austrofaschisten", die Vorläufer der heutigen ÖVP, hatten alle Vorteile auf ihre Seite, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP, die heutige SPÖ) hatte alle Gelegenheiten zu erfolgreicher Gegenwehr verstreichen lassen. Schlußendlich erfolgte dann sogar der Aufstand des Februar 1934 gegen den Willen der sozialdemokratischen Führung, was die SPÖ heute oft verschweigt, wenn sie sich ihres Kampfes gegen den Faschismus rühmt.
Dabei hätte es eine ganze Reihe von Zeitpunkten in der Ersten Republik gegeben, wo eine andere Entwicklung möglich gewesen wäre: 1918/19, nach dem Zusammenbruch der Monarchie in Österreich und der Ausrufung der Räterepublik in Russland, Ungarn und Bayern, wäre eine sozialistische Revolution absolut möglich gewesen, wie die AustromarxistInnen später selbst zugaben. Aber auch 1927, nach dem Justizpalastbrand, und 1933, nach der Ausschaltung des Parlaments, standen Österreichs ArbeiterInnen Gewehr bei Fuß – doch die SDAP setzte statt dessen auf Verhandlungen.
Die große Tragik der ersten Republik war, dass die SDAP ausschließlich im Rahmen der bürgerlichen Demokratie agieren wollte, die politische Entwicklung diese Beschränkung aber eigentlich überhaupt nicht zugelassen hat. Wesentliche Teile des österreichischen Kapitalismus setzten schon früh auf eine faschistische Entwicklung nach italienischem Vorbild (wo der Faschismus bereits Ende 1922 an die Macht gekommen war), die erfolgreiche Machtergreifung der Nazis im März 1933 gab diesen Kräften den letzten notwendigen Schub. Denn die Februartage waren nur der Schlusspunkt einer Entwicklung, die in der verlorenen Revolution 1918/19 begonnen hatte.
In unserer Broschüre wollen wir die Entwicklungslinien nachzeichnen, die in den Februar 1934 führten. Wir beginnen mit einem Bericht über die Februartage. Danach gehen wir rund 15 Jahre in der Geschichte zurück und nähern uns chronologisch wieder dem Ausgangspunkt. Dabei betrachten wir die Ereignisse, die den Februar 34 überhaupt erst möglich gemacht haben. Den Anfang macht die österreichische Revolution 1918/19. Sehr vieles, was später in der Ersten Republik passiert ist, hat hier seinen Ausgang genommen und sich dann oft in anderer Form wiederholt: Die Angst des BürgerInnentums vor der Revolution, der Wortradikalismus der "austromarxistischen" SDAP, ihr Zurückweichen im entscheidenden Moment, all das findet sich bereits 1918/19. Im nächsten Teil skizzieren wir die wesentlichen Ereignisse der ersten Republik und analysieren im Anschluss daran die letzten Schritte auf dem Weg zur Diktatur. Zum Abschluss versuchen wir, mit der Frage "Vom Februar zum roten Oktober?" eine Bilanz zu ziehen. Im Anhang findet sich eine umfangreiche Zeittafel. Literaturhinweise und Fußnoten ergänzen die Broschüre.
Inhaltsverzeichnis
1. Teil
Die Februartage
Kasten: Die Wehrorganisationen
Kasten: Die Stärke der SDAP
2. Teil
Die verratene Revolution 1918
Kasten: Leo Trotzki über den Austromarxismus
Kasten: Kanzler und Wahlen der Ersten Republik
3. Teil
Die Erste Republik
Kasten: Die KPÖ und die KPÖ (Opposition)
Kasten: Das Rote Wien
Kasten: Gewerkschaften in der Ersten Republik
4. Teil
Die letzten Schritte zur Diktatur
Kasten: Die letzten Tage vor dem Aufstand
Kasten: Kirche und Austrofaschismus
5. Teil
Vom Februar zum roten Oktober? Eine Bilanz
Zeittafel
Literaturhinweise und Quellen
Der Weg in den Februar.
Die Revolution 1918, die Erste Republik und der 12. Februar 1934
Februar 2004, 2 Euro/Soli-Preis 5 Euro
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