Beim Testspiel gegen Schottland am 30. Mai kassierte die österreichische Fußball-Nationalmannschaft wieder einmal eine verdiente Niederlage. Da der Österreichische Fußballbund (ÖFB) wusste, dass er das große Happel-Stadion in Wien-Leopoldstadt niemals voll bekommt, fand das Spiel im kleineren Hanappi-Stadion in Wien-Hütteldorf statt, der Heimstätte von Rapid Wien. Auch dort kamen zum Länderspiel mit etwas über 12.000 weniger ZuschauerInnen als zu einem durchschnittlichen Rapid-Heimspiel …
Vor Allem aber erlebte der Fußballbund eine unangenehme Überraschung. Die Rapid-AnhängerInnen rund um den größten Fanclub, die Rapid-Ultras, zogen eine Botschaft an den Fußballbund auf: "@ ÖFB: Im Hanappi nur Rapid!" Der Teamkapitän, Andreas Ivanschitz, der eineinhalb Jahre zuvor zum reichen Konkurrenten Red Bull Salzburg gewechselt war, wurde das ganze Spiel hindurch ausgepfiffen und beschimpft. Nach der Pause machten die Rapid-Fans dann mit einem neuen Transparent klar, was sie von der Europameisterschaft, die in einem Jahr in Österreich/Schweiz stattfinden wird, halten: "Kommerz und Repression für ein Event, das uns nicht interessiert und bei dem Österreich gegen jeden Gegner verliert".
Danach überschlugen sich die österreichischen Medien tagelang vor Empörung über das unpatriotische Verhalten der Rapid-Fans. Sämtliche Zeitungen, vom rechten Boulevard ("Kronenzeitung") über "Kurier" und "Österreich" bis hin zum liberalen "Standard" geiferten über die "Schande von Hütteldorf". Die Rapid-Fans hätten sich gegenüber Ivanschitz unfair und gemein verhalten, sich gegen das Nationalteam gestellt, würden Österreich schaden und seien überhaupt "Verrückte". Und was das hiesige liberale "Bildungsbürgertum" vom Anhang aus Hütteldorf hält, konnte beispielsweise im Forum des Online-Standards nachgelesen werden. Von "Dreck", "Affen" oder "primitiven Proleten", die man für ihre Aktionen "ins Arbeitslager stecken" solle, war da unter Anderem die Rede. Obwohl selbst der Wiener Polizeichef Mahrer sagte, dass es eigentlich ein ruhiger Abend war und es keine nennenswerte Gewalt gab (lediglich das Werfen von ein paar Feuerzeugen, als Ivanschitz Eckbälle trat), forderte die patriotisch erregte Journaille "Maßnahmen", etwa die Sperre der Westtribüne des Hanappi-Stadions. Bezeichnenderweise gibt es niemals auch nur annähernd eine solche Aufregung im bürgerlichen Blätterwald, wenn von Fans verschiedenster Vereine etwa schwarze Spieler rassistisch beschimpft werden.
Der Rapid-Präsident (und ehemalige SPÖ-Politiker Edlinger) distanzierte sich brav von den eigenen Fans. Nationaltrainer Hickersberger zeigte sich "schockiert" und bedauerte es, früher Rapid-Trainer gewesen zu sein. Und der unvermeidliche ÖFB-Präsident Stickler tat sich wieder mal als Scharfmacher hervor und kündigte inhaltliche Kontrollen von Transparenten an. Angesichts der jämmerlichen sportlichen Leistungen des österreichischen Teams hat er natürlich jedes Interesse daran, die Rapid-Fans als Sündenböcke aufzubauen und die patriotische Karte zu spielen.
Gegen diese nationalistische Hetzkampagne und das aggressive Einfordern eines nationalen Schulterschlusses in Bezug auf die Europameisterschaft müssen linke Fußballfans (aller Vereine) und die Linke insgesamt die Rapid-Fanklubs verteidigen. Ihre Aktion beim Länderspiel gegen Schottland war in der Stoßrichtung gegen die von Kommerz und Repression dominierte EM gut und unterstützenswert. Die Kosten für dieses Projekt werden aus Steuergeldern getragen, während einige große Konzerne voll abkassieren werden. Es handelt sich dabei also um eine Umverteilung von Unten nach Oben. Die Kommerzialisierung des Fußballs wird vorangetrieben werden. Und auch außerhalb des Sports dürfen wir uns von der EM negative Begleiterscheinungen erwarten. So kündigte die Wiener Wirtschaftsstadträtin Renate Brauner (SPÖ) in einem Interview mit der "Presse" die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten samt Sonntagsöffnung für den Zeitraum des Events an.
Die Rapid-Fans haben außerdem Recht, dass unter dem Deckmantel der Sicherheit bei der EM die Repression gegen Fußballfans vorangetrieben wird. Seit Monaten diskutieren ÖFB, Polizei und Politik über die Einführung einer Präventivhaft und ähnliche Einschränkungen grundlegender BürgerInnenrechte. Wie auch schon bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland werden voraussichtlich auch hierzulande Stadien sowie deren Umfelder, "Fanmeilen" und öffentliche Plätze mit Videokameras überzogen werden – die dann selbstverständlich auch nach der EM bestehen bleiben. Und die Polizei bereitet sich unter Anderem dadurch auf die EM vor, dass sie Situationen in den Stadien mutwillig eskaliert. Beim vorletzten Wiener Derby (Austria gegen Rapid) wurde beispielsweise ein Rapid-Fansektor gestürmt, nur weil zwei Betrunkene mit Bier geschüttet hatten; die Folge war eine gewalttätige Auseinandersetzung, die dann natürlich den Fans angelastet wurde und nach der "härtere Maßnahmen" gefordert wurden.
Was die Pfiffe und Beschimpfungen gegen Ivanschitz betrifft, so ist er einerseits ein "Arbeitnehmer", der seine Ware Arbeitskraft an denjenigen verkauft, der ihm am meisten dafür zahlt, in diesem Fall eben Red Bull Salzburg. Andererseits ist Ivanschitz nicht irgendein "Arbeitnehmer", sondern ein Spitzenverdiener mit Millionenvermögen, der die Fans, die ihn groß gemacht haben, mitten in der Meisterschaft zum völlig kommerzialisierten Retortenklub Red Bull (der gerade zu diesem Zeitpunkt die dortige eigenständige Fankultur zerschlagen hat – die Fans begannen dann in einer unteren Spielklasse eine neue Austria Salzburg aufzubauen) verlassen hat, um noch mehr Geld zu scheffeln. Das kann man/frau natürlich kritisch sehen. Kategorien wie "Ehrgefühl" und "Vereinstreue", wie sie die Rapid-Ultras verwenden, können dabei aber auch leicht eine sektiererische und sogar reaktionäre Schlagseite haben.
Wovon wird uns völlig distanzieren, sind die sexistischen Aspekte in den Beschimpfungen von Ivanschitz. Wenn Ivanschitz als "Sohn einer Hure", früher als "Hure von Mateschitz" (dem stinkreichen Besitzer des Red-Bull-Konzerns und von Red Bull Salzburg) oder die Austria-Spieler als "Huren von Frank Stronach" (dem Besitzer des Magna-Konzerns und Austria-Hauptsponsor) tituliert wurden, so ist das letztklassig – weil es frauenfeindlich im Allgemeinen und geringschätzig gegenüber Prostituierten im speziellen ist. Wenn sich Kronenzeitung, die in jeder Ausgabe Pin-ups und Prostitutionsinserate hat, und das Fußball-Establishment nun über die Beleidigung von Ivanschitz´ Mutter erregen und ihr der ÖFB medienwirksam Blumen schickt, ist das freilich widerliche Heuchelei, die den Sexismus der Fans nur reproduziert. Es sei daran erinnert, dass das Rapid-Management vor kurzem auf der Suche nach neuen Sponsoren unter anderem mit dem Betreiber der Nobel-Bordell-Kette "Goldentime" verhandelt hat – und die ganzen Honoratioren des ÖFB da nichts dabei fanden.
Einige liberale Medien, die ihre Beteiligung an der fußballnationalistischen Empörung mit einer elitären Klassenkritik am "Proletenklub" Rapid kombinieren, bezeichneten das gegen Ivanschitz gerichtete Transparent der Rapid-Fans "Judasschitz raus aus Hütteldorf" als antisemitisch. Das ist sicherlich eine gezielte Missinterpretation. Von den Rapid-Ultras war das wohl keineswegs die Intention; sie haben "Judas" schlicht als Synonym für Verräter benutzt. Wahr ist aber sehr wohl, dass es unter den Rapid-Fans, wie in vielen Fußballklubs und in der gesamten Gesellschaft, zahlreiche rassistische und antisemitische Elemente gibt. Wahr ist auch, dass es von Rapid-Fans immer wieder antisemitische Beschimpfungen gegen den Stadtrivalen Austria Wien gegeben hat. Das geht darauf zurück, dass Austria traditionell der Verein der jüdischen Bourgeoisie in Wien war. Gegen Austria-Spieler und -Fans wurde von Rapid-AnhängerInnen immer wieder "Judenschweine" skandiert, insbesondere in der 1980er Jahren, als Rechtsextreme gezielt in den Stadien intervenierten. Umgekehrt wurde Rapid von Austria-Fans immer wieder als "FC Jugo" beschimpft (weil Rapid traditionell viele Spieler aus dem ehemaligen Jugoslawien hatte und hat).
In den letzten Jahren allerdings wurden rassistische Ausfälle in Rapid-Sektoren weitgehend bekämpft – und zwar von genau den Fanklubs, die jetzt die Aktionen gegen die Europameisterschaft und gegen Ivanschitz organisiert haben. Wenn von einigen Fans rassistische Parolen kommen, wird von den Ultras und anderen sofort und so laut etwas Anderes darüber gesungen oder skandiert, dass diese Sprüche nicht mehr zu hören sind. Die Ultras beteiligten sich zuletzt auch bei internationalen antirassistischen Fanturnieren; ihre Teilnahme wurde von wirklich linken Fans und Fanklubs freilich auch kritisiert, weil die Ultras nicht konsequent und explizit links auftreten.
Die Ultras versuchen sich selbst stets als unpolitisch darzustellen und beanspruchen, Politik aus dem Sektor draußen halten zu wollen. Das ist natürlich lächerlich. Wenn sie den Rassismus auf der Westtribüne zurückgedrängt haben, ist das politisch (und gut so). Wenn sie sexistische und homophobe Parolen rufen, ist das politisch (und schlecht so). Wenn sie bei Spielen gegen Red Bull Salzburg mit Spruchbändern wie "Working Class Football against Red Bull" auftreten, ist das politisch und zeigt – wenn auch diffus ausgeprägtes – Klassenbewusstsein gegen den Großkapitalistenverein aus Salzburg, dem die selbstorganisierten Fans davongelaufen sind und der sich unkritische Jubelfans einkauft. Wenn die Ultras Kommerz und Repression kritisieren und sich gegen die EM und den patriotischen Konsens stellen, dann ist das politisch im positivsten Sinn; den Mut zu einer antinationalistischen Initiative haben schließlich nicht viele Fanklubs.
Angesichts der massiven öffentlichen Hetzkampagne gegen die Aktion beim Länderspiel sind die Rapid-Fanklubs allerdings in die Defensive geraten. Die geschlossene nationalistische Front aus Teamchef, Polizei, PolitikerInnen, ÖFB und Medien hat es geschafft, die Stimmung bei den meisten Fußballinteressierten in Österreich (und wohl auch bei der Mehrheit der nicht-organisierten Rapid-Fans) gegen die Rapid-Fanklubs zu richten. Angesichts angekündigter massiver Repressalien erklärten die Ultras schließlich in einem Communiqué, dass sich die Aktion nicht gegen das gesamte Team gerichtet hätte, und ersuchten die anderen Fans um Verständnis für die Aktionen gegen Ivanschitz, die "ein Ventil für die aufgestaute Enttäuschung, die er als vermeintlicher Erz-Rapidler durch seinen Wechsel zum Klassenfeind aus Salzburg" ausgelöst hätte, gewesen seien. Sie verwehren sich "mit aller Entschiedenheit" gegen die erwähnten Antisemitismus-Vorwürfe und weisen "alle Journalisten, ÖFB-Oberen und Fußballfans" darauf hin, "dass uns die anstehende Europameisterschaft im eigenen Land aufgrund negativer Begleiterscheinungen wie Kommerz und Repression stört, von uns aber keinerlei Störversuche oder dergleichen zu erwarten sind. Dazu ist uns die über Jahre aufgebaute Fankultur beim SK Rapid zu wichtig und die EM letztendlich doch zu unwichtig."
Angesichts der gewaltigen Medienkampagne, der drohenden Repression und der Tatsache, dass die Mehrheit der Fanklubs und Fußballfans in Österreich zu einer konfrontativen Linie gegenüber der EM nicht bereit ist, ist der von den Rapid-Ultras angetretene geordnete Rückzug sicherlich eine richtige und sinnvolle Entscheidung. Dass der ÖFB trotzdem auf Repressalien setzt, ist freilich auch klar. Stickler kündigte an, er werde mit den "Gestörten" unter den Rapid-Fans so und so "aufräumen". Beim Testspiel des Nationalteams am 2. Juni gegen Paraguay (wieder im Hanappi-Stadion) wurden Spruchbänder erstmals auf ihre "inhaltliche und sicherheitstechnische Unbedenklichkeit" überprüft. Meinungszensur und nationalistische Domestizierung der Fans in Hinblick auf die EM haben also begonnen. Immerhin kann darauf vertraut werden, dass das österreichische Nationalteam dem Fußballestablishment um Stickler auf sportliche Weise eine sehr unangenehme EM bereiten wird.
Eine positive Begleiterscheinung der Aktionen während des Schottland-Spieles ist jedenfalls, dass der Fanklub der Rapid-Tornados, der bei den Aktionen beteiligt war und der bisher (anders als die Ultras) das Nationalteam unterstützt hatte, diese Unterstützung für die patriotische Stickler-Truppe nun zurückgezogen hat. Wichtig wäre freilich, dass die Opposition gegen EM, Kommerz und den ganzen patriotischen Zirkus von Fans über Vereinsgrenzen hinweg getragen wird. Dazu müssten sektiererische Feindseligkeiten zwischen den Fanklubs der verschiedenen Vereine zurückgedrängt werden.