Das vorgelegte Regierungsprogramm ist neoliberal, arbeiterInnenfeindlich und reaktionär. Bei der großen Koalition handelt es sich um eine Fortsetzung der rechten Wende aus dem Jahr 2000 unter dem Vorsitz eines sozialdemokratischen Kanzlers. Die Aufhebung der so genannten Gruppenbesteuerung und anderer Steuerprivilegien, die die rechte Regierung dem Großkapital in den letzten Jahren geschenkt und die die SPÖ im Wahlkampf kritisiert hatten, standen in den Regierungsverhandlungen offenbar gar nicht zur Debatte; so wie es die KapitalistInnen bereits unmittelbar nach der Wahl gefordert hatten. Ganz in ihrem Sinne sieht das Regierungsprogramm hingegen eine Flexibilisierung der Arbeitszeit (bis zu 12 Stunden täglich oder 60 Stunden wöchentlich) vor und ist überhaupt ganz dem „Wirtschaftsstandort Österreich“ verpflichtet.
Das Regierungsprogramm sieht Verschlechterungen für Lehrlinge vor (erleichterte Kündigung und Abbau anderer Schutzbestimmungen), macht Arbeitslosen das Leben noch schwerer (sie müssen „mehr Mobilität“ zeigen) und will den Personalstand „konsolidieren“ (also Arbeitsplätze abbauen).
Die kaum mehr vorhandenen Steuerleistungen des Großkapitals werden durch die neue Regierung noch mehr durch Massensteuern kompensiert, etwa durch eine Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge und der Mineralölsteuer. Außerdem bleiben die Studiengebühren aufrecht, bei denen es aber weniger um die (geringen) eingebrachten Gelder als um den neoliberalen Umbau der Universitäten im Sinne des Kapitals geht. Die rassistische Politik gegen MigrantInnen wird wie gehabt fortgesetzt.
Ein beabsichtigter Ausstieg aus dem Kauf der Eurofighter-Kampfflugzeuge, wie ihn der SPÖ-Wahlkampf versprochen hatte, steht nicht im Regierungsprogramm; mit dem Warten auf die Ergebnisse des parlamentarischen Untersuchungsausschusses werden sich Alfred Gusenbauer & Co. wohl schließlich den „geschaffenen Tatsachen beugen“. Dass die SPÖ-Führung diverse wichtige Ministerien (Finanzen, Wirtschaft&Arbeit, Inneres, Äußeres) der ÖVP überlassen hat, ist nur der augenscheinliche Ausdruck davon, dass hier die bisherige ÖVP-Politik fortgesetzt wird, dass die SPÖ-Spitze für die Kanzlerschaft zur totalen Unterwerfung bereit ist.
Nachdem die Verhandlungsergebnisse bekannt geworden waren, herrschte unter vielen Basis-FunktionärInnen und -AktivistInnen der SPÖ Fassungslosigkeit und Empörung. Eine Welle von Protestanrufen und -schreiben erreichte die SPÖ-Zentrale. Allein am Tag vor der Angelobung der Regierung traten angeblich über tausend Mitglieder aus der Partei aus. Zahlreiche BetriebsrätInnen drohten an, dass sie nicht mehr als sozialdemokratische Listen kandidieren würden. Unter dem Druck der GewerkschafterInnen der VOEST und aus Steyr stellte sich der oberösterreichische SPÖ-Chef Erich Haider öffentlich gegen den Regierungspakt.
Unmittelbar nach der Einigung auf die neue Regierung demonstrierten die sozialdemokratischen Jugend- und StudentInnenorganisationen SJ und VSStÖ gegen den Pakt mit der ÖVP und insbesondere gegen die Studiengebühren. Sie griffen die alte Losung in Bezug auf den Ersten Weltkrieg auf und skandierten „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ Schließlich wurde ein Teil der SPÖ-Zentrale in der Wiener Innenstadt von den eigenen JugendaktivistInnen besetzt.
Am nächsten Abend, nachdem 75% des SPÖ-Vorstandes der Regierungsvereinbarung zugestimmt hatten, versuchten 250-300 AktivistInnen, die verschiedenen Zugänge zu einem Empfang der SPÖ-Führung im Wiener Museumsquartier zu blockieren. Unter den AktivistInnen waren etwa 80% Mitglieder der SPÖ-Jugendorganisationen, von der radikalen Linken waren nur AGM/AL in relevanter Anzahl und in organisierter Weise vor Ort (unser Transparent forderte „Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft“). Durch die Aktion kamen viele SPÖ-SpitzenfunktionärInnen und ParlamentarierInnen nicht oder nur über Umwege in die Veranstaltungsräumlichkeiten, Gusenbauer selbst wurde von der Polizei durch einen Keller hinein geschleust.
Als auf diese Weise immer mehr SPÖ-Spitzen zum Empfang gelangten, durchbrachen die AktivistInnen zwei Polizeiabsperrungen. Die Polizei hatte offensichtlich die Wut der sozialdemokratischen Jugend unterschätzt. Obwohl einige uniformierte Schläger der Spezialpolizei WEGA äußerst brutal vorgingen (zwei verletzte Aktivisten wurden mit dem Krankenwagen abtransportiert), konnten die paar dutzend anwesenden Beamten die anstürmenden AktivistInnen nicht aufhalten. Diese nahmen nun direkt vor dem Veranstaltungsort Aufstellung und riefen lautstark „Hier regiert die ÖVP!“, immer wieder „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ und schließlich auf unsere Initiative „Was macht der Regierung Dampf? Klassenkampf! Klassenkampf!“. Als „kleine Gruppe von Gewalttätern“ denunzierte Gusenbauer in einem anschließenden Fernsehinterview nicht die prügelnden Polizisten, sondern die erzürnten Mitglieder seiner eigenen Jugendorganisationen.
Bei der Angelobung der neuen Regierung in der Hofburg am 11. Januar demonstrierten 2000 Menschen am angrenzenden Heldenplatz unter den schon bekannten Losungen. Obwohl diesmal diverse linke Gruppen anwesend waren, dominierten erneut die sozialdemokratischen Jugendorganisationen. Unter einem Pfeifkonzert überquerte die neue Regierung den Ballhausplatz. Trotz fortgesetzter Unmutsäußerungen, nun auch von den Spitzen der SPÖ-Landesorganisationen in der Steiermark und in Vorarlberg, verteidigte die SPÖ-Führung den Regierungspakt. In der Folge traten die Vorsitzenden des VSStÖ (Silvia Kuba) und der Österreichischen HochschülerInnenschaft (Barbara Blaha) aus der SPÖ aus.
Die große Empörung unter SPÖ-BasisfunktionärInnen ist im Kern der Ausdruck einer Illusion, die nun enttäuscht wurde, der Illusion, dass die SPÖ zu einer substantiell anderen Politik in der Lage wäre. Die SPÖ-Spitze war nicht einmal bereit, nach dem (vorübergehenden) Ausstieg der ÖVP aus den Verhandlungen den Weg einer Minderheitsregierung zu beschreiten, um bei baldigen Neuwahlen mit den Fragen Eurofighter, Studiengebühren und „soziale Gerechtigkeit“ und angesichts einer verunsicherten ÖVP einen klaren Sieg einzufahren und eine Koalition mit den Grünen zu bilden. Das ist nicht so sehr Ausdruck von Dummheit oder Feigheit, sondern davon, dass für die SPÖ-Führung der Wunsch der großen Mehrheit des Großkapitals nach einer Regierungsbeteiligung der ÖVP Befehl ist. Gusenbauer, Norbert Darabos und Josef Cap haben sich mit Haut und Haaren den Interessen „der österreichischen Wirtschaft“ verschrieben, sie fürchten soziale Ansprüche und Mobilisierungen der Lohnabhängigen weit mehr als „die Freunde von der ÖVP“ (wie das neuerdings in der Sprachregelung der SPÖ-Führung heißt).
Teil der Illusionen der SPÖ-BasisfunktionärInnen ist auch die Hoffnung, dass die Politik einer „rot“-grünen Regierung sich ernsthaft von der der ÖVP unterscheiden würde. Sicher, der regierungsamtliche Rassismus wäre nicht so schreiend, die mörderische Abschottung der Festung Europa würde mit einem technokratischen Liberalismus kaschiert; die Studiengebühren würden vermutlich abgeschafft, sind sie doch ein sehr billiger Erfolg, der sich in der liberal-akademischen Öffentlichkeit gut verkauften lässt. Insgesamt würde aber die ganz normale EU-konforme neoliberale Politik gegen die Lohnabhängigen, Frauen und MigrantInnen fortgesetzt werden. Das haben die „rot“-grünen Regierungen in Deutschland und Frankreich eindrucksvoll demonstriert – und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass das in Österreich anders wäre. Schließlich betreibt die regionale SPÖ-Alleinregierung im Bundesland Wien seit Jahren Privatisierungen und Ausgliederungen von Gemeindeeigentum und damit auch die Verschlechterung von Arbeitsverhältnissen. Schließlich hat die SPÖ dem rassistischen Gesetzespaket der rechten Regierungsparteien im Parlament schon als Oppositionspartei zugestimmt.
Einen fundamentalen Bruch mit ihrer bisherigen Politik und dem Charakter der SPÖ stellt das neue Regierungsprogramm (und damit die Nichteinhaltung der Wahlversprechen) und die Aufteilung der Ministerien also freilich nicht dar. Die schwarz-grüne Koalition in Oberösterreich zeigt, dass von den Grünen nicht mehr zu erwarten ist als von der SPÖ: der grüne Umweltlandesrat Rudi Anschober darf ein wenig mit Tempolimits spielen, ansonsten geht alles seinen gewohnten neoliberalen Gang.
Die unter SPÖ-Linken verbreitete Vorstellung, dass die aktuelle Politik der SPÖ lediglich auf eine reaktionäre und eingekaufte Führung zurückzuführen sei, die sich in der „Arbeiterpartei“ SPÖ eingenistet habe, und dass durch die Entfernung dieser SpitzenbürokratInnen die SPÖ „wieder“ eine „sozialistische Politik“ machen könne, verkennt den Charakter von Sozialdemokratie und Reformismus völlig. Die österreichische Sozialdemokratie ist seit bald hundert Jahren eine reformistische Partei, oder, anders ausgedrückt, eine bürgerliche ArbeiterInnenpartei, eine Partei also, die sich dem „Kompromiss“ mit der KapitalistInnenklasse verpflichtet hat, sich aber auf organisierte Weise auf Teile der ArbeiterInnenklasse stützt.
Die arbeiterInnenfeindliche Politik der Sozialdemokratie ist deshalb nicht ein irgendwie zufälliger politischer Fehler, sondern sie hat eine materielle Basis. Die SPÖ-Spitzen sind nicht nur über eigene Privilegien etc. mit Teilen des Kapitals verbunden, sondern die SPÖ stützt sich organisatorisch vor allem auf die besser gestellten Teile der Lohnabhängigen, die ihr privilegiertes Verhältnis mit dem Kapital nicht durch klassenkämpferische Aktivitäten gefährden möchten, und besonders die bürokratischen Schichten, die mit ihren Jobs in Partei, Gewerkschaft, Gemeinden und Staat ein bequemes Leben führen. Ihnen geht es in erster Linie darum, die Grundlage ihrer Existenz, die Zusammenarbeit mit dem Kapital und seinem Staat, aufrecht zu erhalten. Dazu braucht die SPÖ die Unterstützung durch die ArbeiterInnen und Angestellten, denn nur durch den Einfluss auf die Lohnabhängigen ist die Sozialdemokratie für das Großkapital überhaupt interessant. Die SPÖ mäßigt und kontrolliert die ArbeiterInnenklasse und verkauft ihre Interessen als Gegenleistung für bürokratische Privilegien.
Dementsprechend hat die österreichische Sozialdemokratie eine hundertjährige Geschichte von prokapitalistischer Politik, von Kapitulation und Verrat. Sie hat die Kriegspolitik der Habsburger-Monarchie im Ersten Weltkrieg unterstützt und danach eine proletarische Revolution verhindert, sie ist – in Hoffnung auf einen Ausgleich mit der KapitalistInnenklasse – vor dem aufkommenden Faschismus schrittweise zurückgewichen, sie hat nach 1945 mit wildem Antikommunismus den kapitalistischen Wiederaufbau unterstützt und mitgeholfen, die großen Lohnstreiks vom Herbst 1950 niederzuschlagen.
In den 1970er Jahren hat die SPÖ-Regierung unter Bruno Kreisky einige politische und soziale Reformen durchgeführt, sie sind freilich im Rahmen der ökonomischen Spielräume des damaligen Wirtschaftsbooms und der kapitalistischen Bedürfnisse nach einer Modernisierung zu sehen. Sobald das Kapital von dieser Politik genug hatte und international auf den Neoliberalismus setzte, wurde die neue Ausrichtung auch in Österreich durchgesetzt, noch unter Kreisky in den frühen 1980er Jahren. Die neoliberale Politik, insbesondere die Zerschlagung der verstaatlichten Industrie mit massivem Arbeitsplatzabbau und diverse „Sparpakete“ im Sozialbereich, wurden in Österreich bis 1999 von der SPÖ exekutiert.
Angesichts dieser Tradition ist es kein Zufall, wenn auf Rhetorik-Schulungen der Gewerkschaft den BetriebsrätInnen beigebracht, wie man/frau einer Belegschaft Verschlechterungen am besten verkauft. Und nicht zufällig wurden im Jahr 2003 die Streiks gegen die Pensionskürzungen und gegen die Zerschlagung der Bundesbahn von der sozialdemokratischen Gewerkschaftsspitze abgedreht. Die Ursache für diese ganze Politik ist nicht einfach nur eine falsche Führung, sondern dass ein großer Funktionärsapparat und eine ganze privilegierte Schicht über die SPÖ mit dem bürgerlichen Staat verbunden ist. Diese Verbindungen sind auch für viele unzufriedene BasisaktivistInnen bei der Organisierung von Widerstand eine starke Bremse, denn sie fürchten um ihre Jobs. Und auch so manche führenden Funktionäre der SPÖ-Jugendorganisation werden sich nun genau überlegen, ob sie ihren Kampf mit der Parteiführung auf die Spitze treiben, waren ihre Funktionen doch stets sichere Sprungbretter für Landtags- und Parlamentsmandate oder ähnliches, wie auch die ehemaligen „frechen“ und „rebellischen“ SJler Gusenbauer und Cap belegen.
Etliche der Konflikte, die in den letzten 1-2 Jahren in der Sozialdemokratie aufgetreten sind, etwa der zwischen Parteispitze und der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG), sind innerbürokratische Auseinandersetzungen. Sie sind aber dennoch nicht irrelevant, weil sie etwa das Potential einer Auseinanderentwicklung von Partei und Gewerkschaft in sich tragen. Die Schwächung der Gewerkschaften durch die BAWAG-Affäre hat auch eine Schwächung der politischen Autorität der Gewerkschaftsführung und ihrer Möglichkeit zur Verteilung von materiellen Privilegien im Apparat bedeutet. In der Folge ist der Zugriff der FSG-Führung auf die einzelnen Betriebsratskörperschaften nicht mehr überall so eisern wie früher.
Die Proteste gegen den Pakt mit der ÖVP waren den SPÖ-Spitze sicherlich unangenehm. Dass der Druck in der Partei groß war, zeigt auch die Tatsache, das sich wichtige SPÖ-Landeschefs wie Erich Haider oder Franz Voves (Steiermark) als Kritiker inszenierten, was auch leicht zur bürokratischen Integration der Unzufriedenheit führen kann. Die Frage ist also, welche Perspektive die Proteste gegen die neue Regierung finden können.
Entscheidend wird sein, ob es gelingt, den aktiven Widerstand über die Studierenden und die Jugend hinaus auszuweiten. Der Kompromiss bei den Studiengebühren (dass sie bleiben, aber durch soziale Arbeit abgearbeitet werden können) war ein sehr geschickter Schachzug der Regierung, ist doch ein erheblicher Teil der Bevölkerung für studierendenfeindliche Stimmung á la „die sollen doch mal was arbeiten“ empfänglich.
Demgegenüber muss sicherlich aufgeklärt werden, dass die ausgerechneten Stundenlöhne niedriger sind als bei anderen StudentInnenjobs, dass es sich dabei um Lohndumping in Sozialbereich handelt, dass die Studierenden aus reichen Familien die Studiengebühren einfach zahlen werden, während es für die ärmeren die Studienzeit verlängert (zur Zeit arbeiten etwa 80% der Studierenden neben dem Studium), dass die Mehrheit der Studierenden Frauen sind und mit dem Regierungsmodell wieder mal Frauen schlecht oder unbezahlte soziale Arbeit leisten müssen. Es geht aber auch darum, den Eindruck zu vermeiden, dass es sich bei den Protesten gegen den Regierungspakt nur um die Interessen der Studierenden handelt, und darum, aus dem gescheiterten studentischen Widerstand die richtigen Schlüsse zu ziehen.
2000/01 (und auch schon 1996) hatte die „linke“ ÖH-Führung das Potential für einen erfolgreichen studentischen Kampf mit ihrer Orientierung auf die lächerlichen „kreativen Protestformen“ in den Sand gesetzt (siehe dazu die AGM-Bilanzartikel „Potentiale und Grenzen von studentischen Protesten“: , „Chronologie eine Demobilisierung“: und „Boycott der Studiengebühren oder Verweigerung der Realität“: ). Während die „linke“ ÖH-Führung eine Ausrichtung auf Streiks und Besetzungen systematisch bekämpft hat, hat im Sommersemester 2006 in Griechenland eine StudentInnenbewegung mit wochenlangen Streiks, mit Besetzungen der Unis, mit Orientierung auf ein Bündnis mit der lohnabhängigen Bevölkerung und mit kämpferischen Massenmobilisierungen die Pläne der Regierung zur neoliberalen Zurichtung der Universitäten abgewehrt und der Regierung eine schwere Niederlage beigebracht (siehe AGM-Flugschriftzeitung roter stern, Nr. 8).
Wenn man/frau auch in Österreich Kurs auf einen erfolgreichen studentischen Widerstand nehmen will, ist dazu auch ein Abschied von einem positiven Bezug auf die bildungspolitischen Vorschläge der SPÖ und der Grünen notwendig. Schon bisher ist das Bildungssystem auf die Interessen des Kapitals zugeschnitten und sind die Universitäten (trotz gewisser Spielwiesen) Teil des ideologischen Herrschaftssystems des Kapitalismus. Statt hier einfach „mehr Bildung“ zu fordern, ist eine Kritik dieser Zustände und Funktionen notwendig. Die Wahlkampfforderungen von SPÖ und Grünen nach mehr Geld für Bildung, Wissenschaft und Forschung stehen für nichts anderes als für eine Modernisierung des Systems und wurden auch ganz offen damit argumentiert, dass das (ebenso wie eine Höherqualifizierung der Arbeitskräfte durch eine Gesamtschule) für die Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Wirtschaft notwendig sei.
Die SPÖ und insbesondere die Grünen bedienen mit diesen Forderungen natürlich auch ganz gezielt eine bestimmte akademische Klientel. Als staatlich verordnete Institution, die dem Bildungsministerium weisungspflichtig ist, ist auch die ÖH in diese ständische Politik integriert. Nicht zufällig sind ÖH-Funktionärsposten oft Stufen zu einer akademischen Karriere. Angesichts ihres staatlichen Charakters und der Erfahrungen mit dieser Art von studentischer Interessensvertretung ist es mehr als fraglich, ob die ÖH ein geeignetes Instrument für ernsthafte Kämpfe sein kann (siehe dazu in der aktuellen Ausgabe der AL-Zeitung Morgenrot den Artikel „Den Unisumpf trocken legen!“).
Entscheidend für die Entwicklung einer breiteren Bewegung gegen die Regierung und ihre Politik ist der Bereich, wo es dem Kapital wirklich weh tut, nämlich die Betriebe. Die Gewerkschaften haben freilich schon gegen die Rechtsregierung 2000-2006 nur sehr zaghaften Widerstand geleistet, ihre sozialdemokratischen Führungen eine tatsächliche Konfrontation gescheut. Zuletzt wurde die Gewerkschaft durch die korrupten Machenschaften um die BAWAG auch noch geschwächt. Bei vielen sozialdemokratischen BasisfunktionärInnen in den Gewerkschaften, auch bei solchen mit sozialistischem Selbstverständnis, ist heute nicht kämpferische Entschlossenheit, sondern Verzweiflung über den Pakt mit der ÖVP vorherrschend. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass sich viele an die Hoffnung, dass durch eine SPÖ-Minderheitsregierung oder eine „rot“-grüne Regierung vieles besser würde, geklammert haben, dass sie damit in der Logik von Regierungskombinationen denken und nicht auf die eigene Stärke vertrauen.
Viele BasisaktivistInnen von SJ, FSG und SPÖ, die es ehrlich meinen mit einer Politik im Interesse der Lohnabhängigen, sind massiv angewidert vom Pakt der Parteiführung mit der ÖVP. Viele sind ratlos, wie es weitergehen soll, zögern aber vor dem entscheidenden Bruch mit der Illusion, dass die SPÖ vielleicht doch noch irgendwie reformiert werden kann. Für viele ist es auch persönlich schwierig, denn oftmals würde es sich auch um einen Bruch mit einer jahre- oder jahrzehntelangen sozialen Existenz in einem breiten sozialdemokratischen Milieu handeln und für so manchen würden damit Karrieremöglichkeiten in Partei und Staat aufs Spiel gesetzt. Für viele ist auch eine selbst organisierte politische Aktivität, ohne Partei- und Gewerkschaftsfinanzen, kaum vorstellbar.
Von AktivistInnen der sozialdemokratischen Organisationen wurde angesichts der offensichtlich treffenden Kritik an der Politik der SPÖ oft argumentiert, dass die kleinen Gruppen der radikalen Linken nichts erreichen könnten und es deshalb trotz allem im Rahmen „der sozialdemokratischen Bewegung“ zu verbleiben gelte. Einmal mehr müssen sich diese AktivistInnen, auch die kritischen und oppositionellen (etwa die Plattform Wir-sind-SPÖ), nun die Frage stellen, ob sie sich nicht erneut als billige WahlkampfhelferInnen für Gusenbauer & Co. missbrauchen haben lassen, ob sie nicht in erster Linie das linke Feigenblatt für den SPÖ-Neoliberalismus abgeben. Und sie müssen sich auch die Frage stellen, ob sie mit einem Verbleib in den sozialdemokratischen Organisationen nicht dazu beitragen, die Vorherrschaft der SPÖ in der ArbeiterInnenbewegung festzuschreiben, anstatt die radikale Linke zu stärken, mit der sie eigentlich viele Positionen teilen. Es besteht dabei durchaus die Gefahr, dass durch die kämpferische Opposition von SJ und VSStÖ gegen den Regierungspakt viele enttäuschte AktivistInnen weiter in der Sozialdemokratie integriert bleiben – und beim nächsten Wahlkampf, wenn sich der jetzige Sturm gelegt hat und von den SJ- und VSStÖ-Spitzen wieder mal das Argument des „kleineren Übels“ aus dem Hut gezaubert wird, dann erneut für Gusenbauer & Co. den Wahlkampf bestreiten.
Statt darauf zu warten, bis man/frau das nächste Mal verraten und verkauft wird, statt die eigene Kraft und das eigene Engagement für den Aufbau der Sozialdemokratie zu verschwenden, die hoffnungslos mit den Interessen des Kapitals und dem bürgerlichen Staat verbunden ist, sollten sich unzufriedene sozialdemokratische AktivistInnen langsam mal eine Alternative überlegen. Wir denken, dass die ArbeiterInnenklasse eine neue Organisation braucht. Dafür sind die Konzepte, die heute wieder unter linken SJlerInnen herumgeistern, nämlich sowohl die kapitalistische Modernisierungspolitik unter Kreisky als auch der verbalradikale Reformismus des Austromarxismus mit seiner parlamentarischen und defensiv-abwartenden Logik, keine geeigneten Bezugspunkte. Wir denken, dass eine solche neue ArbeiterInnenpartei eine revolutionäre, marxistische sein muss, die sich nicht auf Kompromisse mit den KapitalistInnen und den bürgerlichen Staat als Instrument der Veränderung orientiert, sondern auf Klassenkampf, Massenmobilisierungen und Internationalismus.
Gemeinsame Stellungnahme der Leitungen von Arbeitsgruppe Marxismus (AGM) und AL-Antifaschistische Linke, Wien, 15. Januar 2007