Die Frage, inwiefern es sinnvoll ist, von einer revolutionären Organisation unabhängige Jugendstrukturen bzw. eine Jugendorganisation aufzubauen, um so besser Jugendliche für revolutionäre Positionen zu gewinnen, hat in der kommunistischen Bewegung eine lange Tradition. In Zusammenhang mit den Diskussionen in und um die LFI-Jugendorganisation revo wollen wir in dem folgenden Diskussionsbeitrag eine Positionierung vornehmen und aufzeigen, wie sich der praktische Umgang der AGM in diese Perspektive integriert.
Die zentrale Aufgabe für Kommunist/inn/en ist der Aufbau einer revolutionären Organisation als Instrument für Klassenkampf und revolutionäre Überwindung des Kapitalismus. Welche Strukturen und Arbeitsbereiche dabei gewählt werden, ist nichts Prinzipielles; eine Organisation kann nach Arbeitsbereichen (Betriebs- und Schulzellen) oder nach lokalen Kriterien strukturiert sein, es können eigene Frontorganisationen in den Gewerkschaften oder für Frauen etabliert werden und es kann eine revolutionäre Jugendorganisationen aufgebaut werden. Die Entscheidung über diese Fragen muss nach objektiven und subjektiven Kriterien getroffen werden.
Die Funktion eigener Jugendorganisationen liegt darin, dass durch sie (Arbeiter/innen-) Jugendliche, die für kommunistische Ideen leichter empfänglich sind und im Kampf oft größeren Enthusiasmus zeigen als ältere Schichten, in breiterem Ausmaß angesprochen werden können (siehe KI-Resolution vom Juli 1921). Vor allem aber kann es durch spezifische Jugendstrukturen gelingen, „jungen Kadern einen Raum zu schaffen, in dem sie selbst Erfahrungen im Aufbau einer Organisation machen können und ihnen damit auch Verantwortung übertragen wird. Eine Jugendstruktur ist zudem auch ein geeigneterer Ort, um neue junge GenossInnen zu gewinnen und an die Organisation heranzuführen“ (Thesen der AGM-Jugend).
In der Ausformung der Verhältnisses von Partei und Jugendorganisation kann es verschiedene Modelle geben: Es ist möglich, dass die erfahrensten jungen Kader Mitglied beider Organisationen sind; es ist ebenso möglich, dass es eine altersmäßige Trennung gibt, dass man/frau bis zu einem bestimmten Alter in der Jugendorganisation ist (in der frühen KPÖ war diese Grenze 21) und dann automatisch in die Partei wechselt und dass die Verbindung zwischen den beiden Organisationen über eine gegenseitige Repräsentanz in den Leitungen hergestellt wird (ein solches Modell wird vermutlich erst bei ziemlich großen Organisationen sinnvoll sein).
Politisch gesehen kann eine revolutionäre Jugendorganisation nicht unabhängig sein. Wir meinen damit, dass Partei und Jugendorganisation auf derselben programmatischen Grundlage stehen und die Jugendorganisation damit in den politischen Grundfragen gebunden ist. Die organisatorische Unabhängigkeit bedeutet für uns, dass innerhalb dieses gemeinsamen politischen Rahmens die Jugendorganisation eigene Entscheidungen treffen kann und soll, etwa in der Wahl der konkreten Kampagnen oder Aktionen. Der Einfluss der Partei kann hier nur Beratung und politische Autorität sein, nicht aber Anweisung und Befehlsausgabe.
Eine Art „Fraktionsdisziplin“ der Parteimitglieder in der Jugendorganisation finden wir falsch. Notwendig und selbstverständlich ist eine solche Disziplin nach außen, in Interventionen, Einheitsfronten etc., aber nicht in der „eigenen“ Jugendorganisation, mit der man/frau auf derselben politischen Grundlage steht. Falls einzelne Parteimitglieder in wichtigen Fragen eine verheerende Position vertreten, dann wäre das ein Problem der Partei und unbelehrbare Mitglieder müssten ausgeschlossen werden. Minderheitspositionen aber, die in der Partei akzeptabel sind, müssen auch in einer revolutionären Jugendorganisation offen vertreten und diskutiert werden können. Nicht zuletzt trägt das auch zur Kaderisierung der jungen Revolutionäre bei. Alles andere läuft letztlich auf eine paternalistische Bevormundung hinaus, die die Jugendlichen nicht für voll nimmt.
Für den Fall, dass die jungen Kader gleichzeitig Mitglieder beider Organisationen sind, ist es sicherlich anzustreben, dass die Parteimitglieder in der Leitung der Jugendorganisation nicht die Mehrheit haben. Das würde sicherstellen, dass sich der Parteieinfluss auf politische Autorität stützen muss. In der Organisationsgröße, in der wir den Schritt zu einer unabhängigen Jugendorganisation machen würden, ist es auch realistisch möglich, dass die Nicht-Parteimitglieder die Leitungsmehrheit stellen.
Was wir definitiv ablehnen, ist, Jugendorganisationen als „unabhängig“ zu erklären, wo in der Realität eine bürokratische Dominanz besteht. Die Voraussetzung für die Etablierung einer eigenständigen Jugendorganisation ist für uns, dass ein solches Modell auch mit Leben gefüllt werden kann. Wenn Kleinstgruppen, noch dazu in Zeiten relativer kapitalistischer Stabilität, eine „unabhängige Jugendorganisation“ proklamieren, bei der es sich ebenfalls um ein Kleinstgruppe handelt (und sich außerdem noch ein großer Teil der Mitgliedschaft überschneiden), dann ist die Voraussetzung nicht gegeben – und die Gefahr bürokratischer Bevormundung bereits angelegt.
Die Erfahrungen von LRKI/LFI zeigen dieses Problem sehr deutlich. Bereits Anfang der 1990er Jahre war die Unabhängigkeit der ASt-Jugendorganisation „Internationalistische Aktion“ (revo-Vorläufer in Österreich) eine Schimäre. Die Hälfte der intakt-Mitglieder waren auch ASt-Mitglieder; in der ASt-Leitung wurden selbst die kleinsten taktischen Entscheidungen festgelegt und über eine Fraktionsdisziplin in der „unabhängigen“ Jugendorganisation durchgesetzt. Die Diskussionen in der Jugendorganisation waren letztlich ein Farce.
Die Erwartungen der ASt- und LRKI-Führung, dass aktivistische Jugendpolitik kombiniert mit niedrigem Rekrutierungsniveau rasch zu einem Anschwellen der Reihen einer „unabhängigen“ Jugendorganisation führen würde, stützte sich natürlich schon Anfang der 1990er Jahre auf eine euphorische Weltlageperspektive. Am LRKI-Kongress 1994 wurde schließlich „analysiert“, dass es in den nächsten drei Jahren in Europa zu revolutionären Situationen kommen werde, und daraus die entsprechenden Schlüsse für den Aufbau der LRKI gezogen. Angesichts dessen, dass es in der LRKI für diese Ausrichtung eine überwältigende Mehrheit gab, sah eine Minderheit des ASt (schließlich unterstützt von der großen Mehrheit der Jugendorganisation) in einem Fraktionskampf keine Perspektive mehr, verließ die LRKI und gründete die AGM.
LRKI/LFI intensivierten den Anfang der 1990er Jahre eingeschlagenen Kurs immer weiter – bis hin zur Forderung das WSF/ESF in die 5. Internationale umzuwandeln. Auch auf das Jugendkonzept der LFI musste diese Ausrichtung Auswirkungen haben, nämlich in Richtung von immer mehr voluntaristischem Aktivismus, dem Verbreiten von unrealistischen und verantwortungslosen Hoffungen (die zu baldigen Enttäuschungen und zu einem raschen Durchlauf vom Aktivist/inn/en führen) und einer Vernachlässigung von politischer Ausbildung und Ermächtigung zu eigenen Entscheidungen. Wie so oft in der Geschichte der Linken ist das dann auch die Grundlage für immer bürokratischeres Funktionieren.
Für uns als AGM sehen wir mit den Kräften, die uns heute zur Verfügung stehen, nicht die Voraussetzung für die Bildung einer eigenständigen Jugendorganisation; es würde sich dabei nur um eine formale Unabhängigkeit handeln. Da wir aber die Vorteile davon, dass junge Genoss/inn/en ihre eigenen Erfahrungen machen und selbst Verantwortung übernehmen, auch für unseren heutigen Organisationsaufbau sehen, haben wir uns vor einigen Jahren dazu entschieden, als AGM-Unterstruktur in Wien eine Jugendgruppe zu formieren, die über partielle Autonomie verfügt. Konkret können auch solche Nicht-Mitglieder, die in politischer Sympathie zur AGM stehen, einen finanziellen Beitrag leisten und sich zu regelmäßiger Mitarbeit verpflichtet haben, in der Unterstruktur mitentscheiden. Sie können das in den Fragen, wo es von der Gesamtorganisation keine Vorgaben für die Jugendgruppe gibt, und solche Vorgaben gibt es nur in grundlegenden Fragen der Ausrichtung. In den anderen Fragen diskutieren und entscheiden AGM-Mitglieder und Nicht-Mitglieder offen. Damit haben wir in der AGM-Unterstruktur „AGM-Jugend“ mehr Elemente von Unabhängigkeit als in den „unabhängigen“ Jugendorganisationen der LFI.
Wir denken, dass es ehrlicher ist zu sagen, dass die Rahmenentscheidungen in der Gesamtorganisation fallen (als eine Unabhängigkeit vorzugaukeln), und dass es damit auch einen Anreiz gibt, Mitglied der AGM zu werden. Wir haben mit diesem für uns heute realistischen Konzept in den letzten Jahren bei der Heranziehung von Genoss/inn/en und der Herausbildung von Kadern sehr gute Erfahrungen gemacht. Ein ähnliches Konzept der „Teilautonomie“ haben wir in Wien auch bei „AGM-Betrieb“ angewandt. Zuletzt haben wir in Zusammenhang unserer immer engeren Zusammenarbeit mit der AL die Unterstrukturen neu formiert, in zwei lokale Gruppen in Wien und eine Unigruppe. Die jungen Studierenden haben damit eine ähnliche „teilautonome“ Struktur wie zuvor alle Jugendlichen gemeinsam und können damit gezielter ein Interventionsfeld abdecken. Die einzelnen Schüler/innen sind zurzeit in die Lokalgruppen integriert, wir gehen mit diesen Fragen aber sehr flexibel und pragmatisch um und können uns in Zukunft auch eine eigene Schüler/inn/engruppe vorstellen.
Auch in der Jugendarbeit ist es für uns wichtig, einen Schwerpunkt auf die Kaderausbildung zu legen und nicht auf Massenarbeit (womöglich kombiniert mit euphorischen Durchbruchsillusionen). Es geht für uns besonders darum, „an gesellschaftlichen Fragen interessierte Jugendliche anzusprechen, die offen für Kontakt mit der revolutionären Linken sind, und sie von der Notwendigkeit einer längerfristigen politischen revolutionären Organisierung zu überzeugen“ (Thesen der AGM-Jugend). Unser jetziges Konzept ist unseres Erachtens ein realistischer Zwischenschritt zu dem in den Thesen formulierten Ziel, dem „Aufbau einer revolutionären Jugendorganisation“.
Wir denken, dass jugendliche Kader in erster Linie zum Aufbau einer revolutionären Organisation beitragen müssen. Dort, wo keine revolutionäre Organisation besteht, sondern nur eine Jugendgruppe oder -organisation, kann diese – wie etwa die KI-Resolution für die Zeit des Ersten Weltkrieges ausführt – die Funktionen der revolutionären Partei übernehmen und zu einer politisch selbstständigen Organisation werden. Eine solche eigenständige politische Existenz als Jugendorganisation kann aber nur eine kurze Phase sein. Wenn die Bildung einer revolutionären Gesamtorganisation nicht absehbar ist, wäre es falsch, wenn eine bestehende Jugendorganisation sich dauerhaft auf die Jugend-Identität beschränkt (und auf unbestimmte Zeit auf einen unsicheren Anschluss an eine erst irgendwie zu entstehende „Erwachsenenorganisation“ wartet). Sie hätte dann vielmehr objektiv dauerhaft die Funktion der revolutionären Organisation. Die Aufgabe ihrer Kader wäre dann, eine revolutionäre Gesamtorganisation aufzubauen, auch wenn sie anfänglich vielleicht nur oder überwiegend aus Jugendlichen bestünde und vor allem unter Jugendlichen intervenieren würde. Der Anspruch und die Ausrichtung müssten aber auf eine revolutionäre Gesamtorganisation ausgerichtet sein.