Die Website „WikiLeaks“ hat in den letzten Monaten durch die Veröffentlichung zahlreicher Geheimdokumente, unter anderem zu den Kriegen in Afgahnistan und Irak, für Aufregung gesorgt. Der herrschenden Klasse ist das mehr als unangenehm. Und sonst? Wie gilt es dieses Projekt einzuschätzen?
Was macht WikiLeaks eigentlich so?
Im Internetlexikon Wikipedia heißt es dazu: „WikiLeaks (häufig auch Wikileaks) ist eine Internet-Plattform, auf der anonym Dokumente veröffentlicht werden können, bei denen ein öffentliches Interesse angenommen wird. Das Projekt will „denen zur Seite stehen, die unethisches Verhalten in ihren eigenen Regierungen und Unternehmen enthüllen wollen.“ Dazu wurde – nach Angaben von WikiLeaks – ein System „für die massenweise und nicht auf den Absender zurückzuführende Veröffentlichung von geheimen Informationen und Analysen“ geschaffen.“
Gegründet wurde die Internetplattform bereits 2006. Besonders stark in die öffentliche Wahrnehmung ist sie durch die Veröffentlichung zahlreicher geheimer US-Dokumente im Bezug auf den Krieg in Afgahnistan im Juli 2010 gerückt. Dabei wurde unter anderem die hohe Anzahl an ZivilistInnen unter den Opfern und die prekäre Sicherheitslage dokumentiert. Ende Oktober 2010 erschienen dann ähnliche Dokumente hinsichtlich des Irakkriegs aus denen, neben anderen Dingen, hervorgeht, dass der systematische Einsatz von Folter durchwegs bekannt und akzeptiert war – auch durch offizielle Stellen.
Ende November wurden zahlreiche geheime, diplomatische Dokumente verschiedener US-Botschaften von WikiLeaks ins Internet gestellt. Dabei kamen neben politstrategischen Überlegungen auch einige eher humoristische Dinge ans Tageslicht. So etwa, dass in Kreisen der US-Diplomatie der russische Ministerpräsident Wladimir Putin als „Alpha-Rüde“ bezeichnet wird. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hat sich den Spitznamen „Kaiser ohne Kleider“ eingefangen. Außerdem wurden darin die deutsche Kanzlerin Angela Merkel als „selten kreativ“ und Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi als „unfähig“ charakterisiert.
„Unverantwortlich“ und „sicherheitsgefährdend“
In ihren Reaktionen auf die Veröffentlichungen werfen die VertreterInnen des politischen Establishments WikiLeaks zumeist vor „unverantwortlich“ zu sein und „sicherheitsgefährdend“ zu handeln. Und tatsächlich ist es für diese Damen und Herren meist ziemlich unangenehm, dass jene Dokumente nun öffentlich zugänglich und einsehbar sind. Manche Dokumente werden wohl eher dazu beitragen, dass die Stimmung zwischen einigen Staats- und Regierungschefs/innen beim nächsten Zusammentreffen etwas kühler ausfallen könnte. Die Dokumente über die Kriege in Afghanistan und im Irak bieten da wohl schon mehr politischen Sprengstoff, bestätigen sie doch eindeutig die Vorwürfe und Kritik an diesen Kriegseinsätzen und erhöhen so auch den Druck auf die jeweiligen Regierungen.
Mit ihrer Kritik sagen die Herrschenden ganz offen wofür sie stehen und eintreten: Geheimnisse, Geheimhaltungen und Verschleierungen vor der eigenen Bevölkerung. Denn es stellt sich doch die ganz grundsätzliche Frage, warum es überhaupt eine solche Geheimhaltung braucht und wem diese nützt. Denn wenn die Mächtigen tatsächlich, wie sie ja vorgeben, im Interesse des „ganzen Volkes“ handeln würden, dann hätten sie auch nichts zu verbergen, oder? „Sicherheitsgefährdend“ heißt in diesem Kontext also „gefährdend“ für die kriegerischen und sonstigen Pläne der Herrschenden. Gar nicht in den Kram passt ihnen auch, dass somit das Idealbild des Staats, als recht- und zweckmäßige Vertretung aller BürgerInnen, in Frage gestellt wird.
Repression
Dementsprechend werden auch Wege gesucht die Aktivitäten von WikiLeaks einzustellen, was sich allerdings nicht ganz leicht gestaltet. Die Internetplattform arbeitet wohl auf einem sehr hohen technischen Standard und ist so kaum angreifbar – trotz etlicher Versuche diverser Gerichte und Geheimdienste. Mittlerweile ist es gelungen die Hauptdomain (wikileaks.org) abzudrehen; die Seite ist aber weiterhin unter der URL www.wikileaks.ch erreichbar. Von vielen Internetusern wurden unterdessen „Sicherheitskopien“ im Internet erstellt (auf anderen Servern), so dass es praktisch verunmöglicht wird, die Seite gänzlich aus dem Internet zu entfernen.
Parallel dazu werden andere Mitteln der Repression angewandt. Der WikiLeaks-Gründer, Julian Assange, wird derzeit von Interpol gesucht, nachdem er aus Schweden ausgereist und untergetaucht ist. Allerdings nicht wegen seinen Aktivitäten im Internet, sondern wegen Vergewaltigungsvorwürfen.
Es ist schon beeindruckend, wenn sich der bürgerliche Staat plötzlich zum Verteidiger von Frauenrechten aufspielt. Ob Assange tatsächlich eine Frau vergewaltigt hat oder ob es sich um eine perfide Verleumdungskampagne des politischen Establishments handelt, um einen Kritiker verfolgen zu können, können wir nicht beurteilen. Auffällig ist es allemal, dass gerade jetzt solche, für die Herrschenden so wunderbar passenden Vorwürfe kommen.
Um nicht falsch verstanden zu werden: selbstverständlich soll allen Vergewaltigungsvorwürfen auf den Grund gegangen werden und Schuldige sollen nicht so einfach davon kommen. Aber das ist, was meistens passiert! Der bürgerliche Staat kümmert sich sonst so gut wie gar nicht um Vergewaltigungen und Gewalt gegen Frauen allgemein. Geschweige denn, dass sogar Interpol auf gesamteuropäischer Ebene Vergewaltiger verfolgen würde. Ganz im Gegenteil: die Kriminalisierung von „illegalen“ EinwanderInnen und die Abschottung der „Festung Europa“, d.h. die Politik der EU-Eliten, öffnet Menschenhandel und Zwangsprostitution Tür und Tor. Hier geht es unterm Strich also eindeutig um etwas anderes: Repression gegen jemand politisch Unliebsamen.
Aufklärung und Protest 2.0?
Wie gilt es nun aber das Projekt WikiLeaks selbst einzuschätzen? Die Internet-Plattform stellt einen guten Weg dar, Geheimdokumente sicher und anonym an die Öffentlichkeit zu bringen. Das ermöglicht es solche Veröffentlichungen, trotz drohender Repression, vorzunehmen und so die Pläne der Herrschenden publik zu machen. Hier bietet das Internet als Medium sicherlich einiges an Vorteilen; alleine schon deswegen, weil nicht mehr nur ausgewählte Zeitungsredaktionen Zugang zu solchen Geheimdaten haben, sondern diese öffentlich im Internet zugänglich sind.
Die Aktivitäten von WikiLeaks bleiben aber letztlich auf den Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft beschränkt. Die Betreiber der Internet-Plattform betrachten ihre Arbeit als Teil der bürgerlichen Pressefreiheit und wollen so, über journalistische Aufklärungsarbeit,… eigentlich was genau machen? Die Öffentlichkeit wachrütteln? Ein abstraktes Recht auf Informationen durchsetzen? Die Herrschenden unter Druck setzen?
Wie und wodurch, das passieren kann ist hier wohl die entscheidende Frage. So hilfreich und gut also solche Geheiminformationen auch sind und so sehr sie auch zu Entrüstungen über die geheimen Pläne und Machenschaften der herrschenden Klasse führen, ersetzen sie keinen tatsächlichen Protest dagegen. Vielfach werden Reaktionen unter den Lohnabhängigen wohl lauten: „Überrascht mich gar nicht“. Die Machenschaften der KapitalistInnen und ihrer PolitikerInnen werden nicht durch Aufdeckungen alleine durchkreuzt werden, auch wenn diese eine gute Grundlage und möglicherweise einen Funken darstellen können. Es braucht tatsächlichen Protest mit einer Perspektive. Und dafür ist die Arbeit von RevolutionärInnen in den Reihen der ArbeiterInnenklasse und ihre Organisierung unerlässlich.
Zum Weiterlesen:
Leo Trotzki (1917): Über die Veröffentlichung von Geheimverträgen (englisch)