Zum Verhältnis von Marxismus und Kriminalität

„Immer mehr Wohnungseinbrüche“ … „Wien versinkt im Drogensumpf“ … Seit einiger Zeit überschlagen sich Kronen-Zeitung und Co mit Horror-Meldungen über die in den letzten Jahren angeblich so stark angestiegene Kriminalität. Doch was ist überhaupt Kriminalität? Mit diesem Artikel wollen wir, beginnend mit konkreten Fragen und übergehend zu grundsätzlicher Rechtsphilosophie, den Versuch einer marxistischen Analyse der Kriminalität starten.

Der Begriff Kriminalität leitet sich vom lateinischen „crimen“ ab, was für Beschuldigung, Anklage bzw. Verbrechen steht. Voraussetzung für Kriminalität sind Strafgesetze – denn erst diese machen ein abweichendes Verhalten zu einem verbotenen Verhalten. Daraus folgt, dass Kriminalität natürlich keine „Wirklichkeit für sich“ darstellt, sondern ein soziales Konstrukt, welches davon abhängig ist, welchen Stellenwert eine Gesellschaft z.B. dem Privateigentum, dem Menschenleben oder der Rolle der Frau einräumt.

Statistiken

Grundsätzlich sind sämtliche Kriminalitätsstatistiken mit Vorsicht zu genießen. Gerichtliche Statistiken etwa messen nur die Verurteilungen, während polizeiliche Statistiken die Anzahl der registrierten Straftaten angeben. Weiters gibt es noch Opferbefragungen oder Dunkelfeldforschung. Klar ist, dass eine erhöhte Ermittlungstätigkeit der Polizei, etwa im Drogenmilieu, automatisch eine „höhere“ Kriminalität zu Tage bringt. Dies rechtfertigt dann oft die Forderung nach mehr PolizistInnen, die schließlich noch „mehr“ Kriminalität aufdecken – es kommt zu einer Aufwärtsspirale.

Wenn nun die bürgerlichen Medien von einem Anstieg der Kriminalität sprechen, so erzählen sie uns nicht wirklich etwas Neues. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts brachte einen weltweiten Anstieg der Kriminalitätsraten. In den westeuropäischen Ländern dürfte dieser zwischen 1950 und 1990 etwa 4% pro Jahr ausgemacht haben.(1) Dieser doch beträchtliche Anstieg hat natürlich mehrere, teils recht einfache Gründe: z.B. ist die Anzeigewahrscheinlichkeit bei vielen Delikten, etwa Missbrauchsfällen, heute höher als früher, wo noch viel mehr vertuscht wurde. (Auch heute ist die Dunkelziffer jedoch noch extrem hoch!). Außerdem wurden viele Delikte erst im Laufe der Zeit möglich. Der Ladendiebstahl wurde erst zu einem relevanten Phänomen, als sich Supermärkte durchsetzten. KFZ-Einbrüche wurden häufiger, als Autos zu einem Massenprodukt wurden.

Allerdings spielen auch andere Faktoren mit. Studien haben ergeben, dass Kriminalität und Arbeitslosigkeit zusammenhängen, dass also eine höhere Arbeitslosenrate mit einer gestiegenen Kriminalitätsrate einhergeht.(2) (Und die Arbeitslosenquote ist seit den 50ern in allen OECD-Ländern tendenziell stark angestiegen.) Zudem ist auffallend, dass Vermögensdelikte in der Zeit des Ausbaus des „Sozialstaats“ von Mitte der 50er bis Mitte der 70er Jahre deutlich seltener begangen wurden, als ab der neoliberalen Wende von Beginn der 80er Jahre bis heute.

Sozialstruktur

Der Anstieg von Überfällen, Einbrüchen und Diebstählen hat also sicherlich auch etwas mit der wachsenden Deklassierung von Teilen der europäischen ArbeiterInnenklasse, v.a. jener aus den ehemaligen stalinistischen Staaten (UdSSR, Polen, Rumänien, etc.) zu tun. Nach dem Fall des Stalinismus wurden diese Länder zu neoliberalen Experimentierfeldern und breite Bevölkerungsschichten wurden in Arbeitslosigkeit und Armut gestürzt. Für viele junge Menschen in einem Land wie Moldawien, wo das Durchschnittseinkommen 30 Euro/Monat und die Arbeitslosenrate in manchen Dörfern 100% beträgt, ist es sehr nachvollziehbar, kriminellen Verlockungen nachzugeben.

Kriminalitätsquoten sind sozialstrukturell unterschiedlich. Unterschichten weisen höhere Raten auf als Mittel- und Oberschichten. Kein Wunder, wenn Zeitungen und TV ständig die Botschaft transportieren, dass Reichtum, Prestige und Erfolg die einzig wünschenswerten Ziele im Leben sind, die Mittel diese Ziele zu erreichen aber der ArbeiterInnenklasse und den deklassierten Schichten nicht zugänglich sind. Dabei ist Kriminalität oft nicht einmal ein Mittel zur Beschaffung von Gütern, sondern bloß ein Abbau von Frustration – etwa im Fall von jugendlichem „Vandalismus“. Friedrich Engels nannte das Verbrechen daher einmal die „erste, rohe und unfruchtbare Form der Empörung“ und die „ungebildetste, bewusstloseste Form der Protestaktion“.(3) (Natürlich bezog er sich dabei hauptsächlich auf Eigentumsdelikte).

Während des Aufblühens der deutschsprachigen Arbeiter-Innenbewegung vor dem Ersten Weltkrieg gab es eine Vielzahl von integrierenden Arbei-terInnen-Organisationen, die den Unterschichten der ArbeiterInnenklasse eine Perspektive des kollektiven Widerstands gegen das System boten. Die Kriminalitätsrate war zu dieser Zeit – v.a. in Wien – signifikant rückläufig.(4) Andererseits dürfte der Anstieg der Kriminalität in Österreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg auch etwas mit dem allmählichen Verlust der spezifischen Kultur und der Stärke der ArbeiterInnenbewegung zu tun haben. Ein weiterer Aspekt ist allerdings auch die steigende Anonymität großer Städte, bedingt vor allem durch höhere Mobilität, womit informelle Sozialkontrolle abnimmt.

Möglicherweise werden SkeptikerInnen an dieser Stelle den berechtigten Einwand der „organisierten Kriminalität“ machen, deren DrahtzieherInnen sich wohl kaum aus deklassierten Schichten am Rand der Gesellschaft zusammensetzen. Diese Kriminalität – beispielsweise Steuerhinterziehung, Fälschung, Versicherungsbetrug oder Waffenhandel – ist allerdings deutlich weniger sichtbar und sozial auffällig. In diesem Bereich mafiöser Verbrechen, dem sogenannten „white collar crime“, verschwimmt zumeist auch die Grenze zwischen Legalität und Illegalität, je weiter es nach „oben“ geht, desto intensiver sind die Spitzen der Gesellschaft eingebunden.

Bekämpfung

Die Verbrechensbekämpfung des bürgerlichen Staats ist der mitunter verzweifelte Kampf gegen Symptome, gegen Auswirkungen des kapitalistischen Wahnsinns. Neuerdings sollen beispielsweise mehr PolizistInnen in den öffentlichen Verkehrsmitteln Wiens eingesetzt werden, um TaschendiebInnen, BettlerInnen, Schwarzfahrer-Innen und Obdachlose (!) – also wahrhaftige „SchwerverbrecherInnen“ – zu vertreiben. Mit der Fokussierung auf diese Elemente wird im Übrigen von den wahren VerbrecherInnen dieser Gesellschaft abgelenkt. Denn die sitzen ganz wo-anders … Der kommunistische Schriftsteller Bert Brecht beschrieb es treffend: „Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“(5)

Mit Argumenten wie „damit sich Frauen am Abend beim alleine nach Hause gehen nicht mehr fürchten müssen“ wird dieses zusätzliche Polizeiaufgebot gerechtfertig. Dummerweise müssen sich die meisten betroffenen Frauen aber erst fürchten, wenn sie bereits zu Hause sind, denn Gewalt gegen Frauen findet – das zeigen sämtliche Studien – großteils innerhalb der eigenen vier Wände statt. Laut einer Studie des Sozialministeriums werden nur 6 – 15% der betroffenen Mädchen von ihnen unbekannten Männern missbraucht.(6) Das skizzierte Bild in den Medien ist aber trotzdem der fremde schwarze Mann, der spät nachts in einer dunklen Gasse auf ein x-beliebiges Opfer wartet. Videoüberwachung, Law & Order-Politik und Co. nützen hier nichts.

Definitonssache

Wir wollen nun einen Schritt weiter gehen und die brisante Frage nach der Definition von Kriminalität stellen. Wie eingangs bereits erwähnt, gibt die Natur nicht vor, welches Verhalten richtig bzw. falsch ist. Was als „kriminell“ gilt, ist von Epoche zu Epoche und von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich. Viele Delikte, die früher einmal legal waren, sind heute verboten, z.B. das Halten von SklavInnen, das Schlagen von Kindern oder das Rauchen von Hanfprodukten. Andererseits gibt es zahlreiche Dinge, die zu früheren Zeiten untersagt waren und heute (zumindestens in weiten Teilen Europas) erlaubt sind. Dazu gehört u.a. Homosexualität, Schwangerschaftsabbruch oder „Gotteslästerung“. Eine Feststellung, die uns einen Schritt näher an den Kern des Problems bringt.

Im europäischen Mittelalter fußte die gesamte Weltordnung auf dem Glauben an Gott. Auch der „weltliche“ Herrscher (König, Kaiser, etc.) war schließlich „von Gottes Gnaden bestimmt“. An der Existenz des Schöpfers zu zweifeln oder ihn gar lächerlich zu machen, bedeutete daher in Folge die komplette Legitimation des Feudalsystems in Frage zu stellen und wurde hart bestraft.

Die Definition von Verbrechen ist also ein juristischer Ausdruck der jeweiligen Machtverhältnisse einer Gesellschaft. Diese Machtverhältnisse wie-derum basieren auf den ökonomischen Grundlagen, die wir MarxistInnen unter dem Begriff „Produktionsverhältnisse“ zusammenfassen. Bis vor wenigen Jahrhunderten waren die Produktionsverhältnisse in Europa im Großen und Ganzen feudal. Die Masse der Bevölkerung waren unfreie Bauern/Bäuerinnen, die auf aristokratischem oder kirchlichem Grundbesitz schuften mussten. Landerwerb und freie Berufswahl waren nicht möglich.

„Gleichheit“

Die bürgerlichen Revolutionen des 17., 18. und 19. Jahrhunderts machten Schluss mit dem überholten Feudalismus. Für die Ausbreitung der kapitalistischen Produktionsweise war es notwendig, dass die feudalen Besitztümer enteignet und die Bauern/Bäuerinnen aus ihrer Leibeigenenschaft befreit werden – um in den Manufakturen und Fabriken als formell freie (aber wirtschaftlich natürlich von Lohnarbeit abhängige) ArbeiterInnen werken zu können. Juristisches Produkt der kapitalistischen Marktwirtschaft, in der auf dem „freien“ Markt Waren (wie etwa auch die Ware Arbeitskraft) ausgetauscht werden, war das moderne bürgerliche Recht mit seiner formellen „Gleichheit vor dem Gesetz“.Der französische Schriftsteller Anatol France mokierte sich einmal zurecht über die „majestätische Gleichheit der Gesetze, die den Armen wie den Reichen verbietet, unter Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.“(7)

In der Tat ist die Abstraktion des bürgerlichen Rechts absurd, da unterschiedliche Klassen und Schichten niemals die selben Voraussetzungen haben können. Einer, der deutlich aussprach, dass sich viele Gesetze de facto nur gegen die unteren Klassen der Gesellschaft richten, war Karl Marx in seinen Kommentaren über die Debatte zum Holzdiebstahlsgesetz im Rheinischen Landtag. Es ging um die Entnahme von „Raffholz“, das in den Wäldern abgestorben am Boden liegt, was als Diebstahl verboten werden sollte. Und genauso, wie es damals keineN FabrikbesitzerIn interessierte, ob er/sie auf der Erde liegendes Holz mitnehmen durfte oder nicht, kümmert es heute keineN ManagerIn, wie hoch die Strafen für „Schwarzfahren“ sind.

Vorhin wurde bereits erwähnt, dass Kriminalität sozialstrukturell unterschiedlich ist. Aber nicht nur das, auch die Toleranzgrenzen für kriminelles Verhalten sind unterschiedlich, je nachdem, welcher sozialen Herkunft einE TäterIn ist. Gegen „illegale“ MigrantInnen und/oder aufmüpfige Jugendliche in einem ArbeiterInnen-viertel geht die Polizei ganz anders vor als gegen KapitalistInnen, die in ihren Fabriken die Gesundheitsvorschriften nicht einhalten. Auch werden Personen aus unteren Schichten viel schneller verdächtigt und viel wahrscheinlicher angezeigt als VertreterInnen des Establishments (und können sich bei Kleindelikten, etwa jugendlichem Ladendiebstahl, auch nicht freikaufen). Die höhere Kriminalitätsrate der ArbeiterInnenklasse ist also auch ein Resultat der selektiven Anwendung bürgerlicher Gesetze.

Vor Gericht kommt es dann häufig zu Formen offenkundiger „Klassenjustiz“: Etwa die einseitige Auslegung von Gesetzen durch RichterInnen, die nicht von der Bevölkerung gewählt sondern von oben aus dem Staatsapparat ernannt werden und zumeist selbst nicht aus den Reihen der ArbeiterInnenklasse kommen. Angeklagte aus der herrschenden Klasse können sich vor Gericht viel besser behaupten und müssen sich auch nicht mit PflichtverteidigerInnen begnügen. Der Herr Doktor hinter dem Richterpult, der Herr Doktor am Tisch des Staatsanwalts und der Herr Doktor auf der Anklagebank verstehen sich gemein-hin besser als die Staatsgewalt und einE HilfsarbeiterIn.

Privateigentum

Die heiligste aller kapitalistischen Götzen ist neben dem Geld das Privateigentum. Obwohl historisch gesehen in vielen Gesellschaften gänzlich unbekannt, wird es uns von Kindheit an als „naturgegeben“ vermittelt. Klar, schließlich funktioniert Kapitalismus folgendermaßen: Die Produktion ist gesellschaftlich (oft sind hunderte oder tausende Menschen an der Herstellung eines Produkts beteiligt), die Aneignung der geschaffenen Werte ist jedoch privat. Der von Millionen Menschen tagtäglich produzierte Reichtum fällt zu großen Teilen in die Hände einer kleinen Minderheit von Superreichen. Kein Wunder, dass sich der Großteil der bürgerlichen Gesetze mit dem Schutz von Eigentum beschäftigt. Marx bezeichnete Juristen deshalb auch als „Ideologen des Privateigentums“.

Es ist allgemein bekannt, dass es ein Ungleichgewicht zwischen Strafen auf Eigentumsdelikte und Strafen auf psychische oder Körperverletzung gibt. So beträgt etwa der Strafrahmen für „sexuellen Missbrauch an Unmündigen“ 1 bis 10 Jahre (§ 206 STBG), jener für Raub 5 bis 15 Jahre Haft (§ 142 und 143). Noch tragischer wird dieses Ungleichgewicht bei den tatsächlich verhängten Strafen – Vergewaltiger kommen zumeist mit 1 bis 2 Jahren davon, wohingegen 6 Jahre für einen bewaffneten Bankraub keine Seltenheit sind. Mit diesen Beispielen wollen wir nicht auf Forderungen nach besonders harten Strafen hinaus, sondern nur den Wert des Eigentums im bürgerlichen Recht verdeutlichen.

Bestrafung

Womit wir beim nächsten Thema wären: Der Bestrafung von verbotenen Handlungen. Mit dem Übergang vom Feudalsystem zum Kapitalismus änderte sich nicht nur das Recht, sondern auch die Form der Sanktion von als kriminell bezeichneten Handlungen. So waren im Mittelalter körperliche Strafen absolut dominierend. Folter und öffentliche Hinrichtungen bei denen die Verurteilten auf grauenvolle Art und Weise zugerichtet wurden und dadurch nicht sofort sterben sondern „tausend Tode erleiden“ sollten. Zweck war die Abschreckung und die Demonstration der – durch die Straftat angekratzten – Autorität des Herrschenden.

Mit dem Übergang zur kapitalistischen Produktionsweise änderte sich auch der Strafvollzug. Das Gefängnis, das ursprünglich nur der kurzfristigen Sicherstellung von Verurteilten bis zur Ausführung der Strafe diente, wurde zur Straf- und Disziplinierungsanstalt. Verurteilte sollten nun nicht mehr gepeinigt und umgebracht, sondern diszipliniert und zu funktionierenden „Arbeitsmaschinen“ umerzogen werden. Nicht zufällig orientierten sich die neuen Gefängnisse an den Arbeitshäusern, die im frühkapitalistischen England errichtet wurden, um BettlerInnen, Behinderte, LandstreicherInnen, Waisenkinder und andere Randgruppen „zur Arbeit zu erziehen“.

Sozialismus

Wie würde nun aber eine sozialistische Gesellschaft mit Kriminalität umgehen? Kriminell – das kann im Sozialismus nur bedeuten, dass eine Person anderen Menschen oder dem Allgemeinwohl bewusst Schaden zufügt. Ziel muss es sein, jene, die die Regeln der Gesellschaft missachten nicht zu peinigen, zu disziplinieren oder wegzusperren, sondern sie zu freien Menschen zu machen, die einen respektvollen Umgang mit anderen Menschen pflegen.

Tatsache ist, dass Eigentumsdelikte einen Großteil der Straftaten ausmachen. Sie werden in einer sozialistischen Gesellschaft, einer Gesellschaft, wo niemand mehr in Armut lebenmuss, damit andere in Saus und Braus leben können, stark abnehmen. Auch Gewaltdelikte entstehen oft indirekt durch die Auswirkungen des kapitalistischen Wahnsinns auf den/die EinzelneN und werden wahrscheinlich seltener vorkommen. Ein sofortiges Ende aller dieser Taten, auch der Eigentumsdelikte, ist jedoch eine vulgärmarxistische Illusion und führt zu einem Rechtsnihilismus (also zu einer Ablehnung sämtlicher Gesetze), wie ihn die meisten AnarchistInnen vertreten.

Errungenschaften der Oktoberrevolution

Doch auch unmittelbar nach einer siegreichen Revolution können sofortige Verbesserungen umgesetzt werden. So brachte auch die russische Oktoberrevolution von 1917 enorme Errungenschaften im Bereich des Rechts. Beispielsweise wurde ein liberales Scheiderecht eingeführt, das Abtreibungsverbot aufgehoben, die maximalen Freiheitsstrafen deutlich reduziert oder das Verbot von Homosexualität abgeschafft – eine für diese Zeit gigantische Errungenschaft. (In kapitalistischen Ländern wie Deutschland stand sie unter Strafe). Der Stalinismus, der sich ab Mitte der 20er Jahren aufgrund der Isolation des jungen Sowjetstaats und der dramatischen Auswirken des BürgerInnenkriegs (1918-21) durchsetzen konnte, machte nach und nach Schluss mit vielen dieser Reformen. 1934 wurde die Strafbarkeit mann-männlicher Sexualität in der Sowjetunion wiedereingeführt, 1936 die Abtreibung verboten.

Eine wirklich sozialistische Gesellschaft hingegen wird selbstverständlich sogenannte „Verbrechen ohne Opfer“, also Delikte wie den Konsum von Marihuana, homosexuellen Sex oder sonstige Tätigkeiten, die nur jene, die sich freiwillig dafür entscheiden, etwas angehen, legalisieren. Sicher wird sie – im Fall von Gewaltdelikten – Therapie an die Stelle von Bestrafung setzen. Unerwünschtes Verhalten wird leider nicht in jedem Fall über Info-Kampagnen, Diskussionen oder Therapien vermieden werden können. In diesen Fällen werden die Betroffenen unter größtmöglichem Komfort vom Rest der Gesellschaft getrennt werden. Klar bleibt aber, dass Verbote oft ein Zeichen von Hilflosigkeit sind. Das Ziel jedenfalls ist die Abschaffung sämtlicher Gefängnisse, Anstalten und sonstigen bürgerlichen Drangsalierungsinstitutionen.

Festzuhalten bleibt abschließend, dass die gesamte bürgerliche Kriminalitätsdebatte äußerst verlogen ist. Über Drogenverkauf, Kleinkriminalität oder Vandalismus vermögen sich die bürgerlichen Parteien und ihre Zeitungen stundenlang auszulassen. Doch das Verbrechen der Zerstörung der Umwelt, von Kriegen, sozialem Elend, verhungernden Menschen und vielem mehr hat einen Namen: Kapitalismus – und dieser ist noch immer die schlimmste organisierte Kriminalität auf diesem Planeten …n

Fußnoten:

1) Albrecht, Hans-Jörg: Kriminalitätstrends http://www.bisdro.uni-bremen.de/FSQUENSEL/festschrift_index.htm
2) http://www.tu-dresden.de/wwvwlfw/media/PDF/WP/dm_mg_crime.pdf
3) Engels, Friedrich: Die Lage der arbeitenden Klasse in England, MEW.Bd.2, S. 431 ff.
4) Rusche, Georg; Kirchheimer, Otto: Sozialstruktur und Strafvollzug. Frankfurt/M., Köln 1974
5) Brecht, Berthold: Die Dreigroschenoper, Druckfassung 1931, Szene 9
6) BMSG: (K)ein sicherer Ort. Sexuelle Gewalt an Kindern. Wien 2002
7) Anatol France, zit. n. Wesel, Uwe: Geschichte des Rechts, Von den Frühformen bis zum Vertrag von Maastricht, 1. Auflage, München 1997