Vor 20 Jahren, im Dezember 1984, hielt die Besetzung der Hainburger Au ganz Österreich in Atem. Einige tausend AubesetzerInnen, unterstützt sowohl von der Sympathie breiter Teile der Bevölkerung als auch von der Medienmacht der Kronen-Zeitung, zwangen die SP-Regierung und die E-Wirtschaft in die Knie. Heute ist die Au ein Nationalpark und die Grünen, die damals zu einem politischen Faktor wurden, sind auf dem Weg in die Regierung.
Nach dem sogenannten Ölpreisschock von 1973 wurden in breiten Teilen der Industrie Rufe nach Formen der Energiegewinnung laut, die Österreich von den Öl-Staaten unabhängig machen würden. Nach der Weltwirtschaftskrise 1974/75, die dem Anstieg des Ölpreises folgte, wurde dieser Ruf lauter. Die ÖVP hatte bereits in der Zeit ihrer Alleinregierung von 1966-1970 Planungen für ein Atomkraftwerk in Auftrag gegeben. Die SPÖ, die ab 1970 das Land regierte, setzte diese fort und errichtete das AKW Zwentendorf, musste aber 1979 unter dem Druck der Öffentlichkeit eine Volksabstimmung ansetzen, die sie knapp verlor. 50,47% stimmten gegen das AKW.
Im Vorfeld hatten linke Gruppen eine wesentliche Rolle in der Organisierung des Widerstandes gegen das AKW gespielt. Vor allem MaoistInnen, aber auch trotzkistische Gruppen, konnten die Bewegung beeinflussen. Gleichzeitig tauchten VorläuferInnen der Grün-Bewegung auf, in Wien und Graz wurden "Alternative Listen" gegründet, aus denen später die Grünen hervorgingen.
Diese Entwicklung lief im westeuropäischen Gleichklang, überall wurden Grün-Parteien gegründet. Vor allem die Umwelt – und hier besonders das Waldsterben (was für den Konflikt in Hainburg bedeutsam werden sollte) – und die Friedensfrage bewegten die Menschen. So fand am 15. Mai 1982 mit der großen Friedensdemonstration in Wien die bis zu diesem Zeitpunkt größte Kundgebung der zweiten Republik statt.
1980 wurden – nach einem weiteren Anstieg des Ölpreises – erstmals Pläne bekannt, in der Stopfenreuther Au nahe dem niederösterreichischen Hainburg ein Kraftwerk zu errichten. Der Bau hätte eine massive Zerstörung der ökologisch wertvollen Donauauen östlich von Wien bedeutet.
Widerstand beginnt
Anfänglich organisierte sich der Widerstand auf regionaler Ebene, eine BürgerInneninitiative konnte 30.000 Unterschriften gegen den Bau und für die Errichtung eines "Naturparks im Bereich Donau-March-Auen" sammeln.
Ab 1983 bekam der Konflikt bundesweite Bedeutung. Im Herbst wurde die "Aktionsgemeinschaft gegen das Kraftwerk Hainburg" gegründet, gleichzeitig begann die "Krone", sich des Projekts anzunehmen. Im Mai 1984 wurde das "Konrad-Lorenz-Volksbegehren" (KLVB) vorgestellt, wichtigster Sprecher wurde Günter Nenning, der damals als "linkes Würschtl" (© Bruno Kreisky) galt – und heute teils rechtsextreme Positionen vertritt.
Die Namensgebung für das Volksbegehren war – bestenfalls – unglücklich. Nobelpreisträger Lorenz eignete sich nach Meinung der BetreiberInnen als Zugpferd. Weniger bekannt war 1984, dass Lorenz während der Nazi-Zeit wissenschaftliche Forschungen für das NS-Regime durchführte und sich stolz als Nazi bekannte. Doch das vor allem seine berühmte Schrift "Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit" teils äußerst bedenklich ist, musste den ProponentInnen des Volksbegehrens bekannt sein (wurde allerdings innerhalb der Grünbewegung nur vom linken Flügel, der Wiener Alternativen Liste, kritisiert).(1)
Doch auch die BefürworterInnen des Kraftwerks, vor allem die Sozialdemokratie, machten mobil. Die Gewerkschaften und die SPÖ stellten ein "Aktionskomitee für den Kraftwerksbau Hainburg" zusammen. Am 17. Mai 1984 organisierte dieses Komitee eine "Kundgebung von Arbeitnehmern" in Wien mit 50.000 TeilnehmerInnen. Die SPÖ spielte dabei die Karte der Arbeitsplätze, die durch den Bau geschaffen würden.
Die Au wird besetzt
Am 5.12.1984 wurde der Startschuss für die Rodungsarbeiten gegeben. Schon am Tag danach waren die ersten BesetzerInnen in die Au aufgebrochen. Ein Sternmarsch nach Stopfenreuth wurde für den 8.12. organisiert. 8.000 bis 10.000 Menschen nahmen daran teil, hunderte blieben in der Au. In den folgenden Tagen stieg die Zahl der BesetzerInnen auf einige Tausend. Zeltlager wurden errichtet, Barrikaden aus Baumstämmen gebaut.
Rodungsversuche unter Polizeieinsatz fanden am 10., 11. und 17.12. statt, unterbrochen von ergebnislosen Verhandlungen zwischen den Volksbegehrens-BetreiberInnen und der Regierung. Währenddessen trommelte die "Krone" gegen die Regierung, zeigte Bilder vom brutalen Vorgehen der Polizei und benahm sich insgesamt so, wie sie davor und danach nie wieder erlebt werden sollte, nämlich solidarisch mit DemonstrantInnnen, die von der Polizei verprügelt wurden – und sorgte gleichzeitig dafür, dass die Widerstands-Stimmung nur ja keinen "linken" Anstrich bekam, hielt sie patriotisch und im Rahmen des Systems. Dies wurde durch die KLVB-BetreiberInnen erleichtert, die dem rechten Flügel der Bewegung angehörten und sich laut ZeitzeugInnen immer wieder darüber beschwerten, dass die BesetzerInnen ihren Vorgaben nicht folgen würden (diese Personen rund um Freda Meissner-Blau waren es auch, die 1986 die Grünen ins Parlament führten).
Hier wäre ein Delegierten-System, das von den BesetzerInnen gewählt worden wäre und gegen die "Promis" um den Führungsanspruch gekämpft hätte, eine wichtige Hilfe gewesen.
Land am Strome
Die Au-BesetzerInnen selbst waren höchst heterogen. Einerseits dürfte die Wiener radikale Linke einen gewissen Einfluss gehabt haben, andererseits wurden PolizistInnen oft mit dem Absingen der Bundeshymne empfangen, über allem wehte allzu oft die rot-weiß-rote Fahne. Zu guter Letzt mischte auch noch die ÖVP mit. Die Bewegung bekam auch stark anti-gewerkschaftliche Züge (was durch das Betoniererverhalten des ÖGB, der eine Großdemonstration in der Au ankündigte und Prügeltrupps schicken wollte, sehr erleichtert wurde).
Sogar die Neonazis der VAPO von Gottfried Küssel mischten mit, konnten aber nie Einfluss gewinnen. Dennoch hatten sie ein eigenes kleines Lager, das von den AubesetzerInnen – unter anderem, um der Polizei keinen Grund zum Einschreiten zu liefern – nie geräumt wurde (zuvor wurden sie allerdings aus einem größeren Lager handgreiflich vertrieben).
Am Morgen des 19. Dezember kam es zu einem brutalen Polizeieinsatz in der Au, bei dem über 100 AuschützerInnen verletzt wurden. Am selben Tag demonstrierten in Wien rund 40.000 Menschen gegen den Kraftwerksbau. Am 21. Dezember musste Bundeskanzler Sinowatz unter dem Druck der öffentlichen Meinung einen "Weihnachtsfrieden" verkünden. Gleichzeitig wurde damit aber auch die Konfrontation zwischen dem ÖGB und den AubesetzerInnen vermieden. Diese hätte im Falle einer ÖGB-Demo in der Au auf jeden Fall stattgefunden und die revolutionäre Linke vor die kaum lösbare Aufgabe gestellt, den demonstrierenden und von der ÖGB-Führung aufgehetzten ArbeiterInnen die Anliegen der Au-BesetzerInnen näher zu bringen. (Der ÖGB stand – und steht bis zu einem gewissen Grad auch heute noch – sehr stark zu Positionen, die Arbeitsplätze um fast jeden Preis gut heissen, ohne Alternativen anzudenken. Sinnvolle Arbeitsplatzbeschaffung funktioniert jedoch viel eher durch Arbeitszeitverkürzung als durch die nachhaltige Zerstörung ökologisch wertvollen Lebensraums oder den Ausbau der Atomenergie.)
Die Aussetzung der Rodungsarbeiten bis nach Weihnachten jedenfalls war nur ein Vorwand der Regierung, sich ohne weiteren Gesichtsverlust aus der Affäre ziehen zu können. Mit dem Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes am 2. Jänner 1985, den Bau vorläufig zu stoppen, war die Voraussetzung einer "Nachdenkpause" gegeben, die letztlich zum Ende des Kraftwerkbaus führte. Das "Konrad Lorenz-Volksbegehren" im März 1985 wurde von 353.906 ÖsterreicherInnen (6,55%) unterzeichnet – zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass das Kraftwerk nicht gebaut werden würde.
In Folge sollten vor allem ÖVP-PolitikerInnen immer wieder die Atomkraft-Karte spielen, so meinte der heutige NR-Präsident Khol 1985: "Ich sehe der Zukunft der Kernenergie in unserem Lande positiv entgegen: gäbe es Volksaktien für Zwentendorf, ich würde sie kaufen."2 Erst mit dem Unfall in Tschernobyl 1986 war dieses Thema endgültig vom Tisch.
Der Widerstand in Hainburg brachte nicht nur die zweite große Niederlage von Regierung und E-Wirtschaft nach 1979, sondern auch eine Politisierung von tausenden Menschen. Umweltpolitisch konnte das letzte zusammenhängende Augebiet Mitteleuropas vor der Zerstörung gerettet werden. Dennoch konnte auch die E-Wirtschaft einen Erfolg verbuchen. Zwischen 1992 und 1998 wurde im südlichen Wiener Donauabschnitt das Kraftwerk Freudenau gebaut.
Besetzung 2004?
Der Nationalpark Donauauen ist zwar nunmehr gut abgesichert, doch entwickelt sich gerade ein Konflikt, der in seinen Anfängen sehr an Hainburg erinnert. Quer durch das Wiener Naherholungsgebiet Lobau möchte die Wiener Stadt-SP eine Transitautobahn bauen und zusätzlich die Raffineriestraße am Rande des Augebiets zur Autobahn ausbauen. Erste symbolische Besetzungen sind bereits im Gange ..
Alternativen zum Kraftwerksausbau
Der Aufbau oder Ausbau von Kraftwerken wird immer wieder mit dem steigenden Energiebedarf erklärt. Vordergründig stimmt dieses Argument, tatsächlich steigt der weltweite Energieverbrauch jedes Jahr. Es bleibt aber zu hinterfragen, ob dieser Anstieg tatsächlich naturgegeben ist. Es ist bekannt, dass die Wirtschaft energiesen-kende Maßnahmen hintertreibt (3-Liter-Auto oder alternative Antriebsformen für Autos), es muss aber auch die Frage gestellt werden, wieviel Energie im Kapitalismus unnütz verbraucht wird. Als Beispiele seien hier der Individualverkehr oder die Rüstungsindustrie genannt.
Letztlich ist es aber notwendig, sich verstärkt der Erforschung erneuerbarer Energieformen zuzuwenden, die ohne Schaden für Mensch und Umwelt existieren können. Vor allem die Erdwärmeener-gie, die Sonnenenergie, die Windenergie oder die Gezeitenenergie könnten hier eine wesentliche Rolle spielen.(1) Doch solange rund ein Viertel des Umsatzes der weltweit 500 größten Konzerne direkt mit dem Komplex Öl-Auto-Flugzeugbau-Rüstung verbunden ist (wobei das Ölbusiness die größte einzelne Branche der Top-500 darstellt), ist hier wohl wenig Änderung zu erwarten.