Die Debatte um einen möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union erhitzt die Gemüter. Die EU-Komission hat Beitrittsgesprächen unter Vorbehalten zugestimmt, am 17. Dezember sollen die Staats- und Regierungschefs der EU endgültig entscheiden. Doch wie soll sich die Linke zu diesem Beitritt positionieren? Anfang Oktober hat die EU-Komission beschlossen, unter starken Vorbehalten – vor allem einer jährlichen Überprüfung der "Fortschritte", die die Türkei macht – die Beitrittsgespräche mit der Türkei aufzunehmen. Es handelt sich dabei um ein Langzeitprojekt, der Beitritt soll frühestens rund um das Jahr 2015 stattfinden. Dennoch gibt es starke Widerstände gegen diesen Beitritt, der in Österreich vor allem von der FPÖ und der SPÖ kommt. Sowohl in SPÖ wie in FPÖ gibt es dazu unterschiedliche Positionen, in der Sozialdemokratie geht die Spaltung quer durch die Partei, in der FPÖ kämpft mittlerweile Jörg Haider als einsamer Ritter für die Türkei, was sich wohl nur mehr psychologisch erklären lässt.
Die Linke hingegen ist gefordert, Antworten jenseits rassistischer Hetze und bedingungsloser Anbiederung sowohl an das kapitalistische Projekt EU wie an die Türkei zu geben. Tatsache ist, dass ein Gutteil der Ablehnung der Beitrittsperspektive für die EU der Angst vor den damit verbundenen Kosten entspringt. Das darf für SozialistInnen in der EU kein Argument sein. Die ArbeiterInnenklasse der EU hat nicht zuletzt deshalb einen im Weltmaßstab sehr hohen Wohlstand, weil ein Großteil der Länder auf diesem Planeten als billige Zulieferer für den Norden fungieren. Es ist natürlich ebenso verständlich wie legitim, wenn Menschen in anderen Ländern ebenfalls ihren Anteil an diesem Wohlstand wollen.
Wer soll das bezahlen?
Der Kampf, den es hier zu führen gilt, ist einer um die Frage, wer den Beitritt bezahlen soll. Wir werden dafür sorgen müssen, dass nicht die west- und mitteleuropäische ArbeiterInnenklasse die Schuldenlast aufgebürdet bekommt, sondern diejenigen, die vom Beitritt der Türkei in erster Linie profitieren, nämlich die großen Konzerne. Diese bekommen schließlich einen neuen Markt mit rund 70 Millionen potentiellen KundInnen (wie der österreichisch-türkische Eigentümer des internationalen Caterers "Do&Co" Attila Dogudan, ebenso treffend wie erfreut festgestellt hat).
Daneben steht das Argument einer möglichen politischen Dominanz (durch die Bevölkerungsentwicklung wird die Türkei im Jahr 2015 wahrscheinlich größer als Deutschland sein) und die der unterschiedlichen kulturellen Traditionen im Raum. Hier müssen wir klar die rassistische Komponente dieser Argumentation betonen. Das Abstimmungsverhalten im EU-Parlament zeigt klar, dass die jeweiligen LandesvertreterInnen ihr Abstimmungsver-halten an das ihrer internationalen Fraktion anpassen, also nach ihren politischen Überzeugungen und nicht nach nationalen Kriterien stimmen (was ja auch logisch ist). Warum sollten das die VertreterInnen der Türkei anders handhaben als diejenigen Deutschlands?
Das kulturelle Argument ist ebensowenig nachvollziehbar. Die EU ist kein christlicher Staat, warum sollten dann mehrheitlich islamische Staaten ein Problem sein? (Interessanterweise wird diese Argumentation beim ebenfalls mehrheitlich islamischen Bosnien oder beim orthodoxen Bulgarien nie gebraucht).
Das Argument, dass dort (derzeit) mit der AKP eine rechte Partei an der Regierung ist, die traditionell dem politischen Islam nahesteht, scheint ebenfalls an den Haaren herbeigezogen, wenn gleichzeitig in mehreren EU-Ländern (so in Österreich oder Italien) rechtsextreme Parteien an der Regierung beteiligt sind.
Situation in der Türkei
Jenseits dieser abstrusen Argumente macht es aber natürlich Sinn, die politische Situation in der Türkei einer näheren Analyse zu unterziehen. Einen Gutteil der Macht hält immer noch der vom Militär dominierte Nationale Sicherheitsrat inne, der auch immer wieder Parteien verbietet. (Das Militär ist übrigens eng an die USA gebunden, ein EU-Beitritt der Türkei würde daher, soweit heute perspektivisch absehbar, jenen EU-Flügel stärken, der eine deutliche Zusammenarbeit mit den USA favorisieren.) Für die Wahlen zum Parlament gibt es eine 10% (!) Hürde, die verhindern soll, dass Parteien, die der kurdischen Minderheit nahestehen, einziehen können (Erst kürzlich wurde die kurdische Abgeordnete Leyla Zana nach zehn Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Sie war verurteilt worden, weil sie im Parlament kurdisch gesprochen hatte).
KurdInnen werden immer noch massiv unterdrückt, obwohl sich die Lage in den letzten Jahren ein wenig gebessert hat. Dennoch ist Türkisch-Kurdistan ein von der Armee besetztes Militärprotektorat, in dem bürgerliche Rechte systematisch mit Füßen getreten werden. In der Türkei gibt es tausende politische Gefangene, Folter steht an der Tagesordnung. Es gibt eine systematische Zusammenarbeit der faschistischen Grauen Wölfe (die in den 70ern und 80ern Todesschwadronen gegen Linke organisiert haben), der großen Drogenbarone und von Teilen des Militärs.
Das alles findet selbstverständlich nicht unsere Billigung. Es gilt aber festzustellen, dass der faschistische Militärputsch in Griechenland 1967, die faschistischen Regierungen von Portugal und Spanien (bis 1974, bzw. 1975!), oder die organisierte Zusammenarbeit von FaschistInnen, Mafia und Geheimdiensten in Italien (die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hervorragend funktioniert), für die Staaten der heutigen EU kein Problem waren und sind. Es geht also nicht um eine Verteidigung der Türkei, es geht darum, die unlautere Argumentation mancher EU-PolitikerInnen aufzuzeigen.
Konsequenzen
Die EU ist ein kapitalistisches Projekt, das gerade jetzt mit der neuen EU-Verfassung (siehe unten) die Verpflichtung zu Sozialabbau, Privatisierungen und Aufrüstung erneut fest schreibt. Wie könnten wir wollen, dass noch mehr Menschen diesem Projekt unterworfen werden? Daher werden wir uns gegen einen EU-Beitritt der Türkei aussprechen. Wir werden dies aber – im Gegensatz zu den VertreterInnen von SPÖ und FPÖ – gemeinsam mit der türkischen revolutionären Linken tun.
Trotz dieser Ablehnung könnte es bei einer eventuellen Volksabstimmung nötig sein, sich zu enthalten, um den nationalistischen Gefühlen in Österreich nicht Vorschub zu leisten (ganz anders liegt die Frage bei einer möglichen Abstimmung über die neue EU-Verfassung, hier müssten selbstverständlich alle linken Kräfte für eine Ablehnung eintreten).
Schlußendlich gilt es aber zu betonen, dass das Problem der Türkei, Österreichs, und aller anderen heutigen oder künftigen EU-Staaten nicht die Frage eines EU-Beitritts ist, sondern die Frage, wie sehr die arbeitenden Menschen und die Jugend in der Lage sein werden, den Kapitalismus an sich in Frage zu stellen.