Der Fußballklub Austria Wien hat mittlerweile ein veritables Nazi-Problem. Jüngst wurde sogar Adolf Hitler vom Vorsängerpult des Fansektors gelobt. Wie es dazu kommen konnte und was die unter vielen Fußball-Fans sehr beliebte "unpolitische Kurve" damit zu tun hat.
Adolf Hitler ist mein Freund", "Zick-Zack Zigeunerpack", "Rassist, Faschist, Hooligan" – solche Sprüche waren in der Fan-Kurve der Austria in Wien-Favoriten im Euro-League-Spiel gegen Aris Saloniki im August 2010 zu hören. Die Nazis hatten sogar kurzfristig das Vorsängerpult übernommen.
Nicht der erste Vorfall dieser Art: Im Euro-League Spiel gegen Bilbao im letzten Winter wurden Fahnen aus der Zeit des spanischen Faschismus gehisst und eine Reichskriegsfahne war zu sehen. Der für all das hauptverantwortliche Nazi-Zusammenschluss "Unsterblich" hisst bei jedem Heimspiel zentral in der Ost-Kurve sein Transparent, das dem Logo der Nazi-Skinhead-Verbindung „Blood and Honour“ nachempfunden ist. (Wir berichteten LINK http://www.sozialismus.net//content/view/1318/53/).
Die Unsterblich-Nazis – erkennbar an ihrem Logo auf den Jacken: einem SS-Totenkopf mit dem Wiener Wappen im Hintergrund – haben in der Kurve bereits enormen Einfluss und schüchtern andere Fans ein. Seit kurzem mischen sie auch außerhalb der Kurve mit und waren etwa an Auseinandersetzungen mit AntifaschistInnen rund um verschiedene FPÖ-Kundgebungen beteiligt.
Verein stellt sich tot
Der Verein zeigt sich hilflos bis unwillig, den Nazis entgegenzutreten. Nach dem Spiel gegen Aris gab es nun zwar erneut Stadionverbote – und der Verein schafft es mittlerweile sogar, das Naziproblem Unsterblich beim Namen zu nennen – doch es gilt: zu wenig, zu spät.
Die Wiener Austria hat eigentlich eine jüdische Tradition und (nach langer Dominanz des ÖVP-Wirtschaftsbundes und schließlich des Großkapitalisten Stronach) mittlerweile auch eine sozialdemokratische Führung, doch scheinbar ist insgesamt das Geschäft (also die öffentliche Wirkung beziehungsweise die Angst vor SponsorInnenverlust) wichtiger als der Antifaschismus. Es sollte alles unter den Tisch gekehrt werden und dazu gab es offenbar sogar immer wieder Stillhalteabkommen zwischen Unsterblich und dem Verein, die aber von den Nazis ohnehin bald wieder gebrochen wurden. Motto des Vereins: ihr verhaltet euch ruhig, dafür lassen wir euch in Ruhe.
Es wird sogar davon berichtet, dass der Verein für „Unsterblich“ Transparente bezahlt und Ordner Nazis, die bereits Stadionverbot haben, durch das dem Stadion angeschlossene Pub Viola auf die Ost-Tribüne geleiten. Symptomatisch mag der Umgang mit dem Blood-and-Honour-Transparent sein: zuerst wurde das Transparent genau in den B&H-Farben präsentiert. Der Verein erklärte nach Protesten, dass sie eben das Logo von B&H nicht gekannt hätten (was glaubhaft ist). Der Skandal ist aber: Das Transparent verschwand dann kurze Zeit, um nun einfach in violett-weiß und genau demselben Layout wieder aufzutauchen – ohne dass der Verein ein Wort darüber verliert oder es untersagt.
Auf den Verein ist also offenbar kein Verlass. Doch mittlerweile wachen immer mehr antifaschistische und linke Fans der Austria auf und es setzt auch eine antifaschistische Politisierung ein. Doch scheint es dafür bereits ein wenig spät zu sein Es ist aber auch kein Zufall, dass vieles lange dauerte. Denn in der Tradition der Austria-Fan-Szene wurde lange das Ideal der unpolitischen Kurve hochgehalten. Grundsatz: egal, was Du außerhalb des Stadions denkst, im Stadion sind wir alle violett. Eine fatale Position, die den Rechten sehr geholfen hat. Doch auch viele, die früher meinten, dass die Kurve eben unpolitisch sein müsse, sehen das mittlerweile kritisch.
Ist die Kurve wirklich unpolitisch?
Die unpolitische Kurve ist allerdings ohnehin eine Lebenslüge. Betrachten wir zuerst die Zusammensetzung österreichischer Fußballkurven: Die Kurven werden zumeist von jungen Männern mit deutscher Muttersprache bevölkert. Bundesweit hat, wenn den jüngsten Meinungsumfragen Glauben geschenkt werden darf, die FPÖ eine Mehrheit bei den Unter-30-Jährigen (wobei Männer eher rechts wählen als Frauen) – zumindest unter denjenigen, die überhaupt wählen gehen. Wenn wir davon noch die MigrantInnen wegrechnen, die kaum in Stadien zu finden sind, doch in weit geringerem Ausmaß FPÖ wählen, ist klar, dass sich das in den Fußball-Kurven niederschlägt. Sehr viele der jungen Fans in den Kurven sind zwar vermutlich NichtwählerInnen, gleichzeitig gibt es erhebliche Teile, die mit der FPÖ sympathisieren oder zumindest rassistische Positionen mit ihr teilen.
Das kann nun natürlich nicht absolut pauschal gesagt werden, so gibt es etwa bei Wacker Innsbruck eine Kurve, die sich lange als eher links verstand (sich allerdings derzeit als antirassistisches Projekt in voller Auflösung befindet). Natürlich variieren die jeweiligen Stimmungen auch in verschiedenen Kurven, doch generell dürfte die Zustandsbeschreibung zutreffen. Die Kurve ist eben letztendlich ein Spiegel der Gesellschaft und Ausdruck dessen, was in Betrieben und Schulen an Meinungen vorhanden ist – und genauso, wie in Betrieben und Schulen für bestimmte Positionen offen eingetreten und gekämpft werden muss, gilt das auch in der Kurve.
Wenn nun die "unpolitische Kurve" hochgehalten wird, bedeutet das nichts anderes als eine Zementierung von rassistischen, sexistischen und schwulenfeindlichen Positionen. Real bedeutet es, dass die Hetzer weiter hetzen können, doch all jene, die sich dagegen stellen, angegriffen werden, weil sie „Politik in die Kurve tragen“. Dass die homophoben Sprüche gegen den „schwulen Club xy“ allerdings ebenfalls politisch sind, bleibt dabei außen vor. Es braucht in einem solchen Umfeld als Katalysator nur noch eine Gruppe von Nazis und eine ihnen gegenüber passive Vereinsführung, damit das Ganze sich so entwickelt wie aktuell bei der Austria.
Im Gegensatz zu anderen Kurven gibt es bei der Austria nicht den einen "dominanten" Fanclub. Das macht es für Nazis natürlich leichter, mit wenigen Leuten viel Einfluss in der Kurve zu bekommen. Doch ist natürlich auch ein großer „unpolitischer“ Fanclub keine Antwort. Denn es stellt sich die Frage, was passiert, wenn der eine dominante Fanclub dann nach Rechts kippt. Es hat nun besonders die Austria "erwischt", doch sind auch andere Kurven keineswegs davor gefeit, Beispiele aus Vergangenheit (Rapid) und Gegenwart (LASK, Austria Salzburg, Red Bull Salzburg) gibt es genug.
Die Kurve politisieren!
Es ist spät bei der Austria – doch nicht zu spät. Es gilt, die Idee von der unpolitischen Kurve endgültig zu überwinden und offen gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie Stellung zu beziehen. In der Austria-Kurve selbst ist das derzeit schwer bis kaum möglich. Doch einfach weiter ins Stadion gehen und so tun, als wenn nichts wäre, das geht auf keinen Fall. Fans können nun entweder wegbleiben und dem Verein so zumindest signalisieren, dass das Tolerieren der Nazis einen Preis hat. Was aber tun, wenn jemand nicht auf den Besuch von Spielen der Austria Wien verzichten will?
Die antifaschistischen und linken Fans der Austria werden sich in einem ersten Schritt vernetzen müssen und Druck auf den Verein ausüben: etwa für den Ausschluss aller Nazis aus dem Stadion, das Verbot von „Unsterblich“ und Stadionverbote für alle Mitglieder, das Verbot rechtsextremer Symbole im Stadion und ein klares, öffentliches und permanenten Auftreten des Vereins gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie sowie die Verankerung dieser Punkte im Vereinsstatut. Von selbst wird wenig geschehen. Einzelne Fans und Fangruppen machen bereits Druck auf den Verein – verstärken wir ihn, lassen wir dem Verein keine Ruhe: Mails, Anrufe, Briefe, Öffentlichkeitsarbeit…
In einem zweiten Schritt wird es notwendig sein, sich auch in der Kurve zu organisieren und eine andere Stimmung ins Stadion zu bringen. Denn die Kurve ist, wie geschrieben, ein Spiegelbild der Gesellschaft. Und genauso wie die Gesellschaft kann auch die Kurve verändert werden!
Protestmail an die Wiener Austria:
Kopie an Austria-Präsident Katzian und Austria-Kuratoriumsvorsitzenden und BM Häupl: wolfgang.katzian@gpa-djp.at, buergermeister@magwien.gv.at
Sehr geehrte Damen und Herren!
Seit über einem Jahr kommt es nun permanent zu Nazi-Provokationen im Horr-Stadion. Die Urheber sind klar, doch offenbar tut der Verein nichts, um die Nazis wirklich zu bremsen. Ich fordere Sie auf, endlich zu handeln:
● Verbot des „Fan“-Clubs Unsterblich und aller seiner Transparente und Symbole sowie etwaiger Nachfolge-Zusammenschlüsse
● Ein Verbot aller rechtsextremen und neonazistischen Symbole im Stadion, insbesondere von Reichskriegsfahnen, Blood-and-Honour-Symbolen und SS-Totenköpfen.
● Stadionverbot für alle diejenigen, die sich nicht daran halten sowie alle, die im Stadion rechtsextreme oder neonazistische Parolen von sich geben
● Ein entschlossenes Auftreten des Vereins gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie und eine Verankerung dieser Positionen im Vereinsstatut
● Finanzielle, ressourcenmäßige und ideelle Unterstützung antirassistischer Fanarbeit
Ich ersuche Sie um Mitteilung, was sie konkret unternehmen werden und verbleibe
Mit freundlichen Grüßen
Zum Weiterlesen:
Es reicht bei der Wiener Austria! Nazis raus aus dem Stadion! (Dezember 2009)
Österreich: Politisches Profil der Fußball-Fanszene (September 2009)
Gesammelte RSO-Artikel zu Fußball und Sport
Broschüre der RSO: Fußball und Klassenkampf
Diskussion über die Nazi-Problematik bei der Wiener Austria im Austrian Soccer Board