Noch mehr als in anderen Ländern sind in Griechenland die Lebensmittel teurer geworden. In Athen und anderen Städten haben nun wiederholt überwiegend vermummte Unbewaffnete Supermärkte gestürmt, Lebensmittel ins Freie geschleppt und an die Bevölkerung verteilt. Die „Robin Hoods der Supermärkte“ oder „Supermarkt-Phantome“, wie sie von den Medien genannt werden, protestieren damit gegen die Preissteigerungen. Wir sprachen mit Savra, einer linken Aktivistin aus Athen.
Die erste Aktion der „Robin Hoods“ fand am 31. Mai statt und seitdem gab es eine Reihe von solchen Angriffen, jeweils bei großen Supermärkten. Die Aktionen laufen im Wesentlichen jedes Mal gleich ab. Savra berichtet: „5o bis 60 Leute, teilweise vermummt, dringen in den Supermarkt ein, füllen ihre Einkaufswagen und Rucksäcke mit Nudeln, Reis, Öl, Milch und anderen Grundnahrungsmitteln und verteilen sie an die Leute, die draußen einkaufen. Wenn die Polizei kommt, sind sowohl die erbeuteten Lebensmittel als auch die AktivistInnen längst weg.“
Sogar ORF-online berichtete über die „maskierten Rächer der Inflation“ und zitiert einen Polizeisprecher, der erklärte, dass „sie nie Geld gestohlen oder jemandem wehgetan haben. Sie bitten die Leute, ruhig zu bleiben.“ Dass die AktivistInnen bisher immer unbehelligt davon kommen, liegt auch an den gut gewählten Orten der Aktionen. Savra: „Die Aktionen finden in Athen immer in den ArbeiterInnen- und MigrantInnen-Vierteln statt, zum Beispiel in Exarcheia, Agios Panteleimonas, Peristeri, Neos Kosmos, und zwar immer an Tagen, wo es neben dem Supermarkt einen sogenannten Volksmarkt gibt und viel los ist. Die Volksmärkte sind Gemüsemärkte auf den Straßen und eine sehr populäre Einrichtung in Griechenland. Die Stimmung dort ist auch ein Barometer für die Stimmung in der Bevölkerung, aktuell für die Unzufriedenheit wegen der Teuerung, den Sozialkürzungen usw.“
Angesichts dieser Unzufriedenheit kommen die Aktionen gegen die Supermarktkonzerne gut an. Savra: „Die Annahme der Interventionen ist unerwartet gut. Die Reaktionen sind positiv und aufmunternd und in einigen Minuten die Einkaufswagen leer. Letzteres ist nicht selbstverständlich, wenn man rechnet, dass die Leute wissen, dass die Produkte gestohlen sind, es rundherum bekannte Nachbarn gibt usw.“
Während die „Supermarkt-Phantome“ die erbeuteten Lebensmittel verteilen, werfen sie Flugzettel in die Luft und skandieren Parolen gegen die steigenden Preise. Savra hat einen der Flugzettel für uns übersetzt: „In der letzten Zeit sind wir Zeugen eines Phänomens, das Bestandteil der Taktik der Kapitalisten ist. Grundnahrungsmittel werden zu extrem hohen Preisen verkauft – unter dem Vorwand, das ‚verlangt der freier Markt’. Es ist derselbe freie Markt, der uns zwingt, für 600 Euro pro Monat unser halbes Leben in den Bleikammern der Lohnsklaverei zu verschwenden. Einheimische Lebensmittel kosten in Griechenland zweimal so viel wie in anderen europäischen Ländern. Die Regierung spricht über vereinzelte Spekulanten und versucht mit lächerlichen Tricks (z.B. die berüchtigten 41 Maßnahmen gegen die Teuerung) den sozialen Zorn zu beschwichtigen. Neben der Regierung sprechen die politischen Parteien und Medien über einen ‚unkontrollierten Kapitalismus’, über eine ‚Isolierung der Spekulanten’ und über die Bedeutung eines Konsumbewusstseins durch ‚Boykott’ der teuren Produkte. Da wir uns weigern, an diesem Spiel teilzunehmen, wenden wir unsere eigenen Maßnahmen gegen die Teuerung an. ENTEIGNUNG ALLER PRODUKTE, DIE WIR PRODUZIEREN! ALLES IST GESTOHLEN, ALLES GEHOERT UNS! ZORNIGE KONSUMENTEN.“
Die Teuerung ist seit Monaten das politische Hauptthema in Griechenland. Die Preise lagen im August um 4,6 Prozent (EU-Durchschnitt: 3,6) über denen von August 2007. Die Teuerung bei Lebensmitteln liegt in vielen Fällen noch deutlich über der Inflationsrate. Wie auch in Österreich oder Deutschland sind die Gewerkschaften weitgehend untätig. Savra: „Der Gewerkschaftsdachverband GSEE, der angeblich gegen die Teuerung ist, tut nichts. Die ‚Arbeiterväter’, wie in Griechenland die Gewerkschaftsspitze genannt wird, sind diejenigen, die heuer einen Kollektivvertrag unterschrieben haben, der eine Lohnerhöhung von 1 Euro pro Tag vorsah.“
Da die Teuerung während der letzten Monate ein zentrales Thema der Medien war, hatten auch die Aktionen der „Supermarkt-Robin-Hoods“ eine ziemlich große Öffentlichkeiten. Savra: „Die Medien berichten davon, allerdings mit einer gewissen Verlegenheit. Auf der einen Seite sind die ‚Täter’ AnarchistInnen, die in der bürgerlichen Medien einen besonders schlechten medialen Ruf als ‚bekannte Unbekannte’, ‚Krawallmacher’ usw. genießen. Auf der anderen Seite wissen sie die Fernsehstationen, dass solche Aktionen die Zustimmung ihrer ZuschauerInnen haben. Der Präsident der Supermarkt-Vereinigung hat den TV-Sendern mit Anzeigen gedroht, falls sie wieder über ähnliche Aktionen berichten. Gleichzeitig ist die Angst der Polizei, dass die Aktionen in den Supermärkten in der Bevölkerung NachahmerInnen finden könnten. Meine persönliche Meinung ist, dass das unwahrscheinlich ist.“
Wir halten diese Einschätzung für realistisch. Das hängt auch mit der politischen Grenze dieser Aktionen zusammen. So legitim und sympathisch sie sein mögen: „Robin-Hood“-Aktionen, um diesen Begriff aus den Medien aufzugreifen, handeln FÜR die ausgebeuteten Teile der Bevölkerung, aber sie mobilisieren und organisieren sie nicht.