1. Unser Ausgangspunkt bei der Positionierung zu linken Bündnissen ist das u.a. in unserer Stellungnahme „Einheitsfronten, Wahlen, Bündnisse" (Januar 2001) niedergelegte Grundverständnis, dass es sich bei jeder Einheitsfront und jedem Bündnis auch um eine Taktik im revolutionären Organisationsaufbau handelt. Dabei muss stets die politische Unabhängigkeit gewahrt bleiben und es darf keine politische Anpassung an Bündnispartner stattfinden. Bei klassischen Einheitsfronten geht es darum, die – unter dem Druck ihrer Basis stehenden – reformistischen Organisationen in einen gemeinsamen Kampf für bestimmte anstehende Interessen der Arbeiterklasse zu ziehen und die Mitglieder und Anhänger dieser Organisationen in der konkreten Auseinandersetzung von der Inkonsequenz und/oder dem Verrat ihrer Führungen zu überzeugen.
Solche Einheitsfronten können verschiedene Formen annehmen Bündnisse bei Demonstrationen oder Streiks; kritische Wahlunterstützung für reformistische Parteien bei Wahlen zu bürgerlichen Parlamenten; der zeitweilige Eintritt von Revolutionären in reformistische Parteien. In verschiedensten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen kann es auch angebracht sein, dass revolutionäre Organisationen mit anderen Gruppen der radikalen Linken, insbesondere mit Gruppen mit trotzkistischem Selbstverständnis einen Block bilden, systematische Absprachen treffen, gemeinsam agieren und auftreten, um gemeinsam eher einen realen Faktor gegenüber reformistischen Kräften darzustellen. Voraussetzung dafür ist eine grundsätzlich mobilisierende und klassenkämpferische Ausrichtung in der jeweiligen Auseinandersetzung, eine ähnliche Perspektive für die Bewegung. Voraussetzung ist auch Propagandafreiheit innerhalb des Blocks, das Aufrechterhalten des eigenen politischen und organisatorischen Profils.
Diese Überlegungen und insbesondere die genannten Voraussetzungen für linksradikale Blöcke (grundsätzlich mobilisierend und klassenkämpferisch bzw. ähnliche Perspektive für die Bewegung) sind weiterhin als treffend und richtig anzusehen. Das schließt für uns die Beteiligung an reformistischen Projekten wie der „Europäischen Linken" (EL), deren Mitgliedsorganisationen wie PDS und PCF sich auch an neoliberalen Regierungen beteiligt haben, und damit auch an einem Wahlprojekt wie dem vom KPÖ und SOAL in Österreich aus. Die von uns trotz notwendiger Kritik als positiv angeführten Beispiele, LO-LCR in Frankreich und die Socialist Alliance in Großbritannien, haben in den letzten drei Jahren eine überwiegend negative Entwicklung durchgemacht. Die LCR ging auf ihrem letzten Kongress deutlich nach rechts (symbolisiert durch die Aufgabe der „Diktatur des Proletariats") und das mäßige Abschneiden bei den Regionalwahlen im Frühjahr 2004 und bei dem EU-Wahlen dürfte in der LCR den rechten, zivilgesellschaftlichen Flügel, der die Zusammenarbeit mit der LO ablehnt, weiter stärken. Die britische SocAll ist immer mehr zu einer Vorfeldorganisation der SWP geworden und hat einen erhebliche Opportunismus gegenüber islamistischen Kräften entwickelt. Beide Beispiele zeigen, wie sehr in der heutigen gesellschaftlichen Situation linke Bündnisse konjunkturell und instabil sind.
2. Mit der EAL (Europäische Antikapitalistische Linke) ist nun ein neues linksradikales Bündnis an die (linke) Öffentlichkeit getreten. Die die EAL tragenden Strömungen sind, wie sich das gegenwärtig darstellt, die französische LCR und die mit ihr verbundene internationale Strömung des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale (VS), die aus der Militant-Tradition kommende Scottish Socialist Party (SSP), die britische Socialist Workers Party (SWP) samt ihrer internationalen Strömung International Socialist Tendency (IST) und die von der SWP dominierte SocAll, der portugiesische Bloco de Esquerda, der aus einem Zusammenschluss des dortigen VS mit einer ehemals mao-stalinistischen Organisation entstanden ist, und die dänische Red Green Alliance. Es handelt sich also um einen Zusammenschluss der rechteren Teile der aus trotzkistische Tradition kommenden Strömungen mit einigen ex-stalinistischen und anderen linken Kräften. Die meisten der genannten Kräfte verfüg(t)en über Vertretungen in nationalen oder dem europäischen Parlament, was dazu beiträgt, dass die EAL ein erheblich elektoral orientiertes Projekt ist. Bei der partiellen Teilnahme von der italienischen Rifondazione Comunista und die spanischen Izquerda Unida an EAL-Treffen geht es wohl eher darum, eine europaweites Projekt links von der v.a. aus dem diversen KPen bestehenden Bündnisformation zu bremsen. Ähnliches bzw. Unentschlossenheit dürfte für einige andere Gruppierungen gelten (die türkische ÖDP oder die deutsche DKP). Das Committee for a Workers International (CWI) scheint den Prozess vorerst eher zu beobachten.
3. Die politische Ausrichtung hat die EAL erstmals mit ihrer Erklärung von November 2003 zusammengefasst. Das Europäische Sozialforum gäbe dem „Ausbruch von Energie und Kreativität" (so die merkwürdigen Kriterien der EAL) der globalisierungskritischen Bewegung eine „organisatorische Form, einen sozialen Inhalt und eine politische Orientierung" kein Wort der Kritik an der bürokratisierten Form, dem klassenunspezifischen Inhalt und die reformistischen Orientierung des ESF. Dafür ist die EAL für ein „demokratisches, soziales, feministisches, ökologisches, solidarisches und friedliches Europa" alles Dinge, die auch grüne oder KP-Minister/innen unterschreiben würden, und kein Wort von einem sozialistischen Europa. Das Maximum, zu dem sich die EAL in ihrer Erklärung von November 2003 versteigt, ist die (in ihrer Schwammigkeit an sich richtige) Feststellung, dass soziale Rechte nur durch einen Bruch mit Neoliberalismus und Kapitalismus durchgesetzt werden können. Damit das gesellschaftliche Eigentum den Vorzug vor Privateigentum habe, seien antikapitalistische Maßnahmen notwendig. Diese „systemüberschreitenden" Andeutungen sind offenbar in Hinblick auf diverse „Bewegungs"funktionäre von ESF & Co. möglichst vorsichtig gehalten. Von einem Sturz des Kapitalismus oder gar einem revolutionären Sturz ist keine Rede. Wie die EAL ihre antikapitalistischen Maßnahmen durchsetzen will, wird wie in einem klassisch reformistischen Minimal-Maximal-Programm nicht ausgeführt. Darauf, wer der/die Träger/in einer solchen Entwicklung sein könnte, gibt die EAL-Erklärung diffuse bis falsche Antworten. Dafür seien „tiefgreifende Erneuerungen der sozialen, Gewerkschafts- und Bürgerbewegung" (die in einem Atemzug genannt werden) notwendig. Damit die globalisierungskritische Bewegung die politische Ebene nicht der Sozialdemokratie überlasse (eine an sich richtige Überlegung gegenüber einer realen Tendenz im ESF), brauche man eine „pluralistische, antikapitalistische Alternative", zu der die EAL als Teil der sozialen Linken einen Beitrag leisten wolle, und eine „neue politische und soziale Massenkraft" (seltsamerweise scheinbar nicht international, sondern „auf der Ebene unseres Kontinents").
Die Arbeiter/innen/klasse als einzig möglicher Kern des sozialen Subjekt einer antikapitalistischen Bewegung wird nicht einmal genannt, stattdessen ESF-konform einer Bürgerbewegung das Wort geredet. Da die „antikapitalistische" Alternative der EAL „pluralistisch" sein soll, ist nur zu offensichtlich an die Einbeziehung von reformistischen Kräfte gedacht insbesondere durch die präventive Anpassung der politischen Ausrichtung an sie. Insgesamt ist die EAL-Erklärung von November 2003 selbst, auch wenn manche der beteiligten Organisationen „privat" eine radikalere Programmatik haben mögen, eine klassenunspezifische reformistische Plattform mit erheblichen zivilgesellschaftlichen Einstreuungen. Daran ändert auch das „Antikapitalistische Manifest" der EAL von Ende April 2004 nichts substantiell. Neben vielen richtigen Dingen, etwa zur Militarisierung der EU oder zur „Festung Europa", wird hier immerhin auch eine „sozialistische und demokratische, von unten her selbstverwaltete Gesellschaft" angestrebt. Das bleibt aber isoliert von der konkreten politischen Ausrichtung. Im Vordergrund steht auch im „Antikapitalistischen Manifest" wieder ein diffuses „anderes Europa", das „sozial und demokratisch, ökologisch und feministisch, friedensbewegt und solidarisch" sein soll. Wie sehr sich das ganze Konzept in einer reformistischen Logik bewegt, zeigt das Gerede über eine „alternative Wirtschaftspolitik" und die Forderung der sogenannten Tobin-Steuer, von der sich die EAL eine „Wende der Sozialpolitik" erhofft. Eine „Umverteilung des Reichtums" und ein „antikapitalistisches Sozialprogramm" soll durch eine „neue Emanzipationsbewegung auf europäischer Ebene", die im ESF einen Rahmen gefunden habe, vorangetrieben werden. Von einem spezifischen Potential der Arbeiter/innen/klasse ist erneut nicht die Rede. Trotz ihrer neuerlichen Idealisierung des ESF und einer fast schon realitätsfernen euphorischen Einschätzung des gewerkschaftlichen Widerstandes (selbst in Bezug auf Deutschland und Österreich) kommt die EAL im April 2004 immerhin zu dem Schluss, dass man/frau aus dem „neoliberalen und imperialistischen System" „nicht Schrittchen für Schrittchen" herauskommt. Dafür brauche man vielmehr einen „radikalen politischen Bruch", eine „antikapitalistische Strategie" und ein „antikapitalistisches Programm". Genau darüber, wie ein solches Programm aussehen müsste, wie der Bruch von der einen oder anderen sozialen oder demokratischen Reform hin zu einer Systemüberwindung stattfinden kann, verrät uns das EAL-Manifest aber nichts. Das Wort „revolutionär" kommt nur einmal ganz verschämt in Bezug auf „Asylwerber" vor, die wegen „revolutionärer Bestrebungen" flüchten mussten. Der Charakter eines reformistischen Minimal-Maximal-Programms wird auch durch das EAL-Manifest von April 2004 nicht überwunden.
4. In Deutschland gibt es seit letztem Jahr einen Formierungsprozess der „Freundinnen und Freunde der EAL". Bei einem Treffen im August 2003 waren ISL, DKP, Linksruck, SAV, RSB, die PDS-Linken des „Geraer Dialogs" (mit dem ex-VSler Winfried Wolf) und linke ATTACler anwesend. Während die ISL eine initiative Rolle gespielt haben dürfte, schienen die DKP und der Geraer Dialog, aufgrund ihrer Verbindung mit dem europäischen KP-Bündnis, eine Beschleunigung des Projektes eher gebremst zu haben. Während SAV und RSB auf Grundsatzpositionen beharrten, schienen ISL und DKP für eine pragmatisch-pluralistische Linie einzutreten. Die Diskussion zu einer möglichen Kandidatur zu den EU-Wahlen hat zu keinem Ergebnis geführt. Bei einem weiteren Treffen der deutschen EAL-Freunde im Januar 2004 war das Kandidatur-Projekt endgültig geplatzt, die DKP kandidierte schließlich selbst und zeigte sich pessimistisch was eine Bewegung in Deutschland betrifft. ISL und Linksruck scheinen auf unklarer politischer Grundlage für eine politische Offensive eingetreten zu sein. Die SAV war offenbar dafür, den EAL-Deutschland-Kreis im bisherigen Rahmen zu lassen. Der RSB übte Kritik an der elektoralen Ausrichtung. Für Herbst wurde eine Konferenz zu einer „linken Neuformierung" geplant. Gleichzeitig scheint sich zumindest die ISL auch eine Teilnahme an der reformistischen Formation „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (WASG) zu überlegen.
5. Trotz und in manchen Milieus auch aufgrund der reformistischen politischen Grundlage, könnte die EAL unter gewissen Umständen eine Attraktivität links von dem Bündnis der europäischen KPen gewinnen. Abhängig ist das u.a. vom Fortschreiten der politischen Vereinheitlichung in der EU, von der allgemeinen politischen und Klassenkampfentwicklung in Europa und dem Ausmaß der Diskreditierung von sozialdemokratischen, grünen und ex-stalinistischen Parteien in neoliberalen Mitte-Links-Regierungen. Da die verschiedenen EAL-Bestandteile partiell durchaus unterschiedliche Konzepte habe, bleibt dieses Projekt weiter sehr fragil und kann besonders unter dem Druck von einschneidenden politischen Ereignissen oder Klassenkämpfen auch rasch wieder auseinanderbrechen.
Die EAL, wie sie sich heute präsentiert, hat jedenfalls keine grundlegend klassenkämpferische und mobilisierende Ausrichtung und kann durch ihren Elektoralismus und ihren Opportunismus gegenüber ESF & Co. auch zu einem Hindernis für eine stärkere Radikalisierung nach links werden. Anders als etwa in Frankreich, Großbritannien oder Portugal verfügen die potentiellen EAL-Bestandteile im deutschsprachigen Raum über keine relevante Verankerung in einem Teil der Arbeiter/innen/klasse. Diese Isolation durch ein Wahlprojekt zu überwinden, ist ziemlich zweifelhaft. Eine elektorale Summierung der verschiedenen kleinen Organisationen ändert an der mangelnden Verankerung kaum etwas. Durch die fehlende gemeinsame politische Perspektive muss ein EAL-Projekt im deutschsprachigen Raum noch brüchiger sein und könnte sich höchstens im Schlepptau einer zeitweilig elektoral erfolgreichen EAL entwickeln. Wir sind davon überzeugt, dass ein Block von subjektiven Revolutionären mit reformistischen Strömungen nur in eine politische Sackgasse führen kann und dass deshalb die EAL grundlegend falsch angelegt ist.
Ein antikapitalistisches Bündnisprojekt darf sich u.E. nicht in erster Linie auf Wahlen orientieren, sondern muss Illusionen bekämpfen, dass durch Vertretungen in bürgerlichen Parlamenten substanzielle Veränderungen möglich sind, muss die Selbstorganisation der Arbeiter/innen/klasse und die Orientierung aus Klassenkämpfe in den Vordergrund stellen. Eckpunkte für einen Block von subjektiven Revolutionären wären für uns > ein klares Verständnis der bürgerlichen Staaten als nicht-reformierbare Herrschaftsinstrumente der Kapitalist/innen/klasse, die nur durch eine revolutionäre Zerschlagung überwunden werden können, > die Erkenntnis, dass die Arbeiter/innen/klasse das einzig mögliche soziale Subjekt zur Überwindung des Kapitalismus ist, und > die Einsicht, dass es keine unabhängigen nationale Wege zum Sozialismus gibt, sondern dass eine sozialistische Entwicklung nur international möglich ist. Da das spezifische Gewicht der AGM in der Linken in Österreich nicht besonders groß und in Deutschland minimal ist, sind unsere Möglichkeiten, auf die Entwicklung von linksradikalen europäischen Bündnisprojekten Einfluss zu nehmen, freilich erheblich begrenzt.
Wien/Berlin, Juli 2004