Der selbsternannte „geliebte Führer“ Nordkoreas, Kim Jong-il, gehört wohl zu den schrägsten Figuren in der Geschichte des Stalinismus. Laut der staatlichen Geschichtsschreibung soll seine Geburt 1942 von einem doppelten Regenbogen und einem leuchtenden Stern begleitet worden sein. Angeblich steht er auf edlen Cognac der Marke „Hennessy Paradis“ und soll mit 20.000 Exemplaren die weltweit größte private Filmsammlung besitzen. Haufenweise Gerüchte gibt es auch um seinen Gesundheitszustand, zur Zeit spekulieren internationale Medien wieder einmal mit seinem Tod. Derlei Gerüchte wollen wir allerdings anderen überlassen und uns stattdessen ein wenig mit dem politischen und ökonomischen System Nordkoreas auseinandersetzen.
Was für ein Staat?
Nordkorea ist heute neben Kuba eines der beiden letzten verbliebenen Systeme, die als „degenerierte ArbeiterInnenstaaten“ bezeichnet werden können. Damit meinen wir Länder mit verstaatlichter Planwirtschaft, welche aber nicht unter der Kontrolle der arbeitenden Menschen, sondern unter der Kontrolle einer privilegierten Bürokratie steht. Nordkorea ist also nicht kapitalistisch – aber sozialistisch ist es auch nicht. Besonders offensichtlich wird dies am krassen Gegensatz zwischen der abgehobenen Führungsclique und der bitterarmen Bevölkerung.
Entstanden ist Nordkorea nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als sich die USA und die UdSSR die Besatzung der ehemaligen japanischen Kolonie entlang des 38. Breitengrads untereinander aufteilten. In den 50er Jahren verzeichnete die nordkoreanische Wirtschaft noch sensationelle Wachstumsraten von über 20%. Folglich wurde das Land zum respektierten Modell in der Bewegung der blockfreien Staaten (Jugoslawien, Ägypten, Indien, Indonesien etc.) und stand weitaus besser da als das kapitalistische Südkorea. Trotz massiven Wirtschaftshilfen durch die USA, die in den 50ern 15% des BIP ausmachten, konnte der spätere „Tigerstaat“ erst 1970 gleichziehen. Doch mit den 70er Jahren kam die Wende und die Probleme in der Wirtschaft mehrten sich. Industrieanlangen und Technologie veralteten und verfielen, Exporte nahmen ab und Planziele konnte nur mehr unzureichend erfüllt werden. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 90er Jahre fielen plötzlich wichtige Lieferungen (v.a. Öl, Ersatzteile) weg und Nordkoreas Wirtschaft schlitterte in eine tiefe Krise. Hinzu kam eine schwere Hungersnot Mitte der 90er Jahre, die bis zu 1 Mio. Menschen (von etwa 22 Mio.) dahinraffte.
Seither versuchen westliche Medien verstärkt gegen den angeblichen „Sozialismus“ in Nordkorea Stimmung zu machen, indem sie auf die katastrophale humanitäre Lage hinweisen. Tatsächlich litten laut UN-Welternährungsbericht 2005 36% der nordkoreanischen Bevölkerung an Unterernährung. Das ist schlimm genug – aber die meisten Regionen Afrikas weisen einen noch höheren Wert an Unterernährten auf (z.B. Zentralafrika 55%, Ost- und Südafrika 40%). Warum bloß gibt es hier nicht andauernd grauenvolle Berichte über die betroffenen Menschen und belehrende Statements über die Untauglichkeit des Kapitalismus?
Marktreformen
Angesichts der wirtschaftlichen Probleme zog die stalinistische Führungsclique unter Kim Jong-Il den Schluss, dass nur Marktreformen, d.h. die Lockerung der Planwirtschaft zu Gunsten von Angebot und Nachfrage, die desolate Volkswirtschaft retten können. Aus ihrer Sicht war das nur logisch, denn die Alternative – ArbeiterInnenkontrolle- und demokratie in der Produktion – hätte letztendlich ihre eigenen Privilegien gefährdet. Und so gibt es mittlerweile schon drei Sonderwirtschaftszonen in Nordkorea. Dort wird von ausländischen Firmen, teilweise in Kooperation mit nordkoreanischen Unternehmen, für den Export produziert. Beispielsweise baut ein Staatsbetrieb in Kaesong gemeinsam mit einem südkoreanischen Unternehmen im Besitz der christlichen Mun-Sekte 10.000 Kleinwagen pro Jahr für Fiat. Der Lohn von umgerechnet 50 Dollar pro Monat geht jedoch nicht direkt an die ArbeiterInnen, sondern an den Staat, der davon erst einmal kräftig etwas abschneidet.
Zu den weiteren Reformen gehört die Abschaffung des staatlichen Rationierungssystems für Lebensmittel und die Annäherung deren Preise an den Weltmarktpreis im Jahr 2002. Seit 1998 bekommen die Staatsunternehmen keine mengenmäßigen Planauflagen mehr, müssen Kosten berücksichtigen, Gewinn machen und untereinander handeln. Auf Straßenmärkten dürfen Lebensmittel und seit 2003 auch industrielle Produkte privat verkauft werden.
Praktisch dabei ist, dass mit der wirren Chuch’e-Ideologie, Nordkoreas „Staatreligion“, die seit 1977 den „Marxismus-Leninismus“ in der Verfassung ersetzt hat, all diese Erneuerungen prima erklärt werden können. Denn dieser skurrile Mix aus Erklärungen, warum „der Führer das höchste Hirn der sozialpolitischen Gemeinschaft“ (Kim Jong-il) ist und Rechtfertigungen, warum sich Nordkorea international isoliert hat, ist ansonsten vor allem eins: Nichts sagend. Und damit sehr flexibel einsetzbar. Bereits 2003 hieß es also in der Parteizeitung Rodong Sinmun, dass mensch sich „von den alten Standpunkten der vergangenen Ära befreien“ sollte.
Weg mit der Bürokratie!
Die verschiedenen Mächte sind sich im Fall Nordkorea nicht einig. China und Teile des südkoreanischen Kapitals hoffen auf eine Fortführung der Reformen hin zum Kapitalismus. Die Rechte in den USA würde – wenn sie könnte, doch Nordkorea hat möglicherweise die Atombombe – lieber heute als morgen angreifen. (Auch wenn Bush Nordkorea jetzt einmal von der Liste der „Schurkenstaaten“ gestrichen hat). Klar ist: Dieses Regime, das mit seiner Repression, seinem absurden Personenkult und seiner quasi-religiösen Ideologie eine Verhöhnung für den Begriff „Sozialismus“ darstellt, muss gestürzt werden!
Aber nicht durch den US- oder japanischen Imperialismus, denn denen geht es nicht um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen sondern bloß darum, einen verlässlichen, kapitalistischen Bündnispartner in der Region zu haben und nebenbei das verstaatlichte Eigentum auszuschlachten. Es muss durch eine politische Revolution der nordkoreanischen ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen beseitigt werden – jene also, die am meisten unter dieser Regierung leiden.
Artikel aus REVOLUTION Nr. 31