Worum geht es, wenn sich der Vorstand der österreichischen Fußball-Bundesliga über „asoziales und gestörtes Verhalten“ von Fans beschwert und der österreichische Polizeipräsident vor Gruppen warnt, die „im Internet zu Ausschreitungen und Terror gegen andere aufrufen“? Es geht um die bemerkenswerteste vereinsübergreifende Faninitiative in der Geschichte der österreichischen Bundesliga.
Der Hintergrund: Seit dem 4. Januar gilt in Österreich ein verschärftes Pyrotechnikgesetz. „Pyrotechnische Gegenstände (…) dürfen in sachlichem, örtlichem und zeitlichem Zusammenhang mit einer Sportveranstaltung nicht besessen und nicht verwendet werden“ heißt es da im Gesetzestext. Durch Ausnahmeregelungen und unterschiedliche Anwendung richtet sich das Gesetz allerdings klar und deutlich gegen Fußballfans. Zwar war die Verwendung von „Bengalen“ oder „Rauchtöpfen“ in österreichischen Fußballstadien schon bisher verboten, jedoch wurden nun sowohl der Strafrahmen (bis zu 4.360 Euro oder vier Wochen Haft) und die Eingriffsmöglichkeiten für die Polizei massiv verschärft.
So kann nun jeder und jede im Umkreis eines Fußballstadions bloß auf Verdacht hin durchsucht werden – wobei neuerdings auch der Besitz strafbar ist. Auch Autos und Wohnungen darf die Polizei ohne richterlichen Beschluss perlustrieren. Argumentiert wird das Ganze mit einer skurrilen Gleichsetzung von Gewalt und Pyrotechnik und angeblich zahlreichen durch diese verursachten Verletzungen. Konkrete Zahlen dafür können die Verantwortlichen rund um Innenministerin Maria Fekter allerdings nicht nennen. Die organisierten Fans des SK Sturm Graz meinten in einer Presseaussendung vom 10. Februar sogar, dass sich den letzten zehn Jahren mehr Sturmfans beim Aufhängen von Transparenten an Zäunen verletzt hätten, als durch das Abbrennen von pyrotechnischen Materialen. Und auch, warum Bengalen im Fußballstation gefährlich sein sollen und beim Skirennen in Schladming nicht, kann Fekter nicht erklären. Jene Innenministerin Fekter, die mit dem legendären Ausspruch „ein glühender Fan braucht keinen brennenden Knaller” eindrucksvoll ihre Unkenntnis der Materie zur Schau stellte.
Zündender Widerstand
Viele Fans wollen auf Pyrotechnik allerdings nicht verzichten und so haben sich über 150 österreichische Fanklubs zu einer im heimischen Fußball bislang einzigartigen Initiative zusammengeschlossen. Von Bregenz bis Eisenstadt, von Ried bis Klagenfurt unterstützen sämtliche Fansektoren die Kampagne „Pyrotechnik ist kein Verbrechen“. Seit Beginn der Frühjahrssaison wird in Österreichs Fußballstadien vermehrt gezündelt und mit Spruchbändern auf die Problematik aufmerksam gemacht. Bemerkenswert: Während sich unter den Unterstützen mit Namen wie den „Asozialen Zurndorfer Proleten“ oder den „Ultras Rohrbach“ sogar etliche Fanklubs von Unterliga-Vereinen aus der Provinz finden, steht kein einziger Fanklub des fanfeindlichen Retortenklubs Red Bull Salzburg hinter der Initiative.
„Pyrotechnik ist kein Verbrechen“ spricht sich für einen verantwortungsvollen, sicheren aber doch selbstorganisierten Umgang mit Pyro und gegen – tatsächlich gefährliche – Böller sowie Gewalt im Stadion aus. Mittlerweile unterstützen auch etliche Spieler und Funktionäre die Kampagne, so z.B. der als Fan-Verein gerührte Viertligaklub Austria Salzburg, der Drittligaverein Blau-Weiß Linz oder SK Rapid Wien (ursprünglich war Rapid zwar für das Verbot, unter dem Druck der Fans stellte sich der Verein dann aber dagegen und das Klubservice gab sogar eine kritische Erklärung auf der Rapid-Homepage ab).
Gemeinsamer Kampf
Der vorläufige Höhepunkt der Kampagne war das Bundesligaspiel Sturm Graz gegen Rapid Wien am 20. März, wo die Spieler beider Mannschaften mit „Pyrotechnik ist kein Verbrechen“-Shirts zum Aufwärmen aufs Feld kamen und beide Fanblöcke das Stadion mit Bengalen und Rauch minutenlang einnebelten. Nichtsdestotrotz hetzten die Reporter des Pay-TV-Senders Sky gegen „so genannte Fans“ und Peter Linden von der Kronen Zeitung mokierte sich über den „fürcherlichen“ Gestank und den bedauerlichen Umstand, dass das Match mit sieben Minuten Verspätung angepfiffen wurde – anstatt die Gelegenheit zu nutzen, sich noch schnell ein Lachsbrötchen aus dem VIP-Club zu holen. Wie auch immer, besonders hervorzuheben an diesem Spiel ist jedenfalls auch die gemeinsame Spruchband-Aktion der sonst rivalisierenden Sturm- und Rapidfans. So begann der Grazer Fansektor zu dichten „Wer Stadien nur von außen kennt und wegschaut wenn die Kurve ,brennt’. Wer unbescholt’ne Bürger quält…“ und die Fans aus Wien komplettierten den Sechszeiler mit „…der hat die Position verfehlt! Drum sagen wir es kurz + knapp. Fr. Fekter bitte dankens ab!“
Die Pro-Pyro-Kampagne ist ein schönes Beispiel für gemeinsames Auftreten organisierter Fußballfans. Fanklubs, die sich sonst gegenseitig homophobe Beschimpfungen an den Kopf werfen ziehen nun an einem Strang. Sie haben erkannt, dass sie alle dieselben Interessen haben und gemeinsam besser für diese kämpfen können.
Neoliberale Umgestaltung
Dass der Protest der Fans so verbissen ausfällt, hat seine Gründe. Obwohl sich Spruchbänder oder Sprechchöre vor allem gegen die Person Maria Fekter richten, haben viele intuitiv begriffen, dass es hier um mehr geht als nur eine grantige Innenministerin, die den Fans ihren Spaß verderben will.
Denn die Pyrogesetz-Novelle ist nur ein Stein im Mosaik der neoliberalen Umgestaltung des Fußballsports. Dabei werden mehr und mehr Bereiche des Fußballs der kapitalistischen Profitlogik unterworfen: Pay-TV-Sender diktieren fanunfreundliche Spielzeiten, Werbebanner ersetzen Plätze für Transparente, Werbebeschallung, Jingles, Hymnen und Tormusiken übertönen Fanchöre und steigende Eintrittspreise, komplette Sitzplatzstadien und die Überhandnahme von Logen und VIP-Bereichen sorgen für einen allmählichen sozialen Austausch des Publikums. Aufmüpfige proletarische Milieus, selbstorganisierte, aktive oder sogar kritische Fans haben in diesem Konzept keinen Platz. Durch Drehen an der Repressionsschraube soll ihre Fankultur weiter zurückgedrängt werden. Medien wie Sky hetzen nicht gegen uns Fußballfans, weil sie es nicht besser wissen und unsere Argumente nicht kennen, sondern weil sie in dieser Auseinandersetzung auf der anderen Seite stehen und gegensätzliche Interessen vertreten.
In diesem Kontext steht also auch der Widerstand gegen das neue Pyrotechnikgesetz. Um die Proteste weiter zutreiben und den Druck zu erhöhen müssten die Fans nun ihre gesellschaftliche Basis verbreitern – z.B. mit der Organisierung einer gemeinsamen Demo, wie es sie schon in Deutschland oder Italien gab.
Gleichzeitig aber müsste sich eine solche vereinsübergreifende Faninitiative schärfer gegen RassistInnen und Rechtsextreme im Stadion abgrenzen, deren anti-solidarische Haltung per se einem gemeinsamen Vorgehen aller Fußballfans im Wege steht. Denn derzeit scheinen die OrganisatorInnen kein Problem mit rechtsextremen Fanklubs wie etwa Unsterblich Austria Wien (siehe dazu: Es reicht bei der Wiener Austria! Nazis raus aus dem Stadion!) zu haben, die genauso auf der Unterstützungsliste stehen, wie linke Fanklubs wie die Verrückten Köpfe Innsbruck oder die Döblinger Kojoten (die offenbar derzeit leider akzeptieren, gemeinsam mit den Nazis von Unsterblich auf einer Liste zu stehen). Die Fackeln müssten also auch gegen Rechts, gegen Sexismus, Homophobie und Diskriminierung brennen.
Wie weiter?
Fußballfans sind oft Versuchskaninchen für Repressionsmaßnahmen, die später auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen zum Einsatz kommen sollen. Doch sie sind beileibe nicht die einzigen, die momentan mit verschärfter staatlicher Repression zu kämpfen haben – man/frau denke z.B. an die derzeitigen Schauprozesse gegen TierrechtsaktivistInnen. Sinnvoll wäre also sicher auch ein gemeinsamer Kampf mit anderen betroffenen Gruppen. Dass hierbei, dass im Stadion leider weit verbreitete sexistische und schwulenfeindliche Verhalten nicht unbedingt hilfreich ist, liegt auf der Hand.
Ob die Fans mit ihren Anliegen erfolgreich sein werden, ist fraglich; eine Entschärfung oder gar eine Abschaffung des Gesetzes scheint äußerst unwahrscheinlich. Einen solchen Gesichtsverlust wird Fekter wohl kaum hinnehmen. Möglich ist allerdings, dass sich die Verantwortlichen dazu entschließen, das Gesetz nicht oder kaum zu exekutieren um die Situation in den Stadien zu deeskalieren. So wie es mit der Beißkorb- und Leinenpflicht für Hunde gehandhabt wird. Übrigens werden in Österreich jährlich über 5000 Menschen nach einem Hundebiss ins Krankenhaus eingeliefert, viele mit bleibenden Schäden. Ähnliche Zahlen bezüglich bengalischen Feuers sind nicht bekannt…
Zum Weiterlesen:
FUSSBALL & Klassenkampf
Kickerei zwischen ArbeiterInnensport und Kommerzialisierung Europameisterschaften, Repression und Nationalismus Fankultur zwischen Machismus und Rebellion Marxismus-Sondernr. 27, April 2008 60 Seiten A5, Preis: 2,5 Euro / 4 SFR
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