Der Spuk ist vorbei, die so genannte "Euro 2008" ist Geschichte. Die Trauer hält sich in Grenzen. Viele Leute hatten von dem Kommerz-Zirkus ohnehin die Nase voll. Sogar ORF-online brachte vor ein paar Tagen einen Beitrag mit dem Titel "Endlich wieder Fußball ohne UEFA". In unserer kurzen Bilanz wird es nun nur am Rande um die ohnehin untergeordneten sportlichen Aspekte dieses "Mega-Events" gehen.
In der Gruppenphase hatten es das Polit- und Sportestablishment und die versammelten Medien mit einigem Erfolg betrieben, eine patriotische Begeisterung zu entfachen. Als das österreichische Nationalteam im zweiten Spiel durch einen zweifelhaften Elfmeter ein Unentschieden erreichte, war in manchen Zeitungen allen erstes von einem "Wunder von Wien" die Rede und wurde der Schütze desselben als "Fußballgott" abgefeiert. Als dieses österreichische Wunderteam schließlich mit einem Punkt und diesem einzigen Tor ausgeschieden war, trösteten die Schreiberlinge ihre KundInnen damit, dass Österreich immerhin im Unterschied zur Schweiz bis zum letzten Spiel nicht fix ausgeschieden war. In der Schweiz schrieb die entsprechende Journaille, dass die Schweiz immerhin im Unterschied zu Österreich ein Spiel gewonnen habe – gegen die Reserve von Portugal.
Da solche Versuche dann doch zu lächerlich sind, ist mittlerweile in beiden Ländern die sportpatriotische Ernüchterung eingetreten. Als Ergebnis der EM befindet sich Österreich in der FIFA-Weltrangliste nun auf Platz 105, ein neuer Tiefpunkt. Die Mainstream-Propaganda geht jetzt so, dass die EM ein tolles Event gewesen sei, eine völkerverbindende große Party, die Österreich und die Schweiz wunderbar organisiert hätten. Das Ganze sei eine super Sache für den Tourismus und ein Motor für die Wirtschaft gewesen.
Die Story mit der völkerverbindenden Funktion der EM ist ein Märchen, das sich nur deshalb einigermaßen halten kann, weil die UEFA die Bilder von den Spielen selbst zensierte. Sämtliche Sender waren verpflichtet, die offiziellen Bilder zu übernehmen, damit auch die Sponsoren ins rechte Licht gerückt und die harmonisch-saubere Inszenierungen nicht gestört wurden. Die meisten Medien spielten bei dieser Show ohnehin bereitwillig mit. In der Realität waren aber die faschistischen Auftritte etwa von deutschen und kroatischen Fangruppen, die für sie keine ernsthaften Folgen hatten, nur die Spitze des Eisberges. Nationalistisches Grölen von betrunkenen Patrioten war ein weitverbreitetes Phänomen.
Bezeichnend ist hier ein Erlebnis aus der Wiener Innenstadt, wo sich Gruppen von österreichischen Fans des Nationalteams vor den Augen der zahlreich daneben stehenden PolizistInnen gegenseitig mit dem Hitler-Gruß begrüßten. Von einer jungen Frau dazu aufgefordert, hier doch einzuschreiten, antwortete ein Polizist lachend, dass sie da viel zu tun hätten, wenn sie da jedes Mal etwas unternehmen würden. Vermutlich wird – wie in Deutschland vor zwei Jahren – das wahre Ausmaß von rassistischen und gewalttätigen Übergriffen erst mit einigem Abstand einigermaßen bekannt werden.
Dass Flaggschiffe des globalen Sportgeschäftes wie Olympische Spiele, Fußball-WMs oder -EMs "Wachstumsmaschinen" für die nationalen Ökonomien seien, ist ein Mythos, der von einer einflussreichen Lobby am Leben erhalten wird. Eine Reihe von internationalen Studien belegt, dass die versprochenen Wachstumsimpulse einer empirischen Überprüfung nicht standhalten. Stefan Szymanski, der international führende Sportökonom, sagt in aller Deutlichkeit: "Mega-Events auszurichten ist einer der ineffizientesten Wege, um eine Wirtschaft zu stimulieren."
Tatsächlich ist es so, dass bestimmte Sektoren des Kapitals sich zusätzliche Gewinne durch spezielle KonsumentInnenbedürfnisse und öffentliche Subventionen erwarten. Eine Untersuchung über die Sieger und Verlierer bei der Fußball-WM 2002 in Japan zeigt, dass die Bauindustrie, die Hauptsponsoren und der Heimelektroniksektor große Profite einstreiften, während viele andere Branchen sogar Verluste hatten. Sehr deutlich war eine Verschiebung des Konsums von den einen zu anderen Sektoren. Viele Kaufentscheidungen waren nur vorgezogen worden und führten zu Einbrüchen in den Monaten danach. Als weit überzogen erwiesen sich die Erwartungen an die Konsumfreudigkeit der WM-TouristInnen. Außerdem kamen während der WM viele "reguläre" TouristInnen nicht nach Japan, weil sie Beeinträchtigungen befürchteten. Die Kredite für die Errichtung der neuen Stadien werden die japanischen SteuerzahlerInnen noch etwa 30 Jahre lang abzahlen.
Ähnlich wird sich die ökonomische Bilanz der EM 2008 wohl auch für Österreich und die Schweiz darstellen. Ein Konzern hat definitiv einen saftigen Profit einstreift, nämlich die UEFA. Ihre Einnahmen waren um 56% höher als bei der EM in Portugal vor vier Jahren, der Nettogewinn der UEFA beträgt satte 1,3 Milliarden Euro. Ausgezahlt hat sich die EM vermutlich auch für die Bauwirtschaft, für die Hauptsponsoren von Carlsberg bis Coca Cola. Insgesamt lief die EM für die österreichische Ökonomie keineswegs gut. Wirtschaftskammer-Generalsekretär Mitterlehner klagt: "Die Erwartungshaltung der Wirtschaft wurde größtenteils nicht erfüllt."
Nach ersten Berichten hatte lediglich die Sportartikelbranche gewisse Zuwächse. In der Heimelektronikbranche lief das Geschäft wie zu Normalzeiten. Diverse andere Branchen klagen über Umsatzeinbußen während der EM; das gilt auch für den Großteil der Gastronomie. Sogar etliche der Wirte, die sich in den Fanzonen das fette Geschäft erwarteten, schauen traurig durch die Finger; viele der Fans waren nicht so dumm, sich in den Fanzonen abzocken zu lassen. Der Tourismus in Wien scheint durch die EM unterm Strich eher einen Verlust gemacht haben, weil aufgrund der EM weniger Kongresse in Wien stattfanden als üblich. Nachhaltige touristische Zuwächse durch Mega-Events wie eine EM sehen sportökonomische Studien ohnehin nur für Städte/Länder, die bisher keine bekannten touristischen Destinationen waren.
Mit dem Versprechen, dass die EM in Österreich 11.000 neue Jobs schaffe, versuchten die offiziellen PropagandistInnen, den Lohnabhängigen den Event schmackhaft zu machen. Tatsächlich gab es für einige Wochen, meist zu miserablen Arbeitsverhältnissen ein paar Tausend Jobs vor allem in der Gastronomie und in den elenden Sicherheitsfirmen und für ein paar Monate volle Auftragsbücher in Teilen der Baubranche. Die angeblich langfristig geschaffenen Jobs im Tourismus sind wilde Spekulation, die sich auf windige Berechnungen über EM-ausgelöste Wachstumsraten in diesem Sektor stützen. Das bescheidene Argument, dass ein paar Tausende Jobs für ein paar Wochen besser seien als nichts, ist wenig stichhaltig, den durch einen derart massiven Einsatz von öffentlichen Mitteln ließen sich auf andere Weise viel mehr, nachhaltiger und sinnvoller Arbeitsplätze schaffen, etwa im Gesundheits- und Bildungswesen oder in der Altenpflege (aber da heißt es dann immer, dass kein Geld da ist). Hier gilt es auch noch zu betonen, dass diejenigen, die sich jetzt gerühmt haben, Arbeitsplätze geschaffen zu haben, dafür verantwortlich sind, dass in den letzten Jahren und Jahrzehnten massive Rationalisierungen, Flexibilisierungen und Personalkürzungen durchgeführt wurden.
Wie viel öffentliche Gelder in die Kommerz-Show im Interesse von UEFA und Sponsoren geflossen sind, ist insgesamt schwer zu kalkulieren. Allein die Stadion-Neubauten, -Umbauten und -Rückbauten in Österreich und der Schweiz kosteten 900 Millionen Euro. Dazu kommen all die Adaptierungen im öffentlichen Verkehr, die "Sicherheitsaufwendungen" (Überwachungssysteme, Polizeiübungen, -einsätze und -Überstunden etc.), zusätzliche Reinhaltungskosten im öffentlichen Raum (inkl. Schutz von Parks vor zerstörerischer Urindurchtränkung) und die Errichtung und der Abbau der Fanzonen. Allein die Ausweichfanzone im Hanappi-Stadion im Westen Wiens kostet die Stadt Wien über drei Millionen Euro Fixkosten; diese Zusatzfanzone war dann nur an einigen Spieltagen geöffnet, beim Spiel Italien-Spanien waren ganze 350 BesucherInnen dort.
Bezahlt wird all das von den SteuerzahlerInnen und das sind, da die großen Konzerne mit allerlei legalen und halblegalen Tricks kaum mehr Steuern zahlen, vor allem die Lohnabhängigen. Die ganze EM war also eine groß angelegte Umverteilungsaktion von der ArbeiterInnenklasse hin zu einigen Kapitalgruppen. Ein guter Teil des Defizits, das die österreichischen Krankenkassen haben, wäre durch die Gelder zu begleichen gewesen, die jetzt für die "UEFA-Euro 2008" verpulvert wurden. Die Verschwendung von Steuermitteln für den patriotischen Zirkus der letzten Wochen bedeutet, dass diese Mittel anderswo fehlen werden. Die Lohnabhängigen werden dafür noch jahrelang den Preis zahlen – in Form von verstärkten Angriffen auf das Sozialsystem. Weitere Folgen werden in manchen Bereichen anhaltend höhere Preise sein – und massiv ausgeweitete Überwachungssysteme im öffentlichen Raum, die weitere bestehen bleiben.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Mit den obigen Ausführungen geht es uns ausschließlich darum, die EM-PropagandistInnen nicht mit ihren Lügen durchkommen zu lassen. Denn auch wenn die EM 2008 für die österreichische Wirtschaft tatsächlich einen Wachstumsimpuls, langfristige Arbeitsplätze und ein gutes Geschäft für den Staat gebracht hätte (eine Argumentation, die völlig in der kapitalistischen "Standort"logik steht), wären wir gegen diese EM. Die Männer-Fußball-Europameisterschaften gehören mittlerweile zu den größten popkulturellen Events überhaupt. Als solche spielen sie eine nicht zu unterschätzenden Rolle bei der ideologischen Zurichtung der Bevölkerung als gute PatriotInnen der jeweiligen Staaten. Die Sache war für die herrschende Klasse so erfolgreich, dass der nationale Schulterschluss beim Mitfiebern mit "dem eigenen Nationalteam" bis weit in die ArbeiterInnenbewegung und die Linke reichte.
Die Aufgabe von internationalistischen MarxistInnen war es, sich gegen den nationalen Schulterschluss und gegen die nationalistische Begeisterung zu stellen. Und zwar nicht nur grundsätzlich, sondern auch konkret, indem man/frau sich gegen das sportpatriotische Projekt des jeweiligen Nationalteams stellt. Nun ist es zwar richtig, dass die Niederlage des einen Nationalteams immer den Sieg eines anderen bedeutet. Die spanischen Europameister, die als "temperamentvolle Südländer" die Sympathie von nicht wenigen Liberalen und Linken auf sich ziehen konnten, haben natürlich auch eine reaktionäre Funktion im Interesse von König und spanischem Staat. Nicht umsonst erklärten viele Kommentatoren den spanischen Sieg damit, dass es endlich gelungen sei, im Team die Rivalitäten zwischen katalanischen und baskischen Spielern einerseits und zentralspanischen andererseits zu überwinden. Was hier betrieben wird, ist also, dass sich die unterdrückten Nationen in ihr Schicksal unter der spanischen Krone fügen sollen. Doch mit der Mannschaft des spanischen Staats, der ihnen noch immer die gewünschte stärkere Autonomie verwehrt, wollten nur wenige Katalan/inn/en und Bask/inn/en feiern. Presseberichten zu folge blieb es in Bilbao oder San Sebastian ziemlich ruhig, in Barcelona waren nur 5000 spanische Fans auf der Straße (in Madrid waren es hingegen mehrere Hunderttausend).
Dass bei der EM immer der eine oder andere Nationalismus profitiert, heißt für uns, dass man/frau sich grundsätzlich gegen ein solches Event, dessen Grundprinzip eine nationalistische Logik ist, stellen muss. Ein glaubhafter Internationalismus muss sich dabei immer zuerst einmal und besonders gegen den "eigenen" Nationalismus auftreten. Dabei kann es auch notwendig sein, zeitweise gegen den Strom zu schwimmen und eine Position als kleine Minderheit in Kauf zu nehmen.
Bei der EM 2008 gab es aber durchaus eine ganze Reihe von Punkten in der Bevölkerung (bei Fußballfans ebenso wie bei mäßig oder gar nicht an Fußball Interessierten), an denen MarxistInnen anknüpfen konnten. Kritik an der UEFA-Kommerz-Show fand leicht viel Sympathie und auch Argumente gegen Repression und Nationalismus wurden von einer relevanten Minderheit angenommen. Die "Scheiss-EM"-Kampagne der RSO hat uns viel Zustimmung und öffentliche Aufmerksamkeit gebracht – über unsere Plakate und Aufkleber ebenso wie über die Veranstaltung und erhebliche mediale Verstärkung in Österreich, Deutschland und Kroatien. Wir denken, dass es richtig und wichtig war, dass wir als InternationalistInnen eine pointierte Kampagne gegen den EM-Nationalismus, gegen Kommerz und Repression geführt und versucht haben, im Rahmen unserer Möglichkeiten einen Kontrapunkt zur nationalistischen Begeisterung zu setzen.