Seit 6. August kommt es in Grossbritannien zu eine Serie grösserer Ausschreitungen. Diese folgten auf die Ermordung des Familienvaters Mark Duggan, der am 4.8. bei einer Polizeikontrolle erschossen wurde. Die Ausschreitungen haben eine solche Heftigkeit angenommen, dass sogar Premier David Cameron kurzfristig seinen Urlaub abbrechen musste.
Die vereinte Presse der britischen Bourgeoisie versucht die Aufständischen lediglich als Idioten und Gesindel ab zu tun (der berüchtigte "Daily Telegraph" hatte heute die Schlagzeile "Flaming Morons", also zündelnde Idioten). Doch die Unruhen sind ein klares Ergebnis der bürgerlichen Politik in Grossbritannien.
Rassistischer Mord
Die direkte Ursache der Ausschreitungen war die Empörung im Nord-Londoner Bezirk Tottenham über die Ermordung von Mark Duggan, eines 29 jährigen Vaters. Duggan stand schon länger unter Polizeiüberwachung,, ob dies begründet war oder nicht, lässt sich im Moment noch nicht einwandfrei sagen.
Auch der Tathergang ist recht ominös, Duggan soll bei der Kontrolle eine Waffe bei sich getragen und als erster das Feuer auf die Polizei eröffnet haben. Nun ist aber rausgekommen, dass beide Kugeln am Tatort von der Polizei abgefeuert wurden und ausserdem berichten Augenzeugen, dass Duggan erst niedergeschossen wurde, als er bereits am Boden lag.
Genaue Quellen sind noch nicht bekannt, vor allem weil die Verdunkelungsarbeit der Polizei in solchen Fällen sehr schnell und effizient vor sich geht. Die London Metropolitan Police hat aber eine lange Geschichte rassistischer Übergriffe, was soweit ging, dass auf einigen Polizeiposten schwarze PolizistInnen nicht im gleichen Einsatzfahrzeug wie weisse fahren durften. Auch die Konzentration der Polizeiarbeit auf migrantische und arme Gegenden in London, wie eben Tottenham, hat einen klar rassistischen Hintergrund.
Ausschreitungen gegen die Ohnmacht
Am Tag nach dem Vorfall kam es zu einer Demonstration gegen die Erschiessung von Mark Duggan. Dabei soll eine 16 Jährige Teilnehmerin, die sich der Polizeiabsperrung zu fest genähert hat, von der London Metropolitan Police brutal angegriffen worden sein, was der unmittelbare Auslöser für die Ausschreitungen war.
Die Ausschreitungen begannen mit Strassenschlachten und Plünderungen zuerst in Tottenham, haben sich aber in den folgenden Nächten auf ganz London und auch bis nach Birmingham und Liverpool ausgebreitet. Es sind viele Jugendliche der zweiten, dritten oder vierten EinwanderInnengeneration ohne wirkliche Chance im kapitalistischen System, die ihrem Ärger so Ausdruck verleihen. Es sind aber auch viele verarmte „weisse“ Jugendliche am Aufruhr beteiligt.
In vielen verarmten Gegenden mit einem hohen Anteil von EinwanderInnen in Grossbritannien existiert eine massive Armut und sehr hohe Arbeitslosigkeit, vor allem unter Jugendlichen. Die Lage der Jugendlichen verschlechtert sich seit vielen Jahren immer mehr, zuerst unter der bürgerlichen Premierministerin Thatcher, dann unter der sozialdemokratischen New Labour und jetzt wieder unter den „alten“ bürgerlichen Tories. Aktuell ist sie auch ein Ausdruck der gigantischen Sparpakete der konservativ-liberaldemokratischen Koalition, die aktuell in den ärmsten Viertel die Jugendzentren, die Freizeiteinrichtungen und die Bildungsstätten zusammenkürzt und schließt.
Keine dieser Parteien, aber auch keine anderen politischen oder gewerkschaftlichen Kräfte in Grossbritannien konnte diesen Menschen einen Ausweg aus ihrer Misere bieten. Die Form, die die Aufstände annehmen, also Plünderungen und Zerstörung der ArbeiterInnenbezirke ist klar ein Zeichen politischer Ohnmacht, die diese Schichten erdrückt
Diese Jugendlichen geben nun ihrem Ärger Ausdruck, in dem sie sich die Dinge holen, die ihnen der Kapitalismus immer vor die Nase hält, die aber für sie auf legalem Wege unerreichbar sind. So kam es erstaunlich oft zu Plünderungen von Schuhläden und Elektronikgeschäften. Teure Sneaker und Flachbildfernseher sind ein begehrtes Gut. Das zeigt aber auch gerade die Einschränkungen, die diese Ausschreitungen haben.
Plünderungen sind keine Lösung
Sicher stört es uns als RevolutionärInnen kein bisschen, wenn Geschäfte, die sehr reichen, weissen Männer gehören, geplündert werden. Die Plünderung von kleinen Läden, das Abfackeln von „normalen“ Autos und der massive Schaden, der in den Bezirken der ArbeiterInnen angerichtet wird, hat aber überhaupt nichts Positives.
Nur weil wir Wut und Perspektivlosigkeit verstehen, heisst das noch lange nicht, dass wir alle daraus folgenden Handlungen gut heissen. Viele der Formen, die der Aufruhr annimmt, können wir nicht gutheißen, denn sie richten sich direkt gegen das Eigentum und die Infrastruktur der eigenen Community. Doch können wir die Entwicklung nachvollziehen, die zu dieser blinden Zerstörung führt.
Solche Aufstände, wie sie immer wieder vorkommen, haben keine langfristige Perspektive. Schlussendlich sind diese Jugendlichen der Macht des kapitalistischen Repressionsapparates nicht gewachsen, sie werden geschlagen werden und die Aufstände werden aufhören. Die soziale Misere, welche diese Unruhen hervorbringt, kann aber ohnehin von der Polizei nicht beseitigt werden.
Allgemein hat der Kapitalismus immer weniger Möglichkeiten, soziales Elend zu bekämpfen. Nur der vereinte Kampf der ArbeiterInnenklasse gegen das kapitalistische System kann dieses Elend von der Erde tilgen. Die organisierte ArbeiterInnenbewegung hat bisher für die Jugendlichen ohne jede soziale Perspektive keine Antwort. Es wäre allerdings eine dringende Aufgabe der ArbeiterInnenbewegung, Angebote speziell für verarmte Jugendliche und Jugendliche aus EinwanderInnenfamilien zu machen. Es ist höchste Zeit, den Unmut in politische Forderungen umzusetzen und den Kampf gegen (staatlichen) Rassismus zu einem ständigen Bestandteil der Politik der ArbeiterInnenbewegung zu machen.