Die Kampagne der RSO-Wien gegen die Männer-Fußball-EM 2008 und ihre reaktionären Begleiterscheinungen ist sehr erfolgreich gelaufen. Neben einer guten Veranstaltung am 24. April in Wien erhielten wir auch zahllose positive und zustimmende Rückmeldungen und verschiedene österreichische und internationale Medien fragten nach Interviews und Stellungnahmen. Wir veröffentlichen hier eine Zusammenfassung unserer Position zur "Euro 2008"…
SCHEISS EM 2008!
Gegen Kommerz, Repression und Nationalismus
Sie naht mit großen Schritten: Die Fußball-Europameisterschaft der Männer vom 7. bis 29. Juni 2008 in Österreich und der Schweiz. Und sie wirft bereits ihre Schatten voraus: Bei Billa, einem offiziellen UEFA Euro 2008-Shop, gibt es offizielle UEFA Euro 2008-Berner Würstel zu kaufen, die Post bietet ein Fußballsparbuch an und wer Angst vor Hooligans hat, kann bei der Wiener Städtischen eine "Vandalismus-Versicherung" abschließen. Ach ja, Fußball wird auch gespielt. Doch der Preis für spannende Matches und schöne Tore ist hoch: Preissteigerungen, ein Ausbau von Repression und Überwachung, ein Aufflammen des Nationalismus und nicht zuletzt eine weitere Kommerzialisierung des Fußballsports sind zu erwarten.
Der moderne Fußball hat in seiner über 150-jährigen Geschichte mehrere Phasen durchlaufen. Vom exklusiven Sport britischer Eliteschulen entwickelte er sich Ende des 19. Jahrhunderts in vielen europäischen Ländern rasch zum Lieblingssport der (männlichen) Industriearbeiterschaft. Zahlreiche ArbeiterInnenvereine entstanden, die Spiele waren teilweise proletarische Massenspektakel. Vor allem nach 1945 setzte aber seitens der herrschenden Klassen der Versuch ein, den ArbeiterInnensport Fußball durch Kontrolle und Instrumentalisierung in den Griff zu bekommen. Besonders in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten ist eine zunehmende Kommerzialisierung des Fußballs (aber auch anderer Sportarten) zu bemerken. Dabei gerät das eigentliche Spiel immer mehr zur Nebensache, die großen Vereine mutieren zu Fußball-Konzernen (oft Aktiengesellschaften) und die Bewerbe werden zunehmend nach den Bedürfnissen von Sponsoren und Medienwirtschaft ausgerichtet (z.B. in punkto Beginnzeiten oder Modus – siehe etwa die UEFA Champions League). Und jede Fußball-Großveranstaltung stellt einen weiteren Schritt in diese Richtung dar.
Die Ursachen für diese Entwicklung liegen in der weltweiten Umgestaltung des kapitalistischen Systems seit den 70er Jahren begründet. Als das so genannte "Wirtschaftswunder" Mitte der 70er Jahre sein Ende fand, wendete das Kapital zahlreiche Strategien an, um die Profitraten wieder zu heben. Privatisierungen oder der neoliberale Umbau des "Sozialstaats" wären hier etwa zu nennen. Eine Strategie war aber auch, bisher nicht oder nur wenig "vermarktwirtschaftlichte" Gesellschaftsbereiche für die Kapitalverwertung zu erschließen. Dazu gehört auch der Fußball.
Ein Werbespektakel mit Fußballturnier
Ein wesentlicher Teil der zunehmenden Kommerzialisierung des Fußballs ist die von UEFA-FunktionärInnen, Nobelvereinen und Sponsoren vorangetriebene Schaffung reiner Sitzplatzstadien, die häufig mit der angeblich höheren "Sicherheit" gerechtfertigt wird. Das bedeutet aber auch weniger Eintrittskarten zu höheren Preisen. Bei der EM wird der Preis für das günstigste Ticket übrigens 45 Euro ausmachen – im europäischen Fußball heute völlig normal. Beim ehemaligen ArbeiterInnenverein FC Liverpool etwa kostet die billigste Saisonkarte 646 Euro. Beeinträchtigte Sicht inklusive. Doch nicht alle müssen zahlen: 23%, also knapp ein Viertel, der EM-Tickets sind für Sponsoren, MedienvertreterInnen, UEFA-FunktionärInnen etc. reserviert.
Eine weitere Folge der Kommerzialisierung ist die Überflutung der Stadien mit Werbung, die mit dem Argument gerechtfertigt wird, der Fußballbetrieb wäre sonst nicht mehr finanzierbar (warum war er das dann früher?). Während die Konzerne mehr und mehr Platz für Werbung bekommen wird es den Fans immer weniger erlaubt wird, Transparente und Spruchbänder aufzuhängen (Aus welchen Gründen auch immer – zum Beispiel kündigte der ÖFB nach den Protesten der Rapidfans beim Länderspiel gegen Schottland an, Transparente zukünftig "auf inhaltliche Unbedenklichkeit überprüfen" zu wollen).
Für viele Fußballfans ist aber die Organisierung von Choreographien, "Pyroshows" (Aktionen mit Feuerwerkskörpern) oder Spruchbandaktionen eine angenehme Abwechslung vom grauen kapitalistischen Arbeitsalltag; ein Bereich, in dem endlich einmal sie selbst kreativ werden können. Ganz im Sinne des offiziellen EM-Slogans "Erlebe Emotionen" möchte man/frau meinen. Doch genau diese Auslebung von Emotionen wird ihnen in den letzten Jahren seitens UEFA und Co. immer schwerer gemacht. Strenge Auflagen, Verbote, Repression und Kontrolle zerstören die Selbstinitiative der Fans – zumeist mit dem "Sicherheits"-Argument. In Wirklichkeit aber geht es darum, etwaige Kritik am Fußball-Establishment und der zunehmenden Kommerzialisierung schon im Keim zu ersticken. Kritik ist nicht erwünscht, was gefragt ist, sind brav klatschende KonsumentInnen als Staffage für das Fußball-Theater. Bei der WM 2006 in Deutschland waren (oft selbst gemachte) Fanutensilien wie Doppelhalter, große Schwenk- oder Überrollfahnen und Megaphone gleich einmal komplett verboten, bei dieser EM wird es nicht anders sein. Dafür gibt's reichlich Mc Donald's, Carlsberg, Coca Cola und Co. Ein Werbespektakel mit Fußballturnier…
Geht's der Wirtschaft gut, geht's der Wirtschaft gut
Die Auswirkungen der "Euro" reichen weit über den Fußball hinaus. Ein sehr offensichtliches Beispiel ist die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten, die einen schweren Angriff auf den Lebensstandard der Handelsangestellten bedeutet. In Wien ist beispielsweise die Sonntagsöffnung zur EM durchgesetzt. Handelsvertretung und Gewerkschaft einigten sich darauf, dass die Geschäfte an vier Sonntagen während der EM von 12 bis 18:00 Uhr offen halten dürfen. Nun wird von beiden Seiten beteuert, dass diese Einigung "kein Präjudiz für die Zukunft" sei sondern nur eine Ausnahmeregelung abgestimmt auf die Bedürfnisse der EM-TouristInnen. Da fragen wir uns aber schon, warum dann die Wirtschaftskammer sogar die Öffnung von Möbelhäusern und Baumärkten durchsetzen wollte – Geschäfte, deren Waren Fußballfans bei Österreich-Aufenthalten bekanntlich immer dringend brauchen. Darüber hinaus können wir in den letzten Jahren einen eindeutigen Trend in Richtung Ausweitung der Öffnungszeiten feststellen und der Druck der HandelskapitalistInnen auf die Politik (und auf die eigenen Angestellten) wird nach der EM-Erfahrung sicher nicht schwächer werden.
Nicht nur die Handelsangestellten, sondern die gesamte ArbeiterInnenklasse wird allerdings von einer anderen Verschlechterung betroffen sein: Den Preiserhöhungen. Wer in die hochgejubelten Fanmeilen geht und dort 4,5 Euro für einen halben Liter Bier oder 3,5 Euro für antialkoholische Getränke ausgibt, ist selber schuld. (Amüsantes Detail am Rande: Vizebürgermeisterin Grete Laska von der SPÖ findet das "nicht extrem teuer"). Doch die generellen Erhöhungen der Preise werden alle betreffen, insbesondere jene mit geringem Einkommen. Entsprechende Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass die Preise rund um solche Großereignisse allgemein rasant ansteigen – und dann nie wieder fallen. Angesicht der aktuell hohen Inflation bei Lebensmitteln, Energie, Mieten etc. eine Katastrophe für die ArbeiterInnenklasse. Hier wäre der ÖGB gefragt, der für eine gleitende Skala der Löhne und für Preiskontrollen kämpfen müsste.
Apropos Fanmeile: Diese wird in Wien – wie die Wiener Zeitung vom 15.01.08 berichtet – acht Millionen Euro kosten und ein Verlustgeschäft (!) für die Stadtregierung sein. Doch das ist bei weitem nicht der einzige Rauswurf von Steuergeld. So bekommt die Gesellschaft "Österreich am Ball GmbH", die mit Aktionen wie den "Botschaftern der Leidenschaft" die EM-Stimmung in der Bevölkerung heben soll satte zehn Millionen Euro aus dem Staatsbudget (Der Standard, 24.10.2007). Aber warum eigentlich ein Ereignis bewerben, auf das sich angeblich eh alle freuen und dass uns ohnehin nicht erspart bleibt? Diese Beispiele sind jedoch nichts als Peanuts gegen die Kosten für den Um- Aus- oder Neubau der verschiedenen EM-Stadien in Österreich und der Schweiz, die insgesamt 900 Millionen Euro betragen (Quelle: http://www.euro-2008.li/index.shtml). Zum Vergleich: Die Kosten für die dringend benötigte Renovierung der Spielstätte des Wiener Sportklubs werden auf 9 Millionen Euro geschätzt – also 1% davon. Dazu kommt, dass einige der EM-Stadien nach der "Euro" wieder zurückgebaut werden, da sie viel zu groß für den Liga-Alltag sind…
"Die EM ist eine gigantische Umverteilungsaktion, bei der aus dem, heutzutage großteils nur mehr aus Massensteuern finanzierten Budget, Millionen entwendet werden, um für die "Euro" jene Infrastruktur bereit zu stellen, auf deren Grundlage einige Konzerne das große Geld machen können." |
Aber, werden jetzt vielleicht einige einwenden, bringt uns die EM denn nicht auch etwas? Ist sie nicht ein Segen für die Tourismusbranche, kurbelt sie nicht "unsere Wirtschaft" an? Nun, diese Einwände wären nur dann berechtigt, wenn der Slogan der österreichischen Wirtschaftskammer "Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut" zutreffen würde. Aber diese kapitalistische Propaganda steht eben im schroffen Widerspruch zur Realität. Zum Beispiel machte der Handykonzern Nokia 2007 7,985 Milliarden Euro Gewinn. Trotzdem wird er sein – gewinnbringendes (!) – Werk in Bochum schließen. Ein anderes Beispiel liefert die Post-AG, übrigens einer der drei österreichischen EM-Sponsoren. Fast 50% aller Postämter wurden in den letzten sechs Jahren zugesperrt, dafür macht das Unternehmen jetzt 400% mehr Gewinn. Der Schweizer EM-Sponsor Swisscom hingegen konnte 2007 einerseits seinen Gewinn wieder einmal steigern und gab andererseits bekannt, in den letzten Jahren jährlich 500 bis 800 Jobs abgebaut zu haben. Wem geht's jetzt eigentlich gut?
Damit der österreichische (Hochpreis-)Tourismus aber noch besser profitieren kann, so meinen zumindest Politik und Werbewirtschaft "soll sich Wien, auch in Hinblick auf die Fußball-EM 2008, von seiner schönsten Seite zeigen" (Presseaussendung der Gewista vom 17.10.2007). Und da Mitte 2008 "Wien im Rahmen der Fußball-EM im internationalen Blickwinkel stehen" wird, überlässt es die Stadtregierung dem Werbemonopolisten Gewista "das Problem der hässlichen Wildplakate in den Griff kriegen" (ebd.). Das Plakatieren auf Stromkästen oder Ampelmasten, welches bislang geduldet wurde, ist nun strikt verboten, stattdessen gibt es jetzt kostenpflichtige Plakatflächen der zur Gewista gehörenden "KULTUR:PLAKAT GmbH". Ein Pech für all jene, die ihre kulturellen und politischen Veranstaltungen bewerben wollen, sich diese Plakatflächen aber nicht leisten können. Die ersten großen Werbekampagnen gab es bei "Kultur:Plakat" übrigens für Kulturveranstaltungen wie die "Erotik-Messe"…
Big Platter is watching you
Was machen österreichische Polizeikommandanten, wenn sie sich nicht gerade im Bordell vergnügen, Schmiergelder entgegen nehmen oder betrunken am Steuer erwischt werden? Sie denken sich lustige Planspiele aus, bei denen für "Horrorszenarien" während der EM geübt werden soll: Bombendrohungen, Terroristische Angriffe, Plünderungen marodierender Horden in der Wiener Innenstadt – und das alles zur gleichen Zeit. Was klingt wie Sequenzen aus einem BürgerInnenkrieg, hatten hunderte PolizistInnen Ende Februar in Wien als Ausgangsszenario für eine groß angelegte Einsatzübung. Innenminister Platter zeigte sich anschließend "begeistert" von den Kriegsspielen.
Das Ganze ist Teil einer widersprüchlichen EM-Vorberichterstattung. Denn einerseits wird tagtäglich hinausposaunt, wie toll und profitabel die "Euro" nicht für uns alle sein wird, andererseits aber wird nicht darauf vergessen, der Bevölkerung Angst und Schrecken vor den bösen Hooligans und natürlich den allgegenwärtigen islamistischen Terroristen einzujagen. Letztere wollten ja angeblich – in Form der "österreichischen Al'Quaida-Zelle", die laut der österreichischen Justiz aus dem 22-jährigen Studenten Mohamed Mahmoud und seiner Ehefrau besteht – das Happel-Stadion in die Luft jagen.
Nun, da dieses Bedrohungsszenario vielen ÖsterreicherInnen möglicherweise noch zu irreal erscheint, muss etwas Handfestes her: Die Hooligans. Und wenn gerade keine da sind, dann macht man/frau sich eben welche. So häufen sich in den letzten Monaten in Österreichs Fußballstadien Vorfälle, bei den die Polizei brenzlige Situationen bewusst eskaliert um einerseits für die EM zu üben und andererseits das Hooligan-Problem aufzubauschen (so etwa beim Spiel Austria gegen Rapid im März 2007). Juristischer Ausfluss der Angstmache ist das so genannte "Hooligan-Gesetz", dass im Rahmen einer im Dezember 2007 überfallsartig durchgepushten Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes beschlossen wurde. Abgesehen davon, dass der österreichische Staatsapparat jetzt Dinge, die er ohnehin schon immer betrieben hat, wie etwa die Ortung von Mobiltelefonen, noch einfacher durchführen kann, gibt es hierzulande nun auch Präventivhaft. Im Klartext: Die Polizei darf künftig Menschen festnehmen, ohne dass diese einen Gesetzesbruch begangen haben!
Eingeführt wurde eine Meldepflicht, in deren Rahmen "amtsbekannte Hooligans" zwei Wochen vor einem bestimmten Spiel darüber informiert werden können, dass sie sich vier Stunden vor Spielbeginn bei einer bestimmten Polizeistation einzufinden haben. Dort sollen sie dann während des Spielverlaufs über die Rechtslage "belehrt" werden (also den PolizistInnen beim Kaffeetrinken und Kartenspielen zuschauen). Den Vogel der Peinlichkeit hat allerdings wieder einmal die SPÖ abgeschossen: Laut Sozialdemokratie gäbe es nämlich gar keine Präventivhaft, schließlich habe man im Entwurf zum Gesetzestext den Begriff "präventive Anhaltung" durch "Maßnahmen" ersetzt.
In dieser Hinsicht geben wir den "Verrückten Köpfen", einem linkem Fanclub von Wacker Innsbruck, völlig recht, wenn sie schreiben: "Wir als kritische und mündige Fußballfans sehen den Verdacht bestätigt, dass die EM08 ein willkommener Anlass war, um Gesetzesverschärfungen mittels konstruierter Schürung dubioser Ängste durchzudrücken. Dass dann aber die Härte des ‚Rechts'staates nicht nur aktive Fans treffen kann, sondern jede/m BürgerIn, das sollte nun aber niemanden überraschen. Der Anlassfall Fußball EM08 wird zwar vorübergehen, die Gesetze bleiben!" (http://www.vk91.at/neu/index.php?id=732)
Solche Gesetze werden in Zukunft leicht abgeändert werden können und sich im Falle einer erstarkten Linken und ArbeiterInnenbewegung auch gegen diese richten. Das Gleiche gilt übrigens auch für die Überwachungssysteme, die anlässlich der EM allerorts installiert werden. Auch diese werden zum Gutteil nachher nicht mehr verschwinden. Zum Beispiel wurden in Innsbruck im Bahnhofsbereich und in der beliebten Ausgehstraße "Bogenmeile" Überwachungskameras installiert, die nach der EM zu dauerhaften Einrichtungen werden sollen.
Let's go narrisch?
"Das EM-Motto lässt erahnen, um was es geht: ‚Erlebe die Emotionen.' Es sehen nur wenige, um welche Art von Emotionen und Trieben es geht – um diejenigen, die einen Menschen degradieren können." Diese Zeilen schrieb Ivan Ergic, Kapitän beim FC Basel, in der Schweizer SonntagsZeitung vom 30.12.2007. Um was geht es? Blicken wir zurück auf die Fußball-WM 2006 in Deutschland. Sehnsüchtig blickten Österreichs NationalistInnen damals gen Norden, als der deutsche Nationalismus zu neuen Höhenflügen ansetzte. Endlich dürfen "wir Deutschen" wieder patriotisch sein, freute sich das Feuilleton, "Schwarz-Rot-Geil!" titelte die Bild-Zeitung. Millionen Deutsche feierten "ihre" Nation – und vergaßen dabei völlig auf all die neoliberalen Angriffe und das soziale Elend, auf Hartz4, 1Euro-Jobs und Massenarbeitslosigkeit, auf Betriebsschließungen und Privatisierungen. Die deutsche Sozialabbau-Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel konnte sich wieder profilieren.
An diesem Beispiel lässt sich gut zeigen, dass große Sportevents eine nicht zu unterschätzende ideologische Funktion für die herrschenden Klassen der teilnehmenden Länder haben können. Wen kümmert es da schon, wenn die Preise unaufhörlich steigen, wenn Pensionen gekürzt oder tausende Menschen entlassen oder solange "wir" endlich wieder einmal "wer sind". Auch bei dieser EM wird die herrschende Klasse wieder den nationalen Schulterschluss einfordern. StraßenkehrerInnen und BankdirektorInnen, RegalschlichterInnen und ManagerInnen – alle sollen sie gemeinsam "unser Österreich" unterstützen und die Klassenunterschiede unter den Tisch fallen lassen. Wer hingegen bei diesem nationalistischen Zirkus nicht mitmachen will, wird als VerrückteR oder VerräterIn gebrandmarkt werden; einen Vorgeschmack lieferte die nationalistische Hetze gegen die Rapid-Fans nach ihren Protesten gegen das Nationalteam beim Spiel gegen Schottland. Allerdings können wir wenigstens darauf hoffen, dass sich der patriotische Wahnsinn angesichts des voraussichtlich peinlichen Auftritts der ÖFB-Truppe zumindestens hierzulande in Grenzen halten wird.
P.S.: Niemand soll glauben, dass es bei einem solchen Event um "Völkerverständigung" oder "friedliches Miteinander" geht. Schlagzeilen a la "Helft unseren Burschen die Krauts zu verhauen!" (Englische Zeitung "Sun" vor einem Match gegen Deutschland) oder "Bye-bye Becks! Englische Elfer-Trottel raus" (Bild-Zeitung nach der Niederlage Englands gegen Portugal bei der WM 2006) zeigen wo's lang geht: Es geht darum, die anderen Nationen zu erniedrigen, um die eigene besser darstellen zu können.
Widerstand im Euroland?
Wir von der RSO sind nicht gegen die EM, weil wir gegen Fußball an sich sind. Nicht wenige unserer Mitglieder spielen selbst Fußball, sind Fußballfans und leidenschaftliche StadiongeherInnen. Immer wieder setzen wir uns in unseren Publikationen mit diesem Sport auseinander. Doch bei der EM geht es in Wirklichkeit nur nebenbei um Fußball und die negativen Auswirkungen überwiegen unserer Ansicht nach eindeutig die Freude auf unterhaltsame Spiele.
Obwohl durchaus nicht wenige ÖsterreicherInnen der EM skeptisch gegenüberstehen, so steht doch die radikale Linke als EM-Gegnerin relativ einsam da. Schließlich haben sich die großen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, also SPÖ und ÖGB, voll und ganz diesem Spektakel verschrieben. Kanzler Gusenbauer hofft mittels EM seine angeschlagenen Beliebtheitswerte wieder aufpolieren zu können; der ÖGB hat die Kampagne "Fairplay at work" ins Leben gerufen. Anstatt offensiv gegen all die Verschlechterungen wie die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten oder Preiserhöhungen zu kämpfen, setzt der Gewerkschaftsbund hiermit auf zaghafte Appelle an die KapitalistInnen, sie mögen doch bitte nicht so gemein zu den Beschäftigten sein. Doch den Vogel hat der ÖGB mit der April-Ausgabe seiner Zeitung "Solidarität" abgeschossen. In fetten Lettern steht da auf der Titelseite: "Polizei-Alarm vor der Fußball-EM". Auf zwei A3-Seiten geht es dann hauptsächlich um die Fragen: "Wo werden die PolizistInnen essen, schlafen und relaxen?" und "Wann wird die fehlende Ausrüstung eintreffen?" Wir stellen fest: Die größte Sorge der ÖGB-Führung in Hinblick auf die "Euro" ist, ob die Staatsgewalt genug Gummiknüppel zur Verfügung hat…
Und so müssen wir feststellen, dass der einzig relevante Widerstand gegen die "Euro" bislang von organisierten Fans kam. Diese sind am unmittelbarsten von Verschlechterungen wie Kommerzialisierung und Verstärkung der Repression betroffen. Schon im November 2002, also kurz vor der Entscheidung über den Austragungsort der EM, schlossen sich etliche Fanklubs aus Österreich und der Schweiz für eine gemeinsame Protestaktion zusammen. Slogans wie "Kommt die EM, geht die Fankultur" waren auf Spruchbändern in zahlreichen Stadien von Wien bis Basel zu lesen. Seither gab es immer wieder Anti-EM-Proteste.
Ende Mai 2007 überschatteten Proteste der Rapid-Fans das Fußballländerspiel gegen Schottland. Das über den ganzen Sektor gezogenen Transparent mit der Aufschrift "Kommerz und Repression für ein Event, das uns nicht interessiert und bei dem Österreich jedes Spiel verliert" sorgten für Empörung der Fußball- Oberen und zu einem nationalistischen Aufschrei der Medien. Beim einem Rapid-Heimspiel gegen den LASK im Oktober 2007 hatten die Fans der Gäste Anti-Polizei-Spruchbänder aufgezogen: "Mit Schlagstöcken den Ausgang blockiert, mit Tränengas die Massen attackiert, an Familien mit Wasserwerfern experimentiert, an Unschuldigen für die EM trainiert!" Die Rapid- Fans antworteten mit Applaus und dem Sprechchor "A-C-A-B, All Cops Are Bastards!"
Mit dem Beginn der Frühjahrsrunde intensivierten die Rapid-Fanklubs ihre Anti-EM-Kampagne. Bei einem Auswärtsspiel in Innsbruck und einem Heimspiel gegen Ried wurden jeweils ganze Tribünensektoren mit überdimensionalen "Scheiß EM 2008"-Transparenten geschmückt. Und die Fans der Nordtribüne in Innsbruck zogen beim Heimspiel gegen Red Bull Salzburg mit einer Anti-EM-Spruchbändern nach: "Lebendige Kurven statt brave Spießbürger. Medien, Staat, Superfan – Fußballkultur werdet ihr nie verstehen! Bei der EM muss alles passen – Viel zahlen und Emotionen draußen lassen. Ultras werden diffamiert – Das Eventpublikum hofiert. Die Euro kommt ins Land – Die Nord verweilt im Widerstand! EM 08 – Wenn die Welt über Österreich lacht."
Wir wollen hier nichts idealisieren: Etwa gibt es unter den LASK-Fans mehr rechte IdiotInnen als in anderen Vereinen. Und unter vielen Fans verschiedenster Klubs gibt es auch alles andere als progressive Stimmungen, etwa aggressives Macho-Verhalten und frauen- bzw. schwulenfeindliche Sprüche. Dennoch finden wir Widerstand gegen Kommerzialisierung, Repression und den ganzen patrioti-schen Zirkus rund um die EM wichtig. Notwendig wäre dabei, dass sektiererische Feindseligkeiten zwischen den Fans der verschiedenen Vereine abgebaut werden, dass positive Schritte von Fanklubs, die es etwa im Bereich des Antirassismus gibt, intensiviert und auch sexistische Stimmungen offensive bekämpft werden. Die Proteste von Fans gegen die EM sind gut, aber nicht ausreichend.
Fußball als gesellschaftliches Kampffeld
Der Fußballsport ist nicht an sich gut oder schlecht, sondern wie viele andere kulturelle und soziale Bereiche auch ein Kampffeld von emanzipatorischen und reaktionären Kräften. Heute sind im Fußball, wie in der Gesellschaft insgesamt, Kommerzialisierung und Neoliberalismus im Vormarsch. Aber wie in der gesamten Gesellschaft gibt es auch im Fußball Kräfte, die sich gegen komplette Vermarktung und kommerzielle und staatliche Kontrolle wehren. Es sind vor allem Fußballfans, die für die Erhaltung ihrer selbstbestimmten Fankultur und Einfluss auf die jeweiligen Vereine kämpfen.
Dass selbstorganisierte Fankultur und andere nicht-kommerzielle Kulturprojekte heute in der Defensive sind, ist Ausdruck der gesamtgesellschaftlichen Situation. Diese wird sich nicht über besonders geschickte Faninitiativen oder alternative Kulturprojekte ändern, sondern letztlich nur durch Klassenkampf gegen die herrschende Klasse und ihren Kommerz und ihre Repression. Die Organisierung dieses sozialen und politischen Kampfes wird oft auch mit kulturellen Ausdrucksformen einhergehen; sowohl mit der Schaffung von eigenen neuen Strukturen als auch mit der Veränderung von bestehenden. Erst in Verbindung mit einer antikapitalistischen Bewegung, einer anderen ArbeiterInnenbewegung wird eine nachhaltige Gegenkultur zum herrschenden Freizeit-Kommerz möglich sein.
Eine solche Gegenkultur kann im Bereich des Sports auf einige Traditionen der ArbeiterInnensportbewegung, die in der Zwischenkriegszeit riesige Sportveranstaltungen organisiert hat, zurückgreifen: Anders als beim bürgerlichen Sportbetrieb soll nicht die Konkurrenz im Vordergrund stehen, sondern die gemeinsame und solidarische körperliche Betätigung. Anders als beim bürgerlichen Sportbetrieb sollen nicht Spitzenleistungen hervorgehoben werden, sondern die Teilnahme von möglichst vielen gefördert werden. Anders als beim bürgerlichen Sport- und Kulturbetrieb soll die Trennung zwischen Sport- und Kunststars einerseits und den KonsumentInnen und Fans andererseits aufgehoben und durch die gemeinsame Aktivität von möglichst vielen ersetzt werden. Anders als die Verdummungs- und Verhetzungsfunktion des bürgerlichen Sportes soll die ArbeiterInnensportbewegung letztendlich eine körperliche, vor allem aber auch geistige Übung für den kollektiven Kampf sein, also die Solidarität und den Zusammenhalt der AktivistInnen der proletarischen Bewegung stärken.
Von einer solchen Perspektive ist die Gesellschaft heute weit entfernt. Trotzdem gibt es auch heute Initiative in diese Richtung. Beispielsweise gibt es seit 11 Jahren in Italien jährlich eine "antirassistische Fußball-WM", an dem 2008 über 200 Fanklubs und/oder politische Organisationen teilnehmen. Und in Österreich organisierte die RSO in den letzten Jahren das Franz-Drexler-Sportturnier, an dem linke Organisationen im Geist der oben genannten Traditionen der ArbeiterInnensportbewegung teilnahmen.
Trotz solcher Initiativen wird ein Angriff auf die kulturelle Vorherrschaft der KapitalistInnenklasse erst mit einer Zuspitzung des Klassenkampfes und revolutionären Entwicklungen erfolgreich sein. Das heißt aber keineswegs, bis dahin die Hände in den Schoß zu legen. Neben der Organisierung von alternativen Sport- und Kulturveranstaltungen kann auch heute schon in die gesellschaftliche Debatte eingegriffen werden. Das bedeutet beispielsweise eine kritische Auseinandersetzung mit Events wie der EM 2008.
Ein solches Eingreifen bedeutet aber auch, in den kulturellen Feldern, in denen man/frau ohnehin beteiligt ist, nicht nur zu konsumieren, sondern kritisch zu sein, Missstände zu thematisieren und an Widerstandsaktionen teilzunehmen. Das ist heute wohl nicht das wichtigste Kampffeld und deshalb auch nicht der Schwerpunkt der Aktivität von revolutionären Organisationen. Eine partielle Beteiligung an verschiedenen Formen der kapitalistischen Massenkultur ist aber für uns alle heute unvermeidlich, um sich in dieser Gesellschaft nicht sozial zu isolieren. Und wenn man/frau schon daran beteiligt ist, dann sollte diese Teilnahme eine widerständige sein
Bezüglich der Fußballkultur bedeutet das für uns eine kritische Unterstützung von Faninitiativen gegen Rassismus, Kommerz und Repression. In Hinblick auf die EM 2008 gibt es keine positiven Anknüpfungspunkte. Solche Veranstaltungen sind die Speerspitzen von Kommerzialisierung und Nationalismus. Hier steht für uns die Opposition im Vordergrund.
Frauen – Fußball – EM"Die Euro 2008" – das ist nicht die Fußball-EM sondern die Fußball-EM der Männer. Der übliche Sprachgebrauch kommt daher, dass Fußball heute immer noch überwiegend Männersache ist – egal ob es sich um passiven Konsum oder aktive Beteiligung handelt. Der Grund dafür liegt freilich nicht an irgendwelchen ominösen Genen, sondern an der unterschiedlichen Erziehung der Geschlechter in unserer patriarchalen kapitalistischen Gesellschaft. Buben bekommen, sobald sie auf zwei Beinen stehen können, eine Ball geschenkt, Mädchen eine Puppe. Kein Wunder, dass sie sich dann als Frauen weit weniger für Fußball interessieren. Ein wichtiger Faktor ist auch, dass sich Frauen vom, in den Stadien vielfach vorherrschenden, Machismo – zu Recht – abgestoßen fühlen. Dieser zeigt sich beispielsweise ganz offen in sexistischen und homophoben Gesängen, die auf vielen Tribünen weit verbreitet sind. Natürlich: Mittlerweile werden auch Frauen vermehrt von der Fußballindustrie als Zielgruppe "entdeckt". Interessieren sie sich dann für den Sport, so müssen sie sich mit sexistischen Klischees herumschlagen, wonach es ihnen nur um die "sexy Spieler" ginge. Die Vergangenheit zeigt, dass Fußball-Großereignisse für Frauen nichts Gutes bedeuten. Das liegt weniger am "Krieg um die Fernbedienung", wie er von dümmlichen Gratiszeitungen heraufbeschworen wird (Heute vom 28.02.08) sondern zum Beispiel am Anstieg männlicher Gewalt. Statistiken aus Deutschland berichten von einem Anwachsen der häuslichen Gewalt gegen Frauen während der Fußball-WM 2006 um bis zu 30%.(http://diestandard.at /?url=/?id=1194863284955%26sap=2%26_pid=8138283). Denn wenn die "eigene" Nation (=Nationalmannschaft) bei einem so überhöhten Turnier, bei dem suggeriert wird, als ginge es um Leben und Tod, verliert, reagieren sich viele Männer an ihren Partnerinnen ab. Der ehemalige deutsche Nationaltrainer Berti Vogts versprach sich einmal zu diesem Thema: "Hass gehört nicht ins Stadion. Die Leute sollen ihre Emotionen zu Hause in den Wohnzimmern mit ihren Frauen ausleben." Betrachten wir die Erfahrungen mit der WM 2006 in Deutschland, so ist weiters mit einer Verschlechterung der Situation von Sexarbeiterinnen während der "Euro" zu rechnen. Während die Sexindustrie angesichts zehntausender bierseliger männlicher Fußballfans das große Geschäft wittert, bereitet sich die Staatsgewalt auf zusätzliche Kontrollen und Repression gegen "illegale Prostituierte" vor. |