Frankreich hat eine neue antikapitalistische Partei. Nach knapp vierzigjährigem Bestehen löste sich die aus trotzkistischer Tradition kommende LCR (Ligue communiste révolutionnaire – Revolutionär-kommunistische Liga) am Freitag den 6. Februar auf, um noch am selben Wochenende die Gründung der NPA (Nouveau Parti Anticapitaliste – Neue Antikapitalistische Partei) zu ermöglichen. Eine erste Einschätzung aus Paris…
Die Gründungskonferenz, bei der an die 600 Delegierte unter anderem über Namen, Grundprinzipien und Statuten der neuen Partei abstimmten, ist der Abschluss eines Prozesses, der bereits vor gut eineinhalb Jahren begann. Denn bereits unmittelbar nach der Präsidentschaftswahl von 2007 hatte die LCR, motiviert vielleicht durch die relativ guten Ergebnisse ihres Kandidaten Olivier Besancenot (er bekam 4% der Stimmen), dieses Projekt ins Leben gerufen. Sie verkündete, unter dem Banner des bewusst wagen Begriffs „Antikapitalismus“ die nicht minder nebulöse und diffuse Gemeinschaft der alternativen und libertären Bewegungen, der radikalen Linken, der GlobalisierungsgegnerInnen, UmweltaktivistInnen und enttäuschten GewerkschaftlerInnen vereinen zu wollen.
Ein langer Weg
Doch selbst dieser Gründungsprozess ist nur das Ergebnis einer langjährigen Entwicklung, in der sich die LCR immer mehr von Marxismus und Trotzkismus verabschiedet hat und in der sich ihre Zusammensetzung gleichzeitig diversifiziert hat. Diese beiden sich gegenseitig bedingenden Phänomene haben in den letzten Jahrzehnten immer wieder zu opportunistischen Projekten wie Unterstützungen von progressiv wirkenden Politikern wie Pierre Juquin für die Präsidentschaftswahl 1988 und Charles Fiterman in den 90ern geführt (beide Politiker fanden in der Folge ihren Weg von der Kommunistischen Partei zur Unterstützung bzw. den Eintritt in die Sozialdemokratie).
Schließlich lieferte auch die Gemeinderatswahl von 2008 zumindest ein Beispiel dafür, dass bereits vor Gründung der NPA jene AktivistInnen den Ton angaben, denen die marxistische Tradition fremd ist: als nämlich beim zweiten Durchgang in Montreuil, einer Vorstadt von Paris und LCR-Hochburg, die WählerInnen der von der LCR angeführten Liste die Wahl hatten zwischen dem KP-Kandidaten und der Grünen Dominique Voynet (Ministerin in der Regierung Jospin), entschieden sie sich großteils für die Grünen und gegen die KPF, also eine Partei, die zwar nur dem Etikett nach „kommunistisch“ ist, aber immerhin noch eine gewisse Verankerung in der ArbeiterInnenklasse hat und eher von ArbeiterInnen gewählt wird.
Wenn Olivier Besancenot heute den Guerilla-Führer Che Guevara als sein Vorbild nennt, wenn im Januar 2000 in einem Artikel der heute aufgelösten LCR-Zeitung „Rouge“ die Oktoberrevolution von 1917 als „Legende des Jahrhunderts“ bezeichnet wird, dann verwundert es uns nicht, dass im Grundsatzpapier der NPA vom „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ die Rede ist, und dass neben diesem Ausdruck als Parteiziel auch „Ökosozialismus“ zur Auswahl stand, von Kommunismus aber nicht die Rede ist. Auch der schlussendlich angenommene Begriff des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ ist sehr zweifelhaft, ist er doch direkt von Hugo Chávez in Venezuela übernommen, und dort findet keineswegs eine sozialistische Umwälzung der Gesellschaft statt.
Charakter der NPA
An der LCR, deren Mitglieder auf 3000 und deren Umfeld auf ungefähr 5000 geschätzt wurden, ist also keine kommunistische Organisation verloren gegangen, sondern es hat sich mit der NPA, deren Kongress-Delegierte etwas mehr als 9000 Mitglieder vertraten, vielmehr eine politische Formierung entwickelt, die in verschiedenen Bewegungen mitmischen wird und sich gegen Sozialabbau und Krieg engagieren und für Umweltschutz und Feminismus einsetzen wird. Eindeutig ist, dass die NPA zu einem gewissen Attraktionspol werden konnte und deutlich mehr AktivistInnen anzieht als die LCR zuvor. Doch der Preis dafür ist der Verzicht auf die Reste eines trotzkistischen Erbes und somit auf die politische Identität. Und langfristig wird das wohl mehr kosten als nützen. Bereits jetzt gibt es Aussagen führender ehemaliger LCR-Mitglieder, die Regierungsbeteiligungen nicht grundsätzlich ablehnen.
Mit einer revolutionären Partei der ArbeiterInnenklasse hat die NPA nur wenig zu tun. Die ArbeiterInnenklasse ist aber nicht nur die produktive Kraft dieser Gesellschaft, sondern auch jene, die dem Kapitalismus endgültig sein Grab schaufeln wird. Hat sich die Welt in den letzten zweihundert Jahren auch sehr verändert, ist die Ausbeutung der Lohnabhängigen in den letzten drei Jahrzehnten auch noch verschärft worden, die Funktionsweise dieses Ausbeutungssystems, so wie sie von Marx beschrieben wurde, und ihre Auswirkungen auf den Alltag der Menschen ist in ihren Grundfesten dieselbe geblieben und zeigt ihren brutalen Charakter gerade anlässlich der aktuellen Krise der kapitalistischen Wirtschaft.
Als AktivistInnen, die an der Seite der ArbeiterInnen für eine kommunistische Gesellschaft kämpfen, die nicht vom Profit Einiger sondern von den Bedürfnissen Aller geleitet wird, sehen wir im Marxismus mehr denn je ein geeignetes Werkzeug und in den Texten und Erfahrungen von Lenin, Luxemburg und Trotzki weiterhin gültige Hilfsmittel für unsere tägliche Arbeit.