In Grossbritannien wurden zum ersten Mal seit der Einführung der Europawahlen faschistische Abgeordnete gewählt. Labour verlor im ganzen Land massiv an Stimmen, was vor allem der Opposition der Konservativen und der noch konservativeren und nationalistischeren United Kindgom Independence Party (UKIP) einen massiven Sieg einbrachte. Aus Manchester berichtet Sebastian Osthoff. Gleich zwei Faschos, darunter der Vorsitzende der faschistischen British National Party (BNP) Nick Griffin, konnten je einen Sitz ergattern, im Nordwesten und in Yorkshire and the Humber. Im Nordwesten ging der Sitz auf Kosten der stark angeschlagenen, sozialdemokratischen Labour Party, welche zurzeit die Regierung in Grossbritannien stellt.
Die Linke war angesichts der komplizierten Sachlage unfähig adäquat zu reagieren. Einige Gruppierungen riefen zu irrealen Einheitsfronten mit den Grünen oder der Labour Party auf. Die Communist Party of Britain (CPB) und die aus trotzkistischer Tradition kommende Socialist Party of England and Wales (SP, Mitglied des Comittee for a Workers International: mehr dazu in Marxismus Nr. 30 „CWI und IMT“) stellten mit Rückendeckung der EisenbahnerInnen-Gewerkschaft RMT eine eigene Wahlplattform, „No2EU, yes to democracy“ auf die Beine, die versuchte, den Anti-EU-Nationalismus zu kopieren.
FaschistInnen in Grossbritannien
Die BNP spaltete sich in den 80er Jahren von der faschistischen National Front ab, einer Organisation, welche vor allem für ihre Skinhead-Schläger bekannt war. Die BNP war und ist ebenfalls eine faschistische Partei. Sie pflegte und pflegt auch heute noch Kontakte zu Nazis in der ganzen Welt, vor allem zu den „White Nationalists“ in den USA und zu Südafrikanischen RasisstInnen, von welchen viele heute in Grossbritannien im Exil leben und hier auch bevorzugt der BNP beitreten.
Vor einigen Jahren änderte die Partei jedoch ihr Image und ihre Strategie. Sie wollte mehrheitsfähig werden und trat deshalb moderater auf. Springerstiefel und Bomberjacken wurden gegen Anzüge und Krawatten eingetauscht und statt von Rassenkrieg sprach man von Massenimmigration. Die BNP versuchte ganz aktiv vor allem ehemalige desillusionierte Labour-Party-WählerInnen im stark industrialisierten Norden und Nordwesten Grossbritanniens zu ködern. Dazu gab sie sich auch einen leicht antikapitalistischen Anstrich und griff die von der Labour Party und den Konservativen durchgeführten Privatisierungen des öffentlichen Dienstes an.
Das Problem hinter allem ist aber, dass sich nur das Auftreten der BNP geändert hat. Ihre FührerInnen hängen immer noch der faschistischen Ideologie von früher an. Führer der Partei und jetzt Europa-Abgeordneter Nick Griffin leugnet zum Beispiel immer noch den Holocaust und er gab auch an einem Treffen mit amerikanischen Nazis offen zu, dass die „Milderung“ der Positionen der BNP nur dazu diene mehrheitsfähig zu werden. Vor diesem Hintergrund ist der Erfolg der BNP bei den Europawahlen – sie erreichten Landesweit 6,2 % – umso erschreckender. Die grössten Erfolge konnte die Partei dabei auch wirklich in ihrem „Homeland“, dem Norden, und Nordwesten erreichen.
Gefährlich ist das insoweit, dass dadurch der Partei nun immense finanzielle Mittel aus Brüssel zustehen. Für zwei Abgeordnete dürfte sich die Summe auf etwa 4 Millionen britische Pfund belaufen. Geld, dass in den Händen von FaschistInnen natürlich eine enorme Gefahr darstellt, nicht zuletzt für Linke, MigrantInnen und andere Feindbilder der Faschos. Andererseits sind die FaschistInnen im Europaparlament wenigstens „nur“ in einem Gremium, in dem herzlich wenig reale Politik gemacht wird.
Labour diskreditiert sich selbst
Der Sieg der FaschistInnen ist vor allem der historischen Schwäche der Labour Party, der traditionellen britischen ArbeiterInnenpartei, geschuldet. Diese Partei, welche in Grossbritannien seit über 10 Jahren die Regierung stellt, hat nur wenige Gelegenheiten ausgelassen, der Klasse, auf welche sie sich stützt, in den Rücken zu fallen. Nicht nur war sie sehr bemüht darin, den öffentlichen Dienst zu privatisieren und die von Margaret Thatcher eingeführte „neoliberale Revolution“ zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Auch reihte sie sich bereitwillig in den vom US-Imperialismus geführten Krieg gegen Afghanistan und den Irak ein.
Seit einigen Monaten verstrickte sie sich auch noch in eine unschöne Affäre um die Auslagen der britischen Parlamentsabgeordneten. Dabei kam ans Licht, dass sich die britischen PolitikerInnen bereichert haben, indem sie sich unter anderem auch Pornofilme, Hypotheken für längst verkaufte Häuser und schwimmende Entenhäuser finanzieren liessen. Obwohl alle Parteien an diesen Korruptionsfällen beteiligt waren, wurde vor allem Labour als Regierungspartei dafür verantwortlich gemacht.
Die Rechnung für Labour kam bei den Europawahlen heftig. Fast 7 % haben sie landesweit verloren. Der enorme Sieg der anderen Parteien kam nicht von einem massiven Stimmen-Zuwachs, sondern von einer hohen Wahlabstinenz in der britischen Bevölkerung. Alle Parteien und parlamentarische Politik im Allgemeinen leiden an einer krassen Unpopularität. Politische Institutionen und PolitikerInnen haben sich in den Augen der Bevölkerung, vor allem der ArbeiterInnenklasse massivst diskreditiert. Die Frage ist schlussendlich, ob das eine positive oder negative Entwicklung für die ArbeiterInnenbewegung darstellt. Wahrscheinlich handelt es sich ein bisschen um beides.
Die Linke
Bereits im Vorfeld der Wahlen herrschte unter den Strömungen links von Labour große Unklarheit. Grundsätzlich massen alle Gruppierungen den Wahlen einen sehr hohen Stellenwert bei. Im linken Lager kristallisierten sich vor allem 3 Hauptströmungen heraus: Erstens jene, welche selbst zur Wahl antraten, zweitens jene, welche zur kritischen Unterstützung für Labour (kleinere Kreise auch für die Grünen) aufriefen und drittens jene Strömung, welche einen Wahlboykott forderte, neben AnarchistInnen trifft das auch auf die aus trotzkistischer Tradition kommende Liga für eine fünfte Internationale (LFI) zu. Keine der Strategien aber erwies sich als adäquat, um auf die Situation einzugehen und – wie teilweise verheissen wurde – die faschistische BNP zu stoppen. Dies liegt nicht zuletzt am fehlenden Gewicht, welches radikale linke Organisationen in Grossbritannien haben und oftmals ihre Selbsteinschätzung unterschreitet.
Die Wahlplattform „No2EU; yes to democracy“ kokettierte offen mit bürgerlichem Anti-EU-Nationalismus und versuchte von Links die FaschistInnen zu übertrumpfen. InitiatorInnen dieses Projektes waren die Eisenbahnergewerkschaft RMT (die zur Zeit kämpferischste Gewerkschaft in Grossbritannien), die stalinistische, offizielle Communist Party of Britain und die mit trotzkistischen Anspruch auftretende Socialist Party.“No2EU“ schnitt dann auch sehr schwach ab. Sogar die stalinistische Socialist Labour Party des ehemaligen BergarbeiterInnenführers Arthur Scargill erreichte ein Mehrfaches an Stimmen. Grösster Fehler der Plattform war sicherlich, dass sie ein sozialistisches Programm durch die Kopie eines momentan populären Konzepts der bürgerlichen Politik, des Anti-EU-Nationalismus, ersetzte. Eine solche Linie der politischen Adaptierung ist typisch für die in No2EU vertretenen Organisationen.
Klar ist, die britische Linke ist unfähig eine Alternative zum Parlamentarismus anzubieten und versuchte deshalb krampfhaft, irgendwie auf den fahrenden Zug aufzuspringen und den Eindruck zu erwecken, sie könne auf die Fahrtrichtung relevanten Einfluss nehmen – von völlig illusorischen „Einheitsfronten“ mit etablierten Parteien bis hin zur Anpassung an den bürgerlichen Nationalismus.
Linke hinkt der Klasse hinterher
In Grossbritannien wird das Desinteresse an den Wahlen zumeist als negative Politikfeindlichkeit der ArbeiterInnenklasse gewertet. Die ArbeiterInnenklasse scherte sich tatsächlich nicht ansatzweise so um die Europawahlen, wie die organisierte Linke dies tat. Das hat aber nicht nur negative Seiten. Für uns ist klar, die Parlamente sind Schwatzbuden, demokratische Fassaden für die Diktatur der Bourgeoisie und ihre Hinterzimmerpolitik. Beim Europaparlament ist diese Funktion sogar noch weitaus offensichtlicher als bei den verschiedenen nationalen Parlamenten. Die ArbeiterInnenklasse lässt sich in zu grossen Teilen nicht davon täuschen. Breite Massen haben den undemokratischen und reaktionären Charakter der EU in ihrer heutigen Gestalt erkennt und gehen deshalb auch nicht wählen.
Solche Elemente eine Desillusionierung über den Charakter der bürgerlichen Herrschaft sollte von kommunistischer Seite doch sehr begrüsst werden, wenn auch nicht damit teilweise einhergehende politische Resignation. In der britischen Linken ist aber die Ausrichtung auf den Parlamentarismus sehr stark. Die Interventionen linker Organisationen hatten dann auch oft den Charakter bürgerlicher Wahlmobilisierungen. Einige Gruppen gingen sogar so weit offen zu skandieren: „Vote anyone but the BNP“. Diese Parole zeugt von dem Level in welchem manche „radikale“ linke Gruppen versuchen bei der bürgerlichen Politik anzubandeln.
Für revolutionäre KommunistInnen ist klar, dass der Faschismus nicht mit Wahlen gestoppt werden kann. Der Kampf gegen den Faschismus muss unmittelbar auch ein Kampf gegen den Kapitalismus sein, denn er ist es, welcher den Faschismus immer wieder wie ein Phönix aus der Asche steigen lässt. Dadurch, dass die Linke unkritisch in den Parlamentarismus einsteigt, tut sie sich keinen Gefallen, sondern bereitet dem Faschismus auf lange Sicht nur einen besseren Nährboden.
Grosse Teile der ArbeiterInnenklasse haben bereits begonnen, sich von den Parlamenten abzuwenden. Damit die Abwendung von den bürgerlichen Parlamenten nicht in politische Apathie führen, ist die bewusste politische Organisierung der ArbeiterInnen als Klasse nötig. Doch eine solche Entwicklung ist nur möglich, wenn die revolutionäre Linke mit einer realistischen Politik, die ihre subjektive Stärke einkalkuliert, an den Desillusionierungen anknüpft. Entscheidend für die unmittelbar anstehenden Schritte eines neuen Aufschwunges der antikapitalistischen Linken ist nicht die Politik bei bürgerlichen Wahlen, sondern der Aufbau einer revolutionären Organisation und die Verankerung von revolutionären Strukturen in der ArbeiterInnenklasse, insbesondere in den Betrieben.