Husni Mubarak, seit 1981 an der Spitze Ägyptens, musste am Freitag, 11. Februar 2011, fluchtartig die Metropole Kairo verlassen. Damit ist der Sturz des verhassten Langzeit-Diktators, das erste Etappenziel der revolutionären Bewegung, erreicht. Wir analysieren deren Perspektiven, Chancen und Gefahren
Der 11. Februar 2011 ist zweifellos ein historischer Tag, nicht nur für Ägypten, sondern auch für die arabischen Länder und den Nahen Osten, vielleicht sogar weit darüber hinaus. Nach 18 Tagen Protesten gab Husni Mubarak die Präsidentschaft ab und setzte sich in seine Villa in Sharm El Sheikh ab. Vizepräsident Suleiman teilte in dürren Worten via TV mit, dass Mubarak angesichts der anhaltenden Massenproteste seinen Rücktritt erklärt habe. Die Amtsgeschäfte würden von einem Militärrat übernommen werden, wobei Suleiman offen ließ, ob er selbst diesem Gremium angehören werde.
Die Reaktionen waren überschwänglich – viele Millionen Ägypter/innen feierten den Rücktritt Mubaraks auf den Straßen. Dass die US-Diplomatie im Hintergrund mit an den Fäden gezogen hatte und letztlich auch Mubarak deutlich gemacht haben dürfte, dass er auf eine weitere Unterstützung der Vereinigten Staaten nicht mehr zählen könne, ist natürlich ebenso klar wie die Unsicherheiten und Fraktionierungen im Militär und der bisherigen Regierungspartei NDP. Trotzdem sahen die vielen Millionen Demonstrant/inn/en mit vollem Recht den Sturz von Mubarak als Ergebnis ihres Durchhaltewillens und ihrer Bereitschaft, allen Einschüchterungsversuchen zu trotzen. Der Sturz Mubaraks ist in erster Linie das Ergebnis einer Protestwelle, die seit der zweiten Januarhälfte nicht unter Kontrolle gebracht werden konnte, sondern mehr und mehr das ganze Land erfasste und sich nach der weithin als Provokation empfundenen Rede Mubaraks vom 10. Februar 2011 zu einer von Aber-Millionen getragenen Bewegung verallgemeinerte, die das ganze Land zu paralysieren drohte.
Generation Facebook und Arbeiter/innen/klasse
Von Kommentator/inn/en bürgerlicher Medien wird immer wieder der Eindruck kolportiert, das entscheidende, qualitativ neue Element sei die Formierung der Revolte über Internet gewesen, in Ägypten hätte wie schon zuvor in Tunesien eine Online-Revolte einen grandiosen Sieg errungen. Die „Generation Facebook“ habe im virtuellen Untergrund Proteste artikuliert, Blogger hätten praktische Tipps für Demo-Verhalten gegeben, youtube-Clips hätten die Brutalität der Ordnungskräfte am eigenen Bildschirm hautnah miterleben lassen und damit dem Protest ein immer größeres Auditorium gegeben, über twitter und Facebook seien die Mobilisierungen gelaufen, – es seien eben, wie etwa das österreichische Fernsehen ORF meldete, „unzufriedene junge Ägypter“ gewesen, „die sich über das Internet formieren“.
Sicher spielten im Vergleich zu früheren Revolten neue Medien und moderne Kommunikationsformen eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Organisierung, in der schnellen Übermittlung von Nachrichten, in der Formierung des Widerstandes. So verbreitete sich auch über Handy in Sekundenschnelle die Nachricht vom Rücktritt Mubaraks im ganzen Land. Aber im Wesentlichen war es ein anderes Element, das auch bisherigen Vertreter/inne/n des Regimes klar machte, dass es besser wäre, Mubarak als Galionsfigur des Systems zu opfern: der massenhafte Eintritt der Arbeiter/innen/klasse in die Bewegung.
In den Tagen vor dem 11. Februar 2011 breitete sich eine Streikwelle immer weiter aus und ergriff immer neue Schichten der ägyptischen Arbeiter/innen/klasse. Schon am 8. Februar hatten Hunderttauende die Fabriken verlassen und waren auf die Straßen gegangen – die massiven Demonstrationen waren bereits mit Aufrufen zum Generalstreik verbunden.
Im letzten Jahrzehnt ist die ägyptische Arbeiter/innen/klasse massiv gewachsen. 2007 erreichte die Zahl der erwerbstätigen Bevölkerung 22,5 Millionen. 2002 waren davon in der Landwirtschaft 27%, im Bereich der Dienstleistungen 52%, und in der Industrie, die ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet, immerhin 21% beschäftigt. Ägypten ist damit heute nach Südafrika das am stärksten industrialisierte Land des afrikanischen Kontinents. Unter dem Diktat von Internationalem Währungsfonds (IWF) und unter dem direkten Druck imperialistischer Länder wurde unter Anwar as-Sadat und Mubarak ab den 1970er Jahren das staatskapitalistische Entwicklungsexperiment von Nasser beendet und der Staatsanteil an der Wirtschaft zurückgefahren. Damit wurde die ägyptische Wirtschaft stärker in die imperialistische Arbeitsteilung integriert. Die Privatisierungen sind auch eine Quelle der Reichtümer der herrschenden Clique, denn die kolportierten 50 Milliarden US-Dollar der Familie Mubarak sind nur die sichtbare Spitze einer von Korruption und Vetternwirtschaft geprägten Gesellschaft.
Andererseits ist aber immer noch der Staat stark in der Ökonomie engagiert, allein die von der Suez Canal Authority eingestreiften Nutzungsgebühren betrugen 2008 5,4 Milliarden USD für die Kanal-Passage von insgesamt 21.415 Schiffen. Nicht zu unterschätzen ist auch die Bedeutung des Militärs in der Ökonomie: Über seine starke Präsenz in der für den Export arbeitenden Textilwirtschaft oder im Tourismus kontrolliert die Armee geschätzte 15 Prozent der Wirtschaftsleistung direkt. Das erklärt auch die Fraktionierungen in den herrschenden Cliquen: Im Angesicht einer stärker werdenden Streikbewegung – und sicher auch auf Druck der imperialistischen Verbündeten Ägyptens – sahen immer größere Teil der herrschenden Kreise in einem Ende Mubaraks die einzige Chance für die Wiederherstellung von Stabilität und Ordnung.
ein „kontrollierter Übergang“
Das ist das Hauptziel der führenden Cliquen in Ägypten, und das ist auch das strategische Ziel der imperialistischen Mächte. Ägypten ist ein entscheidender Garant der imperialistischen Ordnung im Nahen Osten, das mit seinen geschätzten 85 Millionen Einwohner/inne/n etwa ein Drittel der gesamten arabisch-sprachigen Welt auf sich vereinigt.
Und das machte es den imperialistischen Ländern auch so schwer, im Laufe der Protestbewegung rasch eine klare Sprache zu finden. Mit seinem riesigen Unterdrückungsapparat aus Armee, Polizei und Geheimdienst deckte Mubarak über Jahrzehnte die imperialistische Ordnung im Nahen Osten ab. Da ist es nicht verwunderlich, dass USA und EU erst jetzt darauf kommen, dass Mubarak diesen Apparat auch zur Unterdrückung der eigenen Bevölkerung eingesetzt hat. Bisher war man bereit gewesen, die Unterdrückung der Islamist/inn/en wie der Muslimbrüder als Beitrag Ägyptens im weltweiten „Kampf gegen den Terror“ zu definieren. Und in diesem Zusammenhang man war sicher auch gewillt, großzügig darüber hinwegzusehen, wenn in diesem Kampf die eine oder andere kleine Übertreibung begangen wurde. Ungläubig mussten die Regierungen der USA und der EU-Länder zur Kenntnis nehmen, dass systematische Folter und Unterdrückung auf der Tagesordnung standen und jede Opposition im Keim brutal unterdrückt wurde.
Die Wiederherstellung von Stabilität und Ordnung ist nicht nur die Hauptsorge des Imperialismus. Und da bereitet nicht der Rücktritt eines nahezu 83-jährigen Langzeitpräsidenten Sorgen. Das wäre an sich keine große Sache, das Ende seiner persönlichen Regentschaft wäre auch sonst aus rein physiologischen Gründen in der allernächsten Zeit zu erwarten gewesen. Sorgen bereiten die Umstände des Rücktritts – der Sturz eines der verlässlichsten Statthalters des Imperialismus im Nahen Osten durch eine breite Volksbewegung.
Und eine solche Volksbewegung müssen sowohl die Imperialist/inn/en als auch die einheimischen herrschenden Cliquen fürchten. Ihr Ziel ist nun ein „kontrollierter Übergang“ – mit anderen Worten: Mubarak wird geopfert, um die Grundfesten des Regimes und seine geo-strategische Orientierung beibehalten zu können. Außenpolitisch soll Ägypten weiterhin pro-westlich orientiert bleiben und Israels Südgrenze freihalten. Die hohe Auslandsverschuldung von 28,5 Milliarden USD (2009) soll brav bedient, der für die Versorgung Europas mit Erdöl und für den Handel Europas mit Asien immens wichtige Suez-Kanal weiterhin unter imperialistischer Kontrolle bleiben – und natürlich soll in Ägypten das Fortbestehen eines in den imperialistisch dominierten „globalisierten“ Weltmarkt fest eingebundenes kapitalistischen Wirtschaftssystems garantiert werden.
Dieser kontrollierte Übergang, auf den hinter Mubaraks Rücken bereits einige Wochen hingearbeitet wurde, ist nicht nur das Ziel von USA und EU, sondern auch das der Armeeführung um den Militärchef Tantawi. Der Feldmarschall und ehemalige Verteidigungsminister Muhammad Hussein Tantawi war bereits der starke Mann hinter Mubarak, ohne den schon bisher in Ägypten nichts lief. Er leitet bis auf Weiteres den mächtigen Militärrat, der nach Mubaraks Abgang die Macht im Land ausübt.
Hintergründe …
Wenn das Ziel der Militärführung aufgeht und ein „geregelter und kontrollierter Übergang“ im Sinne von USA/EU und den ägyptischen Eliten aufgeht, heißt das natürlich, dass der wahre Auslöser der Proteste hintangestellt bleiben wird. Die soziale Situation hat sich in den letzten Monaten in Ägypten rapide verschlechtert: Allein im zweiten Halbjahr 2010 hat sich der Weltpreisindex für Lebensmittel um ein Drittel erhöht. Etwa 40 Prozent der Bevölkerung leben von zwei US-Dollar pro Kopf, 20 bis 30 Prozent müssen ihr Leben unter der von der UNO festgelegten Armutsgrenze fristen, seit den 1990er Jahren hat der Lebensstandard der Bevölkerung stetig abgenommen. Die offizielle Arbeitslosenrate von 12 Prozent ist sicher zu niedrig, sie dürfte bei mindestens 20 Prozent liegen. Steigende Lebensmittelpreise, eine grassierende Jugendarbeitslosigkeit, weit verbreitete Perspektivlosigkeit sind die wahren Ursachen der Protestbewegung, die sich bereits in der seit 2006 anhaltenden Welle von Arbeiter/innen/streiks angekündigt hat.
Das allerdings ist keine ägyptische Besonderheit. Das waren auch schon die Ursachen für die Revolte in Tunesien, und das ist auch in vielen anderen arabischen Ländern nicht anders. Die Regimes in Jemen, Algerien, Jordanien, aber auch im Iran oder in Pakistan sind mit einer steigenden Wut der Jugendlichen konfrontiert, mit der Verzweiflung von Arbeitenden, deren Lohn nicht die Lebenshaltungskosten der Familien abdeckt, mit der Perspektivlosigkeit von Millionen Arbeitslosen oder Gelegenheitsarbeiter/inne/n, die oft schon seit Jahren oder Jahrzehnten versuchen, zu geregelter Arbeit zu kommen… Die weltweite Wirtschaftskrise hat die Probleme der bevölkerungsreichen Länder in den letzten Monaten nur noch dramatisch verschärft: Viele Gastarbeiter/innen wurden zum Beispiel aus den Golfstaaten zurückgeschickt, ausbleibende Überweisungen haben zehntausende Familien in Not und Elend getrieben.
Deshalb scheint die Prognose berechtigt, dass die Ereignisse in Ägypten auf andere Länder ausstrahlen werden – schon allein die Ankündigung des Falles des „modernen Pharao“ hat zu Demonstrationen in Algerien und anderen Ländern geführt. Die Unzufriedenheit ist unübersehbar im gesamten arabischen Raum – von Marokko und Mauretanien bis zum Jemen. Mit dem Sturz Mubaraks eröffnet sich eine große Chance, diese korrupten und menschenverachtenden Regimes, die über Jahrzehnte vom Imperialismus gedeckt und über Wasser gehalten wurden, hinwegzufegen.
Das aber erfordert eine Weiterentwicklung der Aufstände in Ägypten und Tunesien. Dass eine siegreiche Revolte gegen einen verhassten Büttel des Imperialismus allein noch nicht ausreicht, um auch die Grundlagen, die zu der Misere geführt haben, zu ändern, liegt auf der Hand. Nur wenige Wochen nach der erzwungenen Flucht Ben Alis steigen bereits die Zahlen der Bootsflüchtlinge nach Italien wieder dramatisch an. Die Massen haben kein Vertrauen, dass die neuen Machthaber/innen die soziale Lage nachhaltig bessern und den Menschen ein auch nur halbwegs lebenswertes Leben ermöglichen könnten.
… und mögliche Auswirkungen
Die neuen Machthaber und USA/EU spekulieren genau darauf, dass zwar die Personen an der Spitze ausgetauscht werden, dass aber die Grundlagen der Systeme erhalten bleiben können. Natürlich ist dazu die eine oder andere Reform notwendig: Politische Gefangene werden freikommen, neue Präsidenten werden voller Abscheu die Folterpraktiken ihrer Vorgänger anprangern, Wahlen werden durchgeführt werden. Aber wenn die Bewegungen nicht weiter gehen, sondern sich die Pläne von USA/EU und Militärführung durchsetzen, werden mit einem „kontrollierten Übergang“ die Jugendlichen, die Lohnabhängigen und die Arbeitslosen letztlich auf der Strecke bleiben. In diesem Szenario könnte auch der islamistischen Opposition wie den Muslimbrüdern eine Funktion zugedacht sein: Einige ihrer Teile stehen eben gerade nicht für eine grundlegende Opposition und haben in den letzten Tagen bereits mehrfach signalisiert, dass sie für eine Perspektive wie in der Türkei zu haben wären. Eine Einbindung „moderater“ islamistischer Strömungen könnte also die Basis eines neuen Regimes stark verbreitern und die Oppositionsbewegung nachhaltig schwächen.
Auf ein solches Szenario hofft also die neue Militärführung in Kairo, ebenso wie die Führungen in den imperialistischen Zentralen von Washington und Brüssel. Ein solches Szenario scheint allerdings auch nicht gänzlich abwegig zu sein. Denn die ägyptische Bewegung hat zwar in 18 Tagen das persönliche Regime Mubaraks in die Knie gezwungen, die große Schwäche der ägyptischen Revolution konnte bisher jedoch noch nicht überwunden werden: die Frage der Organisation.
Anders als die bürgerlichen TV-Stationen uns weismachen wollen, war die Spontaneität und die Buntheit der ägyptischen Revolte nicht ihr großer Trumpf, sondern langfristig gesehen ein großer Nachteil. Die Bewegung der ägyptischen Bevölkerung war ziemlich spontan. Alles war auf den Sturz von Mubarak konzentriert. Das ermöglichte es auch immer wieder den Moslembrüdern und einigen pro-kapitalistischen Galionsfiguren wie El Baradei, sich als Führer der Bewegung und mögliche Nachfolger in den Vordergrund zu spielen.
So kam zwar den Lohnabhängigen die wichtigste Rolle in der Bewegung zu, es wurden von ihnen aber kaum eigene Ziele formuliert, wie die Erhöhung der Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, letztlich die Enteignung der Kapitalist/inn/en und die Übernahme von Privat- und Staatsfirmen in die Verfügungsgewalt der Arbeitenden. Die proletarischen Massen traten auch in der gesamten Protestbewegung nicht kollektiv als soziale Klasse in Erscheinung. Die Bewegung war nicht von Forderungen der Lohnabhängigen geprägt, was vor allem daran lag, dass die ägyptischen Arbeiter/innen kaum eigene Organisationen haben – so fehlen kämpferische Gewerkschaften und vor allem eine revolutionäre Arbeiter/innen/partei. Bisher ist es nicht gelungen, das Monopol des bisher einzigen offiziell anerkannten Gewerkschaftsbundes ETUF (Egyptian Trade Union Federation) zu brechen. Die durch und durch korrupte und mit der Mubarak-Regierungspartei in engem Kontakt stehende Führung der ETUF hatte ihre Mitglieder sogar angewiesen, die Arbeitenden von den Demonstrationen fernzuhalten. Das war zwar letztlich vergeblich, aber das Fehlen eigener Organisationen der Arbeiter/innen/klasse bleibt die große Schwäche der ägyptischen Bewegung.
Genau dieses Fehlen ist aber auch die große Chance der neuen Machthaber/innen: Es ermöglicht ihnen einen größeren Bewegungsspielraum und bietet ihnen die beste Chance, um das erwachte Selbstbewusstsein der ägyptischen Massen (und darüber hinaus der Massen in den anderen arabischen Ländern) zu brechen. Ihre Chance, das System Mubarak in eine neue Zeit hinüberzuretten, besteht darin, dass sich Revolten totlaufen, dass die Machthabenden glaubwürdig vermitteln können, dass auch die revolutionären Bewegungen kein Konzept entwickeln, um die Lebensbedingungen zu verbessern.
Den Aufstand kanalisieren oder weitertreiben
Das Ergebnis der ägyptischen Revolte steht heute noch nicht fest. Die Zeiten Mubaraks sind ein für allemal vorbei. Wahrscheinlich werden auch einige seiner Milliarden schweren Konten in der Schweiz oder in den USA geöffnet und in einem langwierigen juristischen Verfahren „an das ägyptische Volk“ restituiert werden. Doch wenn die Revolution nicht weitergetrieben wird, wenn es den Machthaber/inne/n und im Hintergrund USA/EU gelingt, die revolutionären Energien zu kanalisieren und auf „freie, faire Wahlen“ und einen „geordneten Übergang“ zu orientieren, dann werden die Interessen der ägyptischen Massen ungelöst bleiben müssen. Für eine Befriedigung der Interessen nach einem Leben in Freiheit und ohne Not und Unterdrückung – dafür haben weder die Imperialist/inn/en, der neue Militärrat an der Spitze des Staates noch die Moslembrüder oder El Baradei etwas anzubieten. Sie stehen für mehr oder weniger weit reichende kosmetische Reformen, ohne die Grundlagen des Systems anzutasten.
Um die sozialen und politischen Interessen der breiten Massen der Bevölkerung zu erfüllen, dafür wäre eine weitreichende Selbstorganisation der Massen die erste Voraussetzung. Jede Revolution treibt von sich aus zur Entwicklung erster Keimformen dazu. Die Ordnerdienste, die in Kairo am Tahrir-Platz entstanden waren, stellten solche Keimformen der Gegenmacht dar. Das wird jedoch nicht genug sein, und außerdem besteht die Gefahr, dass die Propaganda des Militärrats, dass nun aufgeräumt und – nach dem erfolgreichen Sturz Mubaraks – zur Normalität zurückgekehrt werden müsse, auf erfolgreichen Boden fällt. Wollen die Arbeitenden ihre Interessen wahren, müssen sie auch unter den neuen Bedingungen ihre sozialen und politischen Forderungen stellen, müssen die ökonomischen und sozialen Forderungen weitergetrieben und systematisiert werden. Komitees der Arbeiter/innen und der städtischen und ländlichen Armut müssten ihre Macht ausbauen und einen Prozess der durchgehenden Demokratisierung vorantreiben. Letztlich müsste auf eine vom ganzen Volk gewählte konstituierende Versammlung hingearbeitet werden, deren Delegierte ihren Wähler/inne/n verantwortlich wären und die eine neue Verfassung ausarbeiten müsste.
Ein solches Ägypten wäre ein entscheidender Schlag für das imperialistische System im Nahen Osten, ja für das imperialistische Weltsystem überhaupt. Aber auch heute schon haben die Ereignisse in Ägypten (wie zuvor schon die in Tunesien) Auswirkungen auf eine ganze Region. Es besteht eine realistische Chance, dass die Tage für eine ganze Serie von korrupten Regimes, die über Jahrzehnte im Dienste des Imperialismus ihre eigenen Bevölkerungen niedergehalten und dafür von den Regierungen der USA und Europas zynisch gestützt wurden, gezählt sind. Die Bewegungen in Tunesien und Ägypten hatten und haben unsere volle Solidarität verdient. Wir können nur darauf bauen, dass die Bewegung weitergeführt und vertieft wird und der Funke auch auf andere Länder überspringt!