Eine Stellungnahme von Michael Genner, Obmann der Flüchtlings-Hilfsorganisation "Asyl in Not", bezüglich des Ablebens von Innenministerin Liese Prokop am Silvestertag, ließ die Wogen hochgehen. Genner hatte in seinem Nachruf den Tod Prokops als "gute Meldung zum Jahresbeginn" bezeichnet und ihre Politik mit dem Verweis auf verschiedene Einzelschicksale von Flüchtlingen in Österreich zu Recht scharf kritisiert.
Sein Text hob sich angenehm von den vielen heuchlerischen Lobeshymnen von PolitikerInnen aller großen Parteien ab. Während der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll von einem "schweren Schlag für Niederösterreich" sprach, Wilhelm Molterer sich "fassungslos" zeigte, Alfred "Kniefall vor der ÖVP" Gusenbauer sie als "große Frau" und "außerordentliche Politikerin" würdigte und Alexander Van der Bellen ihre Gesprächsbereitschaft (wie toll!!) hervorhob, bezeichnete Genner Prokop als "Ministerin für Folter und Deportation".
Wie zu erwarten, ließen negative Reaktionen nicht lange auf sich warten. In den bürgerlichen Medien vom "Standard" bis zur Gratiszeitschrift "Heute" (in der Ausgabe vom 5.1. sogar auf der Titelseite) wird gegen Genner gehetzt und sein Rücktritt als Obmann von Asyl in Not gefordert. (Siehe z.B. den Kommentar von Hans Rauscher im Standard vom 4.1.) Die Selben, die rassistische Gesetze, Abschiebungen und Repression gegen MigrantInnen als, angeblichen Sachzwängen geschuldete, notwendige Maßnahmen ansehen, zerreißen sich über die "Menschenverachtung" Genners das Maul. Wir solidarisieren uns hingegen mit Michael Genner und stellen hier seine Stellungnahme zur Dokumentation bereit:
Prokop ist tot
Eine weniger. Was kommt danach?
Die gute Meldung zum Jahresbeginn: Liese Prokop, Bundesministerin für Folter und Deportation, ist tot. Mit ihrem Namen wird für immer die Erinnerung an das Leid verzweifelter, vergebens schutzsuchender Menschen verbunden sein.
Die Erinnerung an Menschen, die – in der Heimat verfolgt, der Folter und dem Tod entronnen – hier in Österreich neuerlich mißhandelt, gedemütigt, von ihren Familien getrennt, ins Gefängnis gesperrt, durch die Haft von neuem traumatisiert und abgeschoben wurden:
An den 19jährigen Juscha, den Prokops Polizei vor den Augen seiner schwerkranken Eltern in Handschellen abführte. An die Frau, die – wahnsinnig vor Angst – nach Gugging gebracht werden musste, weil ihr Mann verhaftet worden war. An das 13jährige Mädchen, das einen Kollaps erlitt, als der Vater vor ihren Augen abgeführt wurde. Alles, wohlgemerkt: Menschen, die nichts Böses getan hatten, keine Kriminellen, sondern Flüchtlinge im Sinne der Konvention, nur leider nicht willkommen in Prokops Land.
An Herrn A., der sich nachts schweißgebadet und schreiend in Albträumen wälzt; der sein neugeborenes Kind nur 5 Minuten am Gang sehen durfte; freigekämpft von Asyl in Not knapp vor dem Transporttermin. An Herrn T., für den jede Hilfe zu spät kam – abgeschoben nach Polen, weitergeschoben nach Russland, erschossen in Tschetschenien vor seinem Elternhaus.
Die Erinnerung an Liebespaare, die durch Prokops Behörden auseinandergerissen wurden, an Frau Brichta, die noch immer in China darauf wartet, ob sie endlich zu ihrem Mann zurückkehren kann, und viele andere, die in ständiger Angst vor der Trennung leben, weil Frau Prokops Gesetz die Menschenrechte für "Fremde" abgeschafft hat.
Frau Prokop war eine Schreibtischtäterin, wie es viele gab in der grausamen Geschichte dieses Landes: völlig abgestumpft, gleichgültig gegen die Folgen ihrer Gesetze und Erlässe, ein willfähriges Werkzeug einer rassistisch verseuchten Beamtenschaft. Kein anständiger Mensch weint ihr eine Träne nach.
Aber – was kommt danach? Eine große Koalition, die das herrschende Unrecht mit Verfassungsmehrheit einbetoniert? Oder ein neu aufgelegter Block der rechten Deportationsparteien, eine austrofaschistisch-nationalsozialistische Koalition? Daß ausgerechnet Schüssel, der Wegbereiter der Haiderei, Prokops Geschäfte weiterführt, läßt nichts Gutes hoffen für dieses Land.
Oder hat endlich jemand den Mut, den Knoten zu durchschneiden, die unsagbar jämmerlichen Verhandlungsspielchen zu beenden und eine Reformregierung zu bilden, wie es dem Wahlergebnis entspricht? Die Regierung Schüssel-Haider ist nämlich abgewählt. Die Menschen wollten sie nicht mehr.
Wir NGOs wollen nicht, dass an ihre Stelle eine "stabile" Regierung mit "breiter Mehrheit" tritt, oder wie alle diese Phrasen heißen. Sondern wir wollen, dass das Unrecht gesühnt wird. Daß ein neuer Minister die schlimmsten Folgen der Prokopzeit rasch – und das heißt: per Verordnung, mit einem Federstrich – saniert. Dafür kämpfen wir im neuen Jahr.
Österreich muß wieder Asylland werden. Die Menschenrechte müssen wieder gelten in diesem Land!
Michael Genner
Obmann von Asyl in Not