In der Qualifikation für die Champions League scheidet der österreichische Retortenverein Red Bull Salzburg hoch verdient gegen Maccabi Haifa aus. Beim Heimspiel in Salzburg kommt es zu massiven antisemitischen Tönen. Ein Anlass für uns, die heimische Fanszene einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
„Wer nicht hüpft, der ist ein Jude“, skandierten AnhängerInnen von Red Bull immer wieder. Da diese Gesänge auch in der Fernsehübertragung deutlich zu hören waren, kann es sich nicht um eine kleine Gruppe gehandelt haben, sondern ist das Ganze wohl von den mit Megaphon ausgestatteten Vorsängern der Salzburger Fans ausgegangen und von einem erheblichen Teil der ZuschauerInnen mitgetragen worden. In Internet-Foren wird auch berichtet, dass Bullen-Fans „Judenschweine, Judenschweine…“ gerufen hätten.
Salzburg und Hütteldorf
Interessant an der Sache ist auch, dass diese Vorkommnisse von den etablierten Medien nahezu völlig totgeschwiegen wurden. Interessant auch im Vergleich zur tagelangen Empörung sämtlicher Zeitungen, als vor zwei Jahren die Rapid-Fanklubs bei einem Länderspiel in der Rapid-Heimstätte in Wien-Hütteldorf ein Transparent gegen den damaligen Kapitän des Nationalteams, Andreas Ivanschitz, der zuvor zum verhassten reichen Konkurrenten Red Bull gewechselt war, aufzogen – mit der Aufschrift „Judasschitz raus aus Hütteldorf“. Liberale Zeitungen legten diesen Satz als „antisemitisch“ aus. Die dafür verantwortlichen Ultras Rapid wehrten sich in einer Stellungnahme auf ihrer Homepage vehement gegen eine solche Interpretation und erklärten, sie hätten „Judas“ schlicht als Synonym für Verräter benutzt.
Dass damals von Zeitungen und ÖFB aufgeregt Repressionsmaßnahmen gegen die „Verrückten in Hütteldorf“ gefordert wurden, die völlig offenen antisemitischen Ausschreitungen in Salzburg aber sowohl von den Medien als auch von den Fußballoberen übergangen werden, ist natürlich kein Zufall. Die damalige Aktion der Rapid-Fans gegen Ivanschitz war verbunden mit Spruchbändern gegen die anstehenden Männerfußball-EM: Die Rapid-Fanklubs führten ihre „Scheiß EM 2008“-Kampagne und kritisierten „Kommerz und Repression für ein Event, das uns nicht interessiert und bei dem Österreich jedes Spiel verliert“. Das „unpatriotische Verhalten“ der Rapid-Fans war damals die wirkliche Zielscheibe der Kritik. Die sportnationalistisch erregte Journaille schrieb von der „Schande von Hütteldorf“, im Online-Forum des liberalen „Standard“ wurden die Rapid-AnhängerInnen als „Dreck“ und „primitive Proleten“ bezeichnet, die man für ihre Aktionen „ins Arbeitslager stecken“ solle (wir berichteten ). Der Antisemitismus-Vorwurf in derselben Zeitung war damals wohl im Wesentlichen ein Instrument für die elitäre und patriotische Klassenkritik am „Proletenklub“ Rapid.
Ganz anders bei Red Bull Salzburg, dem Klub des Dosen-Milliardärs Dietrich Mateschitz. Der Verein, der über die 3- bis 5-fachen Finanzmittel verfügt wie jeder seiner Hauptkonkurrenten, wird seit Jahren vom Fußballestablishment und seinen medialen TrittbrettfahrerInnen als Vorzeigeklub aufgebaut, der „für Österreich“ im Klubfußball endlich wieder Erfolge bringen soll. Schiedsrichter scheinen sich ihrer Verantwortung für dieses sportpatriotische Projekt (oder zumindest der Wünsche der ÖFB-Führung) immer wieder bewusst zu sein – ebenso wie der ORF: Als Otto Konrad, ehemaliger Salzburger Tormann, als ORF-Kommentator bei einem Spiel der Champions-League-Qualifikation für die miserable Leistung der Red-Bull-Millionentruppen deutliche Worte fand, wurde er vom ORF als Kommentator ausrangiert.
Bei der Übernahme durch Red Bull waren die jahrzehntelang gewachsenen Fanklubs der bisherigen Austria Salzburg aus dem Verein gedrängt worden (die den alten Verein seitdem in unteren Spielklassen weiterführen) (siehe dazu unseren Artikel “Roter Stier im Rinderwahn “). Mit viel finanzieller Unterstützung (Verteilung von Fähnchen, Subvention von Auswärtsfahrten etc.) baute die Red-Bull-Vereinsführung neue Fanklubs auf: Fanklubs, die völlig domestiziert, unkritisch und von der Vereinsführung abhängig sind und brav das Nationalteam unterstützen wie insbesondere die „Salzburg Patriots“. Von der Vereinsführung und ihren medialen Freunden wurde der Dosen-Klub, mit Verweis auf die „Randalierer“ anderer Vereine, stets als sauberer und moderner „Familienverein“ inszeniert. In der Nachspielzeit des Red-Bull-Heimspieles gegen Dynamo Zagreb wurde dann einem Linienrichter aus einem Salzburger Sektor heraus ein blutiges Cut über dem Auge geworfen (eigentlich abbruchreif, aber Red Bull hatte wieder mal „Glück“). Das führte damals ebenso wenig zu medialer Aufregung wie die durchs Stadion hallenden antisemitischen Gesänge ein paar Wochen später. Leicht vorzustellen, was in den selben Medien, die diese Vorfälle dezent übergehen, los wäre, wenn ähnliches bei Sturm Graz, Austria Wien oder Rapid passieren würde, wo es gewachsene, selbstorganisierte und nicht immer angepasste Fanszenen gibt: Da würde „härtestes Durchgreifen“ gefordert, um mit den „Hooligans“ endlich „aufzuräumen“.
Rechte Tendenzen in Fanklubs
Der weit verbreitete sportpatriotische Konsens, der besonders 2008 rund um die EM einen Höhepunkt erreichte und mit dem Desaster des Nationalteams dann jämmerlich versackte, fördert natürlich nationalistische und rassistische Tendenzen. Die gibt es nicht nur bei den „vorbildlichen“ Fans in Salzburg, die das Establishment so lieb hat, sondern auch bei etlichen anderen Fanklubs.
Beim GAK, dem bürgerlichen der beiden traditionellen Großklubs in Graz, der seit einigen Jahren nicht mehr in der Bundes-, sondern in der Regionalliga spielt, zogen Ende März 2009 einige Fans eine Nazifahne auf (weißer Kreis auf rotem Grund mit schwarzem Keltenkreuz in der Mitte; in Deutschland verboten). Weder Ordner noch Polizei haben darauf reagiert, obwohl sie darauf hingewiesen worden waren. Auch bei den Fanklubs der neu formierten Austria Salzburg, die drei Ligen unter Red Bull spielt, aber immer noch sehr viele Fans hat, gibt es erhebliche rechte und rechtsextreme Strömungen.
Ähnlich schlecht sieht es bei den beiden Bundesligaklubs aus Oberösterreich (SV Ried beziehungsweise LASK) aus. Bei der SV Ried glich der Stehplatz bis vor etwa zwei Jahren einem Neonazitreffen; Ausdruck der starken rechtsextremen Jugendszene im Innviertel. Seitdem soll sich die Lage etwas gebessert haben, es gibt auch einige linke Ried-Fans aus der lokalen Arbeiterjugend (z.B. die Glory Boys), aber es dominieren weiter die rechten und rechtsextremen Fangruppen; in der Frühjahrsaison 2009 soll gar eine Fahne mit dem NS-Luftwaffenkreuz angebracht worden sein.
Anfang März skandierten LASK-Fans beim Auswärtsspiel gegen den FK Austria Wien im Horr-Stadion „Juden Wien, Juden Wien“ – antisemitische Anspielungen darauf, dass Austria Wien bis 1938 ein Verein war, in dem das jüdische Bürgertum Wiens eine wichtige Rolle spielte. Auch wenn sich einige LASK-Fans gegen die rassistischen Schreihälse gestellt haben sollen, so spielen rechtsextreme Fangruppen beim LASK seit Jahren eine prägende Rolle, was in einschlägig gestalteten Transparenten zum Ausdruck kommt. Und bereits bei früheren Gelegenheiten wurde die Austria Wien von LASK-AnhängerInnen antisemitisch beschimpft. So präsentierten sie im Juli 2007 im Horr-Stadion ein Transparent mit der Aufschrift „Schalom“; begleitet war das von Gesängen „Ihr seid nur ein – Judenverein“. Und die Bundesliga-Disziplinarkommission konnte damals keinen Antisemitismus erkennen!
Austria Wien, der ehemalige Klub des jüdischen Bürgertums, der freilich auch immer eine proletarische AnhängerInnenschaft (besonders unter tschechischstämmigen ArbeiterInnen in Wien-Favoriten) hatte, blieb auch nach 1945 der bürgerliche Klub Wiens (neben Vienna FC). Das drückte sich im Vorstand aus, in dem traditionell Funktionäre des ÖVP-Wirtschaftsbundes saßen. 1999 wurde die Austria dann von Frank Stronach, dem Besitzer des Magna-Konzerns übernommen, der ein ähnliches Projekt verfolgte wie Mateschitz mit Salzburg und dabei auch auf großen Widerstand der Fanszene stieß. Nach wiederholten Fanprotesten wie einem Tribünenboykott oder ähnlichem kündigte Stronach 2005 schließlich an, sich schrittweise aus dem Verein zurückzuziehen. In den letzten Jahren spielten auch sozialdemokratische Spitzen wie der GPA-Vorsitzende Wolfgang Katzian oder Bürgermeister Michael Häupl für die Austria eine Rolle.
Die jüdische/tschechische Tradition und SPÖ-Involvierung in jüngster Zeit konnten freilich nicht verhindern, dass es gerade zuletzt in der Austria-Fanszene verstärkt rechtsextreme Tendenzen gibt. Einige Nazis gab es in der Austria-Kurve seit langem. In den 1980er Jahren beschimpften Austria-Fans den Stadtrivalen Rapid, bei dem traditionell viele Spieler aus dem Jugoslawien spielten, als „FC Jugo“. Der Austria-Fanklub „Bull Dogs“, in dessen Logo sich das bei Nazis äußerst beliebte „Keltenkreuz“ versteckt war einschlägig berüchtigt und verwendete auf Fanartikeln immer wieder die Reichskriegsfahne (so etwa auf mittlerweile vergriffenen Aufnähern in ihrem Webshop). Seit einiger Zeit gibt es aber systematischere Unterwanderungsversuche, die sich bereits in gestiegenem Einfluss ausdrücken. Beim UEFA-Cup-Spiel gegen Lech Posen haben Neonazis in der Pause das Vorsängerpodest übernommen und dann in der zweiten Halbzeit mit dem Megaphon rassistische Parolen wie „Ausländer raus“ und „Zick-Zack-Zigeuner-Pack“ skandiert; dazu kamen zahlreiche antipolnische Slogans (was sich bei der Auswärtsfahrt nach Posen rächte, als die Austria Fans böse verprügelt wurden).
Die zeitweilige Übernahme der Kurve beim Spiel gegen Lech Posen zeigt den Vormarsch rechtsextremer Kräfte bei der Austria, besonders unter neueren und jüngeren Fans. Die drei in den letzten Jahren wohl wichtigsten Fanklubs in der Austria-Kurve sind die „Fanatics“, die „Fedayn“ und die „Soccerholics“, die sich im Wesentlichen unpolitisch geben. Allerdings haben beispielsweise die Fanatics aufgrund des erwähnten Vorfalls während des Spiels gegen Lech Posen aus Protest die Tribüne verlassen. Daneben gibt es aber auch noch kleinere Fanklubs wie die „Boys Viola“, oder die „Atzgersdorfer“ – und außerdem den rechtsextremen Zusammenschluss „Unsterblich“. Letzterer hatte zuletzt einen deutlichen Zulauf; Schätzungen gehen von 50-100 Personen aus, was für die Austria-Fanszene einiges bedeutet. Damit ist der „Unsterblich“-Fanklub stark genug, dass die anderen ihn nicht verdrängen können und er mittlerweile einige Bedeutung in der Kurve hat. Rückdeckung haben die Rechtsextremen von „Unsterblich“ wohl auch von den älteren, mittlerweile weniger aktiven Fans von den „Bull Dogs“. Dass sich bei der Austria rechtsextreme Kräfte zuletzt relativ deutlich in Szene setzen konnten, liegt auch daran, dass es in der Austria-Fanszene (anders als bei Rapid) keinen eindeutigen dominanten Fanklub gibt.
Rapid Wien und Sturm Graz
Rapid Wien wurde ursprünglich 1898 als Erster Wiener Arbeiter-Fußballklub gegründet, aufgrund von Schikanen der Monarchie-Behörden gegen den ArbeiterInnenverein ein Jahr später auf den heutigen Namen umbenannt (die rot-blauen Farben des ursprünglichen Vereins sind heute die Farben der Rapid-Auswärtsdressen). Rapid blieb weiterhin ein explizit proletarischer Verein, was sich verkrüppelt auch darin ausdrückt, dass in den letzten Jahrzehnten stets Funktionäre der Gewerkschaften und der SPÖ den Verein führten. Diese sozialdemokratische Vereinsführung Rapids scheute sich nicht, in der jüngsten Vergangenheit hohe Geldsummen vom Rüstungskonzern EADS, dem Produzenten der umstrittenen „Eurofighter“-Kampfflugzeuge, anzunehmen, offiziell für „Jugendarbeit“ (2007 wurde die Summe von einer Million Euro pro Jahr seit 2003 kolportiert). In Wirklichkeit wollte sich der Konzern damit wohl die Zustimmung ranghoher SozialdemokratInnen zum Ankauf von Eurofightern durch die Republik Österreich sichern. Gleichzeitig wird auch von der Vereinsführung die ArbeiterInnen-Tradition kultiviert, wenn etwa Präsident Rudi Edlinger mit Seitenblick auf Red Bull Salzburg sagt: „Mir ist die neue Mitgliedschaft eines Lehrlings wichtiger als die kalten Millionen eines Milliardärs.“ Rapid ist nicht im Besitz irgendeines Großunternehmers, sondern ein Verein, in dem die Mitglieder relativ viel mitzureden haben und wo sich die Führung in der Regel um vergleichsweise gute Beziehungen zur Fanszene, die die mit Abstand größte in Österreich ist, bemüht. Der Hype um Rapid in den letzten Jahren, der dazu führt, dass bei Heimspielen oft kaum Karten zu bekommen sind, stützt sich stark auf diese Fankultur und die Vereinsführung weiß, wie wertvoll das für sie ist.
In den 1980er Jahren hatte es eine systematische Intervention von Neonazis in die Rapid-Fanszene gegeben, was sich in rechtsextremen Parolen äußerte; beispielsweise wurden Austria-Spieler und -Fans als „Judenschweine“ beschimpft. Auch bei dem 1988 gegründeten Fanklub „Ultras Rapid“ spielten in der Anfangsphase einige Rechtsextreme eine Rolle. Das hat sich aber, in den 1990er Jahren und auch mit einem Generationswechsel bei den Ultras, zunehmend geändert. Die Ultras, die die Kurve bei Rapid ganz klar dominieren, haben in den letzten Jahren, in Einklang mit den meisten anderen Fanklubs, rassistische Ausfälle im Rapid-Fansektor systematisch bekämpft. Wenn von einigen Fans rassistische Parolen kommen, wird von den Vorsängern der Ultras sofort was anderes darüber gesungen, damit diese Sprüche nicht mehr zu hören sind. In rechten Fanforen wird darüber gejammert, dass die Situation bei Rapid so schlimm sei, dass „wenn man nur ein paar Affenlaute macht, wenn ein Neger am Ball ist“ von den Ultras sofort Schläge angedroht bekommt. Als im April 2008 einzelne Neonazis auf der Rapid-Westtribüne ein kleines Transparent mit der Aufschrift „Alles Gute 18“ (18 als Code für Adolf Hitler) aufhängen wollten, wurde es von den Ultras umgehend entfernt und zerstört. Die Ultras beteiligten sich in den letzten Jahren auch an antirassistischen Fanturnieren (ihre Teilnahme wurde von linken Fans und Fanklubs freilich auch kritisiert, weil die Ultras nicht konsequent antifaschistisch auftreten).
Zwar gibt es bei den Ultras einige deklariert Linke und wohl auch immer noch etliche Rechte, insgesamt geben sich die Ultras aber stets als unpolitisch und beanspruchen, Politik aus dem Sektor draußen zu halten. Das ist natürlich lächerlich. Wenn sie den Rassismus auf der Westtribüne zurückgedrängt haben, ist das politisch (und gut so). Wenn sie sexistische Parolen rufen (etwa die Salzburg-Spieler als „Huren von Mateschitz“ beschimpfen), dann ist das politisch (und schlecht so). Wenn sie bei Spielen gegen Red Bull mit Spruchbändern wie „Working Class Football against Red Bull“ auftreten, ist das politisch und zeigt – wenn auch diffus ausgeprägtes – Klassenbewusstsein gegen den Großkapitalistenverein aus Salzburg. Wenn die Ultras „Kommerz und Repression“ kritisieren und sich gegen die EM 2008 und den patriotischen Konsens stellten, dann ist das politisch im positivsten Sinn; den Mut dazu hatten schließlich nicht viele Fanklubs. Mit den explizit linken Fans der „Verrückten Köpfe“ aus Innsbruck, die ebenfalls gegen die EM auftreten, hatten die Ultras zeitweise freundschaftliche Kontakte.
Auch nach der EM gab es von Seiten der Rapid-Fanklubs immer wieder gute Initiativen. Als im Dezember 2008 die griechische Polizei einen Jugendlichen erschoss und es zu einer wochenlangen linken Jugendrevolte kam, machten die Rapid-Fans eine Solidaritätsaktion in der Form von Spruchbändern in deutscher und griechischer Sprache (auch Ausdruck der Fanfreundschaft mit dem Fanklub Gate 13 bei Panathinaikos). In der neuen Saison gab es bereits mehrmals Proteste gegen die rechte Innenministerin Maria Fekter und die von ihr geplante Verschärfung des Pyrotechnik-Gesetzes; die Rapid-Fanklubs verstoßen systematisch gegen das nun bereits bestehende Verbot und werden deshalb von den unterwürfigen ORF-Reportern regelmäßig als Gewalttäter hingestellt. Nachdem die österreichische Polizei im August 2009 einen 14-jährigen Supermarkteinbrecher durch einen Schuss in den Rücken umbrachte, zogen die Rapid-Fans beim Auswärtsspiel in Ried ein Spruchband mit der Aufschrift „Polizisten sind Mörder“ auf (Aufregung im Boulevard folgte, so sprach etwa die Gratiszeitung „Heute“ von einer „Provokation“ der „Rapid-Hooligans“).
Trotz positiver Tendenzen sollte man/frau auch bei den Rapid-Fanklubs nichts idealisieren. Es gibt in der Rapid-Kurve, wie in den allermeisten Fansektoren, eine stark machistische Stimmung und immer wieder sexistische und homophobe Töne. Außerdem sind auch unter den Rapid-Fans eine ganze Menge einzelne Nazis und Rechtsextreme; angeblich gehen einige Nazi-Kader wieder verstärkt auch in die Rapid-Kurve. Und von Vorsängern der Ultras ist auch schon mal zu hören, dass die Fans oder Spieler anderer Vereine (besonders natürlich des Stadtrivalen Austria) als „Untermenschen“ bezeichnet werden. Das kommt wohlgemerkt von Leuten, die Rassismus aus dem Sektor draußen halten wollen, aber bis zur Reflexion solcher Nazi-Begriffe reicht das politische Bewusstsein dann doch nicht. Eine Feuerprobe für die Ultras und alle Rapid-Fanklubs wird sicherlich das anstehende Europa-League-Spiel gegen Hapoel Tel Aviv, dessen sich als kommunistisch verstehende Fans sich immer wieder gegen den zionistischen Nationalismus stellen und den antiarabischen Rassismus in Israel kritisieren. Wir werden genau darauf achten, ob in Hütteldorf antisemitische Töne ausbleiben oder ob Rapid-Fans in die Fußstapfen der Red-Bull-AnhängerInnen treten.
Ähnlich wie Rapid in Wien ist der SK Sturm der traditionelle ArbeiterInnenklub in Graz. Ähnlich wie bei Rapid gibt es dort eine sehr aktive Fanszene. Die drei wichtigsten Fanklubs sind die „Brigata Graz“, die „Sturmflut“ und die „Jewels Sturm“. Besonders in der Brigata Graz gibt es eine ganze Reihe von linken Fans, was sich auch in einem teilweise linken/alternativen Auftreten ausdrückt. Zu guten Teilen ist es aber auch gemeinsame Politik aller drei führenden Fanklubs, die sich eng miteinander koordinieren, dass Politik aus der Kurve draußen gehalten werden soll. Das ist freilich ebenso lächerlich wie bei den Ultras Rapid. Die Sturm-Fanklubs haben einen jahrelangen Kampf gegen den langjährigen Vereinspräsidenten (und Großkapitalisten) Hannes Kartnig und seine Politik geführt. Sie sind immer wieder gegen Kommerzialisierung und Repression aufgetreten. Sie sind explizit antirassistisch und haben entsprechende rechte Grüppchen, die es in der Kurve auch gibt, weitgehend unter Kontrolle. Beim UEFA-Cup-Spiel gegen Honved Budapest, die über einen ausgesprochen rechtsextremen Anhang verfügt, zeigten die Sturm-Fans eine Antifa-Fahne. Machistisches Auftreten ist allerdings auch in den Sturm-Fansektoren verbreitet. Insgesamt kann die Sturm-Fanszene aber als lebendig, kritisch, aufmüpfig und antirassistisch eingeordnet werden.
Fankultur und Fußballsport
Neben den tendenziell oder explizit rechten Fanklubs und den „unpolitischen“ und partiell progressiven gibt es bei einigen Vereinen auch deklariert linke Fanszenen, allerdings nicht in der obersten Spielklasse. An erster Stelle sind die bereits erwähnten „Verrückten Köpfe“ in Innsbruck zu nennen, deren Verein erst vor kurzem aus der Bundesliga abgestiegen ist. In Wien haben sich Fanstrukturen, die explizit von der linken Subkultur geprägt sind, interessanterweise gerade bei Vereinen gebildet, in deren Tradition das nicht gerade liegt: die „Friedhofstribüne“ beim ursprünglich deutschnationalen Wiener Sportklub und die „Döblinger Kojoten“ bei der großbürgerlichen Vienna (die in der Vergangenheit immer wieder sehr gute, auch gemeinsame Initiativen etwa gegen Homophobie im Fußballsport starteten). Erklärt werden kann das vermutlich damit, dass es dort zuvor im jüngeren Fanbereich ein ziemliches Vakuum gab. Eine klar antirassistische und linke Fankultur besteht außerdem bei Blau-Weiß Linz.
Die politisch so verschiedenen Fanszenen sind ein Ausdruck davon, dass der Fußballsport immer ein Kampffeld zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräften war und weiterhin ist. Seit Jahren gibt es etwa eine Auseinandersetzung zwischen neoliberaler Kommerzialisierung, die von FIFA, UEFA und diversen Sponsoren vorangetrieben wird, und selbstorganisierter Fankultur. In der Fankultur selbst gibt es einerseits rassistische und besonders machistische Elemente, andererseits progressive Elemente der Rebellion und des Widerstandes. Fußball verbindet Sportler (und in geringerem Ausmaß auch Sportlerinnen) verschiedener Nationen in der gemeinsamen Tätigkeit; gleichzeitig benutzt die herrschende Klasse die Bewerbe der Nationalteams und auch von Champions League etc. zur Schaffung von klassenübergreifender „nationaler Einheit“, zur ideologischen Integration der Lohnabhängigen in die Nation der jeweiligen KapitalistInnenklasse.
Aber auch die Fußballprofis sind nicht alle dumpfe Instrumente des Systems. Der italienische Stürmer Christiano Lucarelli ist bekennender Kommunist. Und Ivan Ergic, ehemaliger serbischer Kapitän des FC Basel, sagte: „Marx sah schon vor 150 Jahren die Widersprüche des Kapitalismus, er hat gesehen, dass Geld die Welt zerstört. Und es zerstört auch den Fußball. Ich möchte kein konformistischer Fußballer sein.“ Cesar Luis Menotti, Trainer der argentinischen Weltmeistermannschaft 1978, stellte sich gegen die damalige Militärdiktatur und wurde zu einem Symbol des Widerstandes. Er unterschied zwischen rechtem und linkem Fußball: Der rechte Fußball reproduziere die Wertvorstellungen der Gesellschaft, für ihn zählen nur Ergebnis und Gewinn (defensiver Effizienzfußball, faule Tricks, politische Anpassung). Beim Fußball der Linken zähle der Sieg nur soviel wie die Art und Weise, mit der er errungen wurde, es stehe die Einheit und Solidarität mit der unterdrückten Bevölkerung im Vordergrund.
Fußball ist, wie andere Formen der Massenkultur, in seiner kapitalistischen Ausprägung stark von Nationalismus und Männertümelei durchsetzt. Nur das zu sehen, wird allerdings der Widersprüchlichkeit von Massenkultur im Kapitalismus, die die Widersprüche der Klassengesellschaft selbst ausdrückt, nicht gerecht. Fußball reproduziert eben nicht nur die Leistungsnormen und die Konkurrenz des Kapitalismus, sondern bietet auch die Möglichkeit, sich von der Arbeit aktiv oder passiv zu erholen. Gerade die Arten von Massenkultur, die eine breite aktive Teilnahme und Kollektivität ermöglichen, haben mehr progressives Potential als andere.
Nun gibt es beim Fußball, wie beim bürgerlichen Sport- und Kulturbetrieb und der Massenkultur im Kapitalismus insgesamt, eine Trennung zwischen (Sport- oder Kunst-) Stars einerseits und den KonsumentInnen und Fans andererseits. Fankultur im Sinne einer blinden Bewunderung von SpielerInnen des eigenen Vereins, das Sammeln von Autogrammen und die Projektion von eigenen Wünschen und Hoffnungen im Leben auf den Verein reproduziert genau diese Trennung und Hierarchie. Eine dumpfe Fanszene wie bei Red Bull Salzburg ist nur eine Staffage für eine durchgestylte Medienshow und brave KonsumentInnen einer vermarktungsorientierten Fußballindustrie.
Eine Fankultur aber, die eigenständig, selbstorganisiert und selbsttätig ist, agiert oft auch kritisch und rebellisch. Gerade solche Fanklubs schaffen dann häufig auch den Blick über den Tellerrand des eigenen Vereins und des Fußball, mischen sich nicht nur im eigenen Verein, sondern auch in der Gesellschaft ein. Fußball taugte in seiner Geschichte nicht nur zur Ablenkung von politischen und sozialen Problemen, sondern auch zur Entwicklung von kollektivem Stolz, Solidarität, Selbstorganisation und Klassenbewusstsein. Wie stark solche Elemente sind, hängt jeweils von der Kraft und Dynamik der ArbeiterInnenbewegung ab. Ihre Aufschwünge waren nicht nur immer von umfassender selbstständiger kultureller Tätigkeit des Proletariats begleitet (z.B. ArbeiterInnensportvereine), sondern wirkten sich auch auf die aktuelle Ausformung der Massenkultur in eine solidarische und linke Richtung aus.
Fußball ist in vielen Ländern ein permanenter popkultureller Großevent. Wie viele Arten der Massenkultur im Kapitalismus ist der Fußballsport ein umkämpftes Phänomen. Im Fußballsport findet ein Klassenkampf statt, an dem Millionen Menschen, besonders aus der ArbeiterInnenklasse, Anteil nehmen. Das kann uns als revolutionäre SozialistInnen nicht egal sein. Und da eine Beteiligung an verschiedenen Formen der Massenkultur ohnehin unumgänglich ist, um in dieser Gesellschaft sozial zu überleben, sind viele von uns notwendigerweise Teil dieses Kampfes.
In der Redaktion dieses Artikels waren AnhängerInnen von Rapid Wien, Austria Wien und Sturm Graz.