"Ein Gespenst geht um in Europa. Das Gespenst des Kommunismus." Mit diesen legendären Worten beginnt einer der einflussreichsten Bücher der Weltgeschichte, das "Kommunistische Manifest" von Karl Marx und Friedrich Engels. Und wer in jüngster Zeit die Aussagen mancher sozialdemokratischer PolitikerInnen und die hysterische Reaktion der bürgerlicher Medien verfolgt, könnte fast meinen, dieses Gespenst sei nun in Gestalt von Gusenbauer und Co zurückgekehrt …
Den Anfang machte SPD-Chef Franz Müntefering mit seiner Aussage von den internationalen Fonds, die "wie Heuschrecken" über einzelne Länder herfallen würde. Da konnten sich ÖGB-Chef Verzetnitsch und SPÖ-Vorsitzender Gusenbauer nicht lumpen lassen. Sprach Verzetnitsch vom internationalen Kapital und dessen Kreuzrittern, die mit dem Schaffen von Arbeitsplätzen nichts am Hut hätten, gab sich Gusenbauer staatstragender, sieht aber dennoch "Auswüchse", die "für die Menschen nicht mehr verständlich" seien.
Alle drei haben zweifellos recht, doch woher kommt dieser plötzliche Gesinnungswandel? Sind sie aus dem Glasturm ihrer parlamentarischen Gewohnheiten herabgestiegen, und haben dabei mitbekommen, dass die arbeitenden Menschen in Mitteleuropa doch deutlich weniger verdienen als sie selbst? Haben sie einfach mal gründlich nachgedacht? War es ein kräftiger Schlag auf den Kopf – eine Tachtel, wie gelernte ÖsterreicherInnen sagen würden? Oder steckt doch mehr dahinter?
Linker Druck wirkt
Für die SPD ist die Sache klar: Nach den verlorenen Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen (NRW), wo die SPD für ihren Sozialabbau bestraft wurde, musste etwas geschehen. NRW ist nicht irgendein Bundesland, sondern umfasst mit dem Ruhrgebiet das industrielle Herz Deutschlands und war eine der Hochburgen der SPD. Mindestens genauso beunruhigend wie der Wahlverlust waren aber die durchaus respektablen 2,2 %, die die SPD-Abspaltung WASG (Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit) trotz sehr kurzer Vorbereitungszeit erreicht hat. In einem Wahlbündnis mit der ostdeutschen PDS wird der WASG nun zugetraut, bei der Bundestagswahl drittstärkste Partei zu werden. In dieser Situation überlegten, wie selbst Kanzler Schröder zugab, sogar eine Reihe von SPD-Bundestagsabgeordneten, zur WASG überzutreten. Es musste also etwas geschehen. Neuwahlen waren der erste Schritt, eine deutliche Positionierung der Mitte der nächste.
Für Österreich ist die Sache ein wenig komplexer, sind hier doch keine verloren geglaubten Wahlen zu gewinnen. Im Gegenteil, bei den Landtagswahlen im Herbst wird der SPÖ in Wien und dem Burgenland der Ausbau ihrer Mehrheiten prophezeit, in der Steiermark könnte der Landeshauptmann/frau-Sessel von der ÖVP zur SPÖ wandern. Dennoch macht es sich in Vorwahlzeiten gut, die eigenen Kernschichten mit etwas radikaleren Aussagen zu beruhigen und so verlässlich zur Wahlurne zu bringen. Der wesentliche Punkt ist allerdings, dass diese Aussagen deshalb auf so fruchtbaren Boden fallen, weil sie der Lebensrealität vieler Menschen entsprechen. Die soziale Sicherheit sinkt, die Arbeitslosigkeit steigt – vor allem unter Jugendlichen – drastisch an, die Auswirkungen des Pensionsdiebstahls ("Pensionsreform") werden spürbar, die Sparpakete der Krankenkassen bringen vor allem ältere Menschen zur Verzweiflung, … Wenn in dieser Situation führende PolitikerInnen der sozialdemokratischen Parteien die Finger auf die offenen Wunden legen, wird das von sehr vielen Menschen als Befreiung erlebt.
Die Zeiten ändern sich
Vor ein paar Jahren war die Situation noch ein wenig anders. Der Kapitalismus als System durfte keinesfalls in Frage gestellt werden, allein, das Wort zu verwenden, war bereits verpönt. Finanzminister Grasser (der mittlerweile vor allem mit seinen diversen amourösen Trips durch die Weltgeschichte für Aufmerksamkeit sorgt), konnte stolz das "Nulldefizit" – erinnert sich noch jemand daran? – propagieren, alle Parlamentsparteien waren der festen Überzeugung, dass eiserne Spardisziplin angesagt wäre. Faktisch sind sie das zwar immer noch, doch sind ihre Stimmen deutlich leiser geworden. Die Menschen haben langsam begriffen, was "Nulldefizit" und "Sparpaket" in ihren Brieftaschen bedeuten, Wahlen sind damit heute, vor allem für die Sozialdemokratie, keine mehr zu gewinnen.
Doch will die Sozialdemokratie mit ihrer Kapitalismus-Kritik keineswegs das System in Frage stellen. Im Gegenteil träumen viele linkere SozialdemokratInnen an eine Rückkehr zur guten alten Zeit der sozialdemokratischen Troika, bestehend aus Bruno Kreisky sowie seinen deutschen und schwedischen Amtskollegen, Willy Brandt und Olof Palme. Doch diese Zeit ist mittlerweile zwar alt, war aber dennoch nicht so gut wie oft dargestellt. In Österreich ging auch unter der Ära Kreisky die Lohnschere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander, Österreich galt zu dieser Zeit sogar als explizites europäisches Niedriglohnland.
Vor allem aber ist die gute, alte Zeit vorbei: In Zeiten der Internationalisierung der Handelsbeziehungen funktionieren Modelle, die die Inlandsnachfrage durch staatliche Investitionen und damit höhereLöhne steigern wollen ("Keynesianismus"), vor allem in kleineren Ländern wie Österreich in weitaus geringerem Ausmaß als in den 60er oder 70er Jahren. Denn die daraus resultierende Nachfragesteigerung würde wiederum zu einem Gutteil internationalen Konzernen zu Gute kommen, nicht jedoch der einheimischen Wirtschaft.
In der Mitte wird die Luft dünn
Heute würden Sozialdemokratie und Grüne, wären sie an der Regierung, kaum anders handeln als ihre Schwesterparteien in Deutschland. Die internationalen Multis stehen heute unter starkem Druck ihrer AktionärInnen und der großen internationalen Aktienfonds. Wenn sie 5% Rendite garantieren, woanders aber 7% zu holen sind, werden die Investor-Innen sehr schnell ihre Mittel umleiten. Nicht zuletzt deshalb der Zwang zu permanenter Rationalisierung und zu Entlassungen, selbst wenn der Konzern fette Gewinne schreibt. Einher damit geht die permanente Suche nach noch günstigeren Standorten. Für einen internationalen Konzern wie etwa Magna macht es keinen Unterschied, ob er sein neues Werk in Kärnten oder ein paar Kilometer weiter südlich in Slowenien aufbaut. Hier wird knallhart gerechnet: Lohnstückkosten, Subventionen, billige Grundstücke, Hilfe aus der Politik, …Und wenn sich eine Regierung nicht willfährig verhält, verabschieden sich die Multis eben weiter nach Osten bzw. siedeln sich gar nicht erst im Lande an.
Natürlich ist das Bild nicht so eindimensional, entgegen allen Unkenrufen ist die EU in ihren Industrieexporten durchaus marktfähig, offensichtlich lohnt es also für die Konzerne sehr wohl, die höheren Lohnkosten im Ausgleich für besser qualifiziertes Personal und bessere Infrastruktur in Kauf zu nehmen (Entscheidend für Konzerne sind letztlich immer die Lohnstückkosten, also der Lohn pro Stück Ware, und hier verflachen die Unterschiede zwischen West und Ost drastisch). Dennoch werden längerfristig die nationalen Gestaltungsspielräume innerhalb des Kapitalismus immer enger. Das spüren alle Regierungen, egal ob konservativ wie in Österreich und Frankreich, sozialdemokratisch wie in Großbritannien oder sozialdemokratisch-grün wie in Deutschland. Die jeweilige Opposition zeichnet sich zumeist nur durch die Behauptung aus, selbst "intelligenter" oder "sozial verträglicher" Einsparen zu wollen – in Österreich wird diese Rolle perfekt von Gusenbauer und Grünen-Chef Van der Bellen wahrgenommen.
Logisch?!
Die Argumentation ist in sich natürlich schlüssig – doch nur, solange die dahinterliegende Logik des Kapitalismus akzeptiert wird. Denn wer sagt, dass die arbeitenden Menschen auf diesem Planeten die permanenten Standortverlagerungen einfach akzeptieren müssen? Wenn ein Unternehmen beschließt, seine Geschäfte zu verlagern, soll es gehen. Doch die Maschinen, die Infrastruktur, die Konten des Betriebs müssen da bleiben. Ein gutes Beispiel ist die Auseinandersetzung um das große Semperit-Werk in Traiskirchen südlich von Wien. Das Unternehmen schrieb Gewinne, dennoch wurde es nach Rumänien verlagert. Der damalige niederösterreichische SPÖ-Chef Höger kündigte an, sich bei einem etwaigen Abtransport an die Maschinen ketten zu wollen. Als es soweit war, waren AktivistInnen der AL vor Ort – von einem in Ketten gelegten Höger war weit und breit nichts zu sehen. Doch wenn wir wollen, dass die Betriebe hier bleiben, müssen wir den Kampf aufnehmen, nicht nur davon reden.
Wenn nun Müntefering, Gusenbauer und Verzetnitsch den Kapitalismus kritisieren, sollten wir sie jedenfalls beim Wort nehmen. Wir sollten nachfragen, was denn die SPD in der letzten Jahren in Deutschland getan hat, um den Kapitalismus zu bekämpfen. Wir sollten uns daran erinnern, warum die SPÖ im Februar 2000 nach immerhin fast 30 Jahren an der Regierung in die Opposition geschickt wurde, warum sie 1983 nach der Ankündigung von Einsparungen (Kreiskys "Mallorcapaket") die absolute Mehrheit verloren hat und wie sie durch ihre drastischen Sparpakete in den 90er Jahren den Aufstieg der FPÖ begünstigt hat. Wir sollten darüber diskutieren, warum die SPÖ etwa in Wien ebenfalls hohe finanzielle Beiträge zum Sparwahn der Regierung leistet und warum es in den "roten" Bundesländern ebenfalls deutliche Einsparungen gibt.
Freuen wir uns jedenfalls, dass führende SozialdemokratInnen sich gezwungen sehen, antikapitalistische Phrasen zu dreschen. Das zeigt, dass es wesentlichen Teilen der arbeitenden Bevölkerung langsam reicht. Vergessen wir aber nicht, dass es für Gusenbauer, Müntefering und Co tatsächlich nur Phrasen sind. Um wirklich ernsthaft gegen den Kapitalismus vorzugehen, bleibt der Aufbau einer revolutionären Strömung in der ArbeiterInnenbewegung weiter als Aufgabe auf der Tagesordnung.