PRS: Neue Arbeiter/innen/partei in Venezuela

In den Sommermonaten dieses Jahres wurde in Venezuela der Grundstein für die Gründung einer neuen Partei gelegt. Obwohl die bevorstehende Parteigründung in den Reihen der organisierten venezolanischen Arbeiter/innen/klasse viele Hoffnungen geweckt hat, hat es die Solidaritätsbewegung mit der venezolanischen Revolution hierzulande noch nicht der Mühe wert gefunden, sich mit diesem neuen Phänomen der revolutionären Linken in Venezuela  auseinanderzusetzen.

Anfang Juli riefen die OIR (ein im Jahr 2002 entstandener Zusammenschluss verschiedener trotzkistischen Organisationen und Kollektive), verschiedene Arbeiterkollektive (Verdad Obrera Sindical aus SIDOR, dem größten venezolanischen Stahlwerk; Opción Clasista de los Trabajadores aus den Erdölraffinerien des Bundesstaates Anzoátegui und Trabajadores al Poder aus dem Bundesstaat Falcón) und eine Studentenorganisation in der venezolanischen Hauptstadt Caracas zur Gründung einer „revolutionär-sozialistischen Arbeiterpartei“ auf.

Diesem Aufruf folgten rund 450 Personen, die überwältigende Mehrheit davon Industriearbeiter/innen. Auch Mitglieder des Redaktionsteams von APORREA (der bedeutendsten Homepage der venezolanischen Linken, siehe www.aporrea.org) und einige bekannte linke Universitätsprofessoren beteiligten sich an dieser Veranstaltung.

Arbeiter/innen und Gewerkschafter/innen u. a. aus der Metall- und Automobilindustrie, dem Erdölsektor, der Elektrizitätswerke, des Baugewerbes und der Lebensmittelproduktion kamen aus den bedeutendsten Industriegebieten des Landes nach Caracas um die Initiative zur Gründung der PRS (Partido Revolución y Socialismo), wie die Partei schließlich heißen sollte, zu unterstützen.
 
Die große Mehrheit der anwesenden Arbeiter/innen ist im gewerkschaftlichen Dachverband UNT (Unión Nacional de Trabajadores) organisiert, der als Reaktion auf die Unterstützung der Sabotage der Erdölindustrie durch den traditionellen Gewerkschaftsdachverband CTV (Confederación de Trabajadores de Venezuela) im April 2003 gegründet wurde. Die UNT verfügt mittlerweile nach eigenen Angaben über mehr als eine Million Mitglieder und organisiert den Großteil der venezolanischen Gewerkschaften. (Eine Ausnahme stellt die wichtigste Erdölgewerkschaft Fedepetrol dar, deren Mitglieder zwar mehrheitlich mit der UNT sympathisieren, eine Lostrennung von der CTV bisher allerdings erfolgreich mit bürokratisch-juristischen Mitteln verhindert wurde).

Im Zentrum vieler Reden und Wortmeldungen der besagten Versammlung stand, die Betonung der Notwendigkeit des Aufbaus einer Partei der Arbeiter und der revolutionären Volksschichten; einer revolutionären Partei, die imstande ist, die viel zitierte „Vertiefung der Revolution“ bzw. „die Revolution in der Revolution“ zu vollziehen.

Einige Redner/innen schrieben der neu gegründeten Partei bereits die Rolle zu, das Werkzeug der Arbeiter/innen/klasse im Kampf um die Eroberung der Macht zu sein. Ob sich die PRS als Werkzeug zum Aufbau proletarischer Machtorgane eignet, wird nicht zuletzt davon abhängen, welche sozialen und politischen Kräfte die Partei in Zukunft dominieren werden.

Neben zahlreichen Berichten und Debatten über aktuelle Auseinandersetzungen der Arbeiter/innen des Erdölsektors, der Stahlindustrie und der Elektrizitätswerke spielte die Diskussion rund um „revolutionäre Mitbestimmung“, Arbeiterkontrolle und Arbeiterselbstverwaltung eine wichtige Rolle. Diskussionen, die auch innerhalb der venezolanischen Gewerkschaftsbewegung äußerst kontroversiell geführt werden.

Kurz nach dieser öffentlichen Veranstaltung, deren Zweck es war erstmals öffentlich in großem Rahmen die Idee der Gründung der Partido Revolución y Socialismo zu propagieren, gründete sich das Organisationskomitee der neuen politischen Partei. Die Aufgabe dieses Komitees besteht u. a. darin, den Gründungskongress der PRS Anfang nächsten Jahres zu organisieren und versucht insbesondere in den Industriegebieten in denen die UNT über eine starke Verankerung verfügt (allen voran im Bundesstaat Carabobo) Arbeiter/innen für die Idee der PRS zu gewinnen.

In erster Linie setzt sich das Organisationskomitee der PRS aus führenden Gewerkschaftsaktivist/inn/en der klassenkämpferischen Gewerkschaftsströmung (Corriente Sindical Clasista, Democrática y Revolucionaria, allgemein bekannt als Corriente Clasista), die großteils innerhalb der UNT aktiv ist, zusammen. Die wahrscheinlich berühmtesten Arbeiterkader der venezolanischen Arbeiter/innen/klasse Orlando Chirino und Stalin Pérez Borges sind als Mitglieder dieses Organisationskomitees (und als bekannteste Persönlichkeiten der Corriente Clasista) federführend am Aufbau der PRS beteiligt.

Einige Mitglieder der Corriente Clasista stellten in Frage, ob der Zeitpunkt der Parteigründung nicht zu früh erfolgt sei, da ihrer Meinung nach zuerst die Hegemonie über die UNT erlangt werden müsse. Diese Bedenken wurden weiters dadurch genährt, dass einige Personen auf eine möglichst rasche Gründung der PRS drängten, um eine Kandidatur der Partei bei den bevorstehenden Wahlen zur Nationalversammlung im Dezember zu ermöglichen. Zwar kam es zu keiner formalen Kandidatur der PRS, jedoch kandidieren zahlreiche Aktivist/inn/en der Corriente Clasista auf einer, von Stalin Pérez Borges angeführten, Liste im Bundesstaat Carabobo für die Nationalversammlung.

Schlussendlich beteiligte sie sich aber der Großteil der Corriente Clasista an der Gründung der PRS. Alleine aus diesem Grund, der Verbindung der PRS mit den bewusstesten Teilen des venezolanischen Proletariats, hat diese politische Organisation die Aufmerksamkeit von Marxist/inn/en verdient.

Ideologisch-theoretisch geprägt wird die PRS stark von Einflüssen des Morenismus (jener Strömung des internationalen Trotzkismus die sich vor allem auf das theoretische Erbe des argentinischen Trotzkisten Hugo Bressano – besser bekannt unter seinem Pseudonym Nahuel Moreno – beruft). Der Morenismus stellt in Venezuela historisch die bedeutendste Strömung des Trotzkismus dar. Das erste schriftliche Dokument des Organisationskomitees der PRS, welches in Ansetzen versucht ein Übergangsprogramm für die venezolanische Gesellschaft aufzustellen, wurde in LabourNet-Austria veröffentlicht (siehe www.labournetaustria.at, Rubrik Archiv, 2005).

Bereits der Aufruf zur Gründung der PRS führte zu massiven Angriffen und Polemiken gegen dieses Projekt. Allen voran die stalinistischen Epigonen des bolivarischen Volksfrontprojekts wettern in altbekannter Manier im Namen der Einheit gegen die Gründung der PRS, die in letzter Instanz der Konterrevolution und dem Imperialismus in die Hände spielen würde.

Auch Teile der trotzkistischen Linken qualifizieren die PRS als eine weitere Gestalt im „Sektendschungel“ des Trotzkismus ab.

Ausschlaggebend für die Bedeutung und das Potential der PRS ist in erster Linie ihre Verankerung in den zahlreichen Schlüsselbetreiben Venezuelas durch die Corriente Clasista. Tausende Gewerkschaftsaktivist/inn/en und Arbeiter/innen sind im Laufe der letzten Monate mit der PRS in Kontakt gekommen. Viele von ihnen orientieren sich in der Lösung ihrer dringlichsten Probleme an der PRS. Diese ist somit bereits zu einem Faktor innerhalb wichtiger Teile des venezolanischen Proletariats geworden.

Die Frage ob die PRS ihr Potential nutzt zu einem Werkzeug der venezolanischen Arbeiter/innen/klasse zu werden, wird in erster Linie davon abhängen, ob es den proletarischen Kräften rund um die klassenkämpferische Gewerkschaftsströmung gelingt der PRS ihren Stempel aufzudrücken.