Am Dienstag, den 12. September traten die nichtärztlichen Beschäftigten des Berliner Universitätsklinikums Charité in einen unbefristeten Erzwingungsstreik, nachdem sich in der Vorwoche 91,18% der Mitglieder der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in einer Urabstimmung dafür ausgesprochen haben.
Die Charité ist mit über 14.000 MitarbeiterInnen Europas größtes Universitätskrankenhaus. Die Charité ist ein landeseigenes Unternehmen von Berlin, ihrem Aufsichtsrat sitzt der Senator Thomas Flierl (Linkspartei.PDS) vor. Nachdem das Land Berlin – unter der so genannten „rot-roten“ Stadtregierung von SPD und L.PDS – aus dem Flächentarifvertrag ausgetreten ist, befinden sich die Beschäftigten der Charité in einem tariflosen Zustand: Noch immer existieren Unterschiede zwischen West- und (schlechter bezahlten) Ost-Beschäftigten; alle seit 2003 neu Angestellten müssen zu noch wesentlich schlechteren Bedingungen arbeiten. Die Klinikleitung weigert sich weiters, die 2003 zugestandene Tariferhöhung um 4,46% zu übernehmen. Weiters wurden einige Bereiche des Krankenhauses privatisiert, etwa der Standort Buch oder der gesamte technische Bereich als Charité Facility Management (CFM). Aber die Einsparungsmaßnahmen treffen auch die PatientInnen direkt: so stehen nun jedem Patienten pro Tag nur mir ein Liter Mineralwasser zu, wer mehr benötigt, muss sich das selbst besorgen…
Nach 26 Verhandlungsrunden und einigen Warnstreiks gelang es der kämpferischen ver.di Betriebsgruppe um Carsten Becker endlich, die Zustimmung der ver.di-Bürokratie für eine Urabstimmung über unbefristeten Erzwingungsstreik zu gewinnen. Die MitarbeiterInnen gingen mit viel Kampfbereitschaft in den Streik und konnten von Anfang an die auf Nadelstich-Taktik ausgelegte Streikkonzeption der ver.di-Hauptamtlichen über den Haufen werfen. So weigerten sich die Beschäftigten am Campus Virchow, nach einem erfolgreichen Streiktag am nächsten Tag wieder regulär zur Arbeit zu gehen. Und auch der dritte Campus, Benjamin Franklin, ging entgegen der ursprünglichen Planung am zweiten Streiktag in den Ausstand, da die Charité-Geschäftsführung am ersten Tag versuchte, die dortigen Mitarbeiter an den bestreikten Standorten als Streikbrecher zu engagieren.
Die Klinikleitung tat wirklich alles, um den Streik zu sabotieren: Neben dem Versuch, StreikbrecherInnen zu engagieren, wurden Gerüchte gestreut, dass nur Gewerkschaftsmitglieder streiken dürfen. Alle möglichen kleinen Operationen wurden als Notfälle dargestellt, PatientInnen schon betäubt in den OP geschoben, um so die Beschäftigten zum operieren zu zwingen. Auch viele ÄrztInnen und Ärzte betätigten sich als StreikbrecherInnen und übernahmen die Aufgaben der OP-Schwestern/Pfleger – auch wenn es positive Ausnahmen gab. Dies ist insbesondere infam, da die nichtärztlichen Beschäftigten den Ärztestreik einige Wochen zuvor solidarisch unterstützten.
Die Streikleitung, in der die ver.di Betriebsgruppe und hauptamtlich Beschäftigte von ver.di Berlin sind, spielte eine schwankende Rolle. So ist es einerseits nur der kämpferischen ver.di-Betriebsgruppe an der Charité zu verdanken, dass während der endlosen Verhandlungen die Streikperspektive aufrechterhalten wurde und gegen die ver.di-Führung letztendlich durchgesetzt wurde. Auch wurde die offizielle Streiktaktik und die schlechte Informationspolitik der ver.di-Hauptamtlichen scharf kritisiert – allerdings nur intern, während man gegenüber kritischen Beschäftigten die offizielle Linie verteidigte. Eine Linie, die sich im Fall einer Zuspitzung der Kämpfe als katastrophal erweisen kann, erscheint man doch dann in den Augen der Beschäftigten als selbst verantwortlich für die inkonsequente Streikführung.
Große Solidarität und praktische Hilfe erfuhren die Streikenden von GenossInnen der Berliner WASG. Darunter befand sich besonders die SAV, aber auch die AGM war vor Ort, um die KollegInnen in ihrem Kampf zu unterstützen.
Nachdem in der ersten Woche die Operationssäle und die Anästhesie bestreikt wurden, wurden in der zweiten Woche an je einem Tag einer der drei Standorte komplett bestreikt. In Folge kam von Seiten der ArbeitgeberInnen ein Verhandlungsangebot, dass den Beschäftigten punktuell Zugeständnisse macht, aber dafür als Kompensation Kürzungen beim Urlaubs und Weihnachtsgeld macht. Die ver.di-Führung will dieses Angebot prüfen und setzte den Streik zwischenzeitlich aus.
Die Beschäftigten der Charité haben gezeigt, dass sich durch Selbstorganisation auch in einem gewerkschaftlich traditionell schlecht organisierten Bereich wie dem Krankenhaussektor ein erfolgreicher Arbeitskampf führen lässt. Um ihn auch zu gewinnen, bedarf es den Mut, nicht nur als (vielleicht auch kritisches) ausführendes Organ der Strategie der Gewerkschaftsführung zu agieren. Um einen Arbeitskampf erfolgreich führen zu können ist es notwendig, sich auch selbst zu organisieren. Die Streikenden müssen selbst über die weiteren Schritte im Streik beraten und entscheiden – wenn es sein muss, auch gegen den Widerstand der zögernden und jederzeit zu faulen Kompromissen bereiten Gewerkschaftsbürokratie.