Anfang Juni fand im beschaulichen Ostsee-Strandbad Heiligendamm der jährliche Gipfel der G8 statt. Die Oberhäupter der führenden sieben imperialistischen Staaten (USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan und Kanada) und Russlands trafen sich, um die politischen und wirtschaftlichen Ziele der einzelnen Imperialismen zu koordinieren und miteinander abzustimmen. Nebenbei sollte dabei auch noch der Öffentlichkeit ein Bild von nur um das Wohle der Bevölkerung bemühten StaatenlenkerInnen geliefert werden. Auf der anderen Seite des 12,5 Mio. Euro schweren "Sicherheitszauns" kamen zehntausenden Menschen zusammen, um gegen die Veranstaltung zu protestieren. Eine Bilanz der Bewegung.
Allein die Existenz des G8-Gipfels zeigt auf, dass den imperialistischen Staaten immer weniger auch nur an der formalen Einbindung der abhängigen Länder gelegen ist – wie dies etwa noch bei der UNO der Fall ist, die zwar auch ein klares Koordinationsgremium des Imperialismus ist, wo aber zumindest noch der Eindruck zu vermitteln versucht wird, dass es sich um eine Art "demokratisches Weltparlament" handelt (Mehr dazu siehe: "UNO – Geschichte einer kriminellen Vereinigung" in Marxismus-Sondernummer 13). Mit den G8 (genauso wie etwa dem WEF) setzen die imperialistischen Staaten ein klares Zeichen, dass sie alleine die zentralen politischen und ökonomischen Fragen zu entscheiden haben.
Wie bei ähnlichen Veranstaltungen seit den Protesten gegen den WTO-Gipfel in Seattle, mobilisierte wiederum ein buntes Bündnis von "GlobalisierungskritikerInnen" gegen dieses Treffen. Die mobilisierenden Organisationen waren ebenso heterogen wie die angesprochenen Themen – wobei im Mittelpunkt einerseits die Frage von imperialistischen Kriegen wie Irak und Afghanistan stand, und andererseits die der Klimaveränderung. Die politische Stossrichtung reichte von einer Appellpolitik an die G8 über diffuse Reformkonzepte im Rahmen des Kapitalismus bis zu Perspektiven einer Überwindung des kapitalistischen Systems. So appellierte etwa Greenpeace mit einem Transparent, auf einem am Rostocker Hafen liegenden Segelschiff, an die G8 mit der Parole "G8 – Act now!" an die Staats- und Regierungschefs, doch endlich Maßnahmen gegen die Erderwärmung zu setzen, ATTAC trat mit den üblichen Forderungen zur Rettung des Kapitalismus – der Tobin-Steuer auf Finanztransaktionen und einem Verbot von Hedgefonds – auf den Plan und christliche Gruppierungen riefen gar zu einem "heiligen Damm des Gebets" auf.
Die zentrale Mobilisierung der Proteste war die Großdemonstration in Rostock am Wochenende vor dem Gipfel, an der über 40.000 Menschen teilnahmen. Während der Woche folgten, von zwei Camps aus organisiert, verschiedene thematische Demonstrationen, Blockadeversuche und der Versuch, auf das durch den riesigen "Schutzzaun" und diverse Einheiten des Staatsapparates abgeriegelte Gelände des Treffens vorzustoßen.
Die bürgerlichen Medien fokussierten bei ihrer Berichterstattung auf einige gewalt-tätige Auseinandersetzungen, die sich zwischen DemonstrantInnen und PolizstInnen am Rande der Rostocker Demo ereigneten ("Ihr Chaoten, wollt ihr Tote" titelte etwa die BILD). Die zentrale Aufgabe dieser Berichterstattung war es, die Proteste zu delegitimieren und die DemonstrantInnen als GewalttäterInnen darzustellen beziehungsweise die Bewegung zu spalten.
Ein guter Teil der autonomen Linken bezog sich hingegen positiv auf die kleinen Scharmützel – mehr war es in Wirklichkeit nicht – und feierte die Wiedergeburt der linken Militanz. Jedenfalls gelang die Spaltung der Bewegung zu einem Teil. So distanzierten sich etwa der PDS-nahe Mitorganisator Monty Schädel oder Peter Wahl von ATTAC von "gewalttätigen Demonstranten", kündigten an, sie in Zukunft von Demos auszuschließen und propagierten die Zusammenarbeit mit dem Staatsapparat gegen die "Gewalttäter".
Als revolutionäre MarxistInnen lehnen wir Gewalt nicht prinzipiell ab (siehe dazu den Artikel auf Seite 7). Es muss klar sein, dass die Gewalt von den imperialistischen Regierungen ausgeht, die nicht nur etwa im Irak und Afghanistan zigtausende Menschen massakrieren, sondern auch bei der Demonstration höchst provokativ vorgingen, in die Demo hineinprügelten und willkürliche Festnahmen durchführten. Die individuelle Gewaltstrategie, die manche Autonome einschlugen, ist nicht nur politisch falsch, objektiv gefährdete sie auch andere DemonstrantInnen. Aber dies ist Inhalt einer innerlinken Strategiedebatte. Gegenüber dem bürgerlichen Staat muss klar sein, dass wir bedingungslos solidarisch mit diesen AktivistInnen sind, unabhängig davon, wie wir zu den von ihnen gewählten Aktionsformen stehen.
Bilanz der Proteste
Wie sind nun die Proteste einzuschätzen? Auf den ersten Blick wirken gut 40.000 DemonstrantInnen von Rostock wenig gegenüber den 200.000-300.000 von Genua. Aber das zeigt in erster Linie auf, dass die "Anti-Globalisierungsbewegung" bei weitem nicht so global und universell ist, wie viele TeilnehmerInnen und auch die bürgerlichen Medien Glauben machen wollen. Die Stärke und Ausrichtung der Proteste ist immer stark von den spezifischen Situationen in den Ländern, wo die Proteste stattfinden, geprägt. Dies betrifft einerseits die all-gemeinpolitische Situation im Land – so waren die Proteste gegen den letztjährigen G8-Gipfel in St. Petersburg ziemlich klein, was stark mit der repressiven Politik Russlands unter Putin zusammenhängt – und andererseits spiegeln sie vor allem die Stärke und politische Ausrichtung der jeweiligen Linken wider. War der Mobilisierungserfolg von Genua 2001 zu einem Gutteil der Stärke der Basis italienischer Gewerkschaften zu verdanken, so war die Mobilisierung gegen den Gipfel in Gleneagles 2005 zwar numerisch stark, aber völlig systemkonform (Weißer Marsch für die Entschuldung Afrikas).
Bei der Demonstration in Rostock war klar zu erkennen, dass der überwältigende Teil der TeilnehmerInnen aus Deutschland kam. Gewerkschaften waren fast überhaupt nicht vertreten (und der deutsche Gewerkschaftsbund DGB hatte auch nicht zu den Protesten aufgerufen, sondern wollte lieber hinter den Kulissen mit Merkel paktieren). Neben Unorganisierten wurde der Hauptteil der TeilnehmerInnen von NGOs, der Linkspartei.PDS, Autonomen und verschiedenen trotzkistischen sowie (mao-)stalinistischen Gruppen gestellt.
Wobei zur Linkspartei zu sagen ist, dass sie es wiederum (wie üblich) schaffte, gleichzeitig auf allen Seiten der Front zu sein. Stellte sie einerseits einen Demonstrationsblock mit über 1.000 TeilnehmerInnen, wo sich auch Teile der Parteispitze um Lafontaine sonnten, war es die SPD-PDS Regierungskoalition Mecklenburg Vorpommerns, die nicht nur alles für die Vorbereitung des Gipfels unternahm, sondern auch das Landes-Sicherheitsgesetz in Hinblick auf die Proteste drastisch verschärfte.
Linker Mix
Die "Antiglobalisierungsbewegung" ist äußerst heterogen. Dies betrifft nicht nur die Widersprüche zwischen Basis und Führung, die sich mittlerweile zu einer regelrechten Bewegungsbürokratie gemausert hat. Die Spitze von ATTAC und prominente Aushängeschilder wie Susan George, Naomi Klein und Walden Bello haben es geschafft, der gesamten Bewegung maßgeblich ihren Stempel aufzudrücken. Gerade die europäischen und Weltsozialforen sind mittlerweile zu Treffpunkten von (meist aus imperialistischen Ländern kommenden) "Reisekadern" verkommen, wo sich die AktivistInnen vor Ort nicht mehr Eintritt und Essen leisten können. Sie prägen zu einem Gutteil die mediale Wahrnehmung, wenn es darum geht, nicht "böse Chaoten" zu dämonisieren, sondern "verantwortungsvolle KritikerInnen" zu hypen, die zeigen, wie ein besserer Kapitalismus nun möglich wäre und somit den Protesten, die eine anti-kapitalistische Stoßrichtung haben, das Wasser abzugraben.
Aber es wäre zu einfach, den Widerspruch nur zwischen einer böse bürokratische Führung und den guten revolutionäre BasisaktivistInnen zu sehen. Auch die politische Ausrichtung der "ganz normalen TeilnehmerInnen" ist widersprüchlich. Ist auch nur ein kleiner Teil ausgesprochen prokapitalistisch und sieht in der Reform des Kapitalismus das Ziel an sich, so träumt die Mehrheit zwar schon diffus von einer sozialistischen Gesellschaft ohne Ausbeutung, sieht aber als zentrales aktuelles Ziel die Verbesserung der Lage durch keynesianistische (und teilweise auch nationalstaatlich protektionistische) Reformmaßnahmen. Die bewussten AntikapitalistInnen (geschweige denn RevolutionärInnen), die im Sozialismus nicht eine schöne Utopie, sondern die einzige Möglichkeit eines Endes der kapitalistischen Barbarei sehen, sind eine nicht unbedeutende, aber dennoch klare Minderheit der Protestierenden.
Diese Heterogenität der Bewegung ist natürlich kein Grund für RevolutionärInnen, ihr fern zu bleiben. Aber im aktuellen Zustand der Bewegung wäre es Selbstüberschätzung, um die Führung der Bewegung zu kämpfen und ihr eine anti-kapitalistische und revolutionäre Stoßrichtung geben zu wollen. Zentraler Punkt einer revolutionären Intervention muss es sein, die antikapitalistische Minderheit anzusprechen und Teile von ihr für eine klare revolutionäre Perspektive zu gewinnen. Das heißt ganz klar zu sagen, dass zur Überwindung der kapitalistischen Misere die Zerschlagung des kapitalistischen Staates nötig ist und dies nur durch die Kämpfe der ArbeiterInnenklasse, möglich ist. In der aktuellen Situation bedeutet dies, die bewusstesten Teile der antikapitalistischen Minderheit anzusprechen und sie für den Aufbau einer revolutionär-sozialistischen Organisation zu gewinnen