Tötung im Namen der Herrschenden

Von 4. auf 5. August wurde im niederösterreichischen Krems ein 14-Jähriger von einem Polizisten erschossen, sein 16-Jähriger Freund wurde durch zwei Schüsse schwer verletzt. Die Medien reagierten sofort – und stellten sich auf die Seite der Polizei.

Dabei wird wieder einmal besonders deutlich, wie es mit der angeblichen Unabhängigkeit der bürgerlichen Medien aussieht. Ob sie nun einem Asylwerber den Mund verkleben und diesen dadurch ersticken, zu sechst auf einem Gefesselten stehen und ihn damit umbringen oder einen Schubhäftling in einer Lagerhalle halb totschlagen – brutale PolizistInnen können sich in Österreich stets auf die hierzulande besonders kriecherische Journaille verlassen. Fleißig wird über die „Amtsbekanntheit“ der Täter berichtet und über die großartige Arbeit der Polizei bei der Ausforschung der Komplizen. Man/Frau könnte beim Lesen fast vergessen, dass es hier eigentlich um die Tötung eines 14 jährigen Jugendlichen während eines nächtlichen Einbruchs in einen Supermarkt ging! Dass zwischen diesem Einbruch und den darauf folgenden tödlichen Schüssen – unter welchen Umständen diese nun auch immer gefallen sein mögen – ein gewaltiges Missverhältnis besteht, ist wohl mehr als offensichtlich. Könnte man/frau meinen!

Zur Erinnerung: es geht hier um einen Einbruch in eine Filiale einer großen Supermarktkette und es bestand zu keinem Zeitpunkt irgendeine Gefährdung für die physische Gesundheit irgendwelcher Unbeteiligten. Wir können auch annehmen, dass die KonzernbesitzerInnen durch den Ladendiebstahl nicht auf der Straße gelandet wären, trotzdem hat die Polizei laut JournalistInnen angeblich „Schlimmeres“ verhindert.

Mit diesem Fall soll nun auch die Angst vor Einbrecherbanden und Kriminalität allgemein weiter angefacht werden. Dabei wird gleichzeitig die rassistische Karte gespielt: groß war wohl der Jubel bei den Herrschenden und ihren Schreiberlingen, dass sie als dritten (vermeintlichen) Komplizen einen Rumänen ausforschen konnten. Nach dem Motto: „Es war doch klar, dass da irgendeiner aus „dem Osten“ seine Finger mit im Spiel hat!“ Durch die Schaffung einer äußeren Bedrohung – auch selbsternannte „Qualitätszeitungen“ sprechen ja immer öfter nur mehr von den kriminellen „Ostbanden“ – sollen die vermeintlich Betroffenen zusammen geschweißt werden. Dabei ist es doch mehr als offensichtlich, dass diese Propaganda auf fadenscheinigen Lügen beruht.

Kriminalität – ein Problem der Klassengesellschaft

Freilich wird es vorkommen, dass solche EinbrecherInnen auch in Wohnungen von Lohnabhängigen einsteigen, deren Autos stehlen oder aufbrechen und kleinkriminell aktiv sind. Dabei werden aber entscheidende Argumente einfach ausgeblendet. Die wahre Bedrohung für Leben und Lebensstandard der Lohnabhängigen geht nicht von irgendwelchen Kleinkriminellen, sondern den KapitalistInnen, den Bossen und ihrem gesamten System aus. Gerade in Zeiten der Krise wird das mehr als deutlich: Massenentlassungen, Arbeitslosigkeit, Lohneinbußen, Kurzarbeit, Konjunkturpakete, die weitreichende Sparmaßnahmen nach sich ziehen werden…

Und gerade die zahlreichen Rettungs- und Konjunkturpakete funktionieren nach dem Prinzip „Vergesellschaftung der Verluste, Privatisierung der Gewinne“ und stellen daher eine besonders krasse und ungeschminkte Form der Umverteilung von unten nach oben dar. Doch auch bei nicht krisenbedingten Maßnahmen werden über Subventionen, Steuererleichterungen, „Standortvorteile“… für UnternehmerInnen mit Hilfe von Massensteuern deren Profite direkt aus den Taschen der Lohnabhängigen finanziert. Auf einer viel grundsätzlicheren Ebene muss die kapitalistische Produktionsweise und Klassengesellschaft selbst kritisiert werden. Es ist ganz ursächlich die Existenz von Klassen, d.h. der Privatbesitz von Produktionsmittel durch eine kleine Minderheit der Gesellschaft und die Trennung der ProduzentInnen von diesen und der Kontrolle darüber, die den Kapitalismus ausmacht.

Dass es im Kapitalismus Kriminalität gibt ist deshalb kein Fehler im System sondern die logische Schlussfolgerung. Kriminalitätsquoten sind sozialstrukturell unterschiedlich. Unterschichten weisen höhere Raten auf als Mittel- und Oberschichten. Kein Wunder, wenn Zeitungen und TV ständig die Botschaft transportieren, dass Reichtum, Prestige und Erfolg die einzig wünschenswerten Ziele im Leben sind, die Mittel diese Ziele zu erreichen aber der ArbeiterInnenklasse und den deklassierten Schichten nicht zugänglich sind. Dabei ist Kriminalität oft nicht einmal ein Mittel zur Beschaffung von Gütern, sondern bloß ein Abbau von Frustration – etwa im Fall von jugendlichem „Vandalismus“. Friedrich Engels nannte das Verbrechen daher einmal die „erste, rohe und unfruchtbare Form der Empörung“ und die „ungebildetste, bewusstloseste Form der Protestaktion“. (Natürlich bezog er sich dabei hauptsächlich auf Eigentumsdelikte).

Repression …

Sehr deutlich zeigt sich jetzt auch welche Rolle Polizei und Medien in diesem System spielen: die Aufrecherhaltung der herrschenden Ordnung durch Repression und Ideologie. Es geht hier nicht in erster Linie darum ob oder warum der Polizist „zu früh“ oder „fahrlässig“ geschossen hat. (Wobei es schon interessant wäre zu wissen, warum der Junge, der den Polizisten angeblich attackiert haben soll, den tödlichen Schuss in den Rücken (!) abbekam). Vielmehr zeigt sich daran die allgemeine Funktion der Repressionsorgane des bürgerlichen Staats: Schutz des Privatbesitzes (an Produktionsmitteln) und Bestrafung jener die gegen diesen heiligen Grundsatz verstoßen – sei es nun der Einbruch in einen Supermarkt oder streikende ArbeiterInnen die eine Fabrik besetzen.

Die einzelnen PolizistInnen sind jedoch durch den Verweis auf die allgemeine Rolle des Repressionsapparats nicht aus der Verantwortung entlassen. Sie exekutieren die Regeln dieses kranken Systems und sind dabei materiell, strukturell und ideologisch an diesen Apparat gebunden und von diesem geprägt. Kein Wunder also, dass sich die Liste ähnlicher Fälle fast beliebig lang fortsetzen lassen würde (Abschiebungen mit tödlichem Ausgang, Verprügeln von schwarzen „Drogendealern“, wahllose Angriffe auf DemonstrantInnen…). Besonders absurd an diesem Fall ist, dass die beiden Polizisten nach dem Mord nicht einvernommen wurden, da es ihnen „psychisch schlecht“ ging – bei einem 16 Jährigen, der gerade seinen Freund verloren hatte und durch zwei Schüsse schwer verletzt wurde spielten solche Banalitäten allerdings keine Rolle. Eine Reform dieses Apparates oder die „Aufklärung“ von PolizeibeamtInnen bleibt also nicht viel mehr als ein frommer Wunsch. – Die Polizei ist an das kapitalistische System gebunden und wird gemeinsam mit ihm gestürzt und zerschlagen werden müssen – wir werden deswegen keine Träne vergießen.

…und Ideologie

 Die bürgerlichen Medien geben nun ihr Bestes diese Vorstellungen auch in den Hirnen der Bevölkerung zu verankern. Die Botschaft die dabei transportiert wird ist klar: es gibt bestimmte Spielregeln an die es sich einfach zu halten gilt. Mensch ist also selber Schuld, Opfer eines schießwütigen Polizisten zu werden – mit diesen Konsequenzen haben VerbrecherInnen nun mal zu rechnen! Unter dem Motto „Wir haben euch ja gewarnt…!“ soll signalisiert werden, dass keinerlei „abweichendes“ Verhalten toleriert wird.

Bei ihren Verdrehungskünsten geben sich die JournalistInnen diesmal besonders Mühe. Fußballfans von Rapid Wien machten im Hinblick auf die Ereignisse in Krems bei einem Auswärtsspiel in Ried mit einem Transparent mit der Aufschrift „Polizisten sind Mörder“ auf sich aufmerksam. Der Tages„zeitung“ „Heute“ war es in ihrer Ausgabe vom 11. August nicht einmal zu blöd, diese Aktion prompt als „Provokation“ zu bezeichnen. Schon wieder vergessen, dass es um die Tötung eines 14-Jährigen durch eine Polizeikugel von hinten geht?!

 Zu diesen ekelhaften Darstellungen gesellt sich dann zugleich folgender Tenor der von PolitikerInnen und bürgerlichen Medien im Einklang rauf und runter gebetet wird: „Jetzt müssen sich unsere armen PolizistInnen dafür, dass sie sich aufopferungsvoll für uns alle einsetzen, auch noch so eine gemeine und einseitige Kritik gefallen lassen!“ Wie Niedlich: Prompt haben die österreichischen Schmierblätter die Unschuldsvermutung entdeckt.

An diesem Beispiel zeigt sich wieder einmal besonders eindeutig wie sehr und oft auch direkt die Medien die grundlegenden Interessen der herrschenden Klasse vertreten. Wahrscheinlich auch mit einer gewissen Angst, dass der Tod des 14 Jährigen ähnlichen politischen Sprengstoff liefern könnte, wie es zum Jahreswechsel mit Massenprotesten in Griechenland nach der Ermordung eines 15-Jährigen durch die Polizei der Fall war. Gerade in Zeiten der Krise und politischen Instabilität, mit zunehmenden sozialen Spannungen und Arbeitskämpfen, steigt auch bei den Herrschenden die Angst vor Unruhen und dem Verlust der politischen Kontrolle. Gleichzeitig sehen sie darin die Möglichkeit für eine weitere Verankerung ihrer reaktionären Vorstellungen.

Mit enormen Einsatz medialer Verdrehungskunst wird die soziale Frage hinter diesen Verbrechen fast vollständig ausgeklammert und stattdessen auf Psychologisierung gesetzt. Klar ist jedoch, dass Einbrüche und Verbrechen mit materieller Not und sozialer Perspektivlosigkeit zu tun haben, also gesellschaftliche und keine individuellen Probleme sind. Insofern ist es auch kein Zufall, dass die Zunahme des sozialen Elends mit einem Anstieg der Kriminalität einhergeht (was auch hohe Vertreter der österreichischen Polizei in den letzten Monaten zugegeben haben). Statt solchen Erklärungen muss nun die „Verhaltensauffälligkeit“ und „Amtsbekanntheit“ der Täter als Ursache herhalten. Die Gründe dafür werden damit in die Jugendlichen selber hineinverlegt und sie selbst für alles verantwortlich gemacht – als ob diese Verhaltensweisen aus diesen Menschen selbst entspringen würden und nicht durch gesellschaftliche Verhältnisse produziert werden würden. 

Der „Fall Krems“ ist ein Paradebeispiel für die Funktionsweise unseres absurden Systems. Es wird in idealer Weise gezeigt, welche Mittel der herrschenden Klasse zur Verteidigung ihres Eigentums zur Verfügung stehen (Polizeiapparat, Medien, …) und wie weit sie bereit ist, selbst bei einem banalen Einbruch zu gehen (Mord von Minderjährigen). Daraus sollte nicht nur klar werden, dass das kapitalistische System, dass soziales und psychisches Elend, Tod und Unterdrückung hervorbringt ein für alle Mal gestürzt werden muss, sondern auch, dass wir es dabei mit einem mächtigen (Staats-) Apparat zu tun haben an dessen Zerschlagung wir dabei nicht vorbei kommen werden.

 

Zum Weiterlesen:

Zum Verhältnis von Marxismus und Kriminalität