Der Menschenstrom vom Brandenburger Tor Richtung Siegessäule im Herzen Berlins schien wirklich endlos zu sein. Am 24. Juli kamen bis zu 200.000 Menschen in den Berliner Tiergarten, um eine Rede des US-amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama zu hören. Wie bei der EM-Fanmeile ein Monat davor gab es neben den Großbildschirmen unzählige Bier- und Wurststände.
Der Auftritt selbst war überraschend minimalistisch: ein einziger Redner, ohne Musik oder Warumup-Reden, ohne riesige Plakate als Kulisse. In der 28minutigen Rede ging es um… im Endeffekt alles. Obama schlug einen großen inhaltlichen Bogen von der Berliner Luftbrücke über religiöse Konflikte und globale Erwärmung bis zu den Kriegsdrohungen gegen den Iran.
Die zentrale Botschaft der Rede war aber eindeutig: "Send more troops to Afghanistan!" Obama konnte eine direkte Aussage zum Thema geschickt vermeiden, aber er sprach von der Notwendigkeit, dass die EuropäerInnen in Afghanistan "mehr Verantwortung übernehmen" – damit kann nur die Verantwortung gemeint sein, den Widerstand der Bevölkerung zu brechen. Er sprach von den "HeroinverkäuferInnen auf euren Straßen", die mit den "Al-Qaeda-TerroristInnen am Hindukusch" verbunden seien. (Aber da der Opiumanbau seit dem Beginn des Besetzung Afghanistans massiv gestiegen ist, fragt mensch sich, ob dieses Argument für die Fortführung des Militäreinsatzes wirklich taugt.) Schliesslich sagte er, mehr oder weniger direkt: "Die Menschen in Afghanistan brauchen unsere Truppen und Eure Truppen".
Trotz der klaren Forderungen nach mehr militärischem Engagement hielten viele ZuschauerInnen Obama für einen tatsächlichen Gegner der US-amerikanischen Kreuzzüge der letzten Jahre. Doch wie ein Reporter der New York Times berichtete, waren die meisten ZuschauerInnen "nicht ganz im Klaren über [Obamas] Politik. Als Beweis zitierte er eine junge Frau, die Obama dafür lobt: "He's against the Iraq War… that's the most important thing" (1). JedeR New York Times-ReporterIn weiß, dass sich Obama eben nur für einen langsamen Truppenabzug aus dem Irak ausgesprochen hat – und das nur, um mehr Truppen für weitere Kriege in Afghanistan, Pakistan und anderen Ländern freizuhalten. Trotzdem scheinen unzählige Gutmenschen aus Deutschland unter dem Missverständnis zu leiden, dass Obama irgendwie gegen den Irak-Krieg war oder ist: als er in Bezug auf den Irak forderte, "diesen Krieg endlich zu beenden", waren "O-BA-MA! O-BA-MA!"-Rufe zu hören.
Um auf solche Widersprüche aufmerksam zu machen, hatten verschiedene AktivistInnen vor der Veranstaltung protestiert. Stefan, ein US-amerikanischer Aktivist, der beim Vietnamkrieg diente und seit 30 Jahren gegen imperialistische Kriege protestiert, meinte: "Es gab noch nie eine US-Regierung, die ich unterstützte." Für ihn bestand Obamas Rede aus vielen leeren Floskeln: "Das Einzige, was er nicht gesagt hat, war: 'Ich bin ein Berliner.'" Auch Michael, ein trotzkistischer Aktivist aus Seattle, meinte in Bezug auf seine Landsleute: "Sie müssen einsehen, dass Wahlen nicht der Weg sind, um irgendwas in unserem Land zu ändern." (Andere anwesende US-AmerikanerInnen waren deutlich leidenschaftsloser. Cameron, der am Straßenrand riesige Obama-Buttons verkaufte, meinte: "Ich bin zwar Unterstützer der Obama-Kampagne, aber ich muss auch meine Miete bezahlen.")
Die OrganisatorInnen der Kundgebung hatten im Vorfeld jegliche Plakate oder Transparente verboten. Weit vor der Bühne war eine Absperrgitter, an der es Kontrollen wie im Flughafen gab. Alle Menschen mit politischen Materialien wurden von den privaten Securitys schickaniert und des Platzes verwiesen.
Die Stimmung unter den meisten TeilnehmerInnen (zumindest die weiter hinten, die nicht sechs Stunden in der Sonne gewartet hatten) war eher Neugier als Hoffnung. Viele Jugendliche bezeichneten Obama als "kleineres Übel", nicht als "Hoffnungsträger". Aber die deutsche Bourgeoisie freut sich extrem auf die Vorstellung eines US-Präsidenten, der die Kriegspläne der Supermacht mit anderen imperialistischen Großmächten wie der BRD abspricht. Die deutschen KapitalistInnen sollen mit Hilfe von einem Präsident Obama (und dem liberalen Flügel der US-Bourgeoisie, der hinter ihm steht) mehr Mitspracherecht in der Weltpolitik bekommen, und deswegen hat die bürgerliche Presse in Deutschland diese Wahlkampfveranstaltung pausenlos gepusht.
Aber nicht nur die deutsche Bourgeoisie, auch ihre "sozialistischen" HelfershelferInnen träumen von Obama. Etwa der Linkspartei-Vorsitzender Gregor Gysi schwärmte, dass Obama bereit sei, "auf andere Länder zuzugehen" – dass er "nicht kulturell dominieren, sondern verschiedene Kulturen akzeptieren" wolle (2). Die Linkspartei-Führung zeigt wieder, dass sie nicht gegen imperialistische Kriege per se ist, sondern nur gegen solche, die sie als "illegal" oder besonders "aggressiv" betrachtet. Mit einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene im Auge müssen die Herren Regierungssozialisten beweisen, dass sie "legale" und "humanitäre" imperialistische Kriege mittragen würden.
Noch schockierender war ein Artikel in der neusten Artikel von "Rotdorn", der Zeitschrift der Linksjugend-Solid in Berlin-Brandenburg. Obama wird – so verspricht der Linkspartei-Nachwuchs – die US-Truppen aus dem Irak abziehen, ein allgemeines Krankenversicherungssystem einführen, und auf Diplomatie statt auf Kriege setzen. Sie preisten sogar, dass Obama den Konflikt mit dem Iran "mit direkter Diplomatie und gegebenenfalls internationaler Zusammenarbeit und ökonomischen Sanktionen lösen" wird (3).
Nun musste jeder Mensch, der sich als Anti-Kriegsaktivist versteht, eigentlich wissen, dass solche Sanktionen in erster Linie die einfache Bevölkerung treffen. So führten die von der UNO beschlossenen Sanktionen gegen den Irak zwischen den Jahren 1990 und 2003 zum Tod von weit über einer Million IrakerInnen (4) – damit waren sie deutlich zerstörerischer als der zweite Irak-Krieg, der ohne die Zustimmung der UNO stattfand. Wieder erweist sich der Pazifismus, u.a. die grenzenlose Verehrung der UNO als Instrument des Weltfriedens, als ziemlich hilflos gegen die zunehmende Kriege auf der Welt.
Statt Hoffnungen auf ein "kleineres Übel" wie Obama zu setzen, sollen wir selbst gegen imperialistische Kriege aktiv werden und uns mit den Menschen in den betroffenen Ländern, die gegen Besatzungsmächte kämpfen, solidarisieren. Wenn die 200,000 BerlinerInnen nicht auf eine halbpolitische Fanmeile sondern auf eine kämpferische Anti-Kriegsdemo gehen würden, dann wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung getan.
(2) Mareen Heying: "Er kam, sah, und sagte nichts", online hier
(3) Epikur: "Barack Obama – Hoffnungsträger oder Entertainer?", online hier
(4) Wikipedia