Wien erstrahlt seit kurzem noch schöner und sauberer als zuvor. Endlich sind diese grässlichen Plakate, die das Stadtbild verunstaltet haben und uns allen wirklich ein spitzer Dorn im Auge waren, verschwunden. Dem Werbeunternehmen Gewista sei Dank! Seit Anfang 2008 werden in Wien die auf Stromkästen, Lichtmasten… "wild" angebrachten Plakate systematisch entfernt. Doch diese Offensive ging nicht ohne Gegenstimmen über die Bühne: mit Slogans wie "Meinungsfreiheit" und "Der öffentliche Raum gehört allen Wienern und Wienerinnen" wurde eine Kampagne gegen die weitere Aneignung von Plakatflächen seitens der Gewista und scheinbar auch für die Wahrung elementarer BürgerInnenrechte geführt.
Gewista und die WildplakatiererInnen
Bezogen auf die Werbeflächenanzahl verfügt die Gewista über einen Marktanteil von 65 % und ist gemessen am Jahresumsatz eines der größten fünf Medienunternehmen in Österreich. Die Gewista selbst wurde im Jahre 1921 als Magistratsabteilung der Stadt Wien gegründet und heißt im Wortlaut "Gemeinde Wien städtisches Ankündigungsunternehmen". Die Ausgliederung aus den kommunalen Bereichen erfolgte 1974, als die Gewista Bestandteil der Wien Holding wurde. Seit 2002 ist JCDecaux Mehrheitseigentümer der Gewista. Dabei handelt es sich um einen Konzern, der im Bereich der Außenwerbung nach dem US-Unternehmen Clear Channel weltweit an zweiter Stelle steht, und in 46 Ländern mit 7.900 Beschäftigten tätig ist. Wo also die lukrierten Gewinne vor einigen Jahrzehnten noch der Stadtverwaltung zukamen, fließen diese nun gänzlich in den privaten Bereich. Trotzdem verfügt das Unternehmen nach wie vor über ein Naheverhältnis zur Stadt Wien, was der Quasi-Monopolisierung nur zuträglich sein konnte.
Seit 1980er Jahren konnten einige KleinunternehmerInnen eine Marktnische füllen, indem sie kommerzielles Plakatieren abseits der offiziellen Werbeflächen, d.h. auf Stromkästen, Lichtmasten, Baustellengittern, leer stehenden Gebäuden… betrieben. Zum einen konnten sie somit Teilen der Kunstszene eine Möglichkeit bieten ihre Veranstaltungen günstig zu bewerben. Zum anderen verdrängten sie damit aber politische Plakate von außerparlamentarischen Organisationen, Street Art und dergleichen. Das Plakatieren auf Stromkästen und Lichtmasten war in Wien immer schon verboten, gehalten hat sich allerdings kaum jemand daran. Die Wiener WildplakatiererInnen lebten nicht nur von den kleinen Veranstaltern, sondern auch von den großen Kulturunternehmen wie dem Museum für Moderne Kunst oder der Albertina. Und auch die Stadt Wien selbst ließ bis vor kurzem kostengünstig wild plakatieren. Wo diese Unternehmen also lange Zeit geduldet wurden, kam es nun zu Beginn 2008 zu einer Verschärfung der Gesetze, die ab dann auch verstärkt exekutiert wurden.
Dies ging einher mit einem "Zusammenarbeit" von Gewista und einigen WildplakatiererInnen. Die Gründung der "Kultur:Plakat Ges.m.b.H." als Subunternehmen der Gewista stellt nun weitere 20.000 Werbeflächen zur Verfügung, die ausschließlich für Kulturwerbung reserviert sind (wobei eine der ersten großen Plakatserien bei Kultur:Plakat" übrigens für die ""Erotik-Messe"" warb…). Es wurden jedoch nicht alle dieser Kleinunternehmen, die kommerzielles Wildplakatieren betreiben, zur Teilnahme an "Kultur:Plakat" eingeladen. Die übrig gebliebenen Kleinunternehmen gründeten im Jänner 2008 den Verein "Freies Plakat" und versuchen seit dem die neuen Gesetze anzufechten. Da die Tarife für diese Kulturplakate zwar günstiger sind als andere Gewista-Plakatflächen, aber freilich um einiges teurer als die Angebote der WildplakatiererInnen, meldet sich hier auch die "freie" Kulturszene zu Wort. So entstand nun eine Opposition aus den kleinen Kulturunternehmen, die sich die Gewista-Werbung nicht leisten können und denjenigen WildplakatiererInnen, die sich nicht in das "Kultur:Plakat"-Projekt eingliedern konnten.
Die Gewista preist die gelungene Eindämmung der Wildplakatiererei als "Verschönerung des Stadtbildes". Dieses "Argument" entlarvt sich jedoch selbst: auf den gleichen Stellen wo bisher "wilde" Plakate gehangen sind, werden jetzt "offizielle" Plakatstellen der Gewista angebracht. Auf den Stromkästen macht es den grandiosen Unterschied, dass die Plakate nun auf einer silbernen Eisenplatte kleben. Immerhin. Auf den Lichtmasten wurden "Halbschalen" angebracht; die Plakate sind dadurch viel besser sichtbar und lesbar. Das bringt der Gewista dementsprechend mehr Gewinn ein. Es handelt sich also weniger um eine "Verschönerung" als um eine Kommerzialisierung des Stadtbildes.
Die opponierende Gruppierung kritisiert die weitere Privatisierung der Plakatflächen mit den Schlagworten "Meinungsfreiheit" und "Bürgerrechte". Bereits im Dezember 2007 startete sie eine Plakataktion mit folgenden Aufschriften: "Wir protestieren gegen das Gewista-Monopol!", "Kein Ausverkauf des öffentlichen Raumes an die Gewista!", "Freie Plakatflächen für ALLE!" und "Herr Bürgermeister! Geben Sie Plakatfreiheit!", und versuchten so Stimmung gegen die weitere Monopolisierung zu machen.
Rot und Grün
Auch in parteipolitischen Farbenspielen schlägt sich diese Auseinandersetzung nieder. Die SP verneint freilich einen Zusammenhang zwischen der weiteren Ausdehnung des Gewista-Monopols und den etwaigen "Ungenauigkeiten" bei den vorgeschriebenen Ausschreibungen. Der zuständige Stadtrat Rudolf Schicker meint dazu, dass die Tarife ständig geprüft würden und die Gewista ohnehin keine Monopol-Stellung habe.
Eine gänzlich andere Position nehmen hier scheinbar die Grünen ein, die sich da natürlich für ihre potentielle WählerInnenschaft in der Kulturszene einsetzen. Marco Schreuder von den Grünen lud im Dezember 2007 zu einer Pressekonferenz unter dem Titel "Gewista – Alleinherrscherin der Plakate?". WildplakatiererInnen und deren KundInnen sollten in diesem Rahmen eine gewisse Öffentlichkeit bekommen. Einer der zentralen Figuren ist Peter Fuchs, Inhaber einer florierenden Wildplakatierfirma und Sprecher der Initiative "Freies Plakat". Er betont den Widerspruch, in dem das Plakatierverbot zum Mediengesetz steht. Diese Kampagne zur Verteidigung von bürgerlichen Rechten ist legitim und richtig, auch wenn sein Widerstand gegen die Privatisierung der Werbeflächen freilich kein uneigennütziger ist (so sei hier noch einmal auf seine Firma verwiesen). Und mit seiner grundlegenden Opposition gegen Kommerzialisierung ist es auch nicht weit her. So meint er z.B., dass die illegalen Plakate "das wachsende Bedürfnis der Gesellschaft nach Werbung erfüllen und Farbe in den Alltag bringen." Hinter dem Slogans der WildplakatiererInnen "Freie Plakatflächen für ALLE!", versteckt sich also vielmehr ein "Freie Plakatflächen auch für den kleinen Kommerz!". Noch einmal sei daran erinnert, dass die WildplakatiererInnen selbst stets ziemlich rücksichtslos agierten. Plakate linker Organisationen, die etwa Demos oder Veranstaltungen ankündigten, wurden in der Regel einfach überklebt.
Auch Schreider pocht auf das Mediengesetz, in dem das Recht auf Plakatieren garantiert wird. Und so schlagen also die Grünen in dieselbe Kerbe wie die WildplakatiererInnen und wirken freilich durchaus sympathisch, wenn sie mit diesen großen Worten Einsatz zeigen. Die Pressekonferenz mündete letztlich in der Forderung an die Stadt Wien, sich doch gemeinsam um eine Lösung zu bemühen. Aber auch bei den Grünen ist es mit der Opposition gegen Privatisierung und Kommerzialisierung nicht weit her. So zeigen die schwarz-grünen Koalitionen in Oberösterreich und Graz, dass die Grünen mit der Hauptpartei des Kapitals, der ÖVP, sehr gut kompatibel sind. So forcierten auch sie z.B. die Privatisierung der oberösterreichischen Energie AG. Gleichzeitig propagieren die Spitzen der Grünen die EU-Verfassung bzw. den EU-Reformvertrag (inklusive Privatisierung, Aufrüstungs- und Liberalisierungsverpflichtung!) als Fortschritt.
Plakatierfreiheit – ein leeres Recht
Die Plakatierfreiheit (§ 48 des Mediengesetzes) garantiert jedem, der keinen Zugang zu Massenmedien hat, mittels Plakat seine Meinung oder Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen: "Zum Anschlagen, Aushängen und Auflegen eines Druckwerkes an einem öffentlichen Ort bedarf es keiner behördlichen Bewilligung." Während die Gewista die gesamte Stadt mit ihrem "schönen Stadtmobilar" vollstellt – laut Gewista-Homepage habe man/frau in den letzten Jahren Wartehallen zu "multidimensionalen Erlebnislandschaften" umgestaltet – , stehen für freies Plakatieren nur 26 Plakatflächen in ganz Wien (!) zur Verfügung. Wilde Plakate werden schon seit einiger Zeit heruntergerissen und durch Plakate mit der Aufschrift "Plakatieren Verboten!" ersetzt. Die kapitalistische Profitlogik führt hier also zur absurden Situation, dass MitarbeiterInnen der MA48 dafür bezahlt werden und ihre Zeit damit verbringen, Plakate herunterzureißen und andere mit der Aufschrift "Plakatieren verboten!" anbringen.
Die Gemeinde Wien kümmert sich also darum, dass nur mehr "legale" Plakate hängen, und garantiert der Gewista somit höhere Gewinne. Dass uns aber erzählt wird, dass kein Geld für Gesundheitssystem und Co. vorhanden ist, während Steuergelder dafür ausgegeben werden, dass Menschen diese völlig sinnentleerten Arbeiten verrichten um die Gewinne einzelner Firmen zu sichern, ist dann aber schon ziemlich dreist. Auf Kosten der ArbeiterInnenklasse wird also die Privatisierung des öffentlichen Raums betrieben und diese damit gleichzeitig von der Nutzung dieses ausgeschlossen. Wie so oft, handelt es sich auch bei diesem Recht (auf Plakatierfreiheit) nur um ein scheinbares Recht, dass eigentlich nicht genutzt werden kann. Außer natürlich von denjenigen, die das "schöne Stadtmobilar" auch bezahlen können.
Diese Entwicklungen müssen im Kontext der neoliberalen Offensive des Kapitals gesehen werden. Weltweit kommt es im Moment zu Angriffen auf die arbeitsrechtlichen und "sozialstaatlichen" Errungenschaften der Lohnabhängigen, zu Privatisierungen, Ausbau der Überwachung… Diese Offensive, die immer weitere Teile der Gesellschaft der Profitlogik unterwirft, ist letztlich nur Ausdruck der zentralen Funktionsmechanismen der kapitalistischen Produktionsweise. Darin konsequent wird nun auch der öffentliche Raum zusehends privatisiert. Das beschränkt sich allerdings nicht auf Plakate, sondern kann auch an den Fanzonen der "Euro 2008", der Ausgestaltung neuer U-Bahn-Stationen und Bahnhöfe, der zunehmenden Überwachung öffentlicher Räume… festgemacht werden. Begleitet wird das ganze von einer ideologischen Offensive die der neoliberalen Umformung der Gesellschaft im Interesse des Kapitals, die Zustimmung der ArbeiterInnenklasse sichern soll.
Diese Entwicklungen sind natürlich keineswegs unaufhaltsam oder naturwüchsig. Eine putzige Bitte an den Herrn Häupl wird an den Privatisierungen jedoch nicht viel ändern. Der öffentliche Raum und dessen konkrete Nutzung und Gestaltung ist immer ein Ausdruck der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Diese Offensive ist also gerade auch Ausdruck der Schwäche und Defensive der ArbeiterInnenbewegung. Eine konsequente Opposition gegen Privatisierung und Kommerzialisierung (des öffentlichen Raums) muss letztlich die dahinter liegenden Mechanismen, d.h. die kapitalistische Profitlogik, in Frage stellen.