–„Kämpfen bedeutet leben!–“

Rund 4000 KollegInnen der französischen Eisenbahnen haben am 16.Juni gegen die Privatisierung der Staatsbahn SNCF demonstriert. Die Demonstrationskultur ist dabei doch etwas anders als im deutschsprachigen Raum. Impressionen aus Paris

Der erste Eindruck bei der Auftaktkundgebung: es ist laut. Sehr laut. Das liegt weniger an Sprechchören oder Reden sondern mehr an den Böllern, die an allen Ecken gezündet werden. RednerInnen, die laut genug wären, um das zu übertönen, könnten allerdings auch oft nicht gesehen werden, denn immer wieder ziehen dichte Nebelschwaden von bengalischen Feuern durch die Kundgebung, die jedem Fußballspiel Ehre machen würden.

Bei der Metro-Station aussteigen und zur Kundgebung gehen bedeutet zuerst einmal eintauchen in ein Meer von roten Fahnen. Es ist klar: hier demonstrieren die EisenbahnerInnen, hier ist vor allem die kommunistische Gewerkschaft CGT stark und auf der Straße. Ihr Block umfasst gute 3.000 KollegInnen. Es ist eine Mobilisierung auch aus der weiteren Umgebung bis in den Norden, die Bretagne. Es sind also vor allem organisierte KollegInnen da, die in gewerkschaftliche Strukturen eingebunden sind.

Die CGT hat sich in den letzten Jahren von der Kommunistischen Partei (PCF) gelöst – was auch daran sichtbar ist, dass eben keine Propaganda der PCF sichtbar ist. Dennoch repräsentiert sie eine gewisse Tradition, die auch klar zum Ausdruck gebracht wird.

Hol den Vorschlaghammer!

Es gibt einige Lautsprecherwagen im Block der CGT, teils wird politischer Rap gespielt, etwa das sehr bekannte „Motivés“ der trotzkistisch inspirierten Band „Zebda“, ein Rap-Remake eines französischen PartisanInnenliedes, aber auch Bella Ciao und anderes sind zu hören. Begleitet wird der Zug der CGT von KollegInnen, die mehrere mobile Böller-Abschussvorrichtungen auf Einkaufswagen mitführen. Mit dem Vorschlaghammer wird der Böller ausgelöst, alle paar Minuten tönt eine ohrenbetäubende Explosion quer durch die Demo.

Die Demo wird begleitet von bengalischen Feuern, die teils getragen werden, teils einfach auf den Boden gestellt und so im Raum den Verlauf der Demo zeigen – später, bei der Abschlusskundgebung wird der Rauch wieder so dicht werden, dass er in ganz Paris von den Dächern und Hügeln wie Feuer zu sehen sein wird. Apropos Feuer: Als Papierhaufen entzündet werden, gehen sofort KollegInnen darauf zu … um mehr Papier aufzuschichten.

Negativ fällt auf, dass es im Block der CGT kaum Sprechchöre gibt und die CGT selbst Wagen mitführt, wo Bier ausgeschenkt wird. Denn das ist die Kehrseite: die CGT hat zwar bestimmte Traditionen … aber darunter sind eben leider auch jene des sozialpartnerschaftlichen Auftretens der reformistischen KP.

Widerstand!

Als nächster Block ist dann die linke Basisgewerkschaft SUD dran. Die SUD ist entstanden aus einem Zusammenschluss von Basisgewerkschaften und linksoppositionellen Strömungen in der sozialdemokratischen Gewerkschaft CFDT; an dieser Gründung waren Kräfte aus der Tradition des Trotzkismus maßgeblich beteiligt.

Gute 600 KollegInnen marschieren hinter dem Fronttransparent „Kämpfen bedeutet leben!“ Der Block ist deutlich kämpferischer, es gibt permanent Sprechchöre gegen die Geschäftsleitung und gegen eine mögliche Privatisierung. Der Mann am Mikro gibt die Fragen vor, die Antwort ist klar: „résister“, also „widerstehen“.

Doch ein Wermutstropfen: die Fahnen, die hier wehen, sind dunkelgrün und nicht rot. Die SUD-Rail verwendet leider diese Farbe, es wäre interessant, ob das nur eine Idee war, um bei Demos nicht im Meer der CGT-Fahnen unterzugehen oder ob es auch politische Gründe gibt. Schade ist es jedenfalls.

In diesem Block gibt keine Böller (was für die eigenen Ohren durchaus ein Vorteil ist), dafür aber noch mehr bengalische Feuer – für die Frauen, die vorne mit Trommeln den Takt vorgeben, ist das PalästinenserInnentuch ein guter Schutz vor dem Rauch. Wir kennen das „Stop-and-go“, das Herunterzählen und dann laufen ja auch von Demos im deutschsprachigen Raum. Aber es ist vielleicht noch mal was anderes, wenn dann 150 EisenbahnerInnen losrennen.

Dieser Block scheint ein wenig jünger und auch wenig mehr weibliche KollegInnen zu umfassen – im Ausgleich sind vielleicht ein wenig mehr Angestellte dabei, doch auch dieser Block ist ein veritabler EisenbahnerInnenblock – und er ist laut und kämpferisch.

Chansons …

Zum Abschluss ist dann noch die sozialdemokratische CFDT dran. Vielleicht 150 GewerkschafterInnen marschieren hier mit, Stimmung ist keine vorhanden, es wirkt weit mehr, wie wir es von Gewerkschaftsdemos hierzulande kennen … Bereits bei der Auftaktkundgebung spielte die CFDT liebliche Chansons, während unmittelbar daneben vom Wagen der SUD antirassistischer Rap tönte.

Und irgendwann fährt dann auch ein Bus mit TouristInnen an der Demonstration vorbei. Einige winken, andere machen das Siegeszeichen. Die KollegInnen winken zurück. Die TouristInnen wissen wahrscheinlich nicht ganz genau, worum es geht. Doch sie sehen die ArbeiterInnen auf der Straße, sie sehen die roten Fahnen … und dieses Symbol ist international!