Und sie streiken doch nicht

Zu Herbstbeginn machte die österreichische Ärztekammer mit einer Streikdrohung auf sich aufmerksam. Grund waren die Pläne der Regierung zur Errichtung so genannter Ambulanter Versorgungszentren. Außerdem sollte dem Bundesministerium für Gesundheit und Familie erhöhte Entscheidungskompetenz in vielen Bereichen der medizinischen Versorgung zukommen, welche vorher der Ärztekammer oblagen. Doch auch sozialrechtliche Fragen waren ein Thema.

Die Ärztekammer vermischte bei ihren Streikdrohungen fortschrittliche und reaktionäre Forderungen. Berechtigt und unterstützenswert war das Eintreten gegen die Ausweitung der spitalsärztlichen Dienste, die die ohnehin unzumutbaren Arbeitszeiten von SpitalsärztInnen – im Zeitraum von vier Monaten bis zu 60 Wochenstunden, in einzelnen Wochen bis zu 72 Stunden – weiter erhöht hätten. Einige weitere Punkte, wie die nach dem Erhalt der Oberhoheit über die Ausbildung oder die um den Einfluss der Kammer bei der Besetzung von Planstellen, waren bestenfalls auf die Erhaltung der Struktur Ärztekammer und ihres Einflusses gerichtet.

Versorgungszentren

Hauptkritikpunkt der Ärztekammer und ihres Präsidenten, Walter Dorner, waren aber die neu geplanten Ambulanten Versorgungszentren (AVZ). Dorner verbreitete mit Schlagwörtern wie "Verstaatlichung" Angst und Schrecken in der niedergelassenen (mehrheitlich kleinkapitalistischen) ÄrztInnenschaft und verglich die AVZ mit den DDR-Polykliniken. Tatsächlich hatte auch dieses System Schattenseiten, die vor allem mit Finanzierungsproblemen und der damit verbundenen teilweise veralteten Ausrüstung zusammenhingen. Dennoch blicken viele ehemalige DDR-BürgerInnen freilich auf diese Polykliniken positiv zurück; in ziemlicher Nähe zu den Wohnorten waren alle (Fach-)ÄrztInnen, die häufig gebraucht werden, in einer großen Zahl von kleinen Kliniken zusammengefasst. Man/frau musste nur an eine Stelle gehen und dort konnten die allermeisten Dinge behandelt werden.

Auch für kapitalistische Länder wie Österreich wären kleinere, kommunal geführte Polykliniken und Gruppenpraxen ein riesiger Fortschritt für die PatientInnen. Dagegen stehen natürlich die Interessen der privatwirtschaftlichen ÄrztInnenschaft. Auf ihre bornierten Vorteile ist in Österreich das Gesundheitssystem ausgerichtet. Die Leute, die als Kranke schon genug Probleme haben, werden von einem/r Arzt/Ärztin zum/r nächsten geschickt, die unterschiedliche Öffnungszeiten und oft lange Wartezeiten haben (wenn die PatientInnen nicht überhaupt von Allgemeinmediziner/innen abgewiesen werden, weil sie in dem Quartal schon bei einer/m anderen Arzt/Ärztin waren und deshalb keinen Gewinn mehr bringen). Dazu kommt noch ein volkswirtschaftlicher Irrsinn des Systems der privatwirtschaftlichen Fachärzte/innen, die sich oft um teures Geld auch selten gebrauchtes Gerät anschaffen müssen (und diese Ausgaben natürlich weitergeben).

Mit dem von uns befürworteten System kleinerer, kommunal geführter Polykliniken und Gruppenpraxen (oder auch dem System der DDR-Polykliniken) haben die von der ÖVP-Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky vorgeschlagenen AVZ leider sehr wenig zu tun, von Verstaatlichung kann hier nicht die Rede sein. Die AVZ sollen teils staatlich, teils privat geführt werden. Ersteres wäre sicher ein guter Schritt vorwärts, zweiteres allerdings würde weitere Elemente der Gesundheitsversorgung in den Dienst profitorientierter Unternehmen stellen, wo es einzig und allein um Gewinnmaximierung geht. Der für den angekündigten Streik entscheidende Punkt war allerdings, dass Ärzte/innen in diesen Zentren nicht mehr Kammermitglied sein hätten müssen, der Kammer ging es hier also vor allem um ihre Macht als Standesvertretung. Bei der Auseinandersetzung zwischen Kdolsky und Ärztekammer geht es also auch stark um einen Konflikt zwischen den aufstrebenden Gesundheitskonzernen und der kleinunternehmerischen ÄrztInnenschaft, um einen Konflikt zwischen Großkapital und ständisch organisiertem KleinunternehmerInnentum im Gesundheitsgeschäft.

Kosteneffizienz

Das Interesse von Bundesministerin Kdolsky hingegen lag und liegt hier vor allem in der finanziellen Planung des Gesundheitssystems. Sie will die "Kosteneffizienz steigern", also Kosten reduzieren und nach finanziellen Vorgaben beispielsweise Therapiepläne vorgeben. Die ganze Einsparungspolitik im Gesundheitswesen geht seit Jahren auf Kosten der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den Spitälern und auf Kosten der PatientInnen. "Notwendig" wird das freilich nur, weil viele Firmen die Krankenversicherungsbeiträge ihrer Beschäftigten nicht abliefern (die Kassen fehlen dadurch Millionen!) und weil sich die Pharmaindustrie und Teile der ÄrztInnenschaft am öffentlichen Gesundheitssystem ungehindert bereichern. Nicht nur, dass manche niedergelassene (Fach-) ÄrztInnen irrwitzige Einkünfte haben, bis zu 80% der oberen Ärzte/innen in Spitälern sind an privaten Gesundheitsfirmen beteiligt.

Die AVZ wären dort, wo ärztliche Leistungen von privatkapitalistischen FachärztInnen an kommunale oder staatliche Einrichtungen übergehen, eine Schritt in die richtige Richtung. Dass die Ärzte/innen dort Angestellte öffentlicher Stellen sind und womöglich nicht mehr Mitglieder der reaktionären Standesvertretung Ärztekammer, finden wir gut. Der Regierung aber geht es um Kostenreduktion und sie wird versuchen, die Konstruktion der AVZ zu hinzudrehen, dass letztlich eine fortschreitende Verlagerung von Spitalsdiensten in die Privatwirtschaft stattfindet; das könnte bis zur Schließung von Spitälern gehen. Für die Ärztekammer geht es allerdings um ihren Einfluss und um die Vertretung der Interessen und den Profiten der niedergelassenen ÄrztInnen, also kleiner EinzelunternehmerInnen. Für uns aber muss die kostenlose medizinische Versorgung der ganzen Bevölkerung gegeben sein. Denn die Leidtragenden jeder Gewinnmaximierung sind die PatientInnen und die Masse der Beschäftigten im Gesundheitswesen.

Von Barbara Gruber, Mica Jovanovic und Michael Mlady*

* Barbara Gruber studiert Medizin, Mica Jovanovic ist Krankenpfleger, Michael Mlady arbeitet im Sozialbereich.