Grundsätzliche Gedanken zu Fuߟball und Weltmeisterschaften

Millionen Menschen, vor allem Männer, werden im Frühsommer dieses Jahres wieder abend für abend vor dem Fernseher sitzen und die Spiele der Fußball-WM gespannt mitverfolgen. Das soziale Leben wird erheblich beeinträchtigt sein – auch das der Linken und der ArbeiterInnenbewegung. Grund genug sich diesen Fußball genauer anzuschauen.

 

Anmerkung: Der Artikel wurde ursprünglich anlässlich der WM 1998 verfasst und von der Arbeitsgruppe Marxismus (AGM) als Flugschrift publiziert, für EM-Broschüre der RSO (April 2008) lediglich minimal modifiziert und der neuen Rechtschreibung angepasst.

 

Fußball war Jahrhunderte lang ein raues, weitgehend unreguliertes Volkspiel in England, das vor allem von "Bauernlümmeln" und Handwerksgesellen betrieben wurde. Das Spielfeld war oft das ganze Gelände zwischen zwei Dörfern, die Anzahl der Spieler kaum begrenzt, die Spieldauer oft nur durch den Einbruch der Dunkelheit. Die Betonung lag nicht auf Geschicklichkeit, sondern auf Kraft und Gewalt. Von der herrschenden Klasse wurde das wilde Treiben als eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung angesehen und unterdrückt.

Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Fußball dann durch Schüler der englischen Public Schools aufgegriffen. Dort erhielt der Sport – einhergehend mit dem Aufstieg des Kapitalismus – erstmals ein schriftliches Regelwerk: Das Volksspiel wurde seiner allzu brutalen Züge entledigt. Anstelle eines realen Kampfes trat ein Scheinkampf auf höherem Zivilisationsniveau. Das war vor allem Ausdruck der (dem aufkommenden bürgerlichen Wertsystem entsprechenden) Unterscheidung zwischen illegitimer und legitimer Gewalt.

Festgelegt wurden nun auch die Anzahl der Spieler, die Maße des Spielfeldes und die Länge der Spielzeit, was nicht zufällig historisch der Vereinheitlichung von Maßen und Gewichten in der Wirtschaft folgte. Im Fußball kommt diese Gleichheit als Voraussetzung der Konkurrenz sinnbildlich in den Halbzeiten, im Wechsel der Seiten zum Ausdruck. Die Addition von Toren und Punkten und die Erstellung von Tabellen erinnert nicht zufällig an die Buchführung. Die Präzisierung der Spielzeit entspricht der Durchsetzung der zeitlich bemessenen Arbeit im industriellen Kapitalismus. Die Entwicklung des Fußballs vom Volkssport zum modernen Sportspiel war also Ausdruck und Mittel einer Verbürgerlichung.

Arbeitersport Fußball

Zum Massenphänomen wurde Fußball aber erst wieder in der dritten Periode seiner Entwicklung, mit der Eroberung durch die (männliche) industrielle ArbeiterInnenschaft – nun freilich in seiner regulierten Form. Fußball wurde von der anwachsenden Industriearbeiterschaft derart enthusiastisch aufgenommen, dass er schon bald als ausgesprochener "Proletensport" galt. Im englischen Fußball begann die Dominanz der Arbeiterklasse mit der Einführung des freien Samstagnachmittags in den 1860er und 1870er Jahren. Als 1883 mit Blackburn Olympic erstmals ein Arbeiterklub das Cup-Finale gewann, waren die bürgerlichen Sportler geschockt. Sie wandten sich nun Individualsportarten zu, deren Ausübung sozioökonomische Privilegien voraussetzte und die deshalb soziale Exklusivität sicherten.

Fußball spielte während der Industrialisierung, besonders in Großbritannien und Deutschland, eine wichtige Rolle beim sozialen Zusammenschluss der Arbeiter(innen) in den entstehenden Industriestädten. Er gab den Arbeitern Zusammengehörigkeit und Selbstbewusstsein und war ein wesentlicher, vom Bürgertum oft misstrauisch beäugter Teil der ArbeiterInnenkultur – einer ArbeiterInnenkultur, die einerseits von der kapitalistischen Gesellschaft geprägt war, die aber andererseits auch Ausdruck der Selbsttätigkeit der unterdrückten ArbeiterInnenklasse war und somit ein subversives Element beinhaltete. Diese Widersprüchlichkeit zwischen kultureller Einbindung und Opposition charakterisierte auch den Fußball als Arbeitersport. Welche der beiden Seiten dabei in verschiedenen Phasen stärker in den Vordergrund trat, hing vor allem von der politischen Entwicklung ab, davon, wie sehr die ArbeiterInnenklasse als eigenes politisches Subjekt in Erscheinung trat beziehungsweise wie weit es der Bourgeoisie gelang, die ArbeiterInnenbewegung durch Zugeständnisse oder Repression in das System zu integrieren.

Was aber machte den Fußball für die Arbeiter so ungemein attraktiv? Eine wesentliche Erklärung liegt darin, dass die monotone, entfremdete und erschöpfende industrielle Arbeit zu einem wachsenden Bedürfnis nach selbst bestimmter physischer Verausgabung und psychischer Befriedigung außerhalb der Fabrikshallen führte. Fußball verlangte physischen Einsatz, der den proletarischen Spielern von ihrer Arbeit her bekannt war, war aber doch ein Spiel, das auch die Entfesselung der sonst vom ökonomischen und politischen System unterdrückten Kreativität und Intelligenz der proletarischen Spieler ermöglichte.

Gerade Spieler aus der ArbeiterInnenklasse glänzten oft nicht nur durch Kraft, Hartnäckigkeit und Ausdauer, sondern auch durch Spielwitz, Einfallsreichtum und das Erahnen von Spielsituationen. Ob die "lustigen" kleinbürgerlichen Kabarettisten, die großartige Fußballer proletarischer Herkunft wie Toni Polster oder Andi Ogris aufgrund deren Umgangssprache als Idioten hinstellten, nur annähernd an deren (spielerische) Intelligenz herankommen, kann bezweifelt werden.

Dass sich die Arbeiter gerade dem Fußballsport zuwandten, lag auch daran, dass er die Möglichkeit gab, kollektiv dem Stumpfsinn der Industriearbeit zu entfliehen, dass er als Mannschaftssport Gemeinschaftsgefühl und Gruppensolidarität bot. Dementsprechend wurde die Entwicklung des Arbeiterfußballs von der herrschenden Klasse immer wieder behindert. In diesem Zusammenhang, um behördlichen Schikanen gegen einen Arbeiterverein auszuweichen, änderte beispielsweise der 1. Wiener Arbeiter Fußball-Klub 1899, ein Jahr nach seiner Gründung, seinen Namen: auf SK Rapid Wien.

Das bürgerliche Establishment lehnte den Fußball aber auch deshalb ab, weil sich die Spiele mehr und mehr zu proletarischen Massenspektakeln entwickelten. Während es das "bessere" Publikum, das sich in England zunehmend etwa den Cricket-Veranstaltungen zuwandte, vorzog, das Spiel mit gespanntem Experteneifer zu verfolgen, tobte rund um die Soccer-Spiele die ausgelassene, ordinär vergnügte Football-Crowd. Der wilde, urwüchsige Charakter des ehemaligen Volksspieles verlagerte sich jetzt in gewisser Weise auf die Zuschauerränge. Diese proletarischen und sich offen artikulierenden Massenversammlungen wurden von der herrschenden Klasse erneut als Bedrohung der öffentlichen Ordnung betrachtet.

Neben der bürgerlichen Ablehnung gab es in Deutschland und Österreich aber auch Kritik seitens der politischen ArbeiterInnensportbewegung. Das Spiel fördere durch seinen Wettkampfcharakter kompromissloses Konkurrenzdenken. Anders als Turnen oder Radfahren, die von der Arbeitersportbewegung bevorzugt wurden, erfordert Fußball – egal ob um Tabellenränge, als Freundschaftsspiel oder als spontanes "drei gegen drei" im Park – tatsächlich stets einen Gegner. Gleichzeitig ist Fußball aber immerhin ein Mannschaftssport und war weit weniger autoritär und disziplinierend als etwa Turnen, förderte das Kollektiv und die Kreativität der Spieler.

Tennis statt Fußball

Der herrschende Klasse und ihrem Staat wurde freilich immer mehr klar, dass der proletarische Massensport Fußball kaum mehr zu unterdrücken war. Man setzte in der Folge, beginnend in der Zwischenkriegszeit und verstärkt nach 1945, nicht mehr auf Behinderung, sondern auf Integration, Kontrolle und Instrumentalisierung. Durch Kommerzialisierung und die wachsende Bedeutung von bezahlten Funktionären wurde der Einfluss von Vereinsmitgliedern, Spielern und Fans reduziert und gleichzeitig die bürgerliche Ideologie vorherrschend: die Identifikation der Zuschauer mit ihrer Klasse wurde zunehmend durch Lokalpatriotismus und Nationalismus ersetzt. Aber auch wenn die medien- und sponsorengerechten Vermarktung den Fußball heute dominiert, ist Fußball noch immer auch ein Sport der ArbeiterInnenklasse geblieben. Mehr als jede andere Sportart wird er von Arbeitern gespielt und von Arbeitern gesehen. Er fasziniert durch die Einfachheit und Klarheit seiner Regeln und kann kollektiv und ohne großen (finanziellen) Aufwand betrieben werden. Fußball unterscheidet sich dadurch fundamental vom Segeln, Reiten oder Golf der herrschenden Klasse.

Seit ein bis zwei Jahrzehnten geht es der Bourgeoisie und ihren Fußballmanagern europaweit um die beschleunigte Zerstörung des (ohnehin schon im Auflösungsprozess befindlichen) proletarischen Milieus in den Stadien beziehungsweise um die Enteignung seiner kulturellen Institution Fußball – und zwar zugunsten einer konsequent konsumorientierten Fußballindustrie. Die Stadien sollen zu Freizeitarealen mit Boutiquen, Restaurants und Gesellschaftsräumen umgestaltet werden. Immer mehr Einnahmen werden durch Fernsehrechte und Werbung erzielt, immer weniger durch den Kartenverkauf, womit die einfachen Fans zunehmend auch die letzten Einflussmöglichkeiten verlieren.

Ein wesentlicher Teil der Entwicklung, die von den UEFA-Funktionären vorangetrieben und von Nobelvereinen wie PSV Eindhoven oder Bayern München vorexerziert wird, ist die Schaffung von reinen Sitzplatzstadien. Das bedeutet weniger Eintrittskarten bei höheren Eintrittspreisen. In der Folge bleibt ein Teil des Publikums weg, weil es sich das Fußballerlebnis live nicht mehr leisten kann. Dazu kommt ein Verlust an Atmosphäre, die selbst Teil der proletarischen Fußballkultur war, denn Stehplatzterrassen sind nicht nur billiger, sondern erlauben auch ein viel größeres Ausmaß an Kommunikation. Die Entscheidung für Sitzplatzstadien ist letztlich eine Entscheidung für ein sozial anders strukturiertes Publikum, nämlich für die Leute, die bisher nicht in die Stadien gingen, weil ihnen dort einerseits zuwenig Komfort geboten wurde und andererseits zu viele "Proleten" anwesend waren. Das heißt im Klartext: Tennis statt Fußball.

Das Ziel der Bourgeoisie ist die totale kulturelle Hegemonie, die Eroberung und Auflösung der Reste von proletarischem Milieu in der Gesellschaft, die sie noch nicht völlig kontrolliert und in dem sich das "Freizeitverhalten" noch nicht ausreichend ihren Vorstellungen angepasst hat. Auch wenn das wüste Verhalten des Fußballpublikums für das System auch durchaus die Funktion erfüllt, dass dort die unterdrückte Klasse ihren Frust abreagiert, so ist der Bourgeoisie und ihren Schreiberlingen der Anblick der proletarischen Massen, die sich Samstag für Samstag zu hunderttausenden in den europäischen Stadien versammeln und sich nicht den bürgerlichen Verhaltenskatalog entsprechend benehmen, außerordentlich zuwider und wird einer elitären Klassenkritik unterzogen.

Die Rechtfertigung für Sitzplatzstadien, Gitterkäfige, Videoüberwachung und Registrierkarten, mit denen Fans wie nummeriertes Vieh selektiert werden, ist stets der hooliganism. Dabei ist vor allem einmal festzustellen, dass sich bei den Forderungen nach einer harten staatlichen Gangart gegen randalierende Fans in der Regel besonders die (Sport-) Journalisten und rechten Massenblätter hervortun, die mit ihrer geifernden "Kriegsberichterstattung" bei internationalen Spielen den hooliganism erst so richtig anheizen und damit auch für die nationalistisch-rechtsextreme Unterwanderung der Fans den Boden bereiten.

Darüber hinaus ist der geringste hooliganism in den Stadien zu bemerken, in denen es keine Gitterabgrenzungen zum Spielfeld und zwischen den Sektoren gibt, bei denen sich die Polizei auf Anordnung der Vereine von den Stadien fernhält, in denen die OrdnerInnen vom Verein gestellt werden, den Fans bekannt sind und akzeptiert werden, in denen Vorstand, Spieler, OrdnerInnen und Fans kooperieren und die Fans im Verein was mitzureden haben. Hooliganism und nationalistische Ausschreitungen sind nicht nur nicht durch den bürgerlichen Staat zu lösen, sie werden im Gegenteil durch die bürgerliche Gesellschaft erst verursacht.

Massenkultur im Kapitalismus

Die Kommerzialisierung und nationalistische Instrumentalisierung des Fußballs durch die herrschende Klasse führte bei Teilen der Linken dazu, dem proletarischen Massensport mit Enthaltung und Skepsis bis hin zu offener Ablehnung zu begegnen. Diese Abstinenz und Abneigung ist in der österreichischen und deutschen Linken verbreiteter als in anderen Ländern, was auch Ausdruck der hier stärker vorhandenen sozialen und kulturellen Distanz zwischen der Linken und der ArbeiterInnenklasse ist (die wiederum darauf zurückzuführen ist, dass der Faschismus die revolutionären Traditionen in der deutschen und österreichischen ArbeiterInnenklasse nachhaltig zerschlagen hat).

Die ganze Frage steht freilich in Zusammenhang mit der Frage von Massenkultur im Kapitalismus im allgemeinen, mit der (heute in gewissem Ausmaß unvermeidlichen) Teilnahme an Film, Musik und Sport, an einer Massenkultur also, die von der kapitalistischen Gesellschaft hervorgebracht oder zumindest geprägt wurde und die notwendigerweise ihre Widersprüche beinhaltet. Klarerweise würden wir uns eine von der Kommerzialisierung der kapitalistischen Freizeitindustrie unabhängige Massenkultur wünschen – vorzugsweise in Verbindung mit einer revolutionären ArbeiterInnenbewegung. Angesichts der aktuellen Schwäche einer solchen Bewegung ist heute eine partielle Beteiligung an verschiedenen Formen der kapitalistischen Massenkultur tendenziell notwendig, um sich in dieser Gesellschaft nicht sozial zu isolieren und psychisch zugrunde zu gehen.

Fußball und andere Formen der Massenkultur sind in ihrer entfremdeten, kapitalistischen Ausprägung stark von Nationalismus und Männertümelei durchsetzt sind. Aber: Einfach nur die rechtsextreme Unterwanderung von einigen Fangruppen oder die sinnlose machistische Gewalttätigkeit von manchen Fans anzuprangern (was durchaus auch zu tun ist) wird der widersprüchlichen Problematik von Massenkultur im Kapitalismus nicht gerecht. Fußball reproduziert eben nicht nur Leistungsnormen des Kapitalismus, er bietet auch die Möglichkeit, sich von der Arbeit aktiv oder passiv zu erholen.

Darüber hinaus kann eine nicht entfremdete "proletarische" oder gar sozialistische Kultur nicht im Laboratorium entstehen, sondern sie wird die progressiven Elemente der bürgerlichen Tradition verarbeiten, umformen und darüber hinaus gehen. Die jetzige Form der Massenkultur kann in einer befreiten, sozialistischen Gesellschaft nicht existieren, aber sie trägt die Widersprüche des Kapitalismus (reaktionäre und progressive Elemente) in sich – so wie bürgerliche und proletarische politische Anschauungen letztlich die Interessensgegensätze von Klassen, die Widersprüche in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen widerspiegeln. Deshalb werden auch in einer nach-kapitalistischen Gesellschaft Elemente der heutigen Massenkultur (in veränderter Form) weiterexistieren. Gerade die Arten der Massenkultur, die eine breite aktive Teilnahme und Kollektivität ermöglichen, haben mehr als andere ein progressives Potential. Fußball beispielsweise taugte in seiner Geschichte nicht nur zur Ablenkung von politischen und sozialen Problemen, sondern auch zur Entwicklung von kollektivem Stolz und Klassenbewusstsein.

Wie stark in bestimmten Phasen die reaktionären und die progressiven Elemente in der Massenkultur (z.B. beim Fußball) sind, hängt letztlich eben vom gesellschaftlichen Kräfteverhältnis zwischen den Klassen ab. Aufschwünge der ArbeiterInnenbewegung waren nicht nur immer von umfassender selbständiger kultureller Tätigkeit des Proletariats in ArbeiterInnensportvereinen (in Österreich z.B. WAT) und ArbeiterInnenbildungsvereinen begleitet, sondern wirkten sich auch auf die aktuelle konkrete Ausformung der Massenkultur und des Massensports unter bürgerlicher Ägide in eine progressive, solidarische Richtung und gegen nationalistische und reaktionäre Tendenzen aus.

Dass es mit den progressiven Elementen im Fußballsport heute (gerade in Österreich) relativ trist aussieht, dass Nationalismus und Männertümelei überwiegen, ist Ausdruck der allgemeinen gesellschaftlichen Lage, Ausdruck des unterentwickelten Klassenkampfes und des Bewusstseinsstandes der ArbeiterInnen, Ausdruck der sozialdemokratischen Integrations- und Anpassungspolitik, Nachwirkung der historischen Niederlage des Proletariats durch den Faschismus. Aber selbst in Österreich existieren solche progressive Elemente: Neben der explizit antirassistischen Haltung vieler Spieler gab und gibt es bei einigen Vereinen auch linke Fan-Initiativen.

In England, Schottland oder Italien, wo die Linke der ArbeiterInnenklasse sozial und kulturell näher steht und in einem größeren Ausmaß selbst Teil von ihr ist, und selbst in Deutschland gestalten sich die Beziehungen zwischen der dortigen Linken, dem Fußball und dessen Publikum entsprechend enger und positiver. Besonders bei vielen englischen Klubs gibt es linke fanzines, von Fans gemachte, billige Zeitungen mit einer Mischung aus Fußball und Politik. Die entsprechenden Fan-Initiativen richten sich in der Regel gegen Rassismus und nationalistische Ausschreitungen und sie haben oft freundschaftliche Verbindungen zwischen Fans von verschiedenen Vereinen aufgebaut. Ähnliche progressive Tendenzen gab und gibt es bei Schalke 04, bei St. Pauli und in Dortmund, genauso wie bei Derry City, Celtic Glasgow und Real Sociedad San Sebastian.

Immer wieder Österreich !??

Neben einer Kritik der kapitalistischen Freizeitindustrie und der Verweigerung ihrer reaktionärsten und dümmsten Ausprägungen muss es angesichts der Widersprüchlichkeit der Massenkultur darum gehen, ihre progressiven Elemente gegenüber den reaktionären zu fördern, sich an den Elementen zu beteiligen, die eher aktive Teilnahme, Selbstbestimmung oder zumindest Einflussnahme ermöglichen als andere. Das gilt in erster Linie für eigene sportliche oder andere kulturelle Aktivitäten (womöglich in Verbindung mit politischer Betätigung) und in zweiter Linie für Veranstaltungen, bei denen die ZuschauerInnen eine relativ selbstbestimmte Rolle spielen (und nicht völlig zu manipulierten Teilchen der Freizeitindustrie degradiert werden). Das gilt am wenigsten für die Formen der Massenkultur im Kapitalismus, die (wie etwa Fernsehen) mit weitgehender Vereinzelung und Passivität einhergehen.

Freilich gibt es auch bei Publikumsveranstaltungen wie eben bei Fußballspielen erhebliche Unterschiede: Für viele Fußball-Großklubs beispielsweise ist das Publikum zunehmend nur noch Staffage. Was zählt sind Einschaltquoten, d.h. Werbungs- und Übertragungseinnahmen. Für die marktgerecht gestylte Medienshow sollen die Zuschauer/innen als StatistInnen ihr Eintrittsgeld abliefern. Die spezifische Identität der einzelnen Vereine, ihr Verbindung mit den Lohnabhängigen einer bestimmten Region, einer bestimmten Stadt oder einem bestimmten Viertel, wird auf diese Weise immer mehr zersetzt. Die Folge ist, dass eine aktive Teilnahme der Fans in der Tendenz bei kleineren Vereinen eher möglich ist als bei den noblen Medienklubs – was nicht ausschließt, dass das bei einigen Großklubs (auch unter dem Druck von Fan-Initiativen) auch anders ist: z.B. bei Schalke 04 oder bei Celtic Glasgow.

Generell ist beim Klubfußball die strukturelle Einflussnahme der Fans eher möglich als bei Bewerben der Nationalmannschaften. Bei ersteren ist aufgrund der Identifikation mit ausländischen Spielern des eigenen Klubs und der solidarischen Haltung vieler Spieler auch eine völkerverbindende Komponente relativ stark. Bei internationalen Spielen, besonders bei Länderspielen, dominiert unumstritten – und logischerweise – der Nationalismus.

Weltmeisterschaften oder Europameisterschaften haben da nicht zu unterschätzende ideologische Funktionen für die herrschenden Klassen der teilnehmenden Länder. Da wird der Bevölkerung nationale Begeisterung abgefordert. Da wird die nationale Einheit der – in Klassen mit gegensätzlichen Interessen gespaltenen – Nation beschworen. Da wird Fußball aufbereitet als Fortsetzung des Krieges mit 22 Spielern und einem Ball. Da werden Trainer als Feldherren tituliert und Fans als Schlachtenbummler bezeichnet. Da wird den Spieler das Mitsingen bei der Nationalhymne abverlangt. Da werden auch bei Europacup-Spielen patriotische Bekenntnisse eingefordert, gehe es doch darum, dass "wir" weiterkommen. Die Hauptsache sei schließlich, dass eine österreichische Mannschaft gewinnt. Es sei an die empörten patriotischen Ermahnungen in den Medien erinnert, als Rapid-Fans und gar der Trainer Ernst Dokupil ihre Freude über die Niederlage von SV Salzburg gegen eine rumänische Mannschaft nicht verhehlten.

Bei den Welt- oder Europameisterschaften steht der eigentliche Sieger, um den es in Wirklichkeit auch in erster Linie geht, jeweils bereits im Voraus fest: der dröhnende Nationalismus. Angesichts dessen kann nur davon abgeraten werden, sich an dem nationalistischen Taumel zu beteiligen und mit der Mannschaft, die vom heimischen Establishment zur höheren Ehre Österreichs aufs Feld geschickt wird, mitzufiebern. Da WMs und EMs als – durchaus politisch relevante – nationalistische Auseinandersetzungen inszeniert werden wird, kann hier nur an Karl Marx verwiesen werden: Die Arbeiter haben kein Vaterland!, oder auch an Karl Liebknecht: Der Hauptfeind steht im eigenen Land!

Wir haben allen Grund und die Verpflichtung, uns gegen rechtsextreme Tendenzen im Fußball, gegen Männertümelei und gegen nationalistische "Begeisterung" zu richten und für einen Fußball der Völkerverständigung einzutreten. Fußball ist aber nicht "an sich" reaktionär. Wenn man sich mit der nötigen Deutlichkeit der patriotischen Stimmung entgegenstellt (und sich als Favoriten die Fußballer aus anderen Ländern aussucht), ist es durchaus auch drinnen, sich auf die WM zu freuen und auf schöne Spiele zu hoffen.