Handelt es sich bei den vielen Jugendlichen die mit Reggae-Musik, "Kiffen" und dem Lebensstil der Rastafarians sympathisieren, um eine antikapitalistische Jugendkultur, oder wird sie nur als solche empfunden?
Rastafarianismus ist eine afroamerikanische Religion mit protestantischer Prägung. Ihr Beginn wird auf die Jahre nach 1930 datiert. Die Bibel ist den Rastafarians heilig, ihre überlieferte Version wird aber als die der Weißen angesehen. Daher enthält sie laut den Rastafarians Verdrehungen und Auslassungen von Abschnitten, die im Interesse der ehemaligen SklavenhalterInnen oder auch der heutigen imperialistischen Mächte stehen. Entstehung und Glaube der Rastafa-Bewegung an eine nationale Befreiung der Schwarzen sind aber letzten Endes nicht nur auf die Bibel zurückzuführen. Sie schlagen ihre tiefen Wurzeln in der jahrhundertelangen SklavInnenhaltung des 19. und 20. Jahrhunderts durch die KolonialistInnen aus Europa und den USA. Die Rastafa-Ideologie ist in ihrer gesellschaftspolitischen Orientierung eine an sich rückwärtsgewandte politisch-religiöse Strömung, die jedoch in vielen Ländern Ausdruck des antiimperialistischen Befreiungskampfes war.
Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts predigte der schwarzer Jamaikaner Marcus Garvey einen schwarzen Nationalismus. Er war Begründer der "Back to Africa"-Bewegung, mit dem Endziel der Rückkehr aller Schwarzen nach Äthiopien, dem einzig nie kolonialisierten afrikanischen Land. Seine bedeutendste Lehre war, dass Jamaika das Land der Weißen, also "Babylon" sei (Babylon steht dabei für die westlichen Länder der ImperialistInnen, aber auch für die Polizei, die das niederträchtige System, den Kapitalismus, beschützt). Mit folgendem Zitat sollte er den Weg für den Beginn der Rastafarireligion weisen: "Schaut nach Afrika, wenn ein schwarzer König gekrönt werden wird, dann ist der Tag der Erlösung nahe!"
Haile Selassie
1930 wurde der Äthiopier Ras Tafari Makonnen zum Kaiser gekrönt. "Ras" ist das Haupt, "Tafari" bedeutet "gefürchtet werden", das ergibt zusammen: "das Haupt des Allmächtigen, der Wert ist, gefürchtet zu werden." Makonnen gab seinen bürgerlichen Namen Ras Tafari ab und nannte sich Haile Selassie I (Kraft der Dreieinigkeit). In ihm sahen viele den lebendigen Gott, der für sie die Rückkehr nach Afrika bereiten würde. Ein anderer Name für den Gott gewordenen Menschen der Rastafarians ist Jah. Von der Kurzform "Jah" (=Jehova) bis zum Hindu-Wort "Jai", kann der Name aus verschiedensten Religionen abgeleitet werden. Er ist heute noch ein Inbegriff für Selassie I.
Anfang der dreißiger Jahre berichtete die jamaikanische Tageszeitung "Daily Gleaner" von einem "Niyabingi"-Orden in Äthiopien und im Kongo, der angeblich von Selassie geführt würde und den Weißen einen vernichtenden Krieg geschworen hätte. In Jamaika bildete sich eine religiöse Gemeinschaft, deren Anhänger sich nach dem bürgerlichen Namen Haile Selassies "Rastafarians" nannten. Sie begriffen sich ebenfalls als Niyabingi-Krieger und schworen "Tod allen weißen und schwarzen UnterdrückerInnen".
1936 musste Haile Selassie ins Exil nach England, als Äthiopien von Truppen des faschistischen Italiens besetzt wurde. 1940 trat Italien offiziell als Feind Großbritanniens in den Krieg ein. Die britische Regierung schmuggelte Selassie daraufhin in den Sudan, wo er in der Wüste eine Armee aufbaute. Am 5. Mai 1941 gelangte Haile Selassie wieder zurück auf den Thron. Der Sieg – der eigentlich den britischen Truppen zuzuschreiben ist – über die italienische Armee ließ sein Ansehen in Äthiopien, wie auch in Jamaika stark wachsen.
1955 erließ er eine neue Verfassung, die seinen UntertanInnen das allgemeine Wahlrecht und Gleichheit nach dem Gesetz zusprach. Allerdings mit einem entscheidenden Vorbehalt: "Kraft seines kaiserlichen Blutes sowie der Salbung, die er empfangen hat, ist die Person des Kaisers heilig. Seine Würde ist unverletzlich und seine Macht unbestreitbar".
Palastrevolte
Dass Freiheit und Demokratie für Selassie Fremdworte waren, zeigt uns aber nicht nur seine Ernennung zum Kaiser, sondern wurde spätestens klar, als es 1960 zur Palastrevolte kam. Erklärtes Ziel der RevolutionärInnen war es, neue ökonomische Strukturen zu schaffen, um somit einen raschen gesellschaftlichen Umschwung herbeizuführen. Der Aufstand wurde jedoch blutig niedergeschlagen. Während viele ÄthiopierInnen begriffen, dass die Feudalherrschaft unter Haile Selassie keinen Fortschritt für sie bringen konnte, wurde er für die Rastafarians zum Nationalhelden Jamaikas. Bei Staatsbesuchen wurde er gebührend gefeiert. Doch Anfang der 70er Jahre waren die gesellschaftlichen Widersprüche in Äthiopien nicht mehr zu überbrücken. Nach Massendemonstrationen und Streikwellen übernahmen im September 1975 sozialistische Militärs die Macht und setzten Selassie ab, der kurze Zeit später unter unbekannten Umständen starb. Die Rastafarians gehörten zu den letzten treuen AnhängerInnen der reaktionären Monarchie, selbst nach Selassie Tod lebte er für sie weiter, denn Gott, oder auch "Jah Rastafari", stirbt für die Rastafarians niemals.
Kritik ist nötig
Eurpas Jugendliche, die gern die Musik von Bob Marley hören, eine Jamaica-Fahne im Zimmer haben und ihre Haare zu "Dreadlocks" formen, müssen sich natürlich nicht zwangsläufig mit den reaktionären Inhalten der Rastafa-Ideologie (mehr in den Kästen "If you are a good rasta man", "Sunshine Reggae?" und "Homophobie in Jamaica") identifizieren. Im Gegenteil, die meisten dieser Jugendlichen sehen sich subjektiv sicherlich fortschrittlicher als der Großteil der Gesellschaft. Doch eine kritische Auseinandersetzung mit den Inhalten der eigenen (Sub-) Kultur ist nicht nur ratsam, sondern hat auch noch selten geschadet.