Mindestens 8000 US-SoldatInnen sind seit Beginn des Irak-Krieges im Frühjahr 2003 weltweit von ihren Einheiten geflohen, berichtete kürzlich die Zeitung „USA Today“. Das Fachmagazin „Air Force Times“ schreibt gar von 40.000 desertierten GIs seit dem Jahr 2000. Hunderte suchen Zuflucht im Nachbarland Kanada, wo eine Gruppe engagierter US-DeserteurInnen derzeit um politisches Asyl kämpft. Doch auch in anderen Ländern, etwa in Deutschland, tauchen vermehrt GIs unter, wie „Der Spiegel“ berichtet.
Doch nicht immer gelingt die Flucht. Seit Anfang Oktober wartet der USSoldat Augustin Aguayo in Mannheim in einem Militärgefängnis auf seinen Prozess. Wie viele US-Soldaten trat Aguayo wegen des Geldes in die Berufsarmee ein. Er war arm, jobbte als Lagerarbeiter in Los Angeles. Eines Nachts hörte er bei der Arbeit einen Radio-Spot, der mit gewaltigen Worten für den Eintritt in die Army trommelte. Aguayo beschloss, sich die Sache einmal anzusehen.
Der Mann im Rekrutierungsbüro versprach ihm einen Job als Sanitäter und die Möglichkeit, nach vier Jahren aktivem Dienst ein Bachelor-Studium zu beginnen, unterstützt von der Army. „Ich dachte mir: Sanitäter hört sich gut an“, sagt Aguayo. Als er das Büro verließ, hatte er einen Vier-Jahres- Vertrag unterschrieben. „Ich wusste nicht, dass ich meine Seele dem Teufel verkaufen würde“, sagt er heute. Ein Jahr später flog er in den Irak.
Ein Jahr blieb Aguayo in Tikrit, bis Februar 2005. Sein Lohn waren 1600 Dollar und 600 Euro Zulage im Monat. Dafür steckte er Überreste von Menschen in Leichensäcke, stand nächtelang auf Wachtürmen, erlebte wie seine Kameraden bei Durchsuchungen Iraker schikanierten. Er hörte, wie ein GI sagte: „Ich will jemand umlegen, ich will endlich sagen, dass ich’s getan habe.“ Das war ihm zuwider. Er wollte „kein Werkzeug des Krieges sein“, wie er sagt. So wie Aguayo denken offenbar immer mehr SoldatInnen.
Vietnam lässt grüßen
Desertationsbewegungen sind für die US-Armee nichts Neues. Die GIs wurden sich in Vietnam sehr schnell ihrer mißlichen Lage bewußt, ca. 65.000 Soldaten desertierten allein 1970. Sogar Überläufer zum Vietcong (nordvietnamesische Truppen, unterstützt von China und der UdSSR) waren keine Seltenheit, insgesamt liefen 12-15.000 Soldaten über und versorgten den Vietcong mit wesentlichen Informationen.
Auch in den USA wurden Sabotageakte an Flugzeugträgern und Kriegsschiffen, die nach Vietnam auslaufen sollten, verübt. Zahlreiche Soldaten weigerten sich, nach Vietnam zu gehen, ließen sich nicht gegen Friedensdemonstrationen einsetzen oder agitierten gegen den Krieg. Ungefähr 15.000 US-Soldaten saßen 1970 weltweit in Militärgefängnissen, viele davon als politische Gefangene. RITA (Widerstand in der Armee) und AWOL (das Fernbleiben der Truppe ohne Urlaub) waren Schlagwörter der GI-Bewegung. Viele schwarze Soldaten in Vietnam orientierten sich am Slogan „No Vietnamese ever called me a nigger“ (Kein Vietnames hat mich jemals Nigger genannt) und brachten dem Vietcong zumindestens passive Sympathie entgegen (wenn sie nicht sogar überliefen). Viele trugen rote Halstücher und zeigten damit, dass sie nicht auf vietnamesische Soldaten schießen würden.
Davon ist die aktuelle Lage zwar noch weit entfernt. Doch immer mehr SoldatInnen erkennen den Charakter des Krieges im Irak und sind nicht bereit, gegen den irakischen Widerstand zu kämpfen. Sogar Präsident Bush zeigte sich in einem Interview mit dem US-Fernsehsender ABC ungewöhnlich einsichtig. Er stimmte dem vorher von der Tageszeitung „New York Times“ geäußerten Vergleich zwischen dem Irak-Krieg und der Lage in Vietnam 1968 zu …