Einleitung: Im deutschsprachigen Raum, stärker als in anderen Ländern der Welt, ist die subjektiv revolutionäre Linke heute von der ArbeiterInnenklasse weitgehend isoliert. Sie verfügt de facto über keine Verankerung in Betrieben und stellt in der Folge in den Gewerkschaften keinen relevanten Faktor dar. Für marxistische RevolutionärInnen stellt dieser Zustand eine dramatische Schwäche dar. Er hat eine Reihe von bedeutenden objektiven Ursachen: Faschismus, Kalter Krieg, „Wohlfahrtsstaat“, Sozialpartnerschaft etc. Dieser gesamtgesellschaftliche Rahmen erschwert revolutionäre Betriebs- und Gewerkschaftspolitik massiv muss bei Entscheidungen für oder gegen eine solche Politik stets mitbedacht werden und kann nicht voluntaristisch überwunden werden. Dennoch spielt auch die Politik der subjektiv revolutionären Linken eine Rolle, wobei es in der gegebenen Situation schwierig ist, einen Weg zwischen ultralinkem Abenteurertum und opportunistischer Handwerkelei zu finden.
Dieser Text stammt aus dem Jahr 2004. Seitdem haben sich einerseits bestimmte Bedingungen geändert, andererseits haben wir auch neue Erfahrungen gemacht. Diese drücken sich in unseren Stellungnahmen zur Ausrichtung der Linken und in Artikeln in unserer Rubrik Betriebsarbeit aus. Auch wenn wir manchen Aspekten und Formulierungen so nicht mehr zustimmen können, verweisen wir hier auf einen Text, der uns in unserem Handeln gegenüber der ArbeiterInnenklasse eine Orientierung gegeben hat.
1) KommunistInnen sehen in einer revolutionären ArbeiterInnenklasse das einzig mögliche Subjekt zur Zerschlagung des bürgerlichen Staates und zur Beseitigung des kapitalistischen Ausbeutungssystems. Deshalb ist die Verankerung in dieser Klasse (in den Betrieben, Wohnvierteln, Gewerkschaften, ArbeiterInnenkomitees etc.) ein zentrales Ziel für jede revolutionäre Organisation. Die wirtschaftlichen Kernbereiche und strategisch wichtigen Betriebe, in denen eine große Zahl von Lohnabhängigen konzentriert ist, spielen dabei eine besondere Rolle, denn dort kann das System in seinem Kern, der Profitmacherei der KapitalistInnenklasse, getroffen werden, dort ist das kollektive Kampfpotential der ArbeiterInnen am größten. Prinzipiell und längerfristig muss sich deshalb jede revolutionäre Organisation speziell auf eine Verankerung in diesen Bereichen, auf eine Betriebsarbeit in diesen Bereichen orientieren.
2) Gewerkschaften sind einerseits die elementarste Klassenorganisation des Proletariats, ein oft breiter Zusammenschluss zur kollektiven Verteidigung unmittelbarer Klasseninteressen gegen das Kapital, der Kämpfe führen und zur Entwicklung von Klassenbewusstsein beitragen kann, eine „Kriegsschule der Arbeiter“ (F. Engels). Eine nur-gewerkschaftliche ArbeiterInnenpolitik hat aber andererseits auch die Tendenz, in der kapitalistischen Logik gefangen zu bleiben, sich ihr unterzuordnen und sich auf „realistische“ Verteilungspolitik zu beschränken. Heute sind international die allermeisten Gewerkschaften, im deutschsprachigen Raum besonders offenkundig, von reformistischen bürokratischen Apparaten kontrolliert, die als „politische Polizei“ des Kapitalismus (L. Trotzki) agieren und eine Selbsttätigkeit der Klasse im Keim zu ersticken trachten. Gewerkschaften bleiben für KommunistInnen dort dennoch Bezugspunkte, wo sie tatsächlich substantielle Gruppen von ArbeiterInnen in Betrieben und Branchen als Klasse gegen das Kapital organisieren egal ob es sich dabei um Einheitsgewerkschaften oder Richtungsgewerkschaften handelt. In diesen Fällen orientieren sich RevolutionärInnen grundsätzlich darauf, die Bürokratie zu entmachten, die Gewerkschaften demokratisch und klassenkämpferisch zu machen und zu revolutionieren.
3) Eine solche Ausrichtung auf die Revolutionierung der Gewerkschaften muss aber in der Luft hängen bleiben, wenn sie sich nicht auf eine eigene Verankerung oder zumindest einen relevanten politischen Einfluss in Betrieben stützt. In den gewerkschaftlichen Strukturen und Zirkeln findet sich heute im deutschsprachigen Raum in der Regel nicht eine aktive Gewerkschaftsbasis, sondern sie werden dominiert von PersonalvertreterInnen und GewerkschaftsfunktionärInnen. Auch wenn etliche von ihnen kritisch und manche ehemalige radikale Linke sind, so sind sie doch in einem handwerklerisch-ökonomistischen Verständnis und in der Logik der gewerkschaftlichen Spielregeln gefangen. Wenn man/frau ohne eigene Verankerung in Betrieben als RevolutionärIn in dieses Milieu interveniert, kommt man/frau bestenfalls in eine RatgeberInnen- und HelferInnenfunktion. Die Entscheidungsmöglichkeit darüber, was für eine Politik gemacht wird, haben immer andere. Die RevolutionärInnen sind bei einer solchen Intervention vom „good will“ von linksreformistischen GewerkschaftsfunktionärInnen oder PersonalvertreterInnen abhängig. Auch die Erfahrungen von vielen subjektiven RevolutionärInnen im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahrzehnten zeigen deutlich, dass revolutionäre Interventionen in gewerkschaftliche Strukturen oder linke Gewerkschaftszirkel ohne eigene Verankerung aller Wahrscheinlichkeit nach im bürokratischen Apparat ersticken oder selbst zu linksgewerkschaftlicher Handwerkelei verkommen müssen. Um Entwicklungen in diesem Milieu mitzuverfolgen und revolutionäre Propaganda zu verbreiten, kann es natürlich sinnvoll sein, an Veranstaltungen solcher Strukturen (wie an denen verschiedenster Strömungen der Linken) teilzunehmen; eine kontinuierliche Intervention aber hat unter den angeführten Voraussetzungen keine Perspektive.
4) Eine erfolgreiche revolutionäre Betriebsarbeit kann eventuell ziemlich schnell um gewerkschaftliche Arbeit nicht herum kommen. Dennoch ist das vorhergehende und zentralere Ziel einer revolutionären Politik die Betriebsarbeit und die Verankerung selbst. Dieses Ziel ist unter den heutigen Bedingungen im deutschsprachigen Raum (weitgehende Kontrolle der Gewerkschaften durch die bürokratischen Apparate, weitgehendes Fehlen von selbsttätigen Kampftraditionen in der Klasse) alles andere als leicht zu erreichen. Relativ einfach ist es, sich durch (politisch unausgewiesenes) Engagement für die KollegInnen zum/r Betriebsrat/rätin oder zum/r PersonalvertreterIn wählen zu lassen. Dabei ist die Gefahr groß, als „beliebter“ Betriebsrat handwerklerisch-linksgewerkschaftliche StellvertreterInnenpolitik zu betreiben und sich in betrieblichem Kleinkram aufzureiben. Nicht zufällig haben subjektiv revolutionäre Organisationen solche GenossInnen, die sie als BetriebsrätInnen oder PersonalvertreterInnen kandidiert haben, oft verloren, da eine solche Art von betriebsrätlicher Tätigkeit mit einem revolutionären Organisationsaufbau kaum in Verbindung stand und da die Doppelbelastung durch diese beiden Tätigkeiten (besonders für GenossInnen mit Kindern) oft nicht dauerhaft zu bewältigen war. Bei den beschränkten Kräften der subjektiv revolutionären Gruppen ist der Beginn einer Betriebsarbeit, und damit auch des Einlassens auf den betrieblichen Kleinkrieg, sehr genau zu überlegen und vor allem in ein Verhältnis zu dem heute zentralen Ziel des revolutionären Organisationsaufbaus zu setzen. Das bedeutet, die Chancen sehr realistisch in ein Verhältnis zum Risiko zu setzen, denn es ist der revolutionären Organisation nicht geholfen, wenn durch unüberlegte innerbetriebliche Zuspitzungen GenossInnen ihre Jobs und Existenzgrundlagen verlieren.
5) Wenn sich eine revolutionäre Organisation, nach Berücksichtigung objektiver Kriterien, aufgrund ihrer Stärke und politischen Stabilität entschließt (und das kann immer nur eine Entscheidung einer Organisation und nicht von Individuen sein), revolutionäre Betriebsarbeit, den Aufbau einer politischen Verankerung von innen, zu starten, ist mit weiteren Fragestellungen und Fallstricken zu rechnen. Die erste Frage betrifft die Auswahl eines geeigneten Betriebes, in dem einE oder mehrere GenossInnen arbeiten. Für Kleinbetriebe wird sich der Aufwand in der Regel nicht lohnen. Ein weiteres Kriterium ist, ob in der Belegschaft für revolutionäres oder zumindest klassenkämpferisches Agieren Ansatzpunkte bestehen. Dann muss man/frau aufpassen, sich nicht zu früh bei innerbetrieblichen Konflikten zu weit zu exponieren. Nur zu leicht können einen die KollegInnen dann im Regen stehen lassen und mit einer frühzeitigen Kündigung wäre das Projekt im Keim erstickt. Anfänglich heißt es defensiver vorgehen und sich eine Rückendeckung in Form einer Betriebsgruppe aufzubauen, einer Gruppe von KollegInnen mit Gemeinsamkeiten in zentralen Fragen. Wichtig dabei ist eine klar antisozialpartnerschaftliche und klassenkämpferische Grundlinie und eine Einigkeit über demokratische Entscheidungsprozesse in der Belegschaft (Transparenz und Selbsttätigkeit statt Geheimverhandlungen). Auch wenn es gelungen ist, eine solche Gruppe zu formieren, muss von einer frühzeitigen innerbetrieblichen Zuspitzung Abstand genommen werden, da in einem solchen Fall die Gefahr besteht, dass die Gruppe durch die Betriebsleitung und Werkschutz/Sicherheitsdienst etc., eventuell in Kooperation mit Betriebsrats- und Gewerkschaftsbürokratie, besonders bei großen Konzernen auch in Kooperation mit Staatspolizei/Staatsschutz, in einer Phase attackiert wird, in der sie sich noch nicht ausreichend schützen kann, und zerschlagen wird. Es ist deshalb sinnvoll, sich nicht von jedem Ansatz einer Bewegung mitreißen und so schnell abschießen zu lassen, sondern politisch gestützt auf die formierte Betriebsgruppe Betriebsratsfunktionen (und damit einen relativen Kündigungsschutz) anzustreben. Dabei ist es wichtig, dass – da nur der/die zum BetriebsratsvorsitzedeN gewählteR ListenersteR reale Entscheidungsmacht hat – die eigenen GenossInnen selbst die Listenführung übernehmen und so die Betriebsleitung nicht eineN weniger politisch bewussteN ListenersteN einkaufen kann. Die Betriebsratstätigkeit muss wie in der Kandidatur betriebsöffentlich angekündigt StellvertreterInnenpolitik vermeiden und auf Selbsttätigkeit setzen. Alle Betriebsratssitzungen müssen für alle ArbeiterInnen offen zugänglich sein. Alle Entscheidungen bezüglich der Vorgangsweise gegenüber der Betriebsleitung müssen von der Belegschaft in Betriebsversammlungen getroffen werden, womit ein gezielter Bruch mit der bürokratischen und paternalistischen Praxis in vielen Betrieben vollzogen wird. Freilich ist nicht der Aufbau einer isolierten und deshalb meist kurzzeitigen betrieblichen Gegenmacht heute das zentrale Ziel für KommunistInnen, sondern der revolutionäre Organisationsaufbau. Diesem muss jede Betriebsarbeit untergeordnet sein. Das bedeutet, dass revolutionäre Betriebsarbeit durch allgemeinpolitische Propaganda unter der Belegschaft (von innen oder von außen) begleitet sein muss, dass speziell die Situation von besonders unterdrückten Schichten der ArbeiterInnenklasse (Frauen, MigrantInnen) regelmäßig thematisiert und dass die Betriebsarbeit in der Linken und ArbeiterInnenbewegung als Beispiel benutzt werden muss. Die Betriebsarbeit in einem Bereich muss auch immer eine Sache der revolutionären Organisation sein (und nicht nur die der betroffenen GenossInnen), d.h. sie erfordert regelmäßige Diskussion in der Organisation und systematische Unterstützung durch weitere dafür verantwortliche GenossInnen.
6) Wenn eine revolutionäre Organisation zu schwach ist, um den massiven Kraftaufwand einer Betriebsarbeit leisten zu können, und/oder keine GenossInnen in für Betriebsarbeit geeigneten Bereichen hat, können Interventionen in ein betriebliches/proletarisches Milieu unter dem Niveau einer Betriebsarbeit überlegt werden. Ebenso wie Interventionen in linksgewerkschaftliche Zirkel ohne eigene Verankerung eine Sackgasse darstellen, sind einmalige Flugblattaktionen im Fall von spontan bekannt gewordenen betrieblichen Konflikten wenig erfolgversprechend. Bei derartigen Aktionen werden zwar die Flugblätter linker Gruppen von den ArbeiterInnen meist gern genommen, auch deshalb weil vor Betrieben kaum jemals etwas verteilt wird und solche Flugblätter noch dazu mit Bezug auf einen innerbetrieblichen Konflikt, der die Leute gegenwärtig beschäftigt etwas exotisch-interessantes haben. Das ist zugleich auch das Problem: die den Beschäftigten bisher unbekannte linke Kleingruppe und ihre „radikalen“ Vorschläge sind letztlich zu fremd, um wirklich ernst genommen zu werden. Auch wenn sich erst einmal viele über die Solidarität von außen freuen und es positive Rückmeldungen von einem Teil der Belegschaft gibt, so vertrauen die Beschäftigten dann doch auf die ihnen bekannten Betriebsräte. Die linken Gruppen haben nicht die Möglichkeit nachzusetzen (wenn ein Konflikt einmal begonnen hat, ist es zu spät eine Kontinuität aufzubauen) und derartigen Interventionen mit all ihrem Kraftaufwand verpuffen in aller Regel. Bei betrieblichen oder gewerkschaftlichen Konflikten, die gesellschaftlich bedeutend sind und bei denen man/frau als revolutionäre Organisation einen Zugang zur Basis hat, können Interventionen durchaus sinnvoll sein; allerdings geht es dann vor allem um die eigene Erfahrung und man/frau sollte sich nicht der Illusion hingeben, darüber einen Einfluss in die Klasse aufbauen zu können. Das muss sich auch auf den Charakter der Intervention auswirken (nicht möglichst viele Flugblätter, sondern Beobachtung, Gespräche, vertiefendes Material).
7) Bei Interventionen in einen proletarischen/betrieblichen Bereich ist Kontinuität eine zentrale Sache, um ernst genommen zu werden und zu einem politischen Faktor werden zu können. Wenn die Voraussetzungen für eine Betriebsarbeit von innen für eine revolutionäre Organisation nicht vorhanden sind, können kontinuierliche Interventionen von außen in Betriebe oder andere Bereiche eines proletarischen Milieus einen brauchbaren Zwischenschritt darstellen. Wenn man/frau über keine Kontakte in den betreffenden Betrieb und damit über keine internen Informationen und kaum Möglichkeiten der Rückmeldung verfügt, wird man/frau sich auch mit regelmäßigem Verteilen von Flugblättern etc. mit großer Wahrscheinlichkeit den Schädel anrennen. Wenn die revolutionäre Organisation über solche Kontakte verfügt, ist damit eine Voraussetzung für eine kontinuierliche Betriebsintervention gegeben. Allerdings sind darüber hinaus noch andere Fragen zu klären: Kann die Organisation aufgrund ihrer Stärke und politischen Stabilität eine ernsthafte kontinuierliche Intervention leisten? In welchem Verhältnis stehen der Kräfteaufwand (Produktion und Verteilung von Materialien, regelmäßige Treffen mit den Kontakten in den Betrieb etc.) mit dem Nutzen für den revolutionären Organisationsaufbau (Erfahrungen im betrieblich-proletarischen Milieu, interessierte ArbeiterInnen ins Umfeld der Organisation ziehen)? Bietet die politische Stimmung zumindest bei Teilen der Belegschaft Ansatzpunkte für revolutionäre Propaganda? Gibt es in diesem Betrieb (oder in einem anderen ausgewählten proletarischen Milieu) an allgemein gesellschaftlichen Fragen interessierte ArbeiterInnen, die für einen Kontakt zur radikalen Linken offen sind? Denn nur solche ArbeiterInnen und nicht die weitgehend nur gewerkschaftlich und betrieblich orientierten sind heute in eine revolutionäre Organisation integrierbar. Dementsprechend muss eine revolutionäre Propaganda in ein betriebliches/proletarisches Milieu neben den die Lohnabhängigen unmittelbar betreffenden Aspekten auch gesamtgesellschaftliche und politische Fragen systematisch einbringen. Schließlich muss jede solche Intervention dem Aufbau der revolutionären Organisation untergeordnet sein.