Interview mit entlassenem Tierrechtsaktivisten: –„Solidarität ist wirklich eine Waffe!–“

Am 21. Mai 2008 wurden in ganz Österreich 23 Wohnungen gestürmt, durchsucht und verwüstet. Zehn TierrechtlerInnen wurden eingeknastet, um ihnen vorzuwerfen eine kriminelle Organisation (§278a) gebildet zu haben. 106 Tage dauerte es bis die betroffenen AktivistInnen aus der U-Haft entlassen wurden. Im Interview mit der RSO spricht einer der antikapitalistischen AktivistInnen über seine persönlichen Erlebnisse, über Repression und Solidarität und über die linken Kräfte innerhalb der Tierrechtsbewegung.

Was waren die einprägsamsten Erlebnisse, die du seit dem Tag deiner Verhaftung erlebt hast?

Am 21. Mai um 6 Uhr  morgens haben zehn Polizisten meine Wohnung gestürmt, drei davon waren von der WEGA. Ich hörte einen Knall und im Moment darauf stand ein vermummter, angsteinflößend aussehender Typ mit Waffe im Anschlag vor meinem Bett. Ich war anfangs völlig ratlos, was mir jetzt passiert, bis dieser Typ gesagt hat er sei von der Polizei und mir Handschellen angelegt hat. Auf Nachfrage, warum es jetzt eine Hausdurchsuchung und einen Haftbefehl gegen mich gibt, ist mir eine halbe Ewigkeit nicht bzw. nur lapidar geantwortet worden: „Du weißt eh worum’s geht.“ Erst später wurde ein Zettel herausgeholt auf dem irgendwelche Paragraphen drauf standen, das einzige was ich zu dem Zeitpunkt verstanden habe, war dass mir vorgeworfen wird Teil einer kriminellen Organisation zu sein.

Ich hab von Anfang an die Aussage verweigert und gesagt, dass ich mich einem Anwalt und einer Vertrauensperson telefonieren will. Beim Versuch meine engsten Freunde anzurufen wurde mir gesagt, dass sie auch alle „Besuch von der Polizei“ haben. Schließlich haben die Beamten für mich einen Anwalt und eine Vertrauensperson angerufen. Diese ist dann auch gleich gekommen, was echt super war.

Daraufhin hat die Polizei ca. fünf Stunden meine Wohnung durchsucht. Es war unglaublich, was die Kiwara [= wienerisch für „PolizistInnen“, Anm. der Red.] alles durchsucht haben. Sie hatten überall ihre Nasen drinnen, angefangen bei meinen persönlichsten Sachen, bis hin zu meinen Blumentöpfen. Sie haben dann all mein politisches Material, Kleidung mit politischem Aufdruck, Computer, Datenträger, mein Telefon und alle möglichen Zetteln mitgenommen. Ich musste dann aus einem riesigen Berg meines Hab und Guts bissl Gewand, Waschzeug und etwas zu Lesen mitnehmen, „da es länger dauern würde“. Dann brachten sie mich mit Handschellen gefesselt in die Rossauer Kaserne. Wo ich mich dann zum zweiten Mal vor den Beamten entkleiden musste und sie wirklich überall nachsahen.

Was ist dir dabei durch den Kopf gegangen?

Es war wirklich sehr entwürdigend, dass ein Haufen wildfremder Leute in meinen Privatbereich gewaltsam eindrang. Natürlich hab ich mir auch Sorgen gemacht um meine FreundInnen, von denen ich gehört hab, dass sie betroffen waren. Und nach wie vor war mir unklar, worum es da jetzt geht. Insgesamt war es wirklich ein sehr traumatisierendes Erlebnis.

Wie ist es dann in der Kaserne weitergegangen?

Ich wurde erkennungsdienstlich behandelt. D.h. es wurden Fotos von mir gemacht, sie haben Fingerabdrücke von mir genommen und unter Zwang haben sie eine DNA-Probe genommen. Dabei haben mich fünf Cops gehalten und mir den Mund aufgedrückt, um dann mit einem wattestäbchen-ähnlichen Ding einen Mundabstrich zu nehmen. Davor sind mir noch meine persönlichen Sachen abgenommen worden. Das war alles ziemlich schrecklich und ich bin mir völlig ausgeliefert vorgekommen.

Ich bin dann in eine Zelle gekommen, in der ich bis zum nächsten Tag am Nachmittag auch bleiben musste. In der Zeit bin ich zweimal zur Einvernahme geholt worden. Dabei bin ich von zwei Beamten eine Stunde lang bequatscht worden, dass ich eine Aussage machen sollte. Sie haben die üblichen Mittel angewandt: „Wenn du aussagst, kommst du schneller wieder raus.“ und „Deine Freunde reden wie ein Wasserfall…“. Ich hab natürlich trotzdem die Aussage verweigert.

Weil ich bei der Einvernahme noch immer keine Ahnung hatte, worum es geht und was mir konkret vorgeworfen wird, war meine Stimmung natürlich nicht die Beste. Aber wirklich viel Kraft hat mir einige Stunden später die erste Soli-Demo, die ich gehört habe, gegeben. Das war echt ur super! Kurz darauf bin ich dann mit einem Polizeibus nach Wr. Neustadt überstellt worden. Da konnte ich die Demo sogar einige Sekunden durch ein winziges Fenster aus dem Polizeibus heraus sehen.

Wie war denn die Behandlung durch die JustizwachebeamtInnen?

Insgesamt hatte ich das Gefühl, das ich einigermaßen korrekt behandelt wurde. Generell muss aber auch gesagt werden, dass Rassismus im Häfn [=wienerisch für „Gefängnis“, Anm. der Red.] eine große Rolle spielt. Nicht-ÖsterreicherInnen sind zum Teil. echt wie der letzte Dreck behandelt worden. Das fing an bei Beschimpfungen und gipfelte darin, dass einzelne Häftlinge sogar von JWB verprügelt wurden. Auch beim Umgang mit behördlichen Schriftstücken, die die Häftlinge zum Teil nicht verstanden wurde keinerlei Rücksicht genommen. Sie hatten nur selten Zugang zu DolmetscherInnen. Insgesamt gibt es natürlich auch bei den Beamten Unterschiede, wobei man jedoch jederzeit den Launen der BeamtInnen ausgeliefert ist und das Leben in Haft grundsätzlich schikanös gestaltet ist.

Wie ist der Umgang von Häftlingen miteinander?

Ehrlich gesagt war ich ziemlich überrascht, wie unsolidarisch die meisten miteinander sind. Vor allem weil auch Rassismus unter den Häftlingen eine wichtige Rolle spielte. Häftlinge haben sich sogar z.T. gegenseitig verpfiffen bei BeamtInnen. Auf der anderen Seite gab es aber auch einige Häftlinge, deren solidarischer Umgang mit mir Kraft gegeben hat. Das gemeinsame Durchleben eines schrecklichen Häfnalltags verbindet schon irgendwie. Überrascht hat mich auch, wie deprimierende die meiste Zeit die Stimmung im Häfn wirklich ist. Das hat meine Erwartungen wirklich übertroffen.

Vor Augen geführt wurde mir im Knast auch, wie die Gesellschaft ihre eigenen Delinquenten produziert. Ein großer Teil der Inhaftierten war wegen Suchtmittelmissbrauch und damit zusammenhängenden Straftaten angeklagt. Was ich damit sagen will, ist, dass es bei einem anderen Umgang der Gesellschaft mit Drogen es diese Probleme nicht gäbe. Abgesehen davon stellt sich natürlich auch die Frage, weshalb so viele Menschen auf Drogen zurückgreifen müssen, um ihren Alltag zu bewältigen.
Der zweite große Teil waren Menschen v.a. aus Osteuropäischen Ländern, die wegen Diebstahls- und Eigentumsdelikten eingesessen sind, was klarerweise mit ungleich verteiltem Besitz zu tun hat.

Es sind alle zehn AktivistInnen nach Wiener Neustadt überstellt worden. Wie war dann die Situation dort im Knast?

Es wurde von Anfang an versucht, dass wir keinen Kontakt miteinander haben können.  Das hat aber nur Teilweise funktioniert, da der Häfn nicht groß genug war, um zehn Leute komplett voneinander zu trennen. Das war auch der Grund, warum wir nach ca. einer Woche auf drei verschiedene Häfn aufgeteilt wurden.

Glaubst du, dass das auch eine Maßnahme war, um die vielen Soli-Aktionen zu erschweren?

Ja, ich kann das gut vorstellen. Ich glaub aber, dass es nur ein Teil der Motivation war. Der andere bestand darin unsere übrig gebliebene Kollektivität aufzulösen. Zu dem Zeitpunkt haben schon mehrere von uns zehn einen Hungerstreik begonnen. Und wir haben jeweils auch mitbekommen, dass die anderen auch im Hungerstreik sind. Das kollektive Handeln hat Kraft gegeben. Mit dem Zerstreuen auf die verschiedenen Häfn wurde das auch verunmöglicht.

Magst du noch von Alltagserfahrungen im Häfn reden?

Allgemein ist es total öd! Man sitzt 23 stunden in der 12 qm Zelle und hat eine Stunde Hofgang. Anfangs war es noch schwieriger, auch weil wir weder Radio, noch Lesemöglichkeiten, noch Fernseher etc hatten. Also wirklich nichts. Psychisch ist das halt total belastend, weil man alleine ist und einem die ganze Zeit die Beschuldigungen durch den Kopf gehen. Grundsätzlich ist es so, dass das Licht um 6.00 in der Früh angeht und um 22.00 wieder abgedreht wird. D.h. der Tag ist durch die Essensausgaben strukturiert, um 07.00 Frühstück, 11.30 Mittagessen und um 17.30 Abendessen. Im Grunde ist es nur ein drauf warten, dass irgendwas passiert. Vor allem die ersten Wochen war es völlig unmöglich zu entspannen, oder irgendwie abzuschalten, weil man jeden Moment damit rechnen musste, dass man weiter verhört wird, oder sonst was passiert. Die meiste Zeit war ich alleine in einer Zelle, zeitweise aber auch mit jemand anderem, was echt anstrengend ist: So wenig Raum auch noch mit einem wildfremden Menschen teilen ist ziemlich anstrengend.

Welchen Faktor spielten für dich die Solidaritätsaktionen?

Mir wurde im Häfn bewusst, was es bedeutet Teil einer sozialen Bewegung zu sein und die Solidarität von draußen zu spüren! Sei es in Form von Soli-Demos, Briefe bekommen, oder sogar persönlichem Besuch. Es hat jeden Tag total die Kraft gegeben, die Unterstützung von draußen zu haben: Solidarität kann wirklich eine Waffe sein! Damit ist es gelungen das Ziel der Repression, die Isolation im Knast etwas aufzuheben. Positiv überraschend war es auch für mich mitzubekommen, dass die Solidarität nicht nur aus der Tierrechtsbewegung kam und kommt, sondern auch aus anderen linken Zusammenhängen. Besonderen Mut hat mir die Tatsache gemacht, dass es zu einer Vernetzung über die ideologischen und nationalstaatlichen Grenzen hinweg kam.

Hast du von den Soli-Aktionen erfahren?

Ich hab sehr viele Demos selbst gehört und jedes Mal hat mir das aufs Neue Kraft gegeben. Über die weltweiten Soli-Aktionen wurde ich meist über BesucherInnen oder Briefe, die ich aufgrund der Briefkontrollen erst Wochen später bekam, informiert. Mit so breiter Unterstützung hätte ich wirklich nicht gerechnet. Danke auch noch mal an dieser Stelle für alle, die sich in irgendeiner Form an Soli-Geschichten beteiligt haben und Briefe geschrieben haben etc.

Hast du Tipps für andere AktivistInnen, die in eine solche Situation kommen?

Eine der wichtigsten Sachen für mich war es die Aussage zu verweigern. Einerseits, weil es juristisch Sinn macht und jeder Beschuldigte das Recht darauf hat. Und andererseits als politisches Zeichen, weil es in dieser Situation kaum Handlungsmöglichkeiten gibt und ich natürlich die Kriminalisierung jeglicher progressiver politischer Bewegungen ablehne. Kurz und bündig: Einfach das Maul halten!

Was mich wirklich geschockt hat, war das Ausmaß an Überwachung und Ermittlungsmethoden, das eingesetzt wurde, wie Personenobservation, Telefon- und Emails überwachen, Wohnhausüberwachung, Peilsender an Autos anbringen, Kontobewegungen überwachen usw.

Was sagst du denn zum Vorwurf, dass ihr eine kriminelle Organisation sein sollt?

Für mich ist es recht offensichtlich, dass die Vorwürfe darauf abzielen eine politische Bewegung zu zerschlagen. Auch wenn die Betroffenen aus politisch ganz unterschiedliche Zusammenhängen kommen. Es waren ja Leute von drei verschiedenen Organisationen betroffen: von der Gruppe, in der ich aktiv bin, der Basisgruppe Tierrechte (BAT), vom Verein gegen Tierfabriken (VgT) und von Vier Pfoten. Diese Gruppen verfolgen allesamt unterschiedliche Ziele.

Wie sieht das Selbstverständnis der Basisgruppe Tierrechte denn aus?

Wir setzen uns grundsätzlich für die Befreiung von Tieren ein. D.h. dass es uns nicht darum geht, dass Tiere größere Käfige haben, oder humaner geschlachtet werden. Wir wollen vermitteln, dass Tiere keine Objekte sind, die als Ressourcen genützt werden können, sondern individuelle, fühlende Lebewesen sind, für die es genauso viel bedeutet am Leben zu bleiben, wie für uns. Dabei verfolgen wir im Gegensatz zu den anderen Gruppen aber einen allgemein politischen Ansatz. Das heißt, dass wir eine antikapitalistische Ausrichtung haben und diese in Zusammenhang mit dem Kampf gegen Rassismus und Sexismus sehen. Wir glauben, dass das Mensch-Tier Verhältnis ohne eine Analyse der der kapitalistischen Gesellschaft nicht zu verstehen ist. Ich bin also der Meinung, dass eine freie Gesellschaft, weder mit Kapitalismus, noch mit Tierausbeutung verwirklichbar ist.

Wie stark sind linke Kräfte innerhalb der Tierrechtsbewegung?

Ein Großteil der TierschützerInnen sieht sich als politisch „neutral“. D.h. dass sie die Behandlung von Tieren völlig isoliert von den restlichen gesellschaftlichen Verhältnissen sieht. Während sich Menschen, die sich für die Freiheit der Tiere einsetzen meiner Meinung nach auch mehr mit anderen progressiven Inhalten beschäftigen. Doch auch hier gibt es genug negative Beispiele, wo das nicht zutrifft. Es gibt immer wieder Menschen, die ihre Positionen, auf ein „Hauptsache für das Wohl der Tiere“ reduzieren und damit ihre politische Zurechnungsfähigkeit komplett einschränken. International gesehen würde ich aber sagen, dass in den letzten Jahren linksradikale Inhalte innerhalb der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung Zulauf bekommen haben.

Dieses Interview führte Reza Gilani (RSO Wien Süd/West)

Solidarität mit den zehn angeklagten TierrechtsaktivistInnen! Smash §278!

Links:

www.basisgruppe-tierrechte.org
http://antirep2008.lnxnt.org (bietet aktuelle Infos zum Verfahren, genauso wie Hintergrundinformationen)