Am Sonntag 21. Oktober finden in der Schweiz die National- und Ständeratswahlen statt. Die bisher stärkste Partei (27.5%), die Schweizerische Volkspartei SVP, dominierte den Wahlkampf als rechtsnationalistische Partei mit rassistischen Parolen, Plakaten und Inseraten. Die SozialdemokratInnen (26%) werden wohl im Vergleich mit der SVP zurückfallen.
Ihr opportunistischer Kurs und das Unterstützen der bürgerlichen Regierung mit 2 Bundesräten (von 7) führten dazu, dass sie auf tiefem Niveau verharrt und die ArbeiterInnenklasse als WählerInnen zu guten Teilen verloren haben. Wäre die SP in der Opposition, könnte sie mit Initiativen und Referenden die rechtsbürgerliche Regierung noch eher unter Druck setzen und sich die ArbeiterInnenklasse als WählerInnenschaft zurückholen. Aber dafür müsste sie die Pfründe aufgeben, was kaum geschehen wird.
Für die wirtschaftsliberale FDP (18%) wird wohl dasselbe gelten wir für die konservative CVP (14%), sie werden voraussichtlich in etwa ihre StammwählerInnen erreichen und auf dem gleichen Niveau verbleiben. Die FDP stützt sich vor allem auf das Mittelland, die CVP auf die katholisch-konservativen Kantone. Den Grünen (6.5%) wird ein Gewinn an Wählerstimmen auf Kosten der SP vorhergesagt. Die SVP dürfte vor allem in der Westschweiz noch an Stimmen zulegen können.
Gerade das schweizerische System, eine Art institutionalisierte Konzentrationsregierung, zeigt auf, wie wenig Wahlen bewirken können. Es ist letztlich egal, wer Wahlsieger wird. Die Regierung wird aus 5 offen Bürgerlichen und 2 SozialdemokratInnen bestehen, die als Steigbügelhalter für die neoliberale Politik funktionieren. Die Mehrheit im Parlament wird in jedem Fall offen bürgerlich sein und definitiv die bestehende Politik weiterführen. Die SP hat kein Interesse an einer Veränderung der Situation und wird kaum Opposition ergreifen gegen diese Politik.
Die aktuellen Wahlen in der Schweiz bieten für eine marxistische Organisation kaum Ansatzpunkte für eine Einheitsfrontpolitik oder ähnliches, umso weniger für eine noch kleine Organisation wie die RSO Zürich. Viel wichtiger als die Wahlen sind für die politische Entwicklung Klassenkämpfe wie der der BauarbeiterInnen, der Anfang November in die nächste Runde gehen wird. Dennoch präsentieren wir hier einige grundlegende Überlegungen zu Wahlen und Einheitsfronten.
Gianni Albertini (RSO Zürich)
Einheitsfronten und Wahlen
Bei der Politik der Einheitsfront geht es nicht darum, reformistische Organisationen als "kleineres Übel" zu unterstützen. Es handelt sich vielmehr um eine Taktik revolutionärer Organisationen mit dem Ziel, die Arbeiter/innen von den reformistischen Parteibürokratien und vom Reformismus überhaupt zu lösen. Die unter dem Druck ihrer Basis stehenden reformistischen Organisationen sollen dadurch in einen gemeinsamen Kampf für bestimmte anstehende Interessen der Arbeiter/innen/klasse gezogen und die Mitglieder und Anhänger/nnen dieser Organisationen in der konkreten Auseinandersetzung von der Inkonsequenz und/oder dem Verrat ihrer Führungen überzeugt werden.
Solche Einheitsfronten können verschiedene Formen annehmen: Bündnisse bei Demonstrationen oder Streiks; kritische Wahlunterstützung für reformistische Parteien bei Wahlen zu bürgerlichen Parlamenten; der zeitweilige Eintritt von Revolutionären in reformistische Parteien (Entrismus). Bei all diesen Formen ist entscheidend, dass die politische Unabhängigkeit der revolutionären Kräfte gewahrt bleibt, dass diese Taktik des revolutionären Organisationsaufbaus nicht mit einer politischen Anpassung an den Reformismus verwechselt wird. Ein reales Zustandekommen von Einheitsfronten setzt eine bestimmte Stärke der revolutionären Organisation voraus, durch die erst als tatsächlicher Faktor agiert werden kann und die dann in der Regel auch die Freiheit der revolutionären Propaganda sichert.
In Hinblick auf Wahlen und Wahlaufrufe ist erst mal eine grundlegende Position zum Parlamentarismus klar zu machen: Wir betrachten ihn als Betrug an der Arbeiter/innen/klasse, durch den die Ideologie von Demokratie und Volkssouveränität im Kapitalismus verkauft wird. Die Wahlsysteme sind nicht nur oft zugunsten der Bourgeoisie konstruiert (wie z.B. durch geografische Aufteilung der Sitze, Prozentklauseln, Mehrheitswahlrecht, Zwei-Kammern-System, ungleicher Medienzugang, Ausschluss von Arbeitsmigrant/inn/en etc.), sondern es fallen auch die wichtigen Entscheidung in den miteinander verflochtenen Bereichen Großkapital und Staatsapparat, die dann vom überlegenen Propagandaapparat der herrschenden Klasse verbreitet werden.
Marxist/inn/en sind letztlich für die Zerschlagung der bürgerlichen Parlamente im Zuge der Zerschlagung des bürgerlichen Staates insgesamt und ihre Ersetzung durch eine Rätedemokratie. Bis dahin sind wir für die Entlarvung ihres reaktionären Charakters als Quatschbuden zur Verschleierung der Operationen des bürgerlichen Staates. Solange in relevanten Teilen des Proletariats aber noch Illusionen in die parlamentarische Demokratie hegen, können Kommunist/inn/en bürgerliche Wahlen nicht ignorieren, sondern müssen versuchen, die erhöhte politische Aufmerksamkeit in der Gesellschaft für die eigene Propaganda zu nutzen.
Grundsätzlich wird eine revolutionäre Organisation, insbesondere wenn sie sich im Stadium einer Partei befindet, eine Eigenkandidatur anstreben. Dabei geht nicht in erster Linie um Parlamentssitze (oder Gemeinderatssitze etc.), die als Propaganda-Tribüne für den Klassenkampf verwendet werden können, sondern um den Aufbau der Organisation. Eigenkandidaturen sind also auch legitim, wenn der Einzug in eine Struktur des bürgerlichen Parlamentarismus nicht realistisch ist. Trotzdem muss stets darauf geachtet werden, dass eine revolutionäre Propagandakandidatur nicht die Kräfte der Organisation überfordert (und damit verschleißt) und das Projekt angesichts der Stärke der Organisation nicht zu einer kontraproduktiven Lächerlichkeit verkommt.
Wenn revolutionäre Organisationen für eine Eigenkandidatur zu schwach sind, ist es möglich, – in Übereinstimmung mit den Prinzipien der Einheitsfront – einen kritischen Wahlaufruf für reformistische Arbeiter/innen/parteien zu machen. Die Anwendung der Taktik muss dabei stets auf einer konkreten Analyse der Situation beruhen und darf nicht zu einem schematischen routinehaften Automatismus verkommen. Entscheidend ist zunächst einmal, ob tatsächlich unter relevanten Teilen der Arbeiter/innen/klasse Illusionen in die reformistische Partei vorhanden sind, die dann enttäuscht werden können. Wesentlich ist auch die Einschätzung, was ein Wahlsieg oder eine -niederlage der reformistischen Partei in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation bedeutet.
Wichtig ist schließlich auch, ob die revolutionäre Organisation überhaupt in der Lage ist, sich mit dieser Taktik an Teile der reformistischen Parteibasis zu wenden und mit ihnen vor und nach der Wahl über die Politik der Partei zu diskutieren. Wenn diese Voraussetzung nicht gegeben ist, funktioniert die ganze Taktik der Einheitsfront nicht und ein Wahlaufruf für eine reformistische Partei verkommt nur zu leicht zu einer "linken" politischen Unterstützung für den Reformismus.
Miodrag Jovanovic (RSO Wien Nord)