In der Wiener Staatsoper findet in diesen Tagen wieder der wohl berühmteste Ball der Welt statt: Der Opernball. Beim „Society-Event des Jahres“ gibt sich nationale und internationale Prominenz die Ehre. Im Vorfeld zeigten VertreterInnen der „feinen Gesellschaft“ wieder einmal ihr wahres Gesicht.
Den Anfang machte vor einigen Wochen Ex-Rennfahrer und Fluglinienkapitalist Niki Lauda. Der nämlich empörte sich darüber, dass der TV-Moderator Alfons Haider ankündigte, bei der kommenden Staffel der Fernseh-Tanzshow „Dancing Stars“ (eine Beschäftigungstherapie für B- und C-Promis) mit einem männlichen Tanzpartner an den Start gehen zu wollen.
Die „guten Traditionen“ der „Prominenz“
„Ich bin empört, dass sich der öffentlich-rechtliche ORF, der ja von unser aller Gebühren finanziert wird, aus reiner Quotengeilheit dafür hergibt, schwules Tanzen zu propagieren. Es gibt so was wie gute Traditionen in unserer Kultur – dazu gehört, dass Männer mit Frauen tanzen“ meinte Lauda in einem Zeitungsinterview. Und: „Bald kommt die Zeit, da werden wir uns noch alle öffentlich dafür entschuldigen, dass wir heterosexuell sind.“
Am Schluss forderte Lauda den ORF sogar auf „diese quotenfreie Schwulen-Nummer“ sofort zu stoppen, schließlich könnten seine Kinder „glauben, das nachmachen zu müssen“. Selbstverständlich hat der gute Mann nichts gegen Homosexuelle, denn: „Ich habe jede Menge Schwule in meiner Fly Niki angestellt, sogar (!) als Ausbildner.“ (Hier stellt sich die Frage, woher ein Firmenboss über die sexuelle Orientierung seiner Angestellten Bescheid weiß). Lauda, in der Society omnipräsent, fällt übrigens ansonsten nicht nur als homophob auf, sondern auch als Apfel, der nicht weit vom Stamm fällt. Der Spross einer adligen Industriellenfamilie (sein Vater war sogar Präsident der Industrieellenvereinigung) zeigte sich immer wieder als Gewerkschaftsfeind und Sozialabbau-Sanierer.
Armer Polster, abnormal!
Wer allerdings dachte, dass Niki Lauda mit seiner Melange aus Unwissen (beim im alpinen Raum beliebten „Schuhplattler“ tanzen sehr wohl Männer mit Männern) und homophober Paranoia in der „feinen Gesellschaft“ allein auf weiter Flur bleiben sollte, wurde alsbald eines Besseren belehrt. Denn sofort fanden sich weitere Prominente, die sich hinter den Fluglinienkapitalisten stellen. So zum Beispiel Ex-Fußballer Toni Polster: „Wenn ich heutzutage meinen Fernseher aufdrehe, überkommt mich das Gefühl, ich bin abnormal, weil ich heterosexuell bin und nicht schwul.“ Und die Schauspielerin und Witwe von Wiens Alt-Bürgermeister Zilk, Dagmar Koller, die sich interessanterweise selbst für eine „Ikone der Schwulen“ hält, fand das Ganze schlicht „unappetitlich“.
Diese Zitate zeichnen ein Sittenbild, denn sie zeigen, dass Homophobie nicht bloß in den sogenannten unteren sozialen Schichten, sondern auch in der ach so aufgeklärten Bourgeoisie weit verbreitet ist. Mit dem Unterschied, dass die „oberen Zehntausend“ ihre diskriminierenden Einstellungen vielleicht in einer anderen Sprache zum Ausdruck bringen, oder, wenn es sein muss, besser verdeckt halten können.
Alles Walzer?
Doch auch das mit der dezenten Sprache ist nicht immer garantiert. So warnte unlängst ORF-Programmdirektor Wolfgang Lorenz in einem den Medien zugespielten internen E-Mail an ORF-Angestellte, sie mögen den Opernball „nicht zum Nuttenball umfunktionieren“ und die TV-Übertragung dementsprechend gestalten.
Worum geht es? Nun, auch dieses Jahr lässt es sich das Enfant Terrible der österreichischen „High Society“, der Ex-Bauunternehmer und Shopping Mall-Besitzer Richard „Mörtel“ Lugner, nicht nehmen, einen internationalen (weiblichen) Mehr-oder-weniger-Promi-Gast als Begleitung zum Opernball einzuladen.
Diesmal holt er die marokkanische Prostituierte Karima el-Mahroug, bekannt als Ruby Rubacuori, nach Wien. Sie wurde dadurch prominent wurde, dass sie als damals noch Minderjährige Sex mit Italiens Premierminister Silvio Berlusconi gehabt haben soll. Ein PR-Trick Lugners sondergleichen, zweifelsohne, doch die Empörung der heimischen Bourgeoisie blieb nicht aus. Aber die „feinen“ Damen und Herren echauffierten sich nicht über den Umstand, dass ein alter Mann Geld und Prestige in die Waagschale wirft, um sich die Gunst junger Frauen zu erkaufen (was in diesem Milieu ja öfter vorkommt), sondern einzig darüber, dass Lugner mit einer Prostituierten am Opernball erscheinen wird.
So meinte die Opernball-Organisatorin Desirée Treichl-Stürgkh, sie fände das „grauslich“. Der bereits erwähnte ORF-Direktor Lorenz sprach von „Unappetitlichkeiten“. Und Operndirektor Dominique Meyer vermutet, Lugner wolle ihm das „Fest verderben“. Lugner konterte mit einem Bibelzitat („Jesus sprach, Dirnen und Zöllner sind mir lieber als die Scheinheiligen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt sind.“) und der Ansage „Die Besucher und Besucherinnen am Opernball werden auch schon mal was mit jemandem gehabt haben.“
Der dumme August (Richard) zeigt den Spiegel vor
Hier soll es nicht darum gehen, einen abgehalfterten Society-Clown zu verteidigen. All jene, die sich hin und wieder Sozialpornos à la „Die Lugners“ im Privatfernsehen ansehen, können sich von seinem sexistischen, belehrenden und patriarchalen Verhalten ein Bild machen. Nein, aber was Lugner hier anspricht, berührt tatsächlich eine Wahrheit. Mit ihren scheinheiligen Sprüchen tragen die „feinen“ Damen und Herren dazu bei, die Stigmatisierung von Sexarbeit in der bürgerlichen Gesellschaft weiter zu reproduzieren.
Wer nimmt denn solche Escort-Services, für welche Karima el-Mahroug gearbeitet hat, in Anspruch? Es sind Männer aus demselben Kreis, aus dem sich das Opernball-Publikum zusammen setzt. Leute vom Schlag des US-Juristen Ed Fagan, der nach außen hin immer den harten Anwalt gespielt hat und im Geheimen Sex mit einer minderjährigen Prostituierten gehabt haben soll (in einem Interview meinte er, er wäre davon ausgegangen, sie wäre schon 22 gewesen). Prostituierte – das sind für die Damen und Herren der „feinen Gesellschaft“ entweder Opfer (Treichl-Stürgkh: „armes Mädchen“, das in „falsche Kreise geraten“ ist) oder halb kriminelle „Nutten“. Nicht aber ArbeiterInnen – SexarbeiterInnen – die, wie Beispiele aus vielen Ländern zeigen, auch selbst für ihre Interessen kämpfen können.
Lugner, zweifelsohne selbst ausnehmend sexistisch und immer mit jungem bezahlten weiblichen Anhang, ist da in seiner frauenfeindlichen Unverfälschtheit schlicht offener und weniger verlogen als die meisten anderen Bürgerlichen. Zwischen ihm und dem Großteil des restlichen, über ihn die Nase rümpfenden, Opernball-Publikums besteht auch eine gewisse kulturelle Barriere.
Denn anders, als die Mehrheit der österreichischen Bourgeoisie, die selbst aus reichem Haus kommt, hat „Mörtel“ wirtschaftlich tatsächlich klein angefangen (und seinen Unterschichts-Habitus dabei nie abgelegt). Selbst im Land der angeblichen Tellerwäscher-MillionärInnen, in den USA, haben zwei Drittel der Allerreichsten (das reichste Prozent) ihr Vermögen insgesamt oder zum größten Teil geerbt. Für Österreich gibt es wenig Zahlen, aber dieser Prozentsatz dürfte hierzulande noch deutlich höher sein. Da rümpft dann das alteingesessene Kapital die Nase über die Emporkömmlinge. Doch – damit wir uns nicht falsch verstehen – natürlich haben sich auch die Lugners dieser Welt ihr Vermögen nicht „selbst erarbeitet“ sondern mittels der Ausbeutung der Ware Arbeitskraft gewonnen. Das heißt, mittels der Abschöpfung des Mehrwerts, den Lohnabhängige produziert haben.
Und da wiederum kommt auch der Kapitalist Lugner ins Spiel – der wohl (hoffentlich!) nicht ganz so dumm ist, wie er aussieht. Tatsächlich lässt er sich den Gutteil seiner Peinlichkeiten von den Betrieben in dem bescheidenerweise nach ihm selbst benannten Einkaufszentrum bezahlen (seine Namensnennung ist Werbung für das Zentrum). Auch schickt er schon mal eine seiner Firmen in Konkurs, wenn sie nicht mehr gewinnbringend ist. Und zur Erinnerung: der Mann steht weit rechts, hat auch mit FPÖ-Wohlwollen bei verschiedenen Wahlen kandidiert, tritt auf FPÖ-Veranstaltungen auf …
Opernballdemos
Am diesjährigen Opernball werden die „oberen Zehntausend“ ihren Reichtum wieder einmal protzig zur Schau stellen. Bis vor einigen Jahren gab es noch regelmäßig Demos gegen den Ball. Diese Demos waren oft sehr militant und gleichzeitig geprägt von wüsten Prügelorgien vermummter gewaltbereiter PolizistInnen. So schlugen etwa Polizisten am Rand einer Demo zu Beginn der 1990er einem Mann, der gerade an einem Würstelstand etwas konsumierte, ein Auge aus. Alles dirigiert von Einsatzleitern – natürlich mit SPÖ-Parteibuch. Etliche jüngere AktivistInnen machten auf diesen Demos ihre ersten sehr realen Erfahrungen mit der bürgerlichen Staatsgewalt.
Doch gleichzeitig wurden diese Demos im Lauf der 1990er immer mehr zu einem Ritual, das auch teils bereits sehr entpolitisiert war und vor allem sehr junge AktivistInnen aus den Bundesländern anzog. Diese Demos waren ein Symbol, dass es Menschen gibt, die es nicht akzeptieren, wenn die Reichen ihr Geld, das sie uns gestohlen haben, noch mit TV-Live-Übertragung zur Schau stellen. Doch insgesamt haben die Opernballdemos die antikapitalistische Linke wenig vorangebracht.
Gegen das ritualisierte Zurschaustellen der Reichen sollen wir nicht unsere eigenen Demo-Rituale stellen, sondern langfristig und kontinuierlich dort politisch arbeiten, wo der ganze Reichtum produziert wird: In den Büros, Dienstleistungsbetrieben, Werkstätten und Fabriken dieser Welt!
Zum Weiterlesen:
Eine marxistische Analyse der Prostitution
Tschüss, Mörtel (Mai 1999)