Seit 30 Jahren legt Chinas Wirtschaftskraft, gemessen am BIP, im Schnitt um über 9% pro Jahr zu. Nun befindet sich die kapitalistische Weltwirtschaft in der schwersten Krise seit den 30er Jahren und auch Chinas Ökonomie muss Federn lassen.
Der ökonomische Aufstieg Chinas in den letzten drei Jahrzehnten ist die längste Wachstumsphase in einem solchen Ausmaß einer Volkswirtschaft in der Geschichte des Kapitalismus. In den letzten Jahren wurde das Land daher immer öfter als die neue ökonomische Supermacht gehandelt. Bedingt durch die Rezession in den USA und anderen Ländern, die bislang zu den Hauptabnehmerinnen chinesischer Produkte gehörten, hat aber die Weltwirtschaftskrise, verstärkt seit dem Jahreswechsel, auch in China voll zugeschlagen.
Auch wenn das Land bei der Entwicklung der Industrieproduktion deutlich bessere Werte hat als sämtliche andere relevante Mächte, so sind auch in der chinesischen Ökonomie erhebliche Einbrüche zu spüren. Besonders stark eingeknickt ist der chinesische Handel mit anderen ostasiatischen Ländern, was an der überdurchschnittlich tiefen Krise in Japan und Südkorea liegt; der Handel Chinas mit Südkorea etwa ist um 29% zurückgegangen. Insgesamt lagen die Exporte Chinas im Februar 2009 um 25,6% niedriger als ein Jahr zuvor, die Industrieexporte sogar um 31,9% niedriger.
Im Mai 2009 waren die chinesischen Exporte im Vergleich zum gleichen Monat im Vorjahr bereits um 26,4% gefallen – der stärkste Rückgang seit Etablierung dieser Statistik im Jahr 1995. Besonders stark betroffen sind die südlichen und östlichen Küstenprovinzen, wo die Exportindustrie konzentriert ist, was wiederum zu massiven Kündigungswellen in diesen Regionen geführt hat. Auch die in den letzten Jahren immer mehr aufgeblähte Immobilienbranche brach stark ein.
Relative Stärke
Allerdings war China in den letzten Monaten die einzige größere Volkswirtschaft, die noch substantiell gewachsen ist. Während der IWF einen Rückgang des globalen BIP um 1,3% im Jahr 2009 prognostizierte, erwartet China für dieses Jahr eine Wachstumsrate zwischen 6,5% und 8,5%. Und während die international führenden Börsenindizes im ersten Quartal 2009 um 4,5% gefallen sind, ist der Index der Shanghaier Börse um 38% gestiegen. (Allerdings könnten dies auch weniger die Stärke der dahinter liegenden Ökonomie ausdrücken, als die Tatsache, dass große Summen spekulativen Kapitals in die Aktienmärkte fließen.)
Der Grund für diese relative Stärke ist, dass China aufgrund seiner mittlerweile massiven Verflechtung mit der Weltwirtschaft und seiner hohen Exportquote zwar das Einbrechen der Märkte in den USA, Japan und Europa zu spüren bekommt, sein noch immer stark staatlich gelenkter Bankensektor aber von den Verwerfungen der Krise nur unterdurchschnittlich stark betroffen ist. Und durch die enorm hohe Sparrate (in den letzten Jahren über 40% des BIP) sind die Koffer der chinesischen Banken zudem gut gefüllt.
Als Reaktion auf die Krise hat die chinesische Regierung, durchaus im internationalen Gleichklang, ein riesiges Konjunkturpaket lanciert. Vier Billionen Yuan, umgerechnet rund 450 Milliarden Euro, sollen in den nächsten zwei Jahren vor allem in Infrastruktur- und Verkehrsprojekte, aber auch in Subventionen für private KonsumentInnen fließen. Obwohl dieses Paket bereits deutlich sichtbare Wirkungen zeigt – so hat der Automarkt, nachdem er im Zuge der Krise zum Jahresende 2008 stark eingebrochen war, im März 2009 bereits wieder einen neuen Rekordzuwachs verzeichnen können –, wird der Binnenmarkt die Probleme der chinesischen Ökonomie nicht lösen können. Dazu ist er noch viel zu schwach entwickelt und die Lohnkürzungen von bis zu 20% und Einfrierungen des Mindestlohns, die in den letzten Monaten beobachtet werden konnten, werden diese Situation auch nicht gerade verbessern.
Und es ist diese (inländische wie ausländische) Nachfrage, die zurückgeht und den chinesischen Industrien Probleme bereitet. Da nützt auch das mit dem Konjunkturpaket verbundene Ziel, die Banken zu animieren, mehr Kredite zu vergeben, nichts, schließlich haben vor allem die staatlichen und staatsnahen chinesischen Unternehmen mehr als genug Ersparnisse. Allerdings – und das ist schwer auszumachen – könnten die chinesischen Banken auf einem riesigen Haufen fauler (also uneinbringbarer) Kredite sitzen – ein Quelle schwerwiegender ökonomischer Probleme. Hier ist vor allem der Bereich Immobilien und Bauwirtschaft zu nennen, welcher sich durch das rapide Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren regelrecht aufgebläht hat. Ein Platzen dieser Blase kombiniert mit einer lang anhaltenden Stagnation der USA, Europas und Japans könnte die chinesische Ökonomie in viel ernsthaftere Schwierigkeiten bringen als jene, die sie gegenwärtig betreffen. Dazu kommt – wie bei anderen Ländern auch – ein massiver Anstieg der Staatsschulden durch das Konjunkturpaket.
Staatskapitalismus und Protektionismus
Durch den immer noch starken Einfluss des chinesischen Staats in der Ökonomie hatte China in der Krise sicherlich einen Startvorteil, zumal sich die Auswirkungen dort auch erst ein wenig verzögert zeigten. Allerdings hat sich anhand des Handelns der Regierungen in den USA und Europa in Bezug auf die Weltwirtschaftskrise auch gezeigt, dass sich die chinesische Wirtschaftspolitik heute keineswegs mehr substanziell von jener anderer Mächte unterscheidet. Chinas Wirtschaft funktioniert heutzutage dominierend nach kapitalistischen Mechanismen und nicht mehr nach denen einer Planwirtschaft (mehr dazu in unserer Broschüre „China auf dem Weg zur Weltmacht“). Schließlich existiert die vollkommen liberale Marktwirtschaft bestenfalls in neoklassischen Lehrbüchern, im real existierenden Kapitalismus gibt immer staatliche Eingriffe in die Wirtschaft, mal mehr, mal weniger. Und der staatliche Sektor in China hat heute genauso wenig mit Planwirtschaft oder gar Sozialismus zu tun (letzteres hatte er nie) wie der US-amerikanische Finanzminister mit Lenin, selbst wenn ihn liberale Medien aufgrund der Verstaatlichung von Banken als „Wladimir IljitschPaulson“ bezeichnen mögen.
Schließlich dienen jene Verstaatlichungen, die wir heute überall auf der Welt beobachten können, einzig und allein der Rettung des angeschlagenen kapitalistischen Systems. In vielen Fällen heißt das im Klartext Rettung der jeweiligen nationalen Kapitale – auf Kosten der anderen. Sollte die Krise sich vertiefen, wird ein Anstieg protektionistischer Maßnahmen wahrscheinlicher. Schließlich waren laut Studien der UNCTAD bereits vor Ausbruch der Krise 20% aller weltweiten handelspolitischen Maßnahmen protektionistischer Natur, während es in den 90er Jahren nur 2 bis 3% waren. Und auch wenn die internationale Koordinierung im Krisenmanagement aufgrund der immer noch hegemonialen Stellung der USA bislang zumindestens einigermaßen funktioniert hat, so sind schon erste Risse sichtbar.
Ende Mai beschwerte sich der Präsident der europäischen Handelskammer in China, Jörg Wuttke, darüber, dass die chinesische Regierung bei Aufträgen im Rahmen ihres Konjunkturpaktes ausländische Firmen benachteiligen würde. Diese spielt jedenfalls mit offenen Karten und legt fest, dass Gelder zuerst in „chinesische Produkte“ fließen müssten. Während viele lokale Regierungen dieses Prinzip gerne umgehen, um InvestorInnen in „ihre“ Region zu locken muss die Regierung in Beijing als ideeller Gesamtkapitalist für China im Ganzen fungieren – und handelt damit nicht anders als andere kapitalistischen Regierungen auch. Schließlich haben auch die USA eine so genannte „buy american“-Klausel in ihrem Konjunkturpaket implementiert. Letztendlich könnte aber wiederum China vom US-Konjunkturprogramm profitieren, sollte es mithilfe diesem gelingen, die US-Wirtschaft wieder einigermaßen anzukurbeln und den Konsum der US-amerikanischen Haushalte zu stimulieren.
Doch auch anderweitig ist China von den Vorgängen in den USA betroffen. Als die amerikanische Notenbank im März verkündete, US-Staatsanleihen im Wert von 300 Milliarden Dollar aufkaufen zu wollen, reagierte die chinesische Führung mit Skepsis. Schließlich bedeutet die Praxis der FED, dass der US-amerikanische Staat de facto bei sich selbst Kredit aufnimmt, was nichts anderes bedeutet, als dass er sich selbst Geld druckt. Und dass ist wiederum nicht eben vorteilhaft für all jene, denen er Geld schuldet. Hier kommt China ins Spiel, welches US-Staatsanleihen im Wert von 727 Milliarden US-Dollar besitzt (welche wiederum aus jenen Dollars finanziert sind, mit denen die USA chinesische Exporte bezahlten). Verliert nun der Dollar durch das Anwerfen der Notenpresse in Washington an Wert, so würde auch der Yuan unter verstärkten Aufwertungsdruck geraten. Bisher jedenfalls versuchte China diesem Druck entgegenzuwirken, indem es seine Dollarreserven aufstockte.
Die Verstimmung der Regierung in Beijing kam dadurch zum Ausdruck, dass Premierminister Wen Jiabao auf einer Pressekonferenz zum Abschluss des Nationalen Volkskongresses die US-Regierung ermahnte: „Wir haben den USA riesige Summen geliehen. Selbstverständlich interessiert uns die Sicherheit dieser Einlagen. Und ehrlich gesagt, ich bin ein bisschen besorgt.“ Washington reagierte umgehend: „In der Welt gibt es keinen sichereren Ort für Investments als die USA“, so ein Regierungssprecher. Angeblich hatte China bereits letztes Jahr mit dem Verkauf US-amerikanischer Staatsanleihen in großen Mengen gedroht, falls die Bush-Regierung die beiden angeschlagenen Investment-Banken Fannie Mae und Freddie Mac, an welchen China Papiere im großen Stil besaß, nicht retten würde.
Kann China den Karren aus dem Dreck ziehen?
Ereignisse wie dieses zeigen den großen Einfluss, den das „Entwicklungsland“ China heute bereits erreicht hat. Aber ist China stark genug, um – wie so manche prophezeien – den Karren namens Weltwirtschaft aus dem Dreck namens Krise zu ziehen? Um diese Frage zu klären, sind zuvor ein paar Bemerkungen zum Stand Chinas im kapitalistischen Weltsystem notwendig.
Vor allem seit Anfang bis Mitte der 1990er Jahre war China – bedingt durch seine wirtschaftliche Öffnung einhergehend mit der Restauration kapitalistischer Produktionsverhältnisse – ein überwiegend stabilisierender Faktor in der Weltwirtschaft. So ist das weltweite Arbeitskräfte-Potenzial durch die Integration Chinas in die Weltwirtschaft enorm gestiegen. Millionen billiger chinesischer Arbeitskräfte steigerten die Profite der global agierenden Konzerne und verschärften den Druck auf die Löhne in Europa, Japan und den USA. Der Anstieg der Investitionen in China hat sowohl den globalen Durchschnittspreis des konstanten, als auch des variablen Kapitals gesenkt und somit die weltweite Profitrate auf das höchste Niveau seit langem angehoben (Konstantes Kapital ist der Teil des Kapitals, der sich in Produktionsmittel, d.h. in Rohmaterial, Hilfsstoffe und Arbeitsmittel umsetzt. Variables Kapital ist der Teil des Kapitals, der verwendet wird, um die Ware Arbeitskraft zu kaufen.) Indem anderswo nicht mehr profitabel investierbares Kapital nach China exportiert wurde (um dort äußerst billig für den Weltmarkt zu produzieren), konnte die enorme Überakkumulation des globalen Kapitalismus – die letztendlich auch die tiefere Ursache für die gegenwärtige Krise sind – für einige Zeit lang gedämpft werden.
Auf der anderen Seite trugen die Investitionen US-amerikanischer, europäischer und japanischer Konzerne in China dazu bei, dass mit der Volksrepublik allmählich ein neuer Konkurrent für die imperialistischen Mächte herangezüchtet worden ist. Zwar ist China heute weit davon entfernt, mit diesen auf einer Stufe zu stehen, doch spielt es allein aufgrund seiner (volkswirtschaftlichen) Größe bereits eine gewichtige Rolle in der Weltwirtschaft. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass ein Großteil des chinesischen Wirtschaftswunders auf den Investitionen „westlicher“ Unternehmen in China basiert. So kommen 60% des chinesischen Exports aus der Produktion ausländischer Unternehmen. Bei den Hochtechnologieexporten werden sogar 80% von Unternehmen unter der Kontrolle ausländischen Kapitals realisiert. Da die multinational agierenden Unternehmen, vor allem jene aus der Region (Japan, Südkorea, Taiwan etc.), China oft nur als letzte Montagestätte benutzen, werden die Zahlen über globale Handelsströme stark verzerrt, und China mutiert plötzlich zu einer gigantischen „Handelsmacht“.
Der neue Hegemon, die kapitalistische Leitmacht des 21. Jahrhunderts, ist China also mit Sicherheit nicht. Seit Anteil am globalen BIP, berechnet nach Wechselkursen und nicht nach Kaufkraftparität, beträgt nur rund 5%. Weiterhin wird das Land stark vom Export abhängig sein, und auch sein Rückstand im technologischen Bereich ist erst einmal aufzuholen.
China als Krisengewinner?
Wahrscheinlich ist allerdings, dass China gestärkt aus der Krise hervorgehen wird und seine Position im weltweiten Machtgefüge weiter verbessern kann. In einigen Teilen der Welt – etwa in Afrika – spielt das Land bereits jetzt eine imperialistische Rolle, die sich kaum von jener Frankreichs oder Großbritanniens in der Region unterscheidet. Auch in Südostasien, beispielsweise in Vietnam, Laos, Burma, Kambodscha oder den Philippinen, ist Chinas zunehmender Einfluss spürbar – auch wenn in dieser Region großteils noch Japan und die USA vorherrschend sind. In Kambodscha etwa ist die VR China größter ausländischer Investor und wichtigster Waffenlieferant. Um während der Krise seine Position in der Region zu stärken, stellt China für seine südostasiatischen Nachbarn einen 10 Milliarden Dollar schweren investment cooperation fund bereit, sowie Kredite in der Höhe von 15 Milliarden Dollar. Einige chinesische Ökonomen schlagen schon vor, den Yuan als regionale Leitwährung in Südostasien zu etablieren.
Seine relative ökonomische Stärke hat China in den letzten Monaten dazu genutzt, um von der Krise stärker betroffenen Ländern Kredite zu geben und im Gegenzug Verträge zur Energieversorgung abzuschließen. So wurden mit Ölgesellschaften Brasiliens, Venezuelas, Russlands oder Kasachstans „Kredit-gegen-Öl-Abkommen“ geschlossen. „Sollte die Krise, wie prognostiziert, drei bis fünf Jahre dauern, so erwarten wir, dass weiter Länder solche langfristigen Ressourcen-Abkommen abschließen werden“, meint der chinesische Energieexperte Wu Jiandong ganz offen.
Auch eine weitere Kennzahl ist im Steigen begriffen: Jene der chinesischen Direktinvestitionen im Ausland (ADI) – ein Indikator für Kapitalexporte. Während bis einschließlich 2005 noch sechs Mal so viele Direktinvestionen nach China geflossen sind wie aus China in die restliche Welt, so war dieses Verhältnis 2006 nur mehr 1:4 und 2007 nur mehr 1:3,4. Nach Prognosen der Standard Chartered Bank, einer der führenden Bankkonzerne in Asien, sollen im Jahr 2009 die chinesischen Direktinvestionen im Ausland erstmals jene vom Ausland nach China übersteigen. Zwar betrugen Chinas kumulierte ADI 2008 bloß 0,6% der globalen ADI, allerdings könnten diese, angesichts der gigantischen Währungsreserven Chinas (etwa 2.000 Mrd. US-Dollar) in den nächsten Jahren weiter rapide ansteigen. Kapitalexport könnte auch eine Reaktion auf einen unzureichend starken Binnenmarkt sein – allerdings wird China damit immer öfter seinen „westlichen“ Konkurrenten in die Quere kommen.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass China sich mittelfristig zu einem imperialistischen Staat entwickeln könnte. Da der Globus aber bereits seit Jahrzehnten unter den traditionellen imperialistischen Mächten aufgeteilt ist und die ökonomischen Spielräume der einzelnen Blöcke ohnehin immer enger werden, kann ein weiterer Aufstieg Chinas nur auf Kosten von anderen Ländern erfolgen. Wirkte die chinesische Wirtschaft bisher also überwiegend stabilisierend, so würde ein gestärktes China mit einem eigenen starken Finanzkapital die Probleme des globalen Kapitalismus bloß weiter verschärfen.
Allerdings ist für die künftige Entwicklung Chinas noch ein weiterer, sehr gewichtiger Faktor von Bedeutung, welcher in diesem Text noch nicht besprochen wurde: Der Klassenkampf. Ihm werden wir uns in einem weiteren Artikel widmen.
Zum Weiterlesen:
China unter Mao
Von der Entstehung zum Niedergang der Volksrepublik
Marxismus Nr. 17, August 2000, 232 Seiten A5, 10 Euro
China auf dem Weg zur Weltmacht?
Historische Hintergründe
Restauration des Kapitalismus
Chinesischer Imperialismus?
Soziale Lage und Klassenkämpfe
Marxismus Sondernummer 26, Januar 2008
100 Seiten A5, 3,5 Euro