Venezuelas Präsident Hugo Chávez, der sich selbst gern als "bolivarischer Sozialist" darstellt, setzt auf eine Bündnispolitik mit der nationalen Bourgeoisie. Nach Chávez sollen sogar nationalistische UnternehmerInnen an der venezolanischen Revolution teilnehmen. Doch wollen das auch die UnternehmerInnen selbst?
Es ist klar, dass die große Mehrheit der venezolanischen KapitalistInnenklasse keine großen Sympathien zu Chávez hegt, was bereits in Form zweier Putschversuche deutlich wurde. Trotzdem gibt es auch einen wichtigen Sektor in der Bourgeoisie, der die Regierung unterstützt. Von der Politik die Abhängigkeit vom Imperialismus zu reduzieren, erhoffen sie sich hohe Profite. Aber wer sind diese KapitalistInnen und wie schätzen sie die Situation in Venezuela ein?
Um diese Frage zu beantworten besuchte ich ein Treffen der "Vereinigung venezolanischer Unternehmer", die besser unter ihrem informellen Namen "Vereinigung sozialistischer Unternehmer" bekannt sind. Dieses Treffen fand in einer schicken Bar, in der teuersten Einkaufspassage Venezuelas statt. An diesem Abend tauschten sich UnternehmerInnen und Presse aus und berichteten von ihren Erfahrungen vom Geschäfte machen unter einer "sozialistischen Regierung". Es wurden keine Kosten und Mühen gescheut, um BesucherInnen anzulocken: frisch gepresster Melonensaft, Filet mignon in mundgerechten Häppchen und kleine Kuchenstückchen, die von KellnerInnen gereicht wurden – in dieser Nacht war diese Bar, laut einem Gast, der beste Club in der Stadt.
Diese Vereinigung wurde während der UnternehmerInnensabotage und den Aussperrungen (die manchmal auch Streiks genannt wurden) im Dezember 2003 gegründet. Der Versuch die Chávez Regierung zu stürzen misslang, hinterließ jedoch große Schäden in der Wirtschaft. Eine Gruppe mittelgroßer und einige wenige große Unternehmer gaben die Losung aus: "Nein zu dem Streik! Ja zur Arbeit!" und die Vereinigung war geboren! Anfänglich zählte sie 3.000 Mitglieder, heute sind es mehr als 300.000, die meisten unter ihnen BetreiberInnen von Mittel- und Kleinunternehmen.
Ich sprach mit Dr. Uzcátegui, dem Präsidenten der Vereinigung und meine erste Frage war natürlich: "Sozialistische UnternehmerInnen? Ist das nicht ein wenig widersprüchlich?". Aber offensichtlich war er diese Fragen gewöhnt und meinte: "Wir müssen präziser sein. Die Regierung spricht vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts, der weder dogmatisch noch reformistisch ist. Es ist ein nationaler Sozialismus, ein venezolanischer Sozialismus, der sich auf alle sozialen Sektoren stützt, auch auf die Unternehmer."
Ich erwähnte, dass Chávez oft in der internationalen Presse attackiert wird, weil er den freien Markt einschränkte und Uzcátegui antwortete: "Der Staat muss regulieren, um die Wirtschaft zu kontrollieren. Die traditionellen Unternehmer hatten eine neoliberale, spekulative und keine produktive Ausrichtung. Diese Mentalität darf nicht unkontrolliert bleiben. Wir hingegen unterstützen das wirtschaftliche Modell der Regierung, das bisher auch erfolgreich ist. Die alten Unternehmer verlieren an Einfluss, das ist auch der Grund, weshalb sie die Regierung destabilisieren wollen. Wir wiederum zielen auf eine Integration des privatwirtschaftlichen Sektors in die bolivarische Regierung ab."
Unser Gespräch wurde durch einige Präsentationen unterbrochen. Ein Vertreter eines Chemiebetriebes schilderte, wie er mit Hilfe des venezolanischen Arbeitsministeriums die Möglichkeit bekam zu einem geschäftlichen Treffen nach Shanghai zu fahren. Dann kam es zu meiner Vorstellung: "Wir haben einen Freund, einen Journalisten aus Deutschland hier." Ich bin kein guter Redner und brachte nur ein: "Ja, äh, danke, äh, für das Essen…" heraus.
Als wir unser Gespräch fortsetzten, fragte ich Uzcátegui nach dem Konzept der "patriotischen Kapitalisten" und er antwortete mir auf eine Art und Weise, die stark an Chávez erinnerte: Eine Transformation des ökonomischen Modells hin zu mehr Verteilung von Reichtum, weniger Ausbeutung, mehr Produktion und weniger Monopole. Er bezeichnete dabei wiederholt sein Ziel mit den Worten "sozialistische Produktion". "Die ökonomische Macht, die in den Händen der alten Oligarchie liegt, zählt noch immer sehr viel in Venezuela und wird eingesetzt, um medial gegen die Chávez Regierung Stimmung zu machen." Sein Ziel war es die Macht der Oligarchen "im problematischsten Sektor der Revolution" zu brechen.
Ebenfalls Unterstützung bei der Unternehmervereinigung fand die venezolanische Verstaatlichungspolitik, beispielsweise der SIDOR Stahlwerke. "Diese Unternehmen hatten alle eine wichtige strategische Rolle und von der Verstaatlichung profitierten tausende andere Unternehmen." Aber gleichzeitig betonte er, dass das Wort Verstaatlichung nicht wirklich der Wahrheit entspräche, nachdem die Unternehmen alle zu regulären Marktpreisen gekauft wurden. "Die Regierung und die multinationalen Konzerne setzen sich zu Verhandlungen zusammen und arbeiten an einem Deal, der für beide Seiten erträglich ist. Im Fall von CANTV [der Telefongesellschaft aus Caracas] gab es auch keinerlei Beschwerden der Shareholder. Die Regierung war überaus fair und zahlte 480 Millionen für das Unternehmen."
Zum Schluss fragte ich noch, ob sich die "sozialistischen Unternehmer" Gedanken über eine mögliche Radikalisierung der chávistischen Bewegung machten – schließlich gibt es ja einige Stimmen, die sich für eine komplette Vergesellschaftung der Ökonomie stark machten. Aber Uzcátegui macht sich keinerlei Sorgen: Venezuela hat mit Chávez einen "starken Führer", der sich mindestens einmal monatlich mit den sozialistischen UnternehmerInnen trifft. Chávez stellt sicher, dass seine Regierungspolitik nicht in Konflikt mit UnternehmerInneninteressen gerät. Nach Uzcátegui lag Chávez´ bedeutendste Errungenschaft in der "Reform des Nationalismus", deren Politik den "produktiven Unternehmenssektor" gestärkt hat, v.a. die Klein- und Mittelbourgeoisie.
Die "Vereinigung der Unternehmer für Venezuela" (spanisch: EMPREVEN) wächst schnell und das auf Kosten der alten anti-chávistischen Vereinigung FEDECAMERAS. Übersetzt heißt dieser Name "Föderation lokaler Handelskammern" und nach und nach wechseln viele dieser Kammern zu EMPREVEN.
Die Chávez Regierung nutzt die Gewinne der Erdölindustrie, um Privatisierungen, die früher gemacht wurden wieder rückgängig zu machen und sie gewährt Kredite an kleine und nicht ganz so kleine Unternehmen. Dadurch schafft sie eine neue Bourgeoises, die der Regierung gegenüber loyal ist. Das Chávez Projekt – und hier stimme ich als Marxist mit dem Vertreter der KapitalistInnen überein – dient dazu eine starke, unabhängige Ökonomie in Venezuela aufzubauen, die auf Privateigentum basiert.
Dr. Uzcátegui fasste unser Gespräch mit den Worten zusammen: "Um Geschäfte zu machen ist die Zeit gerade gut in Venezuela. Eigentlich fantastisch!" Auch die Flugblätter sprechen für sich: "Venezuela in eine Weltmacht verwandeln.
Übersetzung aus dem Englischen: Reza Gilani (RSO Wien Süd/West)